Steuerrecht

Zum Ablauf der Festsetzungsfrist von IHK-Beiträgen

Aktenzeichen  22 B 16.2014

Datum:
12.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2019, 3854
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 169, § 170, § 171
IHKG § 3 Abs. 8

 

Leitsatz

1 Zwar rechtfertigt eine Nacherklärung steuerlich erheblicher Sachverhalte nicht notwendig den Schluss, dass die zunächst unterbliebene Offenlegung des diesbezüglichen Sachverhalts als Steuerhinterziehung im Sinne von § 169 Abs. 2 S. 2 AO zu werten ist. Es spricht aber dann alles dafür, dass einer Nachmeldung erzielter Einnahmen aus Gewerbebetrieb ein Akt der Steuerhinterziehung vorausging, wenn sich ein Steuerpflichtiger durch seine anwaltlichen Bevollmächtigten selbst einer solchen Handlungsweise bezichtigt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Festsetzung von IHK-Beiträgen ist § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO nicht anwendbar, weil eine Rechtsnorm, die den Beitragspflichtigen verpflichtet, unaufgefordert eine beitragsbezogene Erklärung, Anmeldung oder Anzeige im Sinne dieser Vorschrift abzugeben, nicht ersichtlich ist. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 K 14.1257 2015-09-24 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. September 2015 wird in der Nummer 1 abgeändert.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2014 wird insoweit aufgehoben, als darin
– für das Jahr 2002 ein höherer Beitrag als 4,48 €,
– für das Jahr 2003 ein höherer Beitrag als 3,52 €,
– für das Jahr 2004 ein höherer Beitrag als 1,92 €,
– für das Jahr 2005 ein höherer Beitrag als 3,52 €,
– für das Jahr 2006 ein höherer Beitrag als 1,92 €
festgesetzt wurde.
III. Im Übrigen werden die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen.
IV. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
V. Der Kostenausspruch ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckungsbeginn Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung, über die mit Zustimmung beider Beteiligter gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist nur insofern begründet, als die Beklagte vom Kläger Beiträge in Höhe von 0,32% der Differenz zwischen den in den Bescheiden vom 30. Dezember 2013 festgestellten, auf volle 100 € abgerundeten Gewerbeerträgen und den in gleicher Weise abgerundeten Gewerbeerträgen verlangt, die in den diesen Bescheiden jeweils vorangegangenen Gewerbesteuermessbescheiden festgestellt wurden.
1. Für die Jahre von 2002 bis 2006 stellt sich die beitragsrechtliche Lage wie folgt dar:
1.1 Da der Kläger während dieser Zeitspanne unstrittig die sich aus § 2 Abs. 1 IHKG ergebenden Voraussetzungen für die Kammerzugehörigkeit erfüllte, entstand der für das jeweilige Kalenderjahr geschuldete Beitrag gemäß § 3 Abs. 1 BeitrO am 1. Januar eines jeden dieser Jahre.
1.2 Die Länge der Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf die Heranziehung zu einem Kammerbeitrag gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 3 Abs. 8 IHKG und § 20 BeitrO nicht mehr zulässig ist, belief sich vorliegend teils gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auf vier, teils nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre.
Von der Maßgeblichkeit auch der Zehnjahresfrist muss hier deshalb ausgegangen werden, weil der Kläger auf Seite 3 des Schriftsatzes seiner Bevollmächtigten vom 16. September 2015 das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm hinsichtlich der von ihm nacherklärten Einnahmen aus gewerblicher Tätigkeit selbst eingeräumt hat und keine Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorbringens bestehen. Bereits im Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 19. November 2014 hatte er angegeben, er habe für die Jahre von 2002 bis 2007 Gewinne nachgemeldet, weswegen der Gewerbesteuermessbetrag für jedes dieser Jahre im Umfang der nachgemeldeten Gewinne erhöht worden sei. Zwar rechtfertigt eine Nacherklärung steuerlich erheblicher Sachverhalte nicht notwendig den Schluss, dass die zunächst unterbliebene Offenlegung des diesbezüglichen Sachverhalts als Steuerhinterziehung zu werten ist. Da die Tathandlung einer Steuerhinterziehung – abgesehen von der praktisch wenig bedeutsamen, in § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO geregelten Fallgestaltung – gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in der Vornahme unrichtiger oder unvollständiger Angaben oder gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO im Unterlassen rechtlich gebotener Erklärungen besteht, spricht jedenfalls dann alles dafür, dass einer Nachmeldung erzielter Einnahmen aus Gewerbebetrieb ein Akt der Steuerhinterziehung vorausging, wenn sich ein Steuerpflichtiger durch seine anwaltlichen Bevollmächtigten selbst einer solchen Handlungsweise bezichtigt. Da die Bevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 16. September 2015 eingeräumt haben, dass für die erst aufgrund der Nacherklärung ihres Mandanten bescheidsmäßig festgestellten Gewerbeerträge die zehnjährige Festsetzungsfrist gelte, so haben sie damit der Sache nach zugleich das bloße Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung verneint, da eine solche Verhaltensweise gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO eine fünfjährige Festsetzungsfrist nach sich zieht.
Zu Recht haben sie zudem darauf verwiesen, dass die Zehnjahresfrist nur hinsichtlich des hinterzogenen Teils der geschuldeten Abgaben eingreift, so dass die reguläre und die verlängerte Festsetzungsfrist in derartigen Fällen nebeneinander laufen (Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 169 AO Rn. 66; Rüsken in Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 169 Rn. 25). Ein zehnjähriger Zeitraum stand der Beklagten für den Erlass von Beitragsbescheiden deshalb nur hinsichtlich desjenigen Betrags zur Verfügung, um den die Beitragsschuld des Klägers als Folge des erhöhten Gewerbeertrags gegenüber der Situation zunahm, die ohne die Nacherklärung bestanden hätte.
Rechtliche Auswirkungen zeitigte die Nacherklärung ferner nur hinsichtlich der Höhe der Umlage. Denn unmittelbar aus der in den Abschnitt 3 des Tatbestands dieses Urteils aufgenommenen Tabelle geht hervor, dass bereits die Gewerbeerträge, die in den vor der Nacherklärung erlassenen Gewerbesteuermessbescheiden festgestellt worden waren, die in den jeweiligen Abschnitten III.1.b der Haushaltssatzungen der Beklagten für die Jahre von 2002 bis 2006 festgesetzten Beträge überstiegen, jenseits derer Kammerzugehörige im Sinn der Abschnitte III.1 dieser Satzungen einen Grundbeitrag von 63,91 € bzw. 64 € zu entrichten hatten.
Hinsichtlich der Umlage stellen sich die Auswirkungen der Nacherklärung und der daraufhin am 30. Dezember 2013 erlassenen geänderten Gewerbesteuermessbescheide wie folgt dar:
Geschäftsjahr(e)
ursprünglicher Gewerbeertrag
0,32% aus dem um 15.340 € verringerten ursprünglichen Gewerbeertrag
erhöhter Gewerbeertrag nach dem einschlägigen Bescheid vom 30. Dezember 2013
0,32% aus dem um 15.340 € verringerten erhöhten Gewerbeertrag
Beitragsanhebung
2002
77.000
197,31
78.400
201,79
4,48
2003
76.700
196,35
77.800
199,87
3,52
2004
66.400
163,39
67.000
165,31
1,92
2005
73.000
184,51
74.100
188,03
3,52
2006
134.100
380,03
134.700
381,95
1,92
Summe der Jahre 2002 bis 2006
15,36
1.3 Sowohl die Vier- als auch die Zehnjahresfristen begannen gemäß § 170 Abs. 1 AO am Ende des Geschäftsjahrs, in dem der jeweilige Beitrag entstanden war, zu laufen.
Nicht anwendbar ist im vorliegenden Fall § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Unter einer „Steuererklärung“ ist eine formalisierte, innerhalb einer bestimmten Frist abzugebende Auskunft des Steuerpflichtigen oder seines Vertreters zu verstehen, die dem Finanzamt die Festsetzung der Steuer oder die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ermöglichen soll und die in der Regel zum Erlass eines Steuerbescheids führt (BFH, U.v. 2.7.1986 – I R 70/83 – juris Rn. 10; U.v. 14.1.1998 – X R 84/95 – juris Rn. 16). Der Bedeutungsgehalt des Begriffs der „Steueranmeldung“ ergibt sich unmittelbar aus der in § 150 Abs. 1 Satz 3 AO enthaltenen Legaldefinition. Eine „Anzeige“ im Sinn von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist die Mitteilungen des Steuerpflichtigen über steuerlich erhebliche Vorgänge (z.B. nach § 30 Abs. 1 ErbStG oder § 19 Abs. 1 GrEStG), die es der Behörde ermöglicht, eine Steuer festzusetzen (BFH, U.v. 18.5.2006 – III R 80/04 – juris Rn. 27). Ist § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nur kraft der in § 3 Abs. 8 IHKG und § 20 BeitrO enthaltenen Verweisungen anwendbar, muss diese Vorschrift so gelesen werden, dass an die Stelle des Wortes bzw. Wortbestandteils „Steuer“ der Begriff „Beitrag“ tritt. Eine Rechtsnorm, die den Kläger verpflichtete, in Bezug auf die hier inmitten stehenden Jahre unaufgefordert eine beitragsbezogene Erklärung, Anmeldung oder Anzeige im Sinn von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO abzugeben, ist nicht ersichtlich. § 3 Abs. 3 Satz 8 Halbs. 1 IHKG und § 15 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 BeitrO verpflichten die Kammerzugehörigen zwar, der Kammer „Auskunft“ über die für die Festsetzung der Beiträge erforderlichen Grundlagen zu geben. Auskünfte werden von der in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthaltenen Aufzählung jedoch nicht erfasst, da sie ein eigenständiges, in § 93 AO geregeltes Institut des Abgabenrechts darstellen (vgl. zur gebotenen Unterscheidung zwischen Steuererklärungen und Auskünften Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, Vor §§ 149 – 153 AO Rn. 5).
