Steuerrecht

Pflichtveranlagung zur Einkommensteuer

Aktenzeichen  7 K 313/19

Datum:
17.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 50539
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8, § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 1, § 39 Abs. 1 S. 4
EStDV § 56 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Unbeschränkt Steuerpflichtige haben eine jährliche Einkommensteuererklärung für das abgelaufene Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) abzugeben für den Fall, dass im Veranlagungszeitraum die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 EStG nicht vorgelegen haben, wenn in dem Gesamtbetrag der Einkünfte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, enthalten sind und eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 und 7 Buchstabe b EStG in Betracht kommt (§ 56 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b) EStDV). (Rn. 84) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Gründe

Die Klage ist unbegründet und wird abgewiesen.
Der Ablehnungsbescheid über Einkommensteuer für 2010 vom 02.02.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Spätestens mit Ablauf des 02.01.2018 war für Einkommensteuer des Veranlagungszeitraumes 2010 Festsetzungsverjährung eingetreten. Ebenfalls zurecht hat das Finanzamt die Einsprüche wegen Untätigkeit beim Antrag vom 27.12.2017 und im Einspruchsverfahren wegen Ablehnung der Einkommensteuerfestsetzung für 2010 als unzulässig verworfen. Ein Anspruch des Klägers auf Verpflichtung des beklagten Finanzamts zum Erlass eines Abrechnungsbescheides gemäß § 218 AO für Einkommensteuer 2010 besteht nicht. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Auszahlung eines Erstattungsbetrages nach § 37 Abs. 2 AO.
1. Zurecht hat das Finanzamt mit Steuerbescheid vom 02.02.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.02.2019 eine Festsetzung von Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2010 abgelehnt.
Der Bescheid über die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung ist ein Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. AO).
Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die regelmäßige Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Neben dem Beginn der Frist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO) kann unter bestimmten Voraussetzungen eine dreijährige sog. Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 AO zur Anwendung gelangen. Im Streitfall war die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 2010 spätestens mit Ablauf des 02.01.2018 festsetzungsverjährt. Dies gilt unabhängig davon, ob der Kläger sonstige Einkünfte in Höhe von 600 € aus der einmaligen Vermietung seines Wohnmobils im Veranlagungszeitraum 2010 erzielt hatte oder nicht und es sich demnach bei der Veranlagung des Klägers um eine Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG (siehe unten b.) oder um eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG (siehe unten a.) gehandelt hat.
a. Für den Fall, dass der Kläger nicht von Amts wegen, sondern nur – subsidiär – auf Antrag gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zu veranlagen war, war der Kläger nicht zur Einreichung einer Steuererklärung verpflichtet. Auch war er vom Finanzamt zu keinem Zeitpunkt zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für 2010 aufgefordert worden. Die dreijährige Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, welche u.a. eine Pflicht zur Einreichung einer Steuererklärung voraussetzt, greift für diesen Fall nicht ein und es verbleibt bei der regelmäßigen vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO (BFH-Urteil vom 14.04.2011 VI R 53/10, BStBl. II 2011, 746).
Im Streitfall war diese für den Fall der Antragsveranlagung im Veranlagungszeitraum 2010 mit Ende des Jahres 2014 abgelaufen. Der Kläger hat wegen Einkommensteuer 2010 erst Ende des Jahres 2017 und damit nach Ablauf dieser bei der Antragsveranlagung zu beachtenden Festsetzungsfrist Erklärungen und Schriftverkehr an das beklagte Finanzamt gerichtet.
b. Für den Fall, dass der Kläger aufgrund sonstiger Einkünfte in Höhe von 600 € von Amts wegen – primär – gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zu veranlagen war, hätte der Kläger eine Einkommensteuererklärung einreichen müssen.
Unbeschränkt Steuerpflichtige haben eine jährliche Einkommensteuererklärung für das abgelaufene Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) abzugeben für den Fall, dass im Veranlagungszeitraum die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 EStG nicht vorgelegen haben, wenn in dem Gesamtbetrag der Einkünfte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, enthalten sind und eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 und 7 Buchstabe b EStG in Betracht kommt (§ 56 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b) EStDV). Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG kommt eine Veranlagung zur Einkommensteuer beim Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, in Betracht, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24, oder die positive Summe der Einkünfte und Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, jeweils mehr als 410 € beträgt. Da ein Steuerpflichtiger für den Fall der Veranlagung von Amts wegen eine (Einkommen-)Steuererklärung einzureichen hat, greift die dreijährige Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.
