Steuerrecht

Ablehnung einer Einkommensteuerveranlagung

Aktenzeichen  2 K 1768/16

Datum:
18.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 36290
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8
AO § 169 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

Gründe

1. Die Angabe des (tatsächlichen) Wohnorts der Kläger ist eine Sachentscheidungsvoraussetzung, vgl. § 65 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zur Bezeichnung des Klägers gehört auch die Pflicht zur Angabe einer ladungsfähigen Anschrift. Ist der Aufenthalt eines Klägers unbekannt, so ist die Klage unzulässig (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 53/07, BFH/NV 2011, 264).
Die Angabe der Wohnanschrift ist vorliegend auch nicht etwa deshalb entbehrlich gewesen, weil die Kläger über „postlagernd, R“ oder über „c/o …“ auch für förmliche Zustellungen des Gerichts in Form des Einschreibens mit Rückschein gemäß § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 175 der Zivilprozessordnung erreichbar gewesen sind. Denn die Vorschriften über den notwendigen Inhalt einer Klageschrift dienen nicht nur zur Erleichterung der Zustellung, die nicht notwendig von der Angabe einer Wohnanschrift abhängt, sondern auch dem Interesse des Justizfiskus einen Ansatzpunkt für eine etwaige Vollstreckung zu haben (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 2000 IV R 25/00, BStBl II 2001, 112, Gräber/Herbert, Kommentar zur FGO § 65 Rz. 15, m.w.N.).
Auf die Angabe der ladungsfähigen Anschrift kann zwar verzichtet werden, wenn durch die Angabe schützenswerte Interessen der Kläger gefährdet würden. Derartige schützenswerte Interessen auf Geheimhaltung der Anschrift sind im Streitfall von den Klägern nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
Die Angabe der Anschrift kann bei einem Wohnungslosen fehlen (Gräber/Herbert, Kommentar zur FGO § 65 Rz. 15). Jedoch sind die Kläger nicht wohnungslos. Auch möblierte Zimmer oder Ferienwohnungen kommen als Wohnung in Betracht (vgl. Klein/Gersch, AO, § 8, Rz. 2). Nach ihren Angaben haben die Kläger -ohne die jeweilige Unterkunft konkret zu bezeichnen und Anschriften zu nennenseit Winter 2006 vorübergehend im Inland in Ferienwohnungen, Pensionen oder christlichen Heimen für Studenten gewohnt (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 11. April 2014, FG-Akte 2 K 2532/14, Bl. 31, Stundungs- und Erlass-Akte, Bl. 56). Auch wenn die angemieteten Wohnunterkünfte immer nur vorübergehend genutzt worden sein sollten -wie dies die Kläger behaupten, obwohl wegen der vorgetragenen Lebensumständen der Klägerin als Schwerbehinderte und Pflegebedürftige und dem monatlich für Unterkunft zur Verfügung stehenden Betrag von 1.200 € schwer vorstellbar ist, dass sie keine Wohnung zur dauerhaften Nutzung angemietet haben,- ist gegenüber dem Gericht weder die zum Zeitpunkt der Klageerhebung aktuelle Anschrift noch die gegenwärtige Anschrift (vgl. Gräber/Herbert, Kommentar zur FGO § 65 Rz. 16) in der vom Gericht gesetzten Frist mit ausschließender Wirkung mitgeteilt worden. Frau L vom … Zentrum, R, hat auf telefonische Rückfrage mitgeteilt, dass die Kläger nicht im …Zentrum wohnen und sie nicht bestätigen könne, dass die Kläger obdachlos sind.
2. Die Klage wäre im Übrigen auch unbegründet,
a) soweit das FA den Antrag auf Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG abgelehnt hat.
Der Antrag ist nicht rechtzeitig gestellt worden. Die Festsetzungsverjährung ist bereits eingetreten gewesen.
Nach § 46 Abs. 2 EStG wird, wenn -wie im Streitfall – das Einkommen des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit besteht, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, eine Veranlagung nur durchgeführt, wenn eine der nachfolgend vom Gesetz bestimmten Fallgruppen vorliegt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Nrn. 1 bis 7 des § 46 Abs. 2 EStG sind ersichtlich -und zwischen den Beteiligten unstreitignicht gegeben. Ergänzend bestimmt § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 EStG, dass eine Veranlagung dann durchgeführt wird, wenn sie -insbesondere zur Anrechnung von Lohnsteuer auf die Einkommensteuerbeantragt wird; der Antrag ist in diesem Falle durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG). Anderenfalls gilt die Einkommensteuer, die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfällt, für den Steuerpflichtigen als durch den Lohnsteuerabzug abgegolten (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG).
Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (vgl. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Es gilt die vierjährige Festsetzungsfrist (vgl. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO, Schmidt/Kulosa, EStG, 34. Aufl., § 46 Rz. 34). Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (vgl. § 170 Abs. 1 AO, § 36 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG), d.h. im Streitfall begann die Frist für 2005 mit Ablauf des 31. Dezember 2009 und endete für 2011 mit Ablauf des 31. Dezember 2015.
Ein Antrag in Form der Steuererklärungen der Kläger für den Streitzeitraum -wie es § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG für einen wirksamen Antrag voraussetzt- gingen beim FA nicht ein.
Eine Wiedereinsetzung nach § 110 AO ist nicht zu gewähren. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt – unabhängig von der Frage, ob vorliegend die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung erfüllt sind – im Zusammenhang mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist nicht in Betracht. Nach der genannten Vorschrift ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Festsetzungsfristen nach § 169 Abs. 2 AO als gesetzliche Fristen, die von den Behörden als Verwaltungsträger im Verwaltungsverfahren zu beachten sind, fallen nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht unter die Fristen im Sinne des § 110 Abs. 1 AO und sind damit nicht wiedereinsetzungsfähig (vgl. BFH-Urteile vom 19. August 1999 III R 57/98, BStBl II 2000, 330; und vom 24. Januar 2008 VII R 3/07, BStBl II 2008, 462; BFH-Beschlüsse vom 27. Februar 2007 III B 158/06, BFH/NV 2007, 1090; und vom 2. März 2011 IX B 88/10, BFH/NV 2011, 1295; Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 17. Dezember 2014 4 K 402/12, juris, Brandis bzw. Kruse in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und Finanzgerichtordnung -FGO-, § 110 AO Tz. 5, § 170 AO Tz. 38).
b) Zudem ist der Einspruch verspätet eingelegt worden.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO nicht zu gewähren gewesen. Krankheit ist nur dann Wiedereinsetzungsgrund, wenn dem Kranken seines Zustands wegen nicht zuzumuten war, die Frist durch eigenes Handeln oder durch Handeln eines Dritten zu wahren, m.a.W., wenn der Zustand plötzlich und in einer Schwere auftritt, die es dem Steuerpflichtigen auch nicht mehr zumutbar ermöglicht, einen Dritten mit seiner Interessenswahrung zu beauftragen (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2000 V B 186/00; BFH/NV 2001, 918).
Im Streitfall hat es sich bei der Klägerin um keine plötzlich aufgetretene Erkrankung am 30. Dezember 2015 gehandelt (vgl. ärztliches Zeugnis vom 8. Juni 2015). Zwar ist eine Erkrankung des Klägers nicht glaubhaft gemacht; jedoch hat es sich nach den Angaben der Kläger ebenfalls um eine langwierige Dauererkrankung gehandelt (seit Januar 2016, vgl. Schriftsatz vom 18. April 2016, Az. 2 V 1212/16, Bl. 1).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben