Steuerrecht

Anfechtung des Grundsteuerbescheides, Bindungswirkung des Grundsteuermessbescheides

Aktenzeichen  AN 4 22.00088

Datum:
31.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9401
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 171 Abs. 10
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
AO § 182 Abs. 1 S. 1
AO § 184 Abs. 1
AO § 184 Abs. 3 S. 1
AO § 351 Abs. 2
VwGO § 161 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 14.313,72 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrte die Aufhebung eines Grundsteuerbescheides.
Mit Grundsteuermessbescheid vom 24. Juli 2018 setzte das Finanzamt … den Grundsteuermessbetrag für das Einfamilienhaus … … in … auf 1.136,01 EUR fest. Als Steuerschuldnerin wurde die Erbengemeinschaft nach … ausgewiesen. Die Klägerin war Mitglied dieser Erbengemeinschaft. Das Grundstück … … in … wurde im Jahr 2021 verkauft. Die Auflassung erfolgte am 20. Januar 2021, die Eintragung im Grundbuch am 15. April 2021.
Mit Grundsteuerbescheid vom 10. Januar 2022 setzte die Beklagte gegenüber der Erbengemeinschaft nach … als Steuerschuldnerin für das Objekt … … die Grundsteuer für das Jahr 2022 und die Jahre ab 2023 auf jährlich 4.771,24 EUR fest. Der Bescheid erging an die Klägerin als Miteigentümerin. Laut Begründung beruhte die Steuerfestsetzung auf dem Grundlagenbescheid des Finanzamtes … vom 20. Juli 2018.
Die Klägerin ließ am 14. Januar 2022 Klage gerichtet auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. Januar 2022 erheben. Zur Klagebegründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin bereits seit 2021 nicht mehr Miteigentümerin des Grundstücks sei. Die Grundsteuer werde nach den Verhältnissen zu Beginn des Kalenderjahres für das jeweilige Kalenderjahr festgesetzt (§ 9 Abs. 1 GrStG). Schuldner der Grundsteuer sei derjenige, in dessen Eigentum das Grundstück zu Beginn des Kalenderjahres stehe (§ 10 Abs. 1 GrStG). Der Eigentumsübergang werde grundsätzlich zum 1. Januar des dem Kaufvertrag folgenden Jahres steuerrechtlich wirksam. Bei einem Eigentumswechsel sei über die Zurechnung der Immobilie eine neue Feststellung durch das Finanzamt zu treffen. Eine Zurechnungsfortschreibung sei vorzunehmen, wenn die Eigentumsverhältnisse des Gegenstandes im Feststellungszeitpunkt von der zuletzt getroffenen Feststellung abwichen und für die Besteuerung von Bedeutung seien (§ 22 Abs. 2 BewG i.V.m. § 19 Abs. 2 Nr. 2 BewG). Zeitpunkt dieser Zurechnungsfortschreibung sei der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Änderung folge. Eine Änderung der Eigentumsverhältnisse, die einen Wechsel in der Steuerschuldnerschaft zur Folge habe, sei für die Besteuerung von Bedeutung. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Fortschreibung sei diese vom Finanzamt durchzuführen, Ermessen bestehe nicht. Das Finanzamt müsse die Fortschreibung durchführen, sobald ihm die Voraussetzungen dafür bekannt würden (§ 22 Abs. 4 Satz 1 BewG). Das Finanzamt werde über Verkäufe und Übertragungen von Grundbesitz durch die Gerichte und Notare unterrichtet. Der Gemeinde seien, soweit sie den Realsteuerbescheid erlasse, die hierfür erforderlichen Angaben aus dem Messbetragserfahren mitzuteilen (§ 184 Abs. 3 AO). Die Mitteilung an die Gemeinde sei kein Verwaltungsakt, sondern ein behördeninterner Vorgang. Die Klägerin könne eine Mitteilung weder anfechten, noch eine Mitteilung einer bestimmten Tatsache an die Beklagte, noch das Unterlassen der Übersendung einer Mitteilung verlangen.
Die Beklagte führte zur Klageerwiderung aus, dass das Finanzamt den Grundsteuermessbetrag gemäß § 17 Abs. 1 GrStG auf den 1. Januar des auf den Eigentümerwechsel folgenden Jahres neu festsetze. Erst wenn die Gemeinde vom Finanzamt die Zurechnungsmitteilung erhalte, gehe die Steuerpflicht auf den neuen Eigentümer über. Die Gemeinde sei gemäß § 184 AO solange an die bisherige Zurechnung gebunden, bis das Finanzamt eine Änderung vornehme. Der Beklagten liege bis heute kein neuer Messbescheid des Finanzamtes vor.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2022 hob das Finanzamt … für das Grundstück … … in … den Einheitswert und den Grundsteuermessbetrag auf den 1. Januar 2022 auf.