Für den Streitfall bedeutet dies, dass die Festsetzungsverjährung für den Veranlagungszeitraum 2010 für den Fall der Veranlagung von Amts wegen bei Erzielung sonstiger Einkünfte in Höhe von 600 € regelmäßig mit Ablauf des 02.01.2018 eingetreten und eine Steuerfestsetzung durch das Finanzamt nach Ablauf auch dieser Alternative der Festsetzungsfrist nicht mehr zulässig war.
Eine Hemmung des Ablaufs dieser Festsetzungsfrist ist weder (1) gemäß § 171 Abs. 3 AO noch (2) nach § 171 Abs. 3a AO oder (3) § 171 Abs. 14 AO gegeben.
(1) In dem vom Kläger im Zeitraum von 27.12.2017 bis 30.12.2017 an das Finanzamt übermittelten Schriftverkehr ist unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles kein eigenständiger Antrag des Klägers i.S.d. § 171 Abs. 3 AO neben der vom Kläger eingereichten Einkommensteuererklärung zu sehen, sondern ein einheitliches Vorgehen durch den Kläger mit dem Ziel, trotz Versäumung der Abgabefrist nach § 149 Abs. 2 AO und der bevorstehenden Festsetzungsverjährung auf der Grundlage der eingereichten Einkommensteuererklärung eine Einkommensteuerfestsetzung für 2010 samt der Erstattung überzahlter Lohnsteuer zu erreichen.
Nach der gesetzlichen Regelung des § 171 Abs. 3 AO läuft die Festsetzungsfrist insoweit bis zur unanfechtbaren Entscheidung über einen Antrag nicht ab, als vor Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 AO gestellt wird.
Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung ist grundsätzlich kein Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO, und zwar auch dann nicht, wenn sie zur Auszahlung eines Überschusses führen soll (st. Rspr.; zuletzt BFH-Urteil vom 23.09.2020 XI R 1/19, BStBl. II 2021, 341; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 171 AO Rn. 12).
Hat das Finanzamt eine Veranlagung von Amts wegen vorzunehmen, wird die Finanzbehörde in einem sog. Offizialverfahren tätig (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 86 AO Rn. 7). Es liegt hier nicht in deren Ermessen, ob sie gemäß § 86 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. AO ein Verwaltungsverfahren einleitet. Als Kernbeispiel wird die Steuerfestsetzung i.S.d. §§ 155 ff. AO angesehen, aufgrund des in § 85 AO normierten Legalitätsprinzips besteht eine Handlungspflicht des Finanzamts. Der „Antrag“ eines Steuerpflichtigen ist lediglich als dessen Anregung an die Finanzbehörde zu betrachten, die Frage der Einleitung des Verwaltungsverfahrens (das „Ob“) von Amts wegen zu prüfen (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 86 AO Rn. 15; Wünsch in: Koenig, AO, § 86 Rn. 11; Volquardsen in: Schwarz/Pahlke, AO, § 86 Rn. 7; Grams, UR 1995, 41 (42)). Auch kann der Steuerpflichtige ein Amtsverfahren nicht durch Rücknahme seines „Antrags“ beenden.