1.4 Bezogen auf die Jahre von 2002 bis 2006 ergeben sich hieraus grundsätzlich (d.h. noch unter Ausklammerung der aus einer ggf. eingetretenen Ablaufhemmung resultierenden Rechtsfolgen) folgende Endzeitpunkte der für eine Festsetzung der IHK-Beiträge zur Verfügung stehenden Fristen:
Geschäftsjahr
Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist am 31. Dezember
Ablauf der zehnjährigen Festsetzungsfrist am 31. Dezember
2002
2006
2012
2003
2007
2013
2004
2008
2014
2005
2009
2015
2006
2010
2016
Unmittelbar hieraus folgt, dass dem Erlass des Bescheids vom 30. Juni 2014 der Gesichtspunkt der Festsetzungsverjährung unabhängig von einer etwaigen Ablaufhemmung insoweit nicht entgegenstand, als die darin geltend gemachten Beitragsforderungen, bezogen auf 2004, den Betrag von 1,92 €, bezogen auf 2005 den Betrag von 3,52 € und – bezogen auf 2006 – den Betrag von ebenfalls 1,92 € nicht übersteigen.
1.5 Die Ablaufhemmung, die die am 22. September 2003, am 30. November 2004 und am 7. September 2005 erlassenen Gewerbesteuermessbescheide gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO i.V.m. § 3 Abs. 8 IHKG und § 20 BeitrO bewirkten, entfaltete keine praktischen Auswirkungen, da die durch diese Grundlagenbescheide (vgl. zu dieser Gewerbesteuermessbescheiden mit Blickrichtung auf die Festsetzung von IHK-Beiträgen zukommenden Eigenschaft OVG NW, B.v. 8.8.2001 – 4 A 4074/00 – NVwZ-RR 2002, 574; VGH BW, B.v. 11.3.2008 – 6 S 2368/06 – GewArch 2008, 211; OVG SA, B.v. 18.8.2009 – 2 M 114/09 – NVwZ-RR 2010, 53) in Lauf gesetzten Zweijahresfristen nicht über das Ende der nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und § 169 Abs. 2 Satz 2 AO jeweils einschlägigen Zeiträume nicht hinausreichten.
1.6 Gleichfalls ohne praktische Konsequenzen blieb die weitere Ablaufhemmung, die sich daraus ergab, dass das Finanzamt durch Bescheid vom 26. Juli 2006 den Vorbehalt der Nachprüfung, der den Gewerbesteuermessbescheiden vom 22. September 2003, 30. November 2004 und 7. September 2005 beigefügt war, aufgehoben hat. Eine solche Maßnahme hat gemäß § 164 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 AO zur Folge, dass die Bemessungsgrundlagen als erstmalig (und endgültig) festgestellt anzusehen sind (BFH, B.v. 11.4.1995 – III B 74/92 – juris Rn. 4; U.v. 13.12.2000 – X R 42/96 – NVwZ 2002, 636/637; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 164 AO Rn. 31). Die Rechtswirkungen des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO wurden hierdurch deshalb in vollem Umfang neu ausgelöst. Innerhalb des sich an die Bekanntgabe des Bescheids vom 26. Juli 2006 an den Kläger anschließenden Zweijahreszeitraums (vgl. zur Maßgeblichkeit des Zugangs beim Adressaten des Grundlagenbescheids als des den Lauf der Frist nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO auslösenden Ereignisses Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 171 AO Rn. 219) hat die Beklagte jedoch keine Beitragsfestsetzung gegenüber dem Kläger vorgenommen.