Mit Änderungsbescheid vom 22. Februar 2022 setzte die Beklagte die Grundsteuer gegenüber der Klägerin auf 0,00 EUR fest. Die Steuerfestsetzung beruhe auf dem Grundlagenbescheid des Finanzamts … vom 4. Februar 2022.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 23. Februar 2022 bzw. 29. März 2022 den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Die Beklagte führte ergänzend aus, dass dem Steueramt der Beklagten die Veräußerung des Grundstücks erst durch die Klage bekannt geworden sei. Nach umgehender Kontaktaufnahme mit dem Finanzamt … habe der Sachbearbeiter mitgeteilt, dass der Fall wegen seiner Komplexität noch in Bearbeitung sei. Das Finanzamt habe lediglich die Aufhebung übersandt, die Nachveranlagungen seien weiterhin in Bearbeitung. Die Beklagte habe daher bisher keine Veranlagung auf einen neuen Eigentümer durchführen können. Dennoch sei die Aufhebung schnellstmöglich erfolgt und die zu viel gezahlte Grundsteuer erstattet worden. Die Beklagte sei gemäß § 184 AO an den Grundlagenbescheid vom 24. Juli 2018 gebunden gewesen, der angefochtene Grundsteuerbescheid sei daher rechtmäßig ergangen.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Verfahren ist daher analog § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO deklaratorisch einzustellen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erfolgt gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands.
Es entspricht regelmäßig billigem Ermessen, demjenigen Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, der ohne Erledigung des Rechtsstreits voraussichtlich unterlegen wäre und den somit die Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO getroffen hätte (BVerwG, B.v. 24.4.2019 – 2 B 49.18 – juris Rn. 2; B.v. 16.11.2018 – 10 C 9.17 – juris Rn. 2). Vorliegend entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen, da diese mit ihrer Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte. Die Festsetzung der Grundsteuer im Grundsteuerbescheid vom 10. Januar 2022 war rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Die Grundsteuer wird von der steuerberechtigten Gemeinde festgesetzt (Art. 18 KAG) und zwar nach den Verhältnissen zu Beginn des Kalenderjahres (§ 9 Abs. 1 Grundsteuergesetz – GrStG – vom 7.8.1973 [BGBl. I S. 965], zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.7.2021 [BGBl. I S. 2931]). Schuldner der Grundsteuer ist derjenige, dem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Grundsteuerwerts zugerechnet ist (§ 10 Abs. 1 GrStG). Das Verfahren zur Festsetzung der Grundsteuer ist dreistufig. Auf der ersten Stufe stellt das Finanzamt für die wirtschaftliche Einheit des Grundbesitzes den Einheitswert fest (Einheitswertbescheid, § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 19 Abs. 1 BewG), wobei im Einheitswertbescheid auch Feststellungen über die Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit getroffen werden (§ 19 Abs. 3 Nr. 2 BewG). Auf der zweiten Stufe setzt das Finanzamt den Grundsteuermessbetrag durch Multiplikation der Steuermesszahl mit dem Einheitswert fest (Grundsteuermessbescheid, § 184 Abs. 1 AO, § 13 Abs. 1 GrStG). Mit der Festsetzung des Grundsteuermessbetrages wird auch über die persönliche Steuerpflicht entschieden (§ 184 Abs. 1 Satz 2 AO). Nach § 184 Abs. 3 Satz 1 AO teilt das Finanzamt den Inhalt des Grundsteuermessbescheides der Gemeinde mit, der die Festsetzung der Grundsteuer obliegt. Auf der dritten Stufe setzt die Gemeinde durch Multiplikation des Grundsteuermessbetrages mit dem von ihr bestimmten Hebesatz (§ 25 Abs. 1 GrStG) die Grundsteuer fest (Grundsteuerbescheid, § 27 Abs. 1 GrStG) (vgl. BFH, U.v. 11.11.2009 – II R 14/08 – BFHE 228, 1 – juris Rn. 15).