Mit Urteilen vom 22.01.2013 IX R 1/12 (BStBl. II 2013, 663) und vom 23.09.2020 XI R 1/19 (BStBl. II 2021, 341) entwickelte der BFH aus Gründen der Gleichbehandlung die Rechtsprechung zu § 171 Abs. 3 AO dahingehend fort, dass ein Steuerpflichtiger, der zur Einreichung einer Steuererklärung gesetzlich verpflichtet ist, vor Ablauf der Festsetzungsfrist bei dem für ihn zuständigen Finanzamt einen Antrag stellen kann, welchem die Rechtswirkung des § 171 Abs. 3 AO zukommt. Dies ist dann der Fall, wenn sich das vom Steuerpflichtigen verfolgte Begehren seinem sachlichen Gehalt nach zumindest in groben Zügen bereits aus dem Antrag selbst ergibt; Angaben zur betragsmäßigen Auswirkung sind für die Bestimmtheit des Antrags für sich genommen nicht ausreichend. Wird ein Antrag auf Steuerfestsetzung gleichzeitig oder in Zusammenhang mit einer eingereichten Steuererklärung gestellt, handelt es sich regelmäßig um einen rein deklaratorischen Antrag, der keinerlei selbständige Wirkung neben der Steuererklärung entfaltet (BFH-Beschlüsse vom 23.09.2002 V B 48/02, BFH/NV 2003, 141 und vom 08.09.2003 VI B 87/03, BFH/NV 2004, 9; BFH-Urteil vom 15.05.2013 IX R 5/11, BStBl. II 2014, 143; Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 171 AO Rn. 28); Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 171 AO, Rn. 13; Paetsch in: Gosch, AO/FGO, § 171 AO Rn. 24 und 26). Enthält der zusätzliche Antrag keinen eigenen Erklärungsinhalt bzw. wird der Antrag ausdrücklich im Hinblick auf die drohende Festsetzungsverjährung gestellt, tritt er gewissermaßen hinter die gesetzlich verpflichtende Steuererklärung zurück, weshalb die Anwendung der Ablaufhemmung in dieser Situation nicht sachgerecht erscheint. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO erfordert demnach einen eigenständigen Aussagewert des Antrags. Will ein zur Einreichung einer Steuererklärung verpflichteter Steuerpflichtiger einen Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO stellen, muss er daher Angaben machen, deren Erklärungswert über die Ankündigung einer Steuererklärung mit einem bestimmten Gesamtbetrag der Einkünfte hinausgeht. Es obliegt dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz, im Wege der Auslegung nach § 133 BGB zu ermitteln, ob und mit welcher Reichweite ein Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO vorliegt (BFH-Urteil vom 15.05.2013 IX R 5/11, BStBl. II 2014, 143; BFH-Urteil vom 23.09.2020 XI R 1/19, BStBl. II 2021, 341).
Im Streitfall ergibt die Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls, dass der Kläger keinen solchen Antrag mit der Rechtswirkung des § 171 Abs. 3 AO gestellt hatte.
Zwar hatte der Kläger in seinem Schriftverkehr, welchen er Ende des Jahres 2017 an das beklagte Finanzamt richtete, ausdrücklich und mehrfach einen „Antrag auf Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum 2010 i.S.d. § 171 Abs. 3 AO“ gestellt und in der Folgezeit wiederholt darauf hingewiesen, damit eine Verlängerung der Festsetzungsfrist zu beabsichtigen.
Dennoch kann dieses Begehren des Klägers nicht als eigenständiger Antrag neben der Steuererklärung gewertet werden. Das Verlangen des Klägers wurde erstmals sowohl in zeitlichem als auch in inhaltlichem Zusammenhang mit der Abgabe der Steuererklärung für 2010 vorgebracht (es beruht auf einer Gesamtabsicht des Klägers). Die Einkommensteuererklärung des Klägers trägt das Unterschriftsdatum 27.12.2017, ihr Inhalt war vom Kläger spätestens mit email vom 28.12.2017 (08:34 Uhr) an das Finanzamt übermittelt worden. Wenngleich auch als email-Anhang zunächst formell nicht wirksam, so hat der mit email vom 28.12.2017 gestellte „Antrag auf Steuerfestsetzung/Vornahme der Steuerfestsetzung“ nach § 171 Ab. 3 AO auch den Anhang zu dieser email, nämlich die mit „Steuererklärung 2010.pdf“ bezeichnete Datei umfasst. Diese entspricht aber bildlich und inhaltlich der am 29.12.2017 mit Schreiben des Klägers vom 27.12.2017 beim Beklagten auf amtlichen Vordrucken eingegangen Einkommensteuererklärung. Damit kann nach Meinung des Senats ein unmittelbarer Zusammenhang der „Anträge“ bzw. Schreiben des Klägers mit der Einreichung der Einkommensteuererklärung für 2010 nicht in Abrede gestellt werden. Der Kläger wies bereits in seinem Schreiben vom 27.12.2017, mit welchem er seine Steuererklärung im Original einreichte, auf das Urteil des BFH vom 22.01.2013 IX R 1/12 (BStBl. II 2013, 663) hin und stellte einen Antrag auf Steuerfestsetzung. Er ging damit ersichtlich von einer Kombination der Einreichung seiner Steuererklärung mit einem Antrag auf Festsetzung (bzw. Untätigkeitseinspruch) aus. Der gestellte Antrag auf Steuerfestsetzung nach § 171 Abs. 3 AO bezüglich der Feststellung und Berücksichtigung bislang nicht berücksichtigter Werbungskosten, insbesondere einer doppelten Haushaltsführung sowie Fahrtkosten, geht nicht über das hinaus, was regelmäßig bei Abgabe der Einkommensteuererklärung im Rahmen einer Pflichtveranlagung zur Einkommensteuer veranlasst ist. Das Begehren lässt sich im Übrigen betragsmäßig ohne den Dateianhang Steuererklärung 2010 (s.o) und die Einkommensteuererklärung für 2010 weder den (Antrags-)Schreiben selbst entnehmen noch wäre eine sachgerechte Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nur aufgrund der in den Schreiben bzw. emails enthaltenen Angaben möglich. Ein den v. g. Anforderungen des § 171 Abs. 3 AO genügender Antrag ist darin nicht zu sehen.