Nichts anderes gilt für die Zweijahresfristen, die sich an die Bescheide vom 28. Februar 2008 anschlossen, durch die der Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich des für 2005 ursprünglich erlassenen Gewerbesteuermessbescheids aufgehoben bzw. der Gewerbesteuermessbetrag für 2006 ohne Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde.
1.7 Die am 30. Dezember 2013 erlassenen Gewerbesteuermessbescheide setzten die Zweijahresfrist nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO nur insofern erneut in Lauf, als die darin vorgenommene Anhebung der Gewerbesteuermessbeträge eine erhöhte Beitragsschuld des Klägers nach sich zog. „§ 171 Abs. 10 AO bewirkt, dass – unbeschadet des Ablaufs der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer im Übrigen – der Ablauf der Festsetzungsfrist insoweit gehemmt ist, als die Folgesteuer auf einem Grundlagenbescheid beruht oder beruhen kann“ (BFH, U.v. 12.8.1987 – II R 202/84 – juris Rn. 8; Hervorhebungen nicht im Original). Diese Begrenzung der Ablaufhemmung folgt aus der in § 171 Abs. 10 Satz 1 AO durch das Wort „soweit“ zum Ausdruck gelangenden Einschränkung (BFH, U.v. 12.8.1987 – II R 202/84 – juris Rn. 9). Soweit ein Grundlagenbescheid – bezogen auf seinen verbindlichen Inhalt – für einen Folgebescheid nur als Wiederholung früherer bescheidsmäßig getroffener Aussagen zu werten ist, bietet er für dessen Korrektur keine Rechtsgrundlage (BFH, U.v. 13.12.2000 – X R 42/96 – NVwZ 2002, 636/638). Dies gilt vor allem in den Fällen, in denen es – wie hier – um die konkrete Bestimmung der für die Auswertung eines Grundlagenbescheids in § 171 Abs. 10 AO festgelegten zeitlichen Höchstgrenze geht (BFH, U.v. 13.12.2000 – X R 42/96 – NVwZ 2002, 636/638).
Neue „Regelungen“ im Sinn von § 118 Satz 1 AO haben die Bescheide vom 30. Dezember 2013 insoweit getroffen, als die Gewerbeerträge des Klägers darin höher festgestellt wurden, als sie sich für die Jahre von 2002 bis 2004 zuletzt aus dem Bescheid vom 26. Juli 2006 sowie für 2005 und 2006 aus den Bescheiden vom 28. Februar 2008 ergaben. Was die bereits festgestellten Beträge anbetrifft, kommt den Bescheiden vom 30. Dezember 2013 demgegenüber lediglich wiederholender Charakter im Sinn der vorerwähnten Entscheidungen des Bundesfinanzhofes zu. Anders verhielte es sich nur, wenn das Finanzamt die Nacherklärungen des Klägers zum Anlass genommen hätte, die Richtigkeit auch der am 26. Juli 2006 bzw. am 28. Februar 2008 bereits bestandskräftig festgestellten Gewerbeerträge von Grund auf nachzuprüfen und hierüber erneut sachlich zu befinden (die Bescheide vom 30.12.2013 mithin hinsichtlich der schon bestandskräftig festgestellten Beträge als Zweitbescheide anzusehen wären, die dem Kläger unter Durchbrechung des in § 351 Abs. 1 AO zum Ausdruck kommenden Grundsatzes die Möglichkeit der vollumfänglichen Anfechtung dieser Grundlagenbescheide eröffnet hätten). Das kann zum einen deshalb ausgeschlossen werden, weil das Finanzamt eingangs der mit „Erläuterungen“ überschriebenen Abschnitte dieser Bescheide jeweils ausgeführt hat, die Bescheide vom 26. Juli 2006 bzw. vom 28. Februar 2008 würden hierdurch „geändert“ (nicht aber „ersetzt“). Zum anderen hat das Finanzamt die Bescheide vom 30. Dezember 2013 auf die Befugnisnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt. Diese Bestimmung aber gestattet, wie bereits aus dem einleitenden Wort „soweit“ folgt, nur die punktuelle Durchbrechung der Bestandskraft von Steuerbescheiden und ihnen gleichgestellten Verwaltungsakten dergestalt, dass eine Korrektur lediglich insoweit stattfinden darf, als der jeweilige Korrekturgrund (hier: die neu bekannt gewordenen Tatsachen) reicht; eine Gesamtaufrollung des Steuerfalles erlaubt § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht (von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 173 AO Rn. 11).
