Sozialrecht

Zur Verlängerung des Zweijahreszeitraums um Zeiten einer schulischen Ausbildung

Aktenzeichen  L 19 R 284/15

Datum:
13.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 124249
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1, § 53 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Bei der Verlängerung des Zweijahreszeitraums iSd § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI um Zeiten einer schulischen Ausbildung sind Zeiten, in denen kein regulärer (Hoch-) Schulbesuch vorlag, nicht zu berücksichtigen (hier: Urlaubssemester wegen Krankheit). (Rn. 26)
2. Selbst aus einer Vorbereitungszeit, die danach einen erfolgreichen Prüfungsabschluss ermöglicht, folgt nicht, dass diese Zeit als Ausbildungszeit anzusehen wäre. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 14 R 380/14 2015-02-18 GeB SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 18.02.2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.voll erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine derartige nicht nur vorübergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird ausdrücklich erstmals im Aktenlagegutachten der Agentur für Arbeit vom 26.07.2012 festgehalten. Die Beklagte ist nach Auswertung der im Widerspruchsverfahren beigezogenen ärztlichen Unterlagen darüber hinaus zum Ergebnis gekommen, dass eine vergleichbare Situation bereits seit 25.05.2011 belegt sei. Für die Zeit davor wird kein hinreichender Nachweis erblickt; hier dürften Zeiten akuter Behandlungsbedürftigkeit mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit im Vordergrund gestanden haben. Einwände gegen die vorliegenden gutachterlichen Feststellungen werden nicht erhoben und sind nicht ersichtlich. Zudem hat die Klägerin ja noch bis Ende März 2011 ihr Hochschulstudium fortgesetzt gehabt, was den Eintritt des medizinischen Leistungsfalls bereits faktisch eingrenzt.
Ausgehend von dem von der Beklagten zugestandenen Nachweises des sog. medizinischen Leistungsfalls bereits am 25.05.2011 sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt. Die Klägerin hat in ihrem Versicherungsverlauf bisher nur 37 Monate mit Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen. Diese würden unter Heranziehung von Streckungstatbeständen nach § 43 Abs. 4 SGB VI zwar alle für die Voraussetzung nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI berücksichtigt werden und damit diesen Teilpunkt erfüllen. Es fehlt jedoch eindeutig – und unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts des medizinischen Leistungsfalls – daran, dass die nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI erforderliche allgemeine Wartezeit von 5 Jahren, d.h. 60 Monaten, mit Beitragszeiten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 iVm § 51 Abs. 1 SGB VI) nicht zurückgelegt ist.
Die Klägerin kann auch nicht die erforderlichen Voraussetzungen dafür aufweisen, dass die Wartezeit vorzeitig, d.h. ohne 60 Beitragsmonate, erfüllt wäre. Von den in § 53 SGB VI genannten Ausnahmefällen käme bei der Klägerin allenfalls in Betracht, dass sie in zeitlicher Nähe zu einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden wäre.
§ 53 Abs. 2 SGB VI regelt, dass die allgemeine Wartezeit auch dann – vorzeitig – erfüllt sein kann, wenn ein Versicherter vor Ablauf von 6 Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden ist, was nach der insoweit unstrittigen Sachlage bei der Klägerin der Fall ist. Jedoch wird zusätzlich als Voraussetzung gefordert, dass in den letzten zwei Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung – d.h. im Fall der Klägerin in der Zeit vom 25.05.2009 bis 24.05.2011 – mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorliegen. Die Klägerin hat in diesem Zeitraum keine solchen Beitragszeiten.
Eine Verlängerung des maßgeblichen Zweijahreszeitraums ist dabei nach der Regelung des § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ausnahmsweise dann möglich, wenn in dieser Zeit eine schulische Ausbildung vorgelegen hat, allerdings nur bis zu höchstens 7 Jahren und nur nach Vollendung des 17. Lebensjahres. Da die Klägerin das 17. Lebensjahr bereits mit Ablauf des 31.03.2005 vollendet hatte, sind die hier in Frage kommenden Zeiten einer schulischen Ausbildung von letzterer Einschränkung nicht tangiert. Ebensowenig spielt die Begrenzung auf 7 Jahre eine Rolle.
Bei der Klägerin sind zunächst 6 Monate schulische Ausbildung und dann sukzessive weitere 27 Monate, insgesamt also 33 Monate schulische Ausbildung zu berücksichtigen, wobei in gleicher Weise Zeiten des Schulbesuchs, des Fachschulbesuches und des Hochschulbesuches einbezogen werden. Erfasst sind die Monate Oktober 2006 bis Juni 2008, Oktober 2008 bis März 2009 und Oktober 2010 bis März 2011.
Nicht berücksichtigt werden kann dagegen die Zeit von April 2009 bis September 2010. Zwar war die Klägerin in dieser Zeit weiterhin als Studentin einer Hochschule eingeschrieben, jedoch lag wegen der Urlaubssemester kein regulärer (Hoch-)Schulbesuch vor und es hatten keine berücksichtigungsfähigen Zeiten der schulischen Ausbildung vorgelegen. Auf die Gründe, warum Urlaubssemester genommen wurden, und ob diese von der Klägerin zu vertreten waren oder nicht, kam es dabei nicht an; als Ausnahmevorschrift ist § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI grundsätzlich eng auszulegen. Wenn der Gesetzgeber Krankheitszeiten als Verlängerungstatbestand hätte anerkennen wollen, hätte er dies analog § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI regeln können, was er nicht getan hat.
Weitere Ermittlungen haben sich nicht aufgedrängt. Die Tatsache, für die Zeugenbeweis angeboten worden war, wird als zutreffend unterstellt. Aber auch wenn die Klägerin versucht hat, sich während der Urlaubsemester auf die nachzuholenden Prüfungen vorzubereiten und die Vorlesungen nachzubearbeiten, ergibt sich daraus keine ordnungsgemäße Ausbildung, die die Arbeitskraft der Klägerin überwiegend, d.h. mit planmäßig mehr als 20 Wochenstunden, in Anspruch genommen gehabt hätte. Selbst aus einer Vorbereitungszeit, die danach einen erfolgreichen Prüfungsabschluss ermöglicht, folgt nicht, dass diese Zeit als Ausbildungszeit anzusehen wäre (so entschieden für Zeiten der Vorlesungsteilnahme ohne den Status eines ordentlichen Studenten durch BSG, Urteil vom 27.02.1997, Az. 4 RA 113/95 – nach juris). Im Fall der Klägerin war die ordnungsgemäße Ausbildung für mehr als ein Semester unterbrochen und die zeitweisen Bemühungen der Klägerin um Fortführung von Studien außerhalb einer regulären Semesterteilnahme haben bis in den Sommer 2010 hinein offensichtlich eine reguläre Fortsetzung des Studiums nicht zugelassen. Auch ist hier noch nicht einmal erkennbar, dass eine Verkürzung der erforderlichen regulären Studienzeit oder ein tatsächlicher Prüfungserfolg dadurch gewonnen worden wäre (anders als in der o.g. Entscheidung des BSG).
Der an sich gesetzlich maßgebliche Zweijahreszeitraum (§ 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) verlängert sich somit – wie dargestellt – rückwirkend um 33 Monate und beginnt im Fall der Klägerin im August 2006. Auch in diesem verlängerten Zeitraum liegen jedoch nur zwei Monate und nicht die mindestens erforderlichen 12 Monate Beitragszeiten vor.
Eine vorzeitige Erfüllung der allgemeinen Wartezeit besteht daher nicht und die Voraussetzungen für eine Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung sind nicht erfüllt.
Nach alledem war die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 18.02.2015 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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