Auch die vom Kläger per Telefax bzw. email am 30.12.2017 gestellten Anträge auf Steuerfestsetzung erfolgten zeitnah und nach Meinung des Senats im Zusammenhang mit der Einreichung seiner Einkommensteuererklärung vom 27.12.2017; inhaltlich schilderte der Kläger in diesen Schreiben wortreich die ohnehin vom Finanzamt bei Einleitung eines Besteuerungsverfahrens vorzunehmenden Vorgänge. Dies gilt insbesondere für das Begehren des Klägers auf Feststellung/Festsetzung bislang nicht berücksichtigter Besteuerungsgrundlagen (insb. Fahrtkostenpauschale, doppelte Haushaltsführung), Festsetzung der materiell zutreffenden Steuer 2010 und Festsetzung eines Steuererstattungsanspruchs 2010 sowie die von ihm aufgeworfenen Fragen, ob die Festsetzung eines Steuererstattungsanspruchs von Amts wegen vorzunehmen ist, ob zusätzliche Besteuerungsgrundlagen von Amts wegen festzustellen sind sowie ob die Erstattung einer Überzahlung von Amts wegen vorzunehmen ist.
Soweit der Kläger einen Änderungsantrag nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 171 Abs. 3 AO auf Berücksichtigung steuermindernder Tatsachen stellte und die Frage aufwarf, ob dieser Änderungsantrag von Amts wegen vorzunehmen sei, ist der Antrag nicht zielführend und konnte den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht hemmen: Die Änderungsvorschrift des § 173 AO erfordert das Vorliegen eines Steuerbescheides (vgl. Koenig, AO, § 173 Rn. 2). Im Streitfall war bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist am 02.01.2018 kein an den Kläger gerichteter Steuerbescheid für Einkommensteuer 2010 ergangen, für welchen sich die Frage seiner Änderung stellen könnte.
Gleiches gilt für den Antrag des Klägers, eine Änderung der bisherigen Steuerfestsetzung 2010 erreichen zu wollen; soweit er dies auf die Lohnsteueranmeldung/Lohnsteuerfestsetzung bzw. Änderung/Aufhebung der Lohnsteuerfestsetzung 2010 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO als Grundlagenbescheid durch Erlass eines Folgebescheides bezieht, betrifft dies nicht das streitgegenständliche Verfahren wegen Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer. Die Anfechtung einer Lohnsteuer-Anmeldung durch einen Arbeitnehmer ist gegenüber dem für die Lohnsteuer-Anmeldung zuständigen Finanzamt möglich, gleiches gilt für einen Antrag nach §§ 168, 164 Abs. 2 AO (BFH-Urteil vom 12.10.1995 I R 39/95, BStBl. II 1996, 87). Im Streitfall war das beklagte Finanzamt G keinesfalls für die Lohnsteuer-Anmeldung der B, C (Hessen) zuständig. Soweit der Kläger den Erlass eines Abrechnungsbescheides für 2010 (§ 218 AO i.V.m. § 37 Abs. 2 AO) und die Erstattung einer Überzahlung begehrt, ist dies Bestandteil des Erhebungs- und nicht des Festsetzungsverfahrens.
Das Vorbringen des Klägers in den Schreiben vom 30.12.2017 geht damit nicht über den Inhalt seiner bereits eingereichten Steuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2010 und deren Bearbeitungslauf im Finanzamt hinaus; ein eigenständiger sachlicher Gehalt kann ihnen – mit Ausnahme des klägerseitigen Begehrens auf Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen Ablaufhemmung infolge Antragstellung – nicht entnommen werden. Soweit der Kläger eine „bloße“ Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist an sich beantragt, stellt diese lediglich eine Rechtsfolge dar.