„Regelnde“ Wirkung im Sinn von § 118 Satz 1 AO haben die Änderungsbescheide vom 30. Dezember 2013 ferner insoweit entfaltet, als darin gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 AO der vorläufige Charakter der ihnen jeweils vorangegangenen Bescheide aufgehoben wurde. Da § 165 AO keine der Vorschrift des § 164 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 AO vergleichbare Bestimmung enthält, hat der am 30. Dezember 2013 verfügte Wegfall der Vorläufigkeitsvermerke – anders als das bei einer Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung der Fall ist (vgl. BFH, B.v. 11.4.1995 – III B 74/92 – juris Rn. 4; U.v. 13.12.2000 – X R 42/96 – NVwZ 2002, 636/637; Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 164 AO Rn. 31) – nicht zur Folge, dass damit von einer erstmaligen Regelung des Steuerfalls auszugehen ist, die es der für den Erlass eines Folgebescheids zuständigen Behörde ermöglichen würde, innerhalb der Frist des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO ebenfalls eine „Vollregelung“ zu treffen.
Hemmten die Bescheide vom 30. Dezember 2013 den Ablauf der Festsetzungsfristen für die auf die Jahre von 2002 bis 2006 entfallenden Kammerbeiträge nach alledem nur hinsichtlich jener Teilbeträge, um die der Beitragsanspruch der Beklagten als Folge der angehobenen Gewerbeerträge anstieg, so folgt hieraus, dass der Bescheid vom 30. Juni 2014 auch insoweit rechtens ist, als darin gegenüber dem Kläger für das Jahr 2002 ein Beitrag in Höhe von 4,48 € und für das Jahr 2003 ein Beitrag in Höhe von 3,52 € festgesetzt wurden (vgl. wegen der Rechtslage hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2005 die Ausführungen im vorstehenden Abschnitt 1.4).
Für die insoweit eingetretene Ablaufhemmung kommt es nicht darauf an, ob die am 30. Dezember 2013 vorgenommenen Änderungen der Gewerbesteuermessbescheide vom 26. Juli 2006 und vom 28. Februar 2008 ihrerseits rechtens waren, da auch rechtswidrige Grundlagenbescheide, solange sie nicht nichtig sind, die sich aus § 171 Abs. 10 Satz 1 AO ergebende Rechtfolge nach sich ziehen (Banniza in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 171 AO Rn. 197).
1.8 Die Gesichtspunkte, auf die sich die Beklagte zur Begründung ihrer abweichenden Auffassung gestützt hat, rechtfertigen kein ihr günstigeres Ergebnis.
1.8.1 Grundsätzlich zu Recht weist sie zwar darauf hin, dass § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO von den in § 3 Abs. 8 IHKG und § 20 BeitrO ausgesprochenen Verweisungen nicht erfasst wird; die Entscheidungserheblichkeit dieses Vorbringens erschließt sich indes nicht.
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verpflichtet die öffentliche Verwaltung zum Erlass, zur Aufhebung oder zur Änderung von Steuerbescheiden, „soweit“ ein Bindungswirkung entfaltender Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird. § 15 Abs. 4 Satz 1 BeitrO enthält eine damit teilweise übereinstimmende, ihrem Wortlaut nach allerdings auf die Fälle beschränkte Regelung, dass zum einen hinsichtlich der Bemessungsgrundlage nur ein Änderungsbescheid ergeht und dass die Beklagte zum anderen bereits einen Beitragsbescheid erlassen hat. Der vorliegende Rechtsstreit erfordert keine Entscheidung der Frage, ob hinsichtlich der von § 15 Abs. 4 Satz 1 BeitrO nicht erfassten Konstellationen eine Regelungslücke vorliegt, die durch Rückgriff auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu schließen ist. Sollte diese Frage zu bejahen sein, so würde die analoge Heranziehung dieser Bestimmung nichts daran ändern, dass die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Anpassung von Folgean Grundlagenbescheide nur in dem Umfang besteht, in dem der Grundlagenbescheid Bindungswirkung entfaltet. Dies aber ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nur der Fall, „soweit“ die in einem Änderungsbescheid vorgenommene Neufestsetzung bzw. Neufeststellung reicht. Das limitierende Tatbestandsmerkmal „soweit“ findet sich darüber hinaus auch in § 182 Abs. 1 Satz 1 AO; diese (auf Messbescheide gemäß § 184 Abs. 1 Satz 4 AO anzuwendende) Vorschrift regelt ihrerseits die Reichweite der in § 171 Abs. 10 Satz 1 AO vorausgesetzten Bindungswirkung. Werden Grundlagenbescheide – wie am 30. Dezember 2013 geschehen – lediglich geändert, so zielt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO deshalb allein darauf ab, die im geänderten Grundlagenbescheid getroffenen Regelungen in dem darin vorgegebenen Umfang im Folgebescheid zu verwirklichen (VGH BW, B.v. 11.3.2008 – 6 S 2368/06 – GewArch 2008, 211/212; Rüsken in Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 175 Rn. 25; von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 175 AO Rn. 185); ein „Gesamtaufrollen“ des Steuer- (bzw. hier: des Beitrags-)Falles wird hierdurch nicht ermöglicht (Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand Oktober 2018, § 175 Rn. 11).
