Steuerrecht

Verlustvortrag auf Einkommensteuer – Einkünfte aus Kapitalvermögen

Aktenzeichen  3 K 1710/18

Datum:
30.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22793
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 9
FGO § 40 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018 wird aufgehoben, soweit sie gegen die Klägerin gerichtet ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

1. Soweit die Einspruchsentscheidung gegenüber der Klägerin ergangen ist, ist sie als nichtig aufzuheben, da die Klägerin keinen Einspruch eingelegt hat (Seer, in Tipke/Kruse AO/FGO Kommentar, Lfg. 140, § 367 AO Rz. 59). Einspruch hat jeweils nur der Kläger im eigenen Namen eingelegt. Die Einsprüche betreffen im Wesentlichen auch nur seine Einkünfte aus Kapitalvermögen. (Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 auch weitere Werbungskosten i.H.v. 14,99 € bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung, die sich aber wegen der Kleinbetragsregelung nicht auswirken, wenn sonst nichts geändert wird.).
Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
2. Die gegen die Einkommensteuerbescheide für 2015 vom 14.12.2016 und für 2016 vom 31.07.2017, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018, gerichtete Klage ist unzulässig mangels Beschwer, § 40 Abs. 2 FGO. Maßgeblich dafür, ob eine Beschwer vorliegt, ist die Höhe der festgesetzten Steuer. Eine Rechtsverletzung i.S.d. § 40 Abs. 2 FGO kann grundsätzlich nur wegen zu hoher Steuerfestsetzung geltend gemacht werden (vgl. von Groll, in Gräber FGO Kommentar, 7. Aufl., § 40 Rz. 87 m.w.N.). Im Streitfall würde sich aber die Höhe der festgesetzten Steuer auch dann nicht ändern, wenn die Kapitaleinkünfte so zu berechnen wären, wie der Kläger meint. Seine Berechnung würde zu einem höheren verbleibenden Verlust aus Aktienverkäufen führen, der ggf. gesondert festzustellen wäre. Da diese Verluste aber nur mit Gewinnen aus Aktienverkäufen und nicht mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden könnten, würde sich an der Höhe der festgesetzten Steuer nichts ändern. Einkünfte aus Kapitalvermögen sind bereits jetzt jeweils i.H.v. 0 € angesetzt.
3. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Der verbleibende Verlustvortrag aus der Veräußerung von Aktien auf den 31.12.2015 und den 31.12.2016 ist jeweils in der richtigen Höhe festgestellt. Die Kläger sind durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
a) Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch Gewinne aus der Veräußerung von Aktien, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 EStG.
b) Verluste aus Kapitalvermögen dürfen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen und auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden, § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG. Sie mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt, § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG. § 10d Abs. 4 EStG ist sinngemäß anzuwenden, § 20 Abs. 6 Satz 3 EStG. D.h., diese Verluste sind gesondert festzustellen.
Verluste, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, dürfen nur mit Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden; auch sie sind gesondert festzustellen, § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG. Verluste aus der Veräußerung von Aktien, die innerhalb des Kalenderjahres nicht verrechnet werden können, können so in die folgenden Kalenderjahre vorgetragen und im Veranlagungsverfahren mit Gewinnen aus künftigen Veräußerungsgeschäften verrechnet werden, sofern der Steuerpflichtige sich nicht für einen Verlustvortrag i.R.d. Verlustverrechnungstopfes bei seinem Kreditinstitut gemäß § 43a Abs. 3 EStG entscheidet, § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG. § 43a Abs. 3 sieht vor, dass die auszahlende Stelle negative Kapitalerträge bis zur Höhe der positiven Kapitalerträge auszugleichen hat. Der nicht ausgeglichene Verlust ist auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen. Auf Verlangen hat die auszahlende Stelle nach § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG eine Bescheinigung über die Höhe des nicht ausgeglichenen Verlustes zu erteilen; der Verlustübertrag entfällt in diesem Fall. Der Verlustverrechnungstopf wird geschlossen, § 43a Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 2 EStG, die Verluste können bei der Veranlagung geltend gemacht werden.
Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung wurden im Jahr 2015 Gewinne des Klägers aus Aktienveräußerungen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) i.H.v. 10.419,48 € von dem Kreditinstitut innerhalb des Verlustverrechnungstopfes in voller Höhe mit Aktienverlusten verrechnet (§ 20 Abs. 2 EStG; verbleibender Gewinn 0 €).
c) Der verbleibende Verlustvortrag zur Einkommensteuer zum 31.12.2015 wurde nach § 10 d Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus Kapitalvermögen (Veräußerung von Aktien) gemäß der Steuerbescheinigung des Kreditinstituts mit Bescheid vom 14.12.2016 auf 5.775 € gesondert festgestellt. Im Jahr 2016 wurden die erklärten Gewinne aus Aktienveräußerungen i.H.v. 3.141 € im Rahmen der Veranlagung in voller Höhe mit den festgestellten Verlusten (5.775 €) verrechnet. Der verbleibende Verlustvortrag auf den 31.12.2016 wurde auf 2.634 € festgestellt.
4. Das Finanzamt hat den jeweils gesondert festgestellten verbleibenden Verlustabzug zu Recht nicht um den im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nicht verbrauchten Sparerpauschbetrag i.H.v. 256 € (2015) bzw. 112 € (2016) erhöht.
a) Gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen „als Werbungskosten“ ein Betrag von 801 € abzuziehen (Sparer-Pauschbetrag); der Abzug tatsächlicher Werbungskosten ist ausgeschlossen. Ehegatten, die zusammen veranlagt werden, wird ein gemeinsamer Sparer-Pauschbetrag von 1.602 € gewährt, § 20 Abs. 9 Satz 2 EStG. Der gemeinsame Sparer-Pauschbetrag ist bei jedem Ehegatten zur Hälfte abzuziehen; sind die Kapitalerträge eines Ehegatten niedriger als 801 €, so ist der anteilige Sparer-Pauschbetrag insoweit, als er die Einkünfte dieses Ehegatten übersteigt, bei dem anderen Ehegatten abzuziehen, § 20 Abs. 9 Satz 3 EStG. Der Sparer-Pauschbetrag und der gemeinsame Sparer-Pauschbetrag dürfen nicht höher sein als die nach Maßgabe des Abs. 6 verrechneten Kapitalerträge, § 20 Abs. 9 Satz 4 EStG. Der Sparer-Pauschbetrag soll keine negativen Einkünfte begründen (vgl. von Beckerath, in Kirchhof EStG Kommentar, 17. Aufl., § 20 Rz. 188). Die Formulierung „und nach Maßgabe des Absatzes 6 verrechneten“ Kapitalerträge wurde auf Vorschlag des Finanzausschusses eingefügt, der damit dem von ihm vorgeschlagenen Verlustausgleichsverbot des Abs. 6 Satz 5 bei der Veräußerung von Aktien Rechnung tragen wollte. Da aufgrund dieser Ausgleichsbeschränkung positive Zinseinkünfte nicht durch Verluste aus Aktiengeschäften ausgeglichen werden könnten, sei es geboten, bei diesen tatsächlich zu versteuernden Zinseinkünften auch den vollen Sparer-Pauschbetrag anzusetzen. Mit der Ergänzung von Abs. 9 Satz 4 werde erreicht, dass nur der Saldo der verrechenbaren Kapitalerträge für die Bemessung des Sparer-Pauschbetrages maßgeblich sei (Bundestags-Drucksache – BT-Drucks. – 16/5491, Seite 18).
b) Nach Auffassung des Senats ist aus der Formulierung „Der Sparer-Pauschbetrag und der gemeinsame Sparer-Pauschbetrag dürfen nicht höher sein als die nach Maßgabe des Abs. 6 verrechneten Kapitalerträge“ zu schließen, dass zuerst der Saldo zu bilden ist, also zuerst mögliche Verlustverrechnungen vorzunehmen sind, und auf diesen Saldo dann der Pauschbetrag anzurechnen ist. Das sollen folgende Beispiele verdeutlichen:
– Wenn (wie im Streitfall) zusammenveranlagte Ehegatten gemeinsam Zinseinnahmen i.H.v. 1.000 € erzielen (Ehemann 900 €, Ehefrau 100 €) und der Ehemann daneben noch Verluste aus Aktienverkäufen i.H.v. 700 €, dann könnte die Ehefrau von ihren Zinseinnahmen den anteiligen Sparer-Pauschbetrag (bis auf 0 €) abziehen; der nichtverbrauchte Rest des „gemeinsamen Sparer-Pauschbetrags“ stünde zur Verrechnung beim Ehemann mit dessen Zinseinnahmen i.H.v. 900 € zur Verfügung. Der dadurch nicht verbrauchte Rest verfällt, weil der Sparer-Pauschbetrag und der gemeinsame Sparer-Pauschbetrag der Höhe nach auf die nach Maßgabe des Abs. 6 verrechneten Kapitalerträge begrenzt ist, hier also auf 100 € + 900 € – 0 € = 1.000 €. Die Verluste aus den Aktienveräußerungen können nicht nach Abs. 6 mit den positiven Zinseinnahmen verrechnet werden. Auch sonst darf die Anwendung eines Werbungskosten-Pauschbetrages nicht zu negativen Einkünften führen, vgl. § 9a Satz 2 EStG zu den Pauschbeträgen bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
– Würde der Ehemann neben den Zinseinnahmen i.H.v. 900 € nicht nur Verluste i.H.v. 700 € sondern auch Gewinne i.H.v. 700 € aus Aktienverkäufen erzielen, so wäre der Saldo der nach Abs. 6 verrechneten Kapitalerträge wie folgt zu berechnen: Zinseinnahmen Ehefrau 100 € + Zinseinnahmen Ehemann 900 € + (Aktiengewinne Ehemann 700 € – Aktienverluste Ehemann 700 €) = 100 € + 900 € – 0 € = 1.000 €. Bis zu dieser Höhe könnte nun der gemeinsame Sparer-Pauschbetrag nach der Regelung des § 20 Abs. 9 Satz 3 EStG von den Zinseinnahmen abgezogen werden (100 € Ehefrau, 900 € Ehemann).
Nach der Rechnung des Klägers wäre die Verlustverrechnung erst nach Abzug des Sparer-Pauschbetrages von der Summe der Einnahmen (hier 100 € + 900 € + 700 € = 1.700 €) vorzunehmen. Der Sparer-Pauschbetrag (1.602 €) wäre damit höher als die nach Maßgabe des Abs. 6 verrechneten Kapitalerträge (1.000 €).
– Hätte der Ehemann neben Gewinnen aus Aktienverkäufen i.H.v. 700 € auch Verluste i.H.v. 900 € erzielt, sie bliebe der „überschießende Verlust“ aus Aktienverkäufen i.H.v. 200 € in dieser Art von Einkünften aus Kapitalvermögen gefangen und wäre gesondert festzustellen. Der Saldo nach Abs. 6 beliefe sich nach wie vor auf 100 € + 900 € = 1.000 €. Der gemeinsame Sparer-Pauschbetrag darf nicht höher sein als dieser Saldo.
Nach der Rechnung des Klägers wäre die Verlustverrechnung erst nach Abzug des Sparer-Pauschbetrages von der Summe der Einnahmen (hier 100 € + 900 € + 700 € = 1.700 €) vorzunehmen. Der Sparer-Pauschbetrag (1.602 €) wäre damit höher als die nach Maßgabe des Abs. 6 verrechneten Kapitalerträge (1.000 €).
– Hätte im Beispielsfall der Ehemann neben seinen Zinseinnahmen i.H.v. 900 € (nach Verlustverrechnung verbleibende) Gewinne aus Aktienveräußerungen i.H.v. 700 € erzielt, sähe die Rechnung wie folgt aus:
Zinseinnahmen Ehefrau 100 € + Zinseinnahmen Ehemann 900 € + Aktiengewinne Ehemann 700 € = 1.700 €, davon ab gemeinsamer Sparer-Pauschbetrag 1.602 € ergibt Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H.v. 98 €.
Es ist also nach der Gesetzessystematik (Verweis auf Abs. 6 in Abs. 9 Satz 4) immer zuerst eine Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 EStG durchzuführen, bevor der Sparer-Pauschbetrag auf die danach noch verbleibenden Einnahmen angerechnet wird (maximal bis auf Null, § 20 Abs. 9 Satz 4 EStG). Vgl. dazu auch Schlotter, in Littmann/Bitz/Pust, EStG Kommentar, § 20 Rz. 1590 ff., 1594 (Stand Mai 2011); Buge, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG-KStG-Kommentar, § 20 EStG Rz. 684 ff., 687 (Stand Februar 2014); Jochum, in Kirchhof/Söhn, EStG Kommentar, § 20 Rz. K 23 ff., insb. K 25 und K 30 (Stand Oktober 2018); Levedag, in Schmidt, EStG Kommentar, § 20 Rz. 204 ff., 208 (37. Aufl. 2018); von Beckerath, in Kirchhof, EStG Kommentar, § 20 Rz. 186 ff., 188 (17. Aufl. 2018).
Auch bei der Verrechnung innerhalb des jeweiligen Verrechnungstopfes ist zwar – wenn ein Freistellungsauftrag erteilt wurde – zunächst der Sparer-Pauschbetrag zu berücksichtigen, doch lebt dieser wieder auf, wenn und soweit verrechenbare Verluste aus Aktienverkäufen entstehen (vgl. dazu die zutreffenden Ausführungen der Einspruchsentscheidung). Auch das zeigt den Vorrang der Verlustverrechnung.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe vorliegt. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (Nr. 2).
a) Zwar ist bei vernünftigen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer für die Entscheidung des Streitfalles maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschrift die grundsätzliche Bedeutung i.d.R. zu bejahen (vgl. Ruban, in Gräber FGO Kommentar, 7. Aufl., § 115 Rz. 36 m.w.N.), doch liegen solche hier nicht vor.
aa) Die vorgenommene „Kürzung des Sparer-Pauschbetrags“ ist keine nach Art. 14 GG unzulässige Enteignung. Die Steuerbelastung fällt in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie. Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BVerfG, nach der Steuerlasten grundsätzlich den Schutzbereich des Artikel 14 GG unberührt lassen, ist das Eigentumsgrundrecht jedoch dann verletzt, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass sie eine erdrosselnde Wirkung haben (vgl. z. B. Beschluss des BVerfG vom 8. April 1997 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267, NJW 1997, 1974). Es gibt keine verbindliche verfassungsrechtliche Obergrenze für die Gesamtbelastung mit Einkommensteuer und ggf. Gewerbesteuer. Untergrenze für den Zugriff ist der existenznotwendige Bedarf des Steuerpflichtigen (vgl. Beschluss des BVerfG vom 25.09.1992, 2 BvL 5/91 u.a., BVerfGE 87, 153, NJW 1992, 3153). Dieser Bereich ist hier nicht berührt.
bb) Sie verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung und damit das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Dem verfassungsrechtlichen Gebot der einkommensteuerlichen Lastengleichheit Rechnung tragend, bemisst der Einkommensteuergesetzgeber die im Einkommen einer bestimmten Person dokumentierte finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip. Dabei entfaltet das einfachrechtliche objektive Nettoprinzip insbesondere Bedeutung im Zusammenhang mit den Anforderungen an eine hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Ausnahmen von dem Gebot gleicher Besteuerung bei gleicher Ertragskraft bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (ständige Rechtsprechung, z.B. BVerfG, Beschluss vom 17.11.2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, 23 = FR 2010, 472; Urteil vom 09.12.2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210, jeweils m.w.N.).
Das BVerfG räumt dem Gesetzgeber bei der Umstrukturierung komplexer Regelungssysteme einen besonders weiten Spielraum bei der Ausgestaltung von Übergangsvorschriften. Es hat mit Urteil in BVerfGE 122, 210, 241 f. betont, dass die dem Steuergesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit von Verfassungswegen die Befugnis umfasst, neue Regeln einzuführen, ohne durch Grundsätze der Folgerichtigkeit an frühere Grundentscheidungen gebunden zu sein. Eine erhebliche Ungleichbehandlung, die jeglichen sachlichen Grundes entbehrt, weil alle vom Gesetzgeber angestrebten Regelungsziele auch unter Vermeidung der ungleichen Behandlung und ohne Inkaufnahme anderer Nachteile erreicht werden können, braucht von den Betroffenen gleichwohl nicht hingenommen zu werden (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 125, 1, 23).
Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Abgeltungsteuer nicht nur eine punktuelle Änderung einzelner Besteuerungsgrundlagen, sondern einen grundlegenden Systemwechsel hinsichtlich der Besteuerung von Kapitaleinkünften ins Werk gesetzt. Er hat die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht vorrangig anderen Einkunftsarten zuzuordnen sind, durch die Einführung einer Schedule von der nach § 2 EStG zu berechnenden synthetischen Einkommensteuer ausgenommen. Dabei weist die Neuregelung der Besteuerung von Kapitaleinkünften angesichts der Eckpunkte des Paradigmenwechsels das für einen Prinzipien- und Systemwechsel erforderliche Mindestmaß aus. (Näher dazu BFH-Urteil vom 03.11.2015 VIII R 37/13, FR 2016, 1000). Innerhalb des neuen Systems, in dem Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet werden dürfen, ist es folgerichtig, zuerst die Verluste durch Verrechnung mit Gewinnen steuerlich zu realisieren und erst von einem evtl. verbleibenden Rest den Sparer-Pauschbetrag abzuziehen. Ansonsten könnte es geschehen, dass der Sparer-Pauschbetrag zuerst mit den Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien verrechnet und dadurch vollständig verbraucht wird und neben einem ungenutzten Verlust aus der Veräußerung von Aktien zu versteuernde „sonstige“ Kapitaleinkünfte übrigbleiben. Die „Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien“ bilden im neuen System eine in sich geschlossene „Untereinkunftsart“. – Dass ein Werbungskostenpauschbetrag nur demjenigen zugutekommt, der entsprechende zu versteuernde Einkünfte erzielt, liegt in der Natur der Sache, da durch solche Pauschbeträge keine Verluste entstehen sollen.
cc) Die Regelung des § 20 Abs. 9 Satz 4 EStG widerspricht auch nicht dem Grundprinzip der Besteuerung nach Belastbarkeit. Die steuerliche Belastbarkeit im jeweiligen Veranlagungszeitraum bemisst sich nach der Differenz der Einnahmen und Ausgaben dieses Jahres. In früheren Jahren erlittene Verluste als solche berühren sie nicht.
b) Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts ist erforderlich, wenn über bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfragen zu entscheiden ist, insbesondere, wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (Ruban, in Gräber FGO Kommentar, 7. Aufl., § 115 Rz. 41 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Soweit ersichtlich sind sich das BMF und die Literatur darüber einig, wie § 20 Abs. 9 Satz 4 EStG auszulegen ist. Auch abweichende Rechtsprechung gibt es nicht, so dass die Zulassung der Revision auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Das minimale Obsiegen der Klägerin (Aufhebung der Einspruchsentscheidung, soweit sie davon betroffen ist), fällt nicht ins Gewicht.


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