(2) Auch der am 30.12.2017 eingelegte Untätigkeitseinspruch hat nicht zu einer Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 3a AO geführt. Er war unzulässig.
Das Telefax des Klägers und beide emails jeweils vom 30.12.2017 sind dem Wortlaut nach identisch.
Soweit ein Untätigkeitseinspruch eingelegt wird, kommt grundsätzlich eine Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 3a FGO in Betracht (BFH-Urteil vom 22.01.2013 IX R 1/12, BStBl. II 2013, 663). Dies gilt jedoch nur, soweit der Rechtsbehelf – der Untätigkeitseinspruch – nicht unzulässig ist (§ 171 Abs. 3a Satz 2 2. Halbsatz AO; vgl. Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 171 Rn. 58). Gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO ist der (Untätigkeits-) Einspruch statthaft, wenn geltend gemacht wird, dass in den in § 347 Abs. 1 Satz 1 AO bezeichneten Angelegenheiten über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Möglichkeit eines Untätigkeitseinspruchs beruht u.a. darauf, dass die Beteiligten eines Besteuerungsverfahrens keinen Anspruch darauf haben, dass das Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt begonnen wird und der Zeitpunkt des Beginns des Verwaltungsverfahrens im Ermessen der Finanzbehörde liegt (Wünsch in: Koenig, AO, § 86 Rn. 7 und 10). Als angemessene Frist wird regelmäßig ein Zeitraum von 6 Monaten erachtet (Cöster in: Koenig, AO, § 347 Rn. 31). Das FG Hamburg hat in seinem Urteil vom 12.06.2003 VI 42/02 (juris) eine kurze Frist von einer Woche zur Einlegung eines Untätigkeitseinspruchs als nicht angemessen angesehen.
Im Streitfall ist der Untätigkeitseinspruch vom 30.12.2017 unzulässig. Die Einlegung eines Untätigkeitseinspruches einen Tag nach Abgabe der Einkommensteuererklärung scheitert am gesetzlichen Erfordernis des Ablaufs einer angemessenen Frist. Ein Tag ist nicht angemessen. Daran ändert auch der Umstand der unmittelbar drohenden Festsetzungsverjährung nichts. Die Festsetzung der Steuer musste innerhalb der Verjährungsfrist bis 02.01.2018 erfolgen. Das Finanzamt hatte mit Schriftsatz vom 19.02.2020 und nochmals in der mündlichen Verhandlung erläutert, innerhalb weniger Werktage nach Einreichung der Steuererklärung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist aus technischen und organisatorischen Gründen keinen Bescheid, welcher den Anforderungen des § 169 Abs. 1 Satz 3 AO gerecht wird, erlassen zu können. Wird eine Einkommensteuererklärung daher – wie im Streitfall geschehen – 2 Werk- bzw. Arbeitstage vor Ablauf der Festsetzungsfrist eingereicht und war dem Finanzamt regelmäßig eine Steuerfestsetzung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist nicht möglich, ist ein Untätigkeitseinspruch unzulässig und die Festsetzungsfrist nicht gemäß § 171 Abs. 3a AO gehemmt.
Darüber hinaus hatte es der Kläger selbst in der Hand, seine Steuererklärung innerhalb der Erklärungsfristen des § 149 AO, jedenfalls aber zu einem früheren Zeitpunkt als wenige Werktage vor Ablauf der Festsetzungsfrist einzureichen. Bei einer Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG wegen einmaliger sonstiger Einkünfte aus einer einzelnen Wohnmobilvermietung bestanden für das Finanzamt vor dem Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklärung keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, ein Besteuerungsverfahren zu beginnen oder „ins Blaue hinein“ zu ermitteln (vgl. Wünsch in: Koenig, AO, § 86 Rn. 10). Auch insoweit scheidet ein Untätigkeitseinspruch als unzulässig aus.
(3) Eine Ablaufhemmung wegen § 171 Abs. 14 AO (Erstattungsanspruch) besteht im Streitfall ebenfalls nicht.