Nicht anders würde sich die Rechtslage darstellen, sollte davon auszugehen sein, dass im Beitragsrecht der Beklagten zum Zweck der Lückenschließung nicht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zurückgegriffen werden darf. Nimmt eine Industrie- und Handelskammer nämlich die Änderung von Grundlagenbescheiden hinsichtlich der darin festgestellten Gewerbeerträge zum Anlass, um einen Gewerbetreibenden erstmals zum Kammerbeitrag heranzuziehen, obwohl hinsichtlich des Beitragsanspruchs, soweit er nicht auf den angehobenen Gewerbeerträgen beruht, bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist, so steht einem solchen Vorgehen jedenfalls das sich aus § 169 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 3 Abs. 8 IHKG und § 20 BeitrO ergebende Verbot einer Beitragsfestsetzung nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen.
1.8.2 Im Urteil vom 17. Februar 1993 (II R 15/91 – juris) hat der Bundesfinanzhof die vorliegend einschlägigen Vorschriften über die Festsetzungsverjährung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in einer Weise ausgelegt, die in Widerspruch zu dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vertretenen Verständnis dieser Bestimmungen steht. Mit den in jeder Hinsicht unproblematischen verjährungsrechtlichen Aspekten des seinerzeit zu beurteilenden Falles hat sich der Bundesfinanzhof nur kurz in Abschnitt II.3 der Entscheidungsgründe des Urteils vom 17. Februar 1993 (II R 15/91 – juris Rn. 18) befasst und im Wege schlichter Rechtsanwendung festgehalten, dass die vierjährige Festsetzungsfrist für die in jener Streitsache verfahrensgegenständliche Vermögenssteuer nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO damaliger Fassung mit Ablauf des Jahres 1978 begonnen habe, ihr mithin grundsätzlich am 31. Dezember 1982 zu erwartendes Ende jedoch gemäß § 171 Abs. 10 AO damaliger Fassung bis zum Ablauf eines Jahres nach der Bekanntgabe des am 12. Juni 1985 erlassenen geänderten Grundlagenbescheids gehemmt sei. Mit der sich daran anschließenden Feststellung, dass der seinerzeit verfahrensgegenständliche geänderte Vermögensteuerbescheid vom 9. Juni 1986 deshalb noch innerhalb der Einjahresfrist des § 171 Abs. 10 AO damaliger Fassung ergangen sei, konnte der Bundesfinanzhof seine Ausführungen zum Thema „Festsetzungsverjährung“ beenden.
Der juristische Gehalt des Urteils vom 17. Februar 1993 (II R 15/91 – juris) liegt vielmehr in den Ausführungen in Abschnitt II.2 der Entscheidungsgründe. Sie befassen sich mit der Frage, ob es dem Recht und der Pflicht der Steuerverwaltung, einen Folgebescheid dann nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO damaliger Fassung zu ändern, entgegensteht, wenn der hierfür zuständigen Behörde bereits vor dem geänderten Grundlagenbescheid, der zum Anlass für die vom Betroffenen bekämpfte Änderung des Folgebescheids genommen wurde, eine Mitteilung darüber zugegangen ist, dass eine für den Folgebescheid maßgebliche Bemessungsgrundlage mit einem höheren Betrag angesetzt werden muss, als das im ursprünglichen Grundlagenbescheid festgestellt worden war, die für die Anpassung des Folgebescheids zuständige Behörde aus dieser Mitteilung jedoch keine Konsequenzen gezogen hat. Der vom Revisionskläger des Verfahrens II R 15/91 der Sache nach aufgestellten Behauptung, die öffentliche Verwaltung „verwirke“ gleichsam ihre Befugnis, einen Folgebescheid an bindende Feststellungen in einem Grundlagenbescheid anzupassen, wenn sie eine frühere Information über Veränderungen, die sich hinsichtlich einer für den Folgebescheid bedeutsamen Bemessungsgrundlage ergeben haben, unbeachtet lasse, trat der Bundesfinanzhof in Abschnitt II.2 der Entscheidungsgründe des Urteils vom 17. Februar 1993 (II R 15/91 – juris Rn. 14 – 17) unter Bekräftigung seiner bisherigen Rechtsprechung entgegen. Eine vergleichbare Problematik stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht, da die Beklagte unwiderlegbar geltend gemacht hat, sie habe nicht etwa ihr zugeleitete Grundlagenbescheide übersehen, sondern solche Bescheide zunächst überhaupt nicht erhalten.
