Sozialrecht

Zur Verzinsung eines dem Träger der Sozial- und Eingliederungshilfe gegen einen BAföG-Träger zustehenden Erstattungsanspruchs

Aktenzeichen  AN 2 K 16.01088

Datum:
20.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X SGB X § 104 Abs. 1, § 107 Abs. 1, § 108 Abs. 2 S. 1, S. 2 Hs. 1, § 111
SGB XII SGB XII § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 97

 

Leitsatz

1 Von der Verzinsung nach § 108 Abs. 2 S. 1 SGB X ist auch der Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X zwischen dem Träger der Sozialhilfe nach § 97 SGB XII und einem Leistungsträger der Ausbildungsförderung nach dem BAföG erfasst. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nach § 108 Abs. 2 S. 2 SGB X beginnt die Verzinsung jedoch frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags des Leistungsberechtigten beim zuständigen Leistungsträger. Die Vorschrift gewährt der erstattungspflichtigen und grundsätzlich zur Verzinsung verpflichteten Behörde also eine Bearbeitungsfrist von mindestens sechs Monaten, beginnend mit der Einreichung des vollständigen Leistungsantrags des Auszubildenden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Antrag ist erst vollständig, wenn über die Formblätter nach dem BAföG hinaus alle für die Bewilligung erheblichen Tatsachen vorliegen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Über die Klage kann, nachdem sich die Parteien damit einverstanden erklärt haben, im schriftlichen Verfahren entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Gegenstand der Klage ist ausschließlich ein Verzinsungsanspruch nach § 108 Abs. 2 SGB X für die vom Beklagten an den Kläger erstattete Ausbildungsförderung betreffend die Auszubildende …, eingeschränkt auf die Zeiträume 08.2010 bis 01.2011 und 08.2011 bis 07.2012, nachdem für den Zeitraum 02.2011 bis 07.2011 durch den Beklagten Zinszahlungen unstreitig bereits erfolgten und diese auch in der Höhe vom Kläger akzeptiert werden.
Die Klage ist insoweit zulässig, jedoch unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 108 Abs. 2 SGB X für keinen der beiden Zahlungs- bzw. Bewilligungszeiträume vorliegen.
§ 108 Abs. 2 Satz 1 SGB X regelte in Nr. 1 und Nr. 2 die Verzinsung für Erstattungsansprüche für zwei verschiedene Fälle bzw. Zeiträume.
Von der Verzinsung nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB X ist dabei grundsätzlich der Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X zwischen dem Kläger als Träger der Sozialhilfe nach § 97 SGB XII und dem Beklagten als sonstigen Leistungsträger, nämlich als Leistungsträger der Ausbildungsförderung nach dem BAföG, erfasst (Kater, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB X, Stand Juni 2016, § 108 Rn. 5). Der Kläger ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe nach § 97 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53 bis 60 SGB XII zuständig. Gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII gehören zu den Leistungen der Eingliederungshilfe auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung.
Die Verzinsung wird nur auf Antrag des Berechtigten gewährt. Ein solcher Antrag des Klägers ist für den Zeitraum 2010/2011 im Schreiben vom 27. Juni 2012 ausdrücklich gestellt worden. Für den Bewilligungszeitraum 2011/2012 wurde die Verzinsung erst im Klageschriftsatz vom 19. Dezember 2014 beantragt, was jedoch ausreichend ist. Die Ausschlussfrist des § 111 SGB X bezieht sich nur auf den Erstattungs-, nicht aber isoliert auf den Zinsanspruch und greift daher nicht ein. Die Erstattung selbst wurde zweifellos rechtzeitig beantragt.
Der Verzinsungsanspruch scheitert jedoch daran, dass für die beantragten Zeiträume weder die Voraussetzungen nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X, noch die Voraussetzungen nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X vorliegen bzw. an der Vorschrift des § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X.
Nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X erfolgt eine Verzinsung für die Dauer des Erstattungszeitraums. Nach § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X beginnt die Verzinsung jedoch frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags des Leistungsberechtigten beim zuständigen Leistungsträger. Die Einschränkung des § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X bezieht sich dem Wortlaut nach sowohl auf die Alternative der Nr.1, als auch auf die Alternative der Nr. 2 des vorausgehenden Satzes (so auch Burkiczak in jurisPK-SGB X, § 108 SGB X Rn. 36, VG Ansbach, AN 14 K 06.01494, U.v. 3.5.2006 – juris), so dass § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X zu beachten ist. § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X gewährt der erstattungspflichtigen und grundsätzlich zur Verzinsung verpflichteten Behörde, hier dem Beklagten, also eine Bearbeitungsfrist von mindestens sechs Monaten, beginnend mit der Einreichung des vollständigen Leistungsantrags des Auszubildenden.
Was den Bewilligungszeitraum 2010/2011 anbetrifft, hat die Auszubildende … den Formblattantrag am 2. August 2010 eingereicht, weitere Unterlagen jedoch erst am 14. Dezember 2010 nachgereicht. Die 6-Monatsfrist beginnt damit frühestens zum 1. Januar 2011 zu laufen und endet somit frühestens mit Ablauf des Juni 2011. Für den für das Schuljahr 2010/2011 allein noch offenen Zeitraum August 2010 bis Januar 2011 entfällt damit eine Verzinsung aufgrund dieser Rechtsgrundlage ersichtlich.
Für den Bewilligungszeitraum 2011/2012 wurde der Formblattantrag durch die Auszubildende erst am 12. Juli 2012 eingereicht, so dass bei Ablauf der Frist nach § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X (Anfang Februar 2013) der Erstattungszeitraum bereits vollständig abgelaufen war und die Verzinsung aus § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X für das Schuljahr 2011/2012 damit gänzlich scheitert.
Da ein Leistungsantrag von der Auszubildenden … für beide Bewilligungszeiträume gestellt worden ist, kommt es für den frühestmöglichen Beginn der Verzinsung auch auf deren Antrag gemäß § 108 Abs. 2 Satz 2, Halbsatz 1 SGB X an und nicht nach § 108 Abs. 2 Satz 2, Halbsatz 2 SGB X darauf, wann der Beklagte über die Leistung entschieden hat bzw. die Entscheidung bekannt gegeben worden ist. Da dies für das Schuljahr 2010/2011 mit Bescheid vom 3. Januar 2011 und für das Schuljahr 2011/2012 erst mit Bescheid vom 1. Juni 2015 erfolgt ist, ergibt sich aber selbst bei Zugrundelegung der zweiten Alternative nach § 108 Abs. 2 Satz 2, Halbsatz 2 SGB X keine Änderung.
Eine Verzinsung ergibt sich für den Kläger auch nicht aus dem Verzinsungstatbestand des § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X. Danach erfolgt eine Verzinsung für den Zeitraum vom Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen, den gesamten Erstattungszeitraum umfassenden Erstattungsantrags beim zuständigen Erstattungsverpflichteten bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung.
Für das Schuljahr 2010/2011 wurde der Erstattungsantrag vom Kläger zwar grundsätzlich mit Schreiben vom 14. Juli 2010 gestellt. Vollständig ist der Erstattungsantrag jedoch erst, wenn alle Tatsachen enthalten sind, die für die Beurteilung des Erstattungsantrags wesentlich sind (Burkiczak, a.o.O., Kater, a.o.O. Rn. 34,), insbesondere die zu erstattenden Ausgaben auch betragsmäßig benannt sind (Kater, a.o.O. Rn. 34). Eine erste Benennung der Beträge erfolgte für das Schuljahr 2010/2011 mit Schreiben vom 27. Juni 2012; die Beträge wurden mit Schreiben vom 20. November 2014 dann noch einmal berichtigt.
