Sozialrecht

Verwaltungsgerichte, Widerspruchsverfahren, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Verwaltungsrechtsweg, Verwaltungsgerichtsverfahren, Zuständigkeit der Sozialgerichte, Kostenentscheidung, Prozeßbevollmächtigter, Verweisung des Rechtsstreites, Anhörung der Beteiligten, Schuldnerberatung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Zuwendungen, Rückforderungsbescheid, Rechtswegzuständigkeit, Sozialhilfe, Sozialgerichtsgesetz, Zulässigkeit Rechtsweg, Enger sachlicher Zusammenhang, Befähigung zum Richteramt

Aktenzeichen  M 31 K 20.5458

Datum:
20.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42251
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 40
GVG § 17a, § 17b
SGG § 51 Abs. 1 Nr. 4a und 6a
SGB II
SGB X
SGB XII
AGSG Art. 113

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht München verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen zwei Bescheide der Beklagten vom 17. August 2020. Mit dem ersten Bescheid wurde die mit Schreiben der Beklagten vom 27. Mai 2019 mitgeteilte Zuschussgewährung für die Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Klägers für das Jahr 2019 zurückgenommen und der gewährte Zuschussbetrag von 27.000,- EUR zurückgefordert. Mit dem zweiten Bescheid wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung einer kommunalen Zuwendung der Beklagten für die Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle des Klägers für das Jahr 2020 abgelehnt.
Mit der am 28. Oktober 2020 beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Klage (Schriftsatz vom 26. Oktober 2020) begehrt der Kläger
die Aufhebung der Bescheide der Beklagten von 17. August 2020 und die Verpflichtung der Klägerin zur Bewilligung eines kommunalen Zuschusses für das Jahr 2020 in gesetzlicher Höhe.
Mit Schreiben vom 4. November 2020 hat das Gericht die Beteiligten zur beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Sozialgericht München angehört. Der Bevollmächtigte des Klägers trug dazu vor, dass er gegen die Verweisung zwar keine Einwände habe, der Klagepartei jedoch eine „Instanz“ genommen werde, da die Widerspruchsbehörde, die im sozialrechtlichen Verfahren eine abschließende Entscheidung zu treffen habe, sich vorliegend zur Sache nicht geäußert habe. Die Beklagte hat keine Stellungnahme abgegeben.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Rechtsstreit ist nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht München (§§ 8, 57 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes in Bayern – AGSGG -) zu verweisen, da der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (§ 40 VwGO) nicht eröffnet ist.
Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ergibt sich für das Klagebegehren aus § 51 Abs. 1 Nr. 4a und Nr. 6a SGG. Danach entscheiden die Sozialgerichte in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende bzw. in Sachen der Sozialhilfe.
Diese Bestimmungen sind trotz ihres Charakters als Ausnahmevorschriften zu § 40 VwGO weit auszulegen, um die gesetzgeberische Absicht einer Konzentration sozialrechtlicher Sachen bei speziellen Gerichten – d.h. den Sozialgerichten – zu erreichen (VG Ansbach, B.v.10.4.2007 – AN 14 K 07.504 – juris Rn. 2; VG Lüneburg, B.v. 29.11.2006 – 4 A 385/06 – juris).
Erfasst sind zunächst all diejenigen Rechtsstreitigkeiten, bei denen die vom Kläger hergeleitete Rechtsfolge ihre Grundlage im SGB II bzw. SGB XII haben kann. Des Weiteren erstreckt sie sich auch auf solche Streitigkeiten, bei denen die inmitten stehende Maßnahme in engem sachlichen Zusammenhang mit behördlicher Verwaltungstätigkeit nach dem SGB II bzw. SGB XII steht (BSG, B.v. 1.4.2009 a.a.O.; U.v. 15.12.2009 – B 1 AS 1/08 KL – juris Rn. 20).
Ein Begehren steht insbesondere dann in engem sachlichen Zusammenhang zur Verwaltungstätigkeit der Behörden nach dem SGB II bzw. SGB XII, wenn die Beteiligten über Rechtsfolgen aus der Anwendung sozialverwaltungsverfahrensrechtlicher Normen nach dem SGB X streiten, sofern der Streitigkeit materiell Rechtsverhältnisse nach dem SGB II oder SGB XII zugrunde liegen.
Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ bzw. „Angelegenheiten der Sozialhilfe“ ist in den Fällen, in denen die Beteiligten nicht unmittelbar um Rechtsfolgen aus der Anwendung von (materiellen) Normen des SGB II oder des SGB XII streiten, daran auszurichten, dass eine sach- und interessengerechte Abgrenzung zwischen der Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte und der Verwaltungsgerichte hergestellt wird. Weder das Tatbestandsmerkmal „ausdrücklich“ in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO noch ein insbesondere aus der dortigen Formulierung „alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten“ hergeleiteter (vermeintlicher) Vorrang der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zwingen zu einer engen Auslegung der Begriffe der „Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende“ sowie der Sozialhilfe. In der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist anerkannt, dass es genügt, wenn eine Zuweisung zwar nicht unmittelbar ausgesprochen ist, sich der dahinterstehende Wille des Gesetzes jedoch aus dem Gesamtgehalt der Regelung und dem Sachzusammenhang in Verbindung mit der Sachnähe eindeutig und logisch zwingend ergibt (BSG, B.v. 1.4.2009 – B 14 SF 1/08 R – juris Rn. 15 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 15.5.1986 – 4 B 92/86 – NJW 1986, 2845; GmSOGB, B.v. 15.3.1971 – GmS-OGB 1/70 – juris).
Vor diesem Hintergrund ist vorliegend der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
Die Beklagte hat den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid vom 17. August 2020 ausdrücklich auf die Rücknahmevorschrift in § 45 SGB X und die Erstattungsvorschrift in § 50 SGB X gestützt. Materiell steht die Finanzierung der Tätigkeit des Klägers als Stelle der Schuldnerberatung im Wege der Gewährung kommunaler Zuwendungen durch die Beklagte inmitten. Art. 16a Hs. 2 Nr. 2 SGB II setzt für die Erbringung kommunaler Eingliederungsleistungen bei Arbeitssuchenden voraus, dass Stellen der Schuldnerberatung vorhanden sind. § 11 Abs. 5 SGB XII sieht für die Durchführung der Beratung, Unterstützung und Aktivierung von Leistungsberechtigten im Rahmen der Sozialhilfe ebenfalls vor, dass solche Stellen existent sind. Nach Art. 113 AGSG sind die kreisfreien Gemeinden und Landkreise für die Sicherstellung der Insolvenzberatung in Bayern zuständig. Mit dieser seit 1. Januar 2019 geltenden Vorschrift hat der Landesgesetzgeber die Schuldner- und Insolvenzberatung zusammengeführt und die Aufgaben in den übertragenen Wirkungskreis der kreisfreien Gemeinden und Landkreise delegiert, die hierfür eigene oder beauftragte geeignete Stellen vorhalten. Die Beklagte ist in beiden streitbefangenen Bescheiden vom 17. August 2020 nunmehr der Auffassung, dass der Kläger aufgrund seiner personellen Ausstattung keine Fachkraft in der Schuldnerberatung vorgehalten bzw. eingesetzt hat und auch ausschließlich Fälle der Insolvenzberatung betreut. Damit steht vorliegend im Schwerpunkt ein den Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende bzw. der Sozialhilfe zuzurechnender Rechtsstreit um die Finanzierung der Tätigkeit des Klägers als einer von der Beklagten beauftragten Stelle für Schuldnerberatung im Zuwendungswege inmitten. Als solcher fällt er nach dem Gesagten in die Zuständigkeit der Sozialgerichte.
Soweit die Klagepartei ausführt, dass ihr eine „Instanz“ genommen würde, ist dazu Folgendes festzustellen: Der Umstand, dass die von der Beklagten als Widerspruchsbehörde beteiligte Regierung von Oberbayern den ihr vorgelegten Widerspruch mit der Begründung unbearbeitet zurückgegeben hat, dass nach ihrer Auffassung der Verwaltungsrechtsweg eröffnet und demzufolge nach Art. 15 AGVwGO ein Widerspruchsverfahren nicht durchzuführen sei, betrifft nicht die Frage der Rechtswegzuständigkeit. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Sachurteilsvoraussetzung des eröffneten Rechtswegs.
Dass im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens nach § 78 SGG grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen ist und ob eine Klage vor dem Sozialgericht – wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – gegebenenfalls als Untätigkeitsklage (vgl. § 88 SGG) zulässig ist oder vorliegend ein Widerspruchsverfahren entbehrlich ist, hat das Gericht des zulässigen Rechtswegs zu prüfen, steht aber einer Verweisung an dieses Gericht nicht entgegen.
Nach alledem war die Unzulässigkeit des beschrittenen Verwaltungsrechtsweges auszusprechen und die Streitsache nach Anhörung der Beteiligten an das örtlich und sachlich zuständige Sozialgericht München zu verweisen (§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG).
Eine Kostenentscheidung ist vorliegend nicht veranlasst, da die Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht nach § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wird.


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