Kommt nach § 46 Abs. 2 EStG eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht in Betracht, gilt die Einkommensteuer, die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfällt, für den Steuerpflichtigen durch den Lohnsteuerabzug als abgegolten, soweit er nicht für zu wenig erhobene Lohnsteuer in Anspruch genommen werden kann (§ 46 Abs. 4 EStG). Die Lohnsteuer besitzt Abgeltungswirkung für die Einkommensteuer. Die Lohnsteuererhebung erfolgt unabhängig davon, ob später eine Veranlagung durchgeführt wird oder nicht; eine Bindungswirkung besteht nicht (Kulosa in: Schmidt, EStG, § 46 Rn. 2 + 3). Nur im Veranlagungsfall ist die tatsächlich einbehaltenen Lohnsteuer auf die festgesetzte Einkommensteuer anzurechnen (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG), und es kann ggf. zu einem Erstattungsanspruch i.S.d. § 37 Abs. 2 AO und einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 14 AO kommen. Erfolgt keine Veranlagung, ist die Einbehaltung der Lohnsteuer nicht ohne Rechtsgrund erfolgt (vgl. BFH-Urteil vom 12.10.1995 I R 39/95, BStBl. II 1996, 87) und aus diesem Grund nicht gemäß § 37 Abs. 2 AO zu erstatten. Eine Ablaufhemmung findet nicht statt.
2. Ebenfalls zurecht hat das Finanzamt die Einsprüche wegen Untätigkeit beim Antrag vom 27.12.2017 (unten a.) und im Einspruchsverfahren wegen Ablehnung der Einkommensteuerfestsetzung für 2010 (unten b.) als unzulässig verworfen.
Gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 AO ist der Einspruch statthaft, wenn geltend gemacht wird, dass in den in § 347 Abs. 1 Satz 1 AO bezeichneten Angelegenheiten über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist – in der Regel sechs Monate – sachlich nicht entschieden worden ist.
a. Der Untätigkeitseinspruch des Klägers vom 30.12.2017 war nicht statthaft und damit unzulässig. Zum einen war die Frist von einem Werk-/Arbeitstag zwischen Einreichung der Steuererklärung und Einlegung des Untätigkeitseinspruchs nicht angemessen (siehe oben 1.b.(2)), zum anderen hatte das Finanzamt dem Kläger mit Steuerbescheid vom 02.02.2018 mitgeteilt, eine Veranlagung zur Einkommensteuer 2010 nicht durchzuführen; dieser Verwaltungsakt erging rund einen Monat nach Einreichung der Steuererklärung und damit auch bei Beachtung der regelmäßigen sechsmonatigen Bearbeitungsgelegenheit und unter Berücksichtigung der zu bearbeitenden Schreiben und Anträge nebst Anlagen innerhalb angemessener Frist. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob ein Untätigkeitseinspruch durch Zeitablauf in die Zulässigkeit „hineinwachsen“ kann zugleich mit der Folge einer rückwirkend eintretenden Hemmung der Festsetzungsverjährung.
b. Der Untätigkeitseinspruch des Klägers vom 23.02.2018, verbunden mit der Einlegung des Einspruchs gegen den Steuerbescheid vom 02.02.2018, ist unzulässig.
Gegen eine Untätigkeit im Einspruchsverfahren kann der Kläger nur mit der Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 FGO vorgehen. Solch eine Untätigkeit lag am 23.02.2018 und auch in der Folgezeit nicht vor. Der Sache nach begehrt der Kläger nicht die Beendigung einer Untätigkeit des Finanzamts, sondern äußert ein Verpflichtungsbegehren auf Durchführung einer Veranlagung. Dieses kann er nicht im Wege eines Untätigkeitseinspruchs bzw. einer Untätigkeitsklage verfolgen.
3. Ein Anspruch des Klägers auf Verpflichtung des beklagten Finanzamts zum Erlass eines Abrechnungsbescheides gemäß § 218 AO für Einkommensteuer 2010 besteht nicht.
Gemäß § 218 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO entscheidet die Finanzbehörde über Streitigkeiten, welche die Verwirklichung der Ansprüche i.S.d. § 218 Abs. 1 AO oder Erstattungsansprüche (§ 37 Abs. 2 AO) betreffen, durch Verwaltungsakt – dem sog. Abrechnungsbescheid.