1.8.3 Auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 16. Juli 2003 (X R 37/99 – NVwZ-RR 2004, 529) kann die Beklagte nichts zu ihren Gunsten herleiten.
Dieser Entscheidung zufolge ist die öffentliche Verwaltung selbst dann noch befugt, einen Folgebescheid, gestützt auf § 129 AO, an die verbindlichen Vorgaben eines Grundlagenbescheids anzupassen, wenn die für den Erlass des Folgebescheids zuständige Behörde einen Grundlagenbescheid übersehen hat und die Auswertungsfrist nach § 171 Abs. 10 AO bereits verstrichen ist. Zur Begründung hat der Bundesfinanzhof u. a. festgehalten, das Übersehen eines Grundlagenbescheids stelle ein „mechanisches Versehen“ und damit eine offenbare Unrichtigkeit im Sinn von § 129 AO dar (BFH, U.v. 16.7.2003 – X R 37/99 – NVwZ-RR 2004, 529/530).
Dieser rechtliche Ansatz ist auf die vorliegend inmitten stehende Fallgestaltung aus doppeltem Grund nicht übertragbar:
1.8.3.1 Die Annahme eines „mechanischen Versehens“ – und damit ein Rückgriff auf § 129 AO – ist stets dann ausgeschlossen, wenn eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche Sachverhaltsermittlung unterblieben ist (vgl. z.B. BFH, U.v. 27.5.2009 – X R 47/08 – NVwZ 2010, 207/208 mit umfangreichen Nachweisen aus der älteren Rechtsprechung des gleichen Gerichts; Wernsmann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 129 AO Rn. 61 ebenfalls mit umfangreichen Nachweisen aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung); um den Anwendungsraum des § 129 AO als eröffnet ansehen zu können, muss jede Möglichkeit einer unvollständigen Sachaufklärung ausgeschlossen sein (BFH, U.v. 16.7.2003 – X R 37/99 – NVwZ-RR 2004, 529/530; vgl. zum Ausschluss einer Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO bei einem Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht ferner Ratschow in Klein, AO, 14. Aufl. 2018, § 129 Rn. 9 und Rn. 17).
Gegen die Pflicht, von Amts wegen zu ermitteln, ob der Kläger auch vor dem Jahr 2007 in ihrem Kammerbezirk eine Betriebsstätte im Sinn von § 2 Abs. 1 IHKG unterhalten hat und er bereits seinerzeit zur Gewerbesteuer veranlagt wurde, so dass er u. U. auch während jener Jahre Kammerbeiträge schuldete, hat die Beklagte verstoßen. Denn aus dem an sie gerichteten Schreiben des Finanzamtes vom 15. Juni 2011 ging hervor, dass der Kläger das Gewerbe „Verpachtung von Grundstücken und Betriebsvermögen“ bereits vor dem Jahr 1992 aufgenommen habe. Allein schon angesichts dieser Information durfte die Beklagte nicht von weiteren Erkundigungen darüber absehen, ob in Bezug auf den Kläger während der für eine Heranziehung zu Kammerbeiträgen ggf. noch in Betracht kommenden Zeitspanne ihm gegenüber Gewerbesteuermessbescheide ergangen waren, ohne sich dem Vorwurf einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (Art. 24 Abs. 1 und 2 BayVwVfG) auszusetzen. Gesteigerte Veranlassung zu einer diesbezüglichen Nachfrage beim Finanzamt oder beim Kläger selbst bestand im Hinblick darauf, dass im Schreiben vom 15. Juni 2011 von einer bis zum Ende des Jahres 2007 innerhalb der Steuerverwaltung bestehenden Vorkehrung für einen Datentransfer an die Beklagte die Rede war (Merker „Austausch mit der Industrie- und Handelskammer“); wenn der Beklagten keine Gewerbesteuermessbescheide für jene Jahre zugegangen waren, musste sich ihr angesichts dieser Erklärung der Verdacht geradezu aufdrängen, dass es insofern zu einem Fehler im Bereich des Datenübermittlung gekommen sein könnte. Die Annahme, die unterbliebene Übermittlung von Gewerbesteuermessbescheiden erkläre sich daraus, dass der Kläger in den Jahren vor 2007 nicht zur Gewerbesteuer veranlagt worden sei, lag angesichts der Höhe des Gewerbeertrags, den die Beklagte aus dem ihr im Juli 2011 zugegangenen ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheid für 2007 ersehen konnte, derart fern, dass eine solche Unterstellung den Verzicht auf Erkundigungen nicht zu rechtfertigen vermochte.
