Sozialrecht

Versorgung nach dem Bayerischen Abgeordnetengesetz

Aktenzeichen  RO 3 K 18.539

Datum:
17.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 56797
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayAbgG Art. 12 Abs. 1 u. 2, Art. 18, Art. 19
BayBeamtVG Art. 35 Abs. 2 Nr. 2
BayVwVfG Art. 48 Abs. 4 S. 1
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4§ 84 Abs. 1 S. 1, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 2, § 154 Abs. 1, § 167
BayKWBG Art. 60

 

Leitsatz

Art. 14 GG schütz nicht das bloße Vermögen (vgl. BVerfG, U.v. 20.7.1954 – 1 BvR 459/52 – BVerfGE 4, 7).  (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört, § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 12. März 2018 ist, soweit er die Fortgewährung von Witwengeld unter Zurücknahme der bisher ergangenen Festsetzungsverwaltungsakte ab 1. April 2020 verwehrt, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, auch über den 1. April 2020 hinaus Witwengeld zu erhalten.
Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 12. März 2018 ist vorliegend Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG. Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 zurückgenommen werden.
Bei dem Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2011 handelt es sich um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt.
Denn der Klägerin steht das mit Bescheid vom 16. Dezember 2011 in der Fassung des Bescheids vom 24. April 2014 gewährte Witwengeld als Form der Hinterbliebenenversorgung nicht zu.
Nach Art. 19 BayAbgG sind, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, für die Versorgung die Vorschriften des Bayerisches Beamtenversorgungsgesetz sinngemäß anzuwenden. Nach Art. 35 Abs. 1 BayBeamtVG erhalten Witwer oder Witwen eines Versorgungsurhebers Witwengeld. Die Klägerin ist die Witwe des am … 2011 verstorbenen ehemaligen Abgeordneten O. B. Nach Art. 35 Abs. 2 Nr. 2 BayBeamtVG besteht kein Anspruch auf Witwengeld, wenn der Versorgungsurheber – vorliegend der verstorbene Ehegatte der Klägerin, Herr O. B. – sich zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits im Ruhestand befand und die Altersgrenze nach Art. 62 Satz 1, Art. 143 Abs. 1 BayBG erreicht hatte. Der verstorbene Ehegatte der Klägerin bezog seit 1. Januar 1992 und damit vor der Eheschließung am … 1997 bereits eine Altersentschädigung nach dem Bayerischen Abgeordnetengesetz. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Ruhestand. Er hatte auch die Altersgrenze nach Art. 62 Satz 1, Art. 143 Abs. 1 BayBG bzw. Art. 12 Abs. 2 BayAbgG erreicht. Nach Art. 12 Abs. 2 BayAbgG erreichen Mitglieder des Bayerischen Landtags, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, die Altersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Der am … 1929 geborene O. B. hatte diese Altersgrenze bereits vor der Eheschließung am … 1997 im Jahr 1994 erreicht. Anstelle der Witwenversorgung sieht Art. 38 BayBeamtVG einen Unterhaltsbeitrag für die nachgeheiratete Witwe vor.
Gemessen hieran ist der Bescheid vom 16. Dezember 2011 in der Fassung des Bescheids vom 24. April 2014 insoweit rechtswidrig, als für die Klägerin in Ziffer 3 ein monatliches Witwengeld nach dem Bayerischen Abgeordnetengesetz festgesetzt wird.
Mit Bescheid vom 24. April 2014 wurde eine Neuberechnung der Höhe des Witwengelds insoweit vorgenommen, als ein Kürzungsbetrag hinsichtlich des Witwengelds aufgrund eines erfolgten Versorgungsausgleichs der geschiedenen Ehe des verstorbenen O. B. erhöht wurde. Nachdem dieser Bescheid indes ebenfalls von der Gewährung von Witwengeld ausgeht, ist auch dieser Bescheid rechtswidrig.
Grund der Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Nr. 2, Art. 38 BayBeamtVG ist, dass der Gesetzgeber der Witwe im Falle einer Verheiratung nach dem Bezugsbeginn der Altersversorgung des Versorgungsurhebers zwar einen Anspruch auf Versorgung einräumt. Der Versorgungsträger soll hierzu aber nur insoweit verpflichtet werden, als die Witwe nicht bereits anderweitig wirtschaftlich abgesichert ist. Dementsprechend orientiert sich zwar der Unterhaltsbeitrag am Witwengeld, allerdings sieht Art. 38 Satz 2 BayBeamtVG vor, dass Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen in angemessenem Umfang anzurechnen sind. Es handelt sich beim Unterhaltsbeitrag nicht um eine alimentationsrechtliche Versorgung. Der Unterhaltsbeitrag dient lediglich dem Ausgleich von Härten, die sich daraus ergeben, dass das Gesetz der nachgeheirateten Witwe die volle Witwenversorgung versagt.