Unabhängig davon gilt auch für den Verzinsungsanspruch nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X, dass dieser frühestens im Zeitpunkt nach § 108 Abs. 2 Satz 2, Halbsatz 1 SGB X beginnt. Ein vollständiger Leistungsantrag der Leistungsberechtigten … lag nach der Auffassung des Gerichts aber erst im Dezember 2015/Januar 2016 vor. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde dem Beklagten durch Rückfrage bei der Leistungsberechtigten nämlich bekannt, dass deren Vermögen, dass der Beklagte bis dahin leistungsmindernd angesetzt hatte, aus der jahrelangen Ansparung von Blindengeld herrührte und konnte der Beklagte damit erst mit dieser Information und noch nicht zu einem früheren Zeitpunkt Ausbildungsförderung in der vom Kläger gewünschten Höhe, nämlich ohne Anrechnung dieses Vermögens bewilligen. Diese Informationen führten dann innerhalb der 6-monatigen Frist des § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X auch tatsächlich zur entsprechenden Erstattung an den Kläger. Der Bescheid an die Auszubildende erging am 10. März 2016, die Zahlung an den Kläger unstreitig in unmittelbarer Folge.
Für die Vollständigkeit des Antrags nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X genügt es nach der Auffassung des Gerichts nicht, dass die Leistungsberechtigte lediglich formal alle Formblätter nach dem BAföG eingereicht hat. Vielmehr müssen der BAföG-Bewilligungsbehörde alle darüber hinaus erheblichen Tatsachen für die Bewilligung und Berechnung von Ausbildungsförderung vorliegen. Die für die BAföG-Bewilligung förderlichen Informationen (hier die Herkunft des Vermögens), für die in den Formblättern keine Standardabfrage erfolgt (wie auch zum Beispiel für Härtefallgründe), müssen dabei vom Leistungsberechtigten aktiv selbst vorgetragen werden, soweit sich der Bewilligungs-Behörde diese Tatsachen nicht aufdrängen, ansonsten ist der Antrag nicht vollständig, da die Bewilligung nicht korrekt berechnet werden kann. Mit den von der Leistungsberechtigten bis dahin angegebenen Tatsachen war es dem Beklagten nicht möglich, von einer Vermögensanrechnung abzusehen, wie dies dann nach Nachreichen dieser Information geschah. Auch der Kläger hatte entsprechende Informationen nicht an den Beklagten gegeben oder auf die Vollständigkeit der Antragstellung durch die Leistungsberechtigte hingewirkt, wie es ihm durchaus möglich gewesen wäre. Dass die Unvollständigkeit der Antragstellung damit im Ergebnis zu seinen Lasten geht, erscheint deshalb auch nicht unbillig. Eine Verzinsung durch den Beklagten ist nach der Ausgestaltung des § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB X jedenfalls nur gerechtfertigt, wenn er sowohl vom Erstattungsberechtigten, als auch vom Leistungsberechtigten sämtliche erforderlichen Tatsachen, die zur Ermittlung des Erstattungsbetrags erforderlich sind, erhalten hat, nicht aber wenn die Umstände außerhalb seiner Einflusssphäre liegen (so auch VG Ansbach, a.a.O.). Die entsprechenden Informationen kann sich der Erstattungsverpflichtete auch nicht selbst beschaffen. Da die Leistungspflicht des Beklagten gegenüber der Leistungsberechtigten mit der Leistungsgewährung des Klägers an die Leistungsberechtigte gemäß § 107 Abs. 1 SGB X erlischt, hat die Leistungsberechtigte gegenüber dem Beklagten nämlich auch keine Mitwirkungspflichten mehr bzw. kann der Beklagte der Leistungsberechtigten gegenüber eine Mitwirkung nicht mehr durchsetzen. Eine Verzinsung nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. 2 SGB X scheidet für beide Bewilligungszeiträume demnach vorliegend aus, nachdem innerhalb der Bearbeitungsfrist des § 108 Abs. 2 Satz 2 SGB X die Erstattung an den Kläger erfolgt ist.
Die Kostenentscheidung der somit in Gänze erfolglosen Klage ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskostenfreiheit besteht nach § 188 Satz 2, Halbsatz 2 VwGO in Kostenerstattungsstreitigkeiten nicht.

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