Der Einheitswertbescheid, in dem auch die Zurechnung des Steuergegenstandes erfolgt, ist Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO für den Grundsteuermessbescheid, der wiederum Grundlagenbescheid für den Grundsteuerbescheid ist (BFH, U.v. 11.11.2009 – II R 14/08 – BFHE 228, 1 – juris Rn. 17; Fink in BeckOK AO, 19. Ed., Stand: 01.01.2022, § 171 Rn. 382). Die Grundlagenbescheide sind, auch wenn sie noch nicht unanfechtbar sind, gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für die Folgebescheide bindend, soweit die in den Grundlagenbescheiden getroffenen Feststellungen für die Folgebescheide von Bedeutung sind. Für den Grundsteuermessbescheid wird die sinngemäße Anwendung des § 182 Abs. 1 AO durch § 184 Abs. 1 Satz 4 AO angeordnet. Die Bindungswirkung schließt aus, dass über einen Sachverhalt, über den im Feststellungsverfahren entschieden ist, im Folgeverfahren in einem damit unvereinbaren Sinn anders entschieden wird (BFH, U.v. 19.2.2009 – II R 8/06 – juris Rn. 26). Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid können gemäß § 351 Abs. 2 AO nur durch Anfechtung dieses Bescheides, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheides angegriffen werden.
b) Der Grundsteuerbescheid der Beklagten vom 10. Januar 2022 war rechtmäßig. Die Beklagte musste die im Grundsteuermessbetrag des Finanzamts … vom 24. Juli 2018 getroffene Feststellung bezüglich des Steuerschuldners dem Grundsteuerbescheid zugrunde legen.
Im Grundsteuermessbescheid des Finanzamts … vom 24. Juli 2018 wurde der Grundsteuermessbetrag für das Grundstück … in … festgesetzt. Mit der Festsetzung des Grundsteuermessbetrages wurde gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2 AO auch über die persönliche Steuerpflicht, d.h. die Person des Steuerschuldners entschieden. Im Grundsteuermessbescheid wurde die Erbengemeinschaft nach … als Steuerschuldnerin bezeichnet. Insofern entfaltete der Grundsteuermessbescheid als Grundlagenbescheid gemäß § 184 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich der Feststellung des Steuerschuldners Bindungswirkung für den Grundsteuerbescheid als Folgebescheid. Die Beklagte musste die Feststellung des Steuerschuldners im Grundsteuermessbescheid, welche das Finanzamt ihr gemäß § 184 Abs. 3 Satz 1 AO mitgeteilt hatte, dem Grundsteuerbescheid zugrunde legen. Die Feststellung des Steuerschuldners kann gemäß § 351 Abs. 2 AO nur durch die Anfechtung des Grundlagenbescheides, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheides angegriffen werden. Deshalb hätte die Klägerin im hiesigen Verfahren nicht mit dem Einwand gehört werden können, dass das Grundstück als wirtschaftliche Einheit wegen eines Eigentümerwechsels ab dem 1. Januar 2022 nicht mehr der Erbengemeinschaft, sondern dem neuen Eigentümer zuzurechnen sei (vgl. § 39 AO). Vielmehr hätte die Klägerin gegenüber dem Finanzamt und notfalls im finanzgerichtlichen Verfahren auf eine Zurechnungsfortschreibung gemäß § 17 Abs. 2, § 22 Abs. 2 und 4 BewG, sprich eine Änderung des Einheitswertbescheides hinwirken müssen, welche gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO eine Änderung des Grundsteuermessbescheides und damit auch des Grundsteuerbescheides zur Folge gehabt hätte. Die Beklagte durfte und musste den Grundsteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO erst aufheben, nachdem der zugrundliegende Grundsteuermessbescheid vom Finanzamt mit Bescheid vom 4. Februar 2022 aufgehoben wurde. Insofern ist der Vortrag der Klägerin, dass sie auf die Mitteilung des Finanzamts an die Beklagte gemäß § 184 Abs. 3 Satz 1 AO als Verwaltungsinternum keinen Einfluss nehmen könne, rechtlich unerheblich.
3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG. Der uneingeschränkt gestellte Anfechtungsantrag der Klägerin betraf die Festsetzung der Grundsteuer, d.h. einen auf eine bezifferte Geldleistung bezogenen Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG, und hatte aufgrund der Festsetzung für das Jahr 2022 und die Jahre ab 2023 jährlich auf 4.771,24 EUR offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Grundsteuerschulden. Gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 a.E. GKG wurde daher das Dreifache des Wertes nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG als Streitwert festgesetzt.


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