Die Berechnung des Unterhaltsbeitrags ergibt sich aus II. Nr. 2 des Bescheids vom 12. März 2018. Dass insofern Berechnungsfehler vorliegen, wurde klägerseits nicht geltend gemacht und Fehler sind auch nicht ersichtlich. Die Klägerin wendet sich im Übrigen nicht gegen die Höhe des Unterhaltsbeitrags, sondern begehrt die Zahlung des Witwengelds über den 1. April 2020 hinaus. Dieser Anspruch besteht aber gemessen an obigen Ausführungen nicht.
Der Bescheid vom 16. Dezember 2011 in der Fassung des Bescheids vom 24. April 2014 durfte auch insoweit aufgehoben werden als Witwengeld gewährt wird. Demgemäß wurde in Nr. 2 des Bescheids vom 12. März 2018 verfügt, dass die bisher ergangenen Festsetzungsbescheide zurückgenommen werden, soweit sie dem – d.h. der Gewährung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags – entgegenstehen, was der Fall ist, wenn die Gewährung den Unterhaltsbeitrag übersteigt.
Gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt auch nach Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Im vorliegenden Fall erfolgte die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts mit Wirkung für die Zukunft, nämlich zum 1. April 2020.
Gemessen an Art. 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BayVwVfG ist die Rücknahme im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.
Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG konnte die Rücknahme (hier von Nr. 3 des Bescheids vom 16.12.2011 in der Fassung des Bescheids vom 24.4.2014) nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 des Art. 48 BayVwVfG erfolgen, weil es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, der eine laufende Geldleistung gewährt bzw. hierfür Voraussetzung ist, nachdem hierin zugunsten der Klägerin Witwengeld festgesetzt worden war.
Nach Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG ist die Rücknahme ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an eine Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist nach Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht hat oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.
Art. 48 Satz 2 BayVwVfG steht vorliegend der Rücknahme nicht entgegen.
Die Voraussetzungen von Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG liegen im vorliegenden Fall zwar nicht vor, denn die Klägerin hat den begünstigenden Verwaltungsakt weder durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt, auch nicht durch Angaben, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, und sie kannte auch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht bzw. kannte diese nicht deshalb nicht, weil sie grob fahrlässig handelte. Wie im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt, ist nicht zu unterstellen, dass die Klägerin das Schreiben vom 15. Januar 1997 an ihren verstorbenen Ehegatten kannte.
Aber das Vertrauen der Klägerin in den Bestand der Gewährung von Witwengeld über den 1. April 2020 hinaus ist vorliegend nicht derart schutzwürdig, dass es einer Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.
Der Verbrauch gewährter Leistungen nach Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG scheidet vorliegend aus, da es um die Gewährung des Witwengelds für die Zukunft ab 1. April 2020 geht. Auch liegt keine von der Klägerin getroffene Vermögensdisposition vor, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen könnte.
Hinsichtlich des Vertrauensschutzes beruft sich die Klägerin im Wesentlichen zum einen darauf, dass sie ihre Lebensführung auf die gewährte Leistung ausgerichtet habe. Sie macht geltend, dass sie das Amt als ehrenamtliche Bürgermeisterin weiter ausgeübt hätte, zunächst bis 2020, ferner sogar darüber hinaus.
Dies hätte jedoch vorausgesetzt, dass die Klägerin sowohl bei der Kommunalwahl 2014 als auch bei der Kommunalwahl 2020 wieder zur ehrenamtlichen Bürgermeisterin gewählt worden wäre. Zwar hat der Beklagte der Klägerin insoweit einen Vertrauenstatbestand zugestanden, als unterstellt wurde, dass die Klägerin aufgrund ihres klaren Wahlsiegs im Jahr 2008 mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch im Jahr 2014 wiedergewählt worden wäre. Allerdings ist diese Wertung rein spekulativ, da derartige Entscheidungen des Wählers von vielfältigen unwägbaren Faktoren, insbesondere auch der Popularität anderer Kandidaten und dem rein subjektiven Wählerwillen abhängen.
Bereits für die Wahl im Jahr 2014 kann daher nicht mit Sicherheit ausgesagt werden, dass dann, wenn sich die Klägerin zu einer Kandidatur entschieden hätte, sie auch gewählt worden wäre. Der Bescheid vom 24. April 2014 konnte zudem kaum einen Vertrauenstatbestand für die Kommunalwahl schaffen, die am 16. März 2014 stattfand.
Noch unsicherer wäre ein Wahlausgang im Jahr 2020. Denn zu diesem Zeitpunkt wäre die Klägerin zudem bereits über 70 Jahre alt gewesen, so dass fraglich ist, ob sie tatsächlich nochmals kandidiert hätte bzw. ob sie tatsächlich nochmals – gerade auch in Anbetracht ihres fortgeschrittenen Alters – gewählt worden wäre. Insofern bewegen sich die Überlegungen dazu sehr weit im Bereich der Spekulation. Bezieht man die Ausführungen im Schreiben der Klägerseite vom 12. Februar 2020 mit ein, erscheint bereits eine Kandidatur der Klägerin im Jahr 2020 aufgrund ihrer schweren Erkrankung und der Umzugspläne eher unrealistisch.
Es unterlag mithin dem Willen der Klägerin, im Jahr 2014 im Alter von rund 65 Jahren, und damit im Rentenalter, nicht mehr zu kandidieren, des Weiteren in Kenntnis des Bescheids vom 12. März 2018 nicht erneut bei der Kommunalwahl 2020 als Bürgermeisterkandidatin anzutreten. Eine schutzwürdige Vermögensdisposition kann daher schon nicht (zwingend) darin gesehen werden, dass die Klägerin im Jahr 2014 nicht mehr zur Wahl angetreten ist. Erst recht überzeugt nicht, weshalb das Vertrauen auf den Bestand der Witwengeldgewährung im Zusammenhang mit der Entscheidung, nicht mehr als ehrenamtliche Bürgermeisterin zur Verfügung zu stehen, derart schutzwürdig sein sollte, dass über den 1. April 2020 hinaus Witwengeld zu gewähren wäre. Zudem hatte die Klägerin seit Erlass des Bescheids vom 12. März 2018 hinreichend Zeit, ihre Lebensgestaltung an veränderte Umstände anzupassen. Dass ihr das aufgrund tatsächlich getroffener finanzieller Verpflichtungen unzumutbar sei, mithin sie ohne die streitige Witwenversorgung zwingend in eine finanzielle Schief- oder Notlage käme, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, insbesondere nicht im Hinblick auf die bei der Klägerin bestehende finanzielle Situation auch ohne Witwengeld. Die Klägerin erhält eine Altersrente (Stand: 1.7.2017) in Höhe von 1.489,76 €, ferner eine Witwengeld von 314,88 € (ebenfalls Stand: 1.7.2017), gesamt: 1.804,64 € (vgl. Bl. 162 der Akten des Beklagten). Ferner erhält die Klägerin Ehrensold in Höhe von rund 952,00 € (Stand: 05/2017, Bl. 171 der Akten des Beklagten). Mithin ist die Klägerin mit rund 2.750,00 € wirtschaftlich abgesichert. Zudem ist unstreitig, dass ihr ein Unterhaltsbeitrag – nach Aktenlage in Höhe von 131,00 € – zusteht. Damit erscheint die Klägerin mit Bezügen von nahezu 3.000,00 € monatlich wirtschaftlich im Rahmen einer angemessenen Lebensführung hinreichend abgesichert.
Soweit die Klägerin weiter geltend macht, sie habe ihre Pflegerentenversicherung im Hinblick auf ihre Versorgung als Witwe von Herrn O. B. gekündigt, da sie sich sicher gewesen sei, diese nicht mehr zu benötigen, kann auch dies nicht als schützenswerte Vermögensdisposition gewertet werden, zumal sie nicht nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden könnte. Mithin hätte die Klägerin seit dem Rücknahmebescheid vom 12. März 2018 erneut eine Versicherung abschließen können. Soweit diese mit anderen oder höheren Beiträgen verbunden wären, ist nicht zu unterstellen, dass es sich hierbei um unzumutbare Nachteile handelt, insbesondere im Hinblick auf die erfolgte Rückzahlung von 10.625,91 €, die ihrem Vermögen zugeflossen ist. Zudem hat die Klägerin sich weitere Versicherungsbeiträge infolge der Kündigung erspart.
Bei der Frage des Vertrauensschutzes darf zudem berücksichtigt werden, inwieweit die Klägerin ohne das streitige Witwengeld ausreichend abgesichert ist. Dies ist bei der Klägerin wie bereits ausgeführt in nicht unerheblichem Umfang der Fall. Demgegenüber hat die Klägerin, die im Ruhestand ist, bis zum 13. Februar 2020 (Eingang des Schreibens vom 12.2.2020 bei Gericht) keine ungewöhnlichen oder erhöhten Kosten für ihre private Lebensführung geltend gemacht.
Soweit mit Schreiben vom 12. Februar 2020 geltend gemacht wird, es entstünden erhöhte Kosten der Lebenshaltung und Lebensführung durch eine schwere Erkrankung und damit zusammenhängend einen Umzug nach M., ist darauf hinzuweisen, dass dieser Wohnortwechsel nicht zwingend ist, zumal der Klägerin Behandlungsmöglichkeiten grundsätzlich auch in der Nähe ihres Wohnorts zur Verfügung stünden. Ferner ist davon auszugehen, dass die Behandlungskosten durch die Krankenversicherung der Klägerin getragen werden. Für die Pflegeversicherung wird auf vorstehende Ausführungen verwiesen.
Es ergibt sich nicht, weshalb der Klägerin in Kenntnis der strittigen Rechtslage Vertrauensschutz zustehen sollte, wenn sie durch eigenen Entschluss – Umzug nach und Wohnsitznahme in M. – höhere Kosten von Lebenshaltung und Lebensführung verursacht. Zudem sind diese Umstände erst nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 12. März 2018 eingetreten.
Selbst wenn die Klägerin in gewissem Umfang Vertrauensschutz genießen mag, hat dies der Beklagte hinreichend dadurch berücksichtigt, dass eine Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsakts nur für die Zukunft erfolgt und der Klägerin hierbei zwei Jahre Zeit gelassen wurde, um ihre Lebensführung auf die Einkommenssituation ohne das Witwengeld nach ihrem verstorbenen Ehegatten O. B. umzustellen. Von einer Rücknahme des rechtswidrig an die Klägerin ausbezahlten Witwengelds für die Vergangenheit hat der Beklagte abgesehen und hierbei hinreichend etwaige bei der Klägerin bestehende Gründe des Vertrauensschutzes berücksichtigt.
Für die Zukunft durfte der Beklagte indes darauf abstellen, dass das Vertrauen des von einem rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigten auf dessen Fortbestand dann gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände zurückzutreten hat, wenn der Verwaltungsakt regelmäßige Bezüge aus öffentlichen Mitteln regelt. Es ist der Öffentlichkeit nicht zuzumuten, dass der Beklagte auch in Zukunft sehenden Auges aufgrund eines als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakts monatlich öffentliche Gelder an die Klägerin bezahlt, welche dieser von Gesetzes wegen her nicht zustehen. Der Beklagte ist gehalten, seine Mittel sparsam und wirtschaftlich zu verwenden. Insbesondere kann er diese nicht an private Dritte entgegen gesetzlicher Regelungen ausgeben. Unter dem in Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG genannten öffentlichen Interesse an der Rücknahme ist in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung nicht nur das Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (BVerwGE 92, 81 = NJW 1993, 2764) zu verstehen. Erfasst wird auch das allgemeine fiskalische Interesse an der Vermeidung nicht gerechtfertigter öffentlicher Ausgaben und Aufwendungen bzw. der Rückführung der zu Unrecht durch den in Frage stehenden Verwaltungsakt erfolgten Leistungen gemäß Abs. 2 Satz 4 in den öffentlichen Haushalt (vgl. Kopp/Ramsauer, Rn. 99 zu § 48 VwVfG). Insofern unterliegt der Beklagte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Verwendung öffentlicher Mittel und seinem gesamten Verwaltungshandeln. Das Vertrauen des von einem rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigten auf dessen Fortbestand hat jedenfalls dann gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände zurückzutreten, wenn der Verwaltungsakt den dauernden regelmäßigen Bezug von Leistungen aus öffentlichen Mitteln zum Gegenstand oder zur Folge hat (vgl. BayVGH U.v. 21.7.1982 – 3 B 81 A.401 – juris – mit Verweis u.a. auf die Entscheidungen v. 27. 9. 1979 – 30 III 78 – und v. 30. 6. 1982 – 3 B 81 A.190). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Zahlung von Witwengeld nicht um eine einmalige Leistung, sondern um eine laufende Leistung bis zum Lebensende der Klägerin handelt. Den ebenfalls gewichteten Interessen der Klägerin wurde sonach im Rahmen der Frage, wie die Rücknahme des Witwengeldbescheids zu erfolgen hat, nämlich der Frage der Rücknahme für die Vergangenheit oder die Zukunft hinreichend Rechnung getragen. Hierbei wurde auch hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass der Wegfall des Witwengelds erst zum 1. April 2020 erfolgt. Hiermit wird der Klägerin hinreichend Gelegenheit gegeben, ihre Vermögensdispositionen auszurichten. Ferner hat der Beklagte zugunsten der Klägerin unterstellt, dass die Klägerin tatsächlich eine Kandidatur 2014 im Hinblick auf ihre Versorgungslage durch Witwengeld nach dem Versorgungsurheber O. B. nicht durchgeführt hat. Stehen Gründe des Vertrauensschutzes der Rücknahme – hier jedenfalls für die Zukunft – nicht entgegen, hat der Beklagte keine Ermessensfreiheit, von der Rücknahme abzusehen (vgl. BVerwGE 92, 81 = NJW 1993, 2764).