1.8.3.2 Nur hilfsweise ist vor diesem Hintergrund festzuhalten, dass sich ein Fall offensichtlicher Unrichtigkeit im Sinn von § 129 AO auch dann nicht bejahen ließe, wenn der Beklagten kein Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung des für die Beitragserhebung relevanten Sachverhalts zur Last fallen sollte. Denn ein Rückgriff auf diese Vorschrift scheidet selbst bei fehlender Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes immer dann aus, wenn die für die Festsetzung einer Abgabe zuständige Behörde von den hierfür nötigen Informationen keine Kenntnis erlangt hat (so zu Recht Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand Dezember 2018, § 129 AO Rn. 67).
Dieser Auffassung ist namentlich aus verfassungsrechtlichen Gründen zu folgen. Zwar kann angesichts der Tatsache, dass § 3 Abs. 8 IHKG und § 20 BeitrO u. a. auf § 171 Abs. 2 und 3 AO verweisen und diese beiden Bestimmungen an das Institut der offensichtlichen Unrichtigkeit von Steuer- (bzw. Beitrags-)bescheiden anknüpfen, davon ausgegangen werden, dass § 129 AO grundsätzlich auch im Beitragsrecht der Beklagten anwendbar ist. Sowohl § 171 Abs. 2 und 3 AO als auch § 129 AO selbst setzen jedoch voraus, dass bereits ein Bescheid erlassen wurde, dem eine offenbare Unrichtigkeit anhaftet. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall, in dem der Erlass von Beitragsbescheiden für die Jahre 2002 bis 2006 unterblieben ist und die für diese Jahre ergangenen Gewerbesteuermessbescheide nicht „offensichtlich“ unrichtig im Sinn von § 129 Satz 1 AO waren, nicht erfüllt. Um diese Bestimmung gleichwohl als anwendbar anzusehen, bedürfte es mithin einer über ihren Wortlaut hinausgehenden Ausdehnung ihres Anwendungsbereichs. Da dies jedoch auf eine Korrektur der Entscheidung des Gesetzgebers hinausliefe, der den abgaberechtlichen Festsetzungsfristen und dem in § 169 Abs. 1 Satz 1 AO statuierten Verbot zugrunde liegt, wäre eine solche Extension mit rechtsstaatlichen Erfordernissen (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Bayern) nicht vereinbar.
Das Rechtsstaatsprinzip schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143 Rn. 41; B.v. 21.7.2016 – 1 BvR 3092/15 – NVwZ-RR 2016, 889 Rn. 6). Es gewährleistet unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen (BVerfG, B.v. 5.3.2013 a.a.O. Rn. 41; B.v. 21.7.2016 a.a.O. Rn. 6). Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten (BVerfG, B.v. 5.3.2013 a.a.O. Rn. 42: vgl. zur Rechtsnatur von IHK-Beiträgen als „Vorzugslast“, die dem Ausgleich möglicher Vorteile dient, die die Kammerzugehörigen aus der Tätigkeit dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaften ziehen können, Junge/Hinz/Möllering, IHKG, 6. Aufl. 1999, § 3 Rn. 44 f.). Hierbei obliegt es dem Gesetzgeber, einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits zu schaffen, irgendwann Klarheit darüber zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann (BVerfG, B.v. 5.3.2013 a.a.O. Rn. 42). Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen (BVerfG, B.v. 5.3.2013 a.a.O. Rn. 43; B.v. 21.7.2016 a.a.O. Rn. 7). Je länger der Zeitpunkt zurückliegt, in dem einem potenziell Beitragspflichtigen die Existenz bzw. die Tätigkeit einer öffentlichen Einrichtung als möglicher Vorteil zugutegekommen ist, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung derartiger öffentlicher Abgaben (BVerfG, B.v. 5.3.2013 a.a.O. Rn. 45). Der Einzelne darf gegenüber der öffentlichen Gewalt die Erwartung hegen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn ein Hoheitsträger seine diesbezügliche Befugnis über einen längