Steuerrecht

Verwaltungsgerichte, Materielle Ausschlußfrist, Beihilfeantrag, Widerspruchsbescheid, Fristversäumnis, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Wiedereinsetzungsantrag, Beihilfefähigkeit von Aufwendungen, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Fristversäumung, Beihilfeanspruch, Prozeßkostenhilfeverfahren, Rechtzeitige Antragstellung, Antrag auf Wiedereinsetzung, Antragsfrist, Beihilfeverordnung, Beihilferechtliche Streitigkeit, Beihilfeberechtigte, Beihilfeleistungen

Aktenzeichen  M 17 K 19.184

Datum:
6.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 41820
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 96 Abs. 3a
BayBhV § 48 Abs. 6 S. 1
BayVwVfG Art. 32

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Das Klagebegehren ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Klägerin unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 3. Dezember 2018 sowie des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2018 die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 756,28 € (70% von 1.080,40 € (690,40 € + 390,00 €)) für die im Zeitraum vom … 2015 bzw. … 2017 bis zum … 2017 entstandenen Taxi- und Transportkosten beantragt.
Die zulässige Klage ist unbegründet und hat daher keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten vom 3. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr begehrten weiteren Beihilfeleistungen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Hier sind die streitgegenständlichen Aufwendungen für die Taxifahrten und den Schwerbehindertentransport im Zeitraum vom … 2015 bzw. … 2017 bis zum … 2017 entstanden. Die Frage der Beihilfefähigkeit bestimmt sich daher nach Art. 96 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juli 2008 (GVBl S. 500), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2014 (GVBl.S. 511) bzw. Gesetz vom 12. Juli 2017 (GVBl. S. 362), und der Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) vom 2. Januar 2007 (GVBl S. 15) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 29. Juli 2014 (GVBl.S. 352, ber. 447) bzw. vom 24. Juli 2017 (GVBl. S. 418).
2. Ansprüche der Klägerin auf Gewährung von Beihilfeleistungen zu den streitgegenständlichen Aufwendungen sind wegen Ablaufs der Antragsfrist erloschen. Nach Art. 96 Abs. 3a BayBG (in der maßgeblichen Fassung) und § 48 Abs. 6 Satz 1 BayBhV wird Beihilfe nur gewährt, wenn sie innerhalb eines Jahres nach dem Entstehen der Aufwendungen oder Ausstellung der Rechnung beantragt wird. Bei dieser Antragsfrist handelt es sich um eine sogenannte Ausschlussfrist (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 14 ZB 17.1841 – juris).
Im vorliegenden Fall sind die streitgegenständlichen Aufwendungen mit der jeweiligen Inanspruchnahme der Taxifahrten bzw. – hinsichtlich des Schwerbehindertentransportes – mit jeweiliger Rechnungsstellung im Zeitraum vom … 2015 bzw. … 2017 bis zum … 2017 entstanden. Anders als die Klägerin meint, kommt es für den jeweiligen Beginn der Jahresfrist nach dem klaren Gesetzeswortlaut auf die isolierte Entstehung der jeweiligen Aufwendungen an, eine „Gesamtbetrachtung“ erfolgt nicht. Die Jahresfrist endete somit gemäß Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB selbst hinsichtlich der am spätesten entstandenen Aufwendung (Taxifahrt am … 2017) zu einem Zeitpunkt vor dem 24. November 2018, 0:00 Uhr. Für die Einhaltung der einjährigen Antragsfrist kommt es auf das Datum des Eingangs des Beihilfeantrages bei der Festsetzungsstelle an (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2012 – 14 ZB 11.1379 – juris, Rn. 5). Hier ist der Beihilfeantrag der Klägerin am 26. November 2018 – und damit nach Ablauf der Jahresfrist – bei der Festsetzungsstelle eingegangen. Damit ist der Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen bezüglich der streitgegenständlichen Aufwendungen wegen Versäumung der Jahresfrist gemäß Art. 96 Abs. 3a BayBG und § 48 Abs. 6 Satz 1 BayBhV erloschen.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer solchen materiellen Ausschlussfrist bestehen keine Bedenken (BVerwG, U.v. 28.6.1965 – VIII C 334.63 – BVerwGE 21, 258). Die Ausschlussfrist dient aus haushaltstechnischen Gründen dazu, eine baldige Klärung etwa noch bestehender Beihilfeansprüche herbeizuführen und ist mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist sie jedenfalls dann unbedenklich, wenn die Möglichkeit besteht, im besonderen Einzelfall Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (vgl. BayVGH, U.v. 5.4.1990 – 3 B 89.2831 – juris, Rn. 14; VG München, U.v. 23.4.2015 – M 17 K 14.517). Obwohl es sich bei der Jahresfrist nach § 48 Abs. 6 Satz 1 BayBhV um eine materielle Ausschlussfrist handelt, gehen Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend von der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, was auch in den entsprechenden Vollzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen zu § 48 BayBhV ausdrücklich vorgesehen ist.
3. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die abgelaufene Ausschlussfrist liegen nicht vor. Nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Klägerin war nicht ohne Verschulden daran gehindert, die Jahresfrist einzuhalten. Verschuldet ist eine Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (BVerwG, U.v. 8.3.1983 – 1 C 34/80 – BayVBl 1983, 476). Rechtsunkenntnis kann die Fristversäumnis grundsätzlich nicht entschuldigen. Ein juristisch nicht vorgebildeter Bürger muss sich bei ihm nicht geläufigen juristischen Problemen grundsätzlich in geeigneter Weise juristischen Rat einholen (zum insoweit wortgleichen § 60 VwGO vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 23).
Eine Erkrankung kann eine Fristversäumung nur dann entschuldigen, wenn sie so schwer war, dass der Betroffene weder selbst handeln konnte, noch im Stande war, einen Bevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen und im gebotenen Umfang zu informieren (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 32 Rn. 29; VG München, U.v. 13.11.2019 – M 17 K 18.2550). Die diesbezüglichen Tatsachen sind vom Wiedereinsetzung Begehrenden glaubhaft zu machen (Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Bei einer Ausschlussfrist, auf die die Wiedereinsetzungsregeln ohnehin nur ausnahmsweise Anwendung finden, sind diese restriktiv zu handhaben, so dass an eine Entschuldigung der Fristversäumnis erhöhte Anforderungen gestellt werden dürfen (BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 14 ZB 17.1841). Es kommt darauf an, ob dem Beteiligten nach den Umständen des Falles ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 32 Rn. 21). Der klägerische Vortrag ergibt hier nicht, dass die Klägerin ihre ihr zumutbare Sorgfalt hat walten lassen, um eine rechtzeitige Antragstellung sicherzustellen. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Vorkehrungen ist hier ein strenger Maßstab anzulegen, da es sich um eine ohnehin schon sehr großzügig bemessene Frist handelt (vgl. VG München U.v. 11.4.2013 – M 17 K 12.2893).
Zwar hat die Klägerin mit der Vorlage der ärztlichen Unterlagen glaubhaft gemacht, dass sie nach der Behandlung des Brustkarzinoms im Jahr 2017 und nach der Operation an der Wirbelsäule im Mai 2018 an wiederkehrenden Schmerzattacken litt, die, aufgrund der Nebenwirkungen der Medikamente, häufig mit Übelkeit, Schwindelanfällen, Müdigkeit und einem Unvermögen, Arbeiten am Schreibtisch bzw. PC zu verrichten, einhergingen und für die Klägerin nicht vorhersehbar waren. Es ergibt sich daraus jedoch nicht, dass sie deshalb durchgehend und für den gesamten Zeitraum der Jahresfrist nicht in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig Beihilfe zu beantragen, zumal sich nach dem Vortrag der Klägerin die kritischste Zeit, in der die Klägerin starke Schmerzen aufgrund der Unverträglichkeit von drei Medikamenten hatte, nur auf den Oktober/November 2018 beschränkte. Der Verweis auf die gesundheitliche Ausnahmesituation der Klägerin ist menschlich verständlich, genügt aber nicht, um die Klägerin von ihren organisatorischen Pflichten vollumfänglich zu befreien. Als sich abzeichnete, dass die Bewältigung des Alltags die Klägerin über einen nicht absehbaren Zeitraum über das gewöhnliche Maß hinaus beanspruchen würde, hätte sie entsprechend reagieren müssen und gegebenenfalls, wenn, wie die Klägerin vortrug, keine Verwandten in der Nähe zur Verfügung standen, auch fremde Dritte mit der Erledigung ihrer Angelegenheiten beauftragen müssen. Bei derartig unwägbaren Hinderungsgründen erfordert es die auch in eigenem Interesse aufzubringende Sorgfalt, sich um Abhilfe zu bemühen und nicht lediglich zuzuwarten (VG München, U.v. 10.12.2015 – M 17 K 15.402). Es ist nicht ersichtlich, dass es der Klägerin gänzlich unmöglich gewesen wäre, Dritte mit der Stellung des Beihilfeantrags zu beauftragen, zumal es sich beim Ausfüllen eines Beihilfeantrages samt Zusammenstellung der Belege um eine einfache Tätigkeit handelt, die von jeder erwachsenen Person übernommen werden kann. Zwar trug die Klägerin vor, dass sie nicht gewollt habe, dass die vielen Taxirechnungen von fremden Dritten für sie kopiert würden, da das eine erneute Anstrengung für sie bedeutet hätte, die einzelnen Rechnungen zu sortieren und zu kopieren. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin Dritte, zum Beispiel Freunde, ihren Nachbarn, der ihr auch bei der Abholung des Widerspruchsbescheids von der Post geholfen hat, oder einen – sollte sich die Klägerin um die Sicherheit ihrer privaten Daten sorgen – von Berufswegen zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten, nicht auch mit dem Durchsehen und Sortieren ihrer Rechnungen hätte beauftragen können, wodurch die beschriebenen Anstrengungen vermeidbar gewesen wären. Dass die Klägerin derart handlungsunfähig gewesen wäre, dass sie im fraglichen Zeitraum nicht einmal die Beauftragung eines Dritten hätte vornehmen können, hat sie nicht vorgetragen. Damit ist der Klägerin zumindest ein gewisses Maß an Verschulden vorzuwerfen.
4. Umstände dafür, dass der Beklagte die Wahrung der Frist durch eigenes Verhalten treuwidrig verhindert hat und er sich ausnahmsweise nach den Rechtsgedanken der §§ 242, 162 BGB nicht auf das Versäumnis einer die Rechtsverfolgung hindernden oder die Anspruchsberechtigung vernichtenden Ausschlussfrist berufen darf (BVerwG, U.v. 18.4.1997 – BVerwG 8 C 38.95 – NJW 1997, 2966, m.w.N.), wurden weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich.
5. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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