Voraussetzung für den Erlass eines Abrechnungsbescheides ist das vorherige Ergehen eines Einkommensteuerbescheids (BFH-Beschluss vom 27.10.2010 VII B 130/10, BFH/NV 2011, 197). Zwar ist ein Steuererstattungsanspruch bereits mit der Zahlung eines nach materiellem Recht nicht geschuldeten Betrages entstanden, dennoch bedarf es für die Verwirklichung dieses Erstattungsanspruchs der vorherigen Steuerfestsetzung (BFH-Urteil vom 14.03.2012 XI R 6/10, BStBl. II 2014, 607).
Darüber hinaus kann ein Abrechnungsbescheid nicht mehr ergehen, wenn eine Einkommensteuerveranlagung infolge des Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich ist (BFH-Beschluss vom 27.10.2010 VII B 130/10, BFH/NV 2011, 197). Gemäß § 47 AO erlöschen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch (Festsetzungs-) Verjährung.
Im Streitfall lag sowohl keine über die Ablehnung vom 02.02.2018 hinausgehende Steuerfestsetzung gegenüber dem Kläger als auch der Eintritt der Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 02.01.2018 vor. Zurecht hat das beklagte Finanzamt deshalb keinen Abrechnungsbescheid, der einen vom Kläger begehrten Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO ausweist, erlassen.
4. Auch hat der Kläger keinen Anspruch auf Auszahlung eines Erstattungsbetrages nach § 37 Abs. 2 AO.
Ist eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags (§ 37 Abs. 2 AO). Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt. Die Anmeldung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber bildet den Rechtsgrund für deren Zahlung an das Finanzamt (BFH-Urteil vom 12.10.1995 I R 39/95, BStBl. II 1996, 87).
Im Streitfall liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die vom Arbeitgeber B für den Kläger einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer in Höhe von 8.807 € (zzgl. Solidaritätszuschlag 484 € und Kirchensteuer 704 €) unrichtig durchgeführt worden war. Ein Erstattungsanspruch des Klägers ist insoweit nicht erkennbar; im Übrigen wäre hierfür – für eine Anfechtung des Lohnsteuerabzugs – nicht das beklagte Finanzamt G zuständig.
5. Einer Entscheidung darüber, ob im Veranlagungszeitraum 2010 tatsächlich eine einmalige Wohnmobilvermietung zu sonstigen Einkünften in Höhe von 600 € geführt hat sowie ob und in welcher Höhe für den Kläger Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit angefallen sind, bedurfte es aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht. Mangels Beweiserheblichkeit wurden die Beweisbeschlüsse vom 05.02.2021 und 01.03.2021 aufgehoben. Die vom Kläger vorgetragenen Einnahmen aus der Lehrtätigkeit an der Hochschule E betreffen bei einem Zeitraum von 5 Jahren die VZ 2011 bis 2015, nicht jedoch den VZ 2010.
Soweit der Kläger eine Vorabentscheidung durch Zwischenurteil oder Zwischengerichtsbescheid begehrt, scheitert dies an der vom Senat gefundenen Entscheidung in der Hauptsache. Die Frage, ob einem Steueranspruch der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegensteht, kann durch Zwischenurteil entschieden werden, wenn das Bestehend des Steueranspruchs dem Grunde nach bejaht wird und sich der Kläger auch gegen die Höhe der Steuer wendet (Stapperfend in: Gräber, FGO, § 99 Rn. 7; BFH-Urteil vom 14.07.1982 II R 1/81, BStBl. II 1983, 25). Im Streitfall hat der erkennende Senat die Hauptsache in materiell-rechtlicher Hinsicht dahingehend gewürdigt, dass Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Der materielle Steueranspruch war mit Ablauf der Festsetzungsfrist erloschen und daher zu verneinen. Es bedurfte keiner weiteren Aufklärung des Sachverhalts und der Besteuerungsgrundlagen zur Höhe des Steueranspruchs. Vielmehr war Entscheidungsreife gegeben, sodass eine Entscheidung durch Endurteil zu ergehen hatte.
Damit hat die Klage mit den gestellten Haupt- und Hilfsanträgen keinen Erfolg.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO.
7. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Entscheidung weicht nicht von den vom BFH insbesondere mit Urteil vom 23.09.2020 XI R 1/19 (BStBl. II 2021, 341) aufgestellten Rechtsgrundsätzen ab. Die im Streitfall zu klärenden Rechtsfragen sind bereits höchstrichterlich entschieden worden, sodass weder ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO gegeben ist.


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