Die Rücknahmeentscheidung ist auch verhältnismäßig. Sie dient dem legitimen Zweck der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns, um die öffentliche Hand vor erheblichen finanziellen Einbußen zu schützen. Sie ist auch geeignet, um diesen Zweck zu erfüllen. Sie ist auch geboten, denn nur durch Rücknahme des Verwaltungsaktes können gesetzmäßige Zustände hergestellt werden. Die Rücknahme ist auch angemessen. Ein Eingriff in Art. 14 GG liegt nicht vor, da dadurch das bloße Vermögen nicht geschützt wird (vgl. BVerfG, U.v. 20.7.1954 – 1 BvR 459/52 – BVerfGE 4, 7). Das Ziel, dass die öffentliche Hand vor nicht rechtmäßigen finanziellen Einbußen geschützt wird, ist hochrangig und steht in seinem Wert nicht außer Verhältnis zur Rücknahme des Witwengeldbescheids. Die Klägerin hat hinreichende Zeit, ihre Lebensführung auf die veränderten Umstände einzustellen und diese anzupassen.
Auch die Voraussetzungen von Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG sind eingehalten. Die Rücknahme fand innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung durch den Beklagten statt. Diese Jahresfrist beginnt erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr sämtliche für die Rücknahme erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Hierbei ist die positive Kenntnis der Behörde bezüglich der Tatsachen notwendig, die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen. Fahrlässige Unkenntnis der Umstände genügt nicht. Erst die positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung unter Umständen relevanten Tatsachen setzt nach der Rechtsprechung die Frist in Lauf (vgl. Kopp/Ramsauer, Rn. 153 zu § 48 VwVfG m.w.N.). Zur Kenntnis der die Rücknahme begründenden Tatsachen gehören vorliegend auch die Argumente, die die Klägerin vorgetragen hat, um für sich Vertrauensschutz in Anspruch zu nehmen. Dieser Vortrag erfolgte im Rahmen eines Anhörungsverfahrens mit Schreiben vom 19. August 2017, welches am 22. August 2017 beim Beklagten einging. Der Bescheid vom 12. März 2018 ist somit innerhalb der Jahresfrist erlassen worden.
Davon zu unterscheiden ist die Fallgestaltung, dass zusätzlich Umstände eintreten, aus denen der (die Rechtswidrigkeit kennende) Begünstigte berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, der Verwaltungsakt werde nicht mehr zurückgenommen, obwohl die Behörde dessen Rücknehmbarkeit erkannt hat, der Begünstigte ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde und dieses Vertrauen in einer Weise betätigt hat, dass ihm mit der sodann gleichwohl erfolgten Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde. Eine derartige Verwirkung der Rücknahmebefugnis ist unbeschadet der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG möglich; sie kann als Ausprägung des allgemeinen Rechtsprinzips von Treu und Glauben in besonderen Ausnahmefällen zu bejahen sein (BVerwG, U.v. 20.12.1999 – 7 C 42/98 -, BVerwGE 110, 226-237, Rn. 27; BVerwG,U.v. 15.3.2017 – 10 C 1/16 -, Rn. 27, juris).
Dass der Beklagte nach Kenntnis der Rücknehmbarkeit der Gewährung von Witwengeld einen besonderen Vertrauensschutz gesetzt hätte, von der Rücknahme abzusehen, ergibt sich nicht. Vielmehr hat der Beklagte seit August 2017 keinen Zweifel mehr gegenüber der Klägerin daran gelassen, dass die Gewährung von Witwengeld für die Zukunft eingestellt werden müsse.
Gemessen an obigen Ausführungen war auch eine Beweiserhebung nicht geboten.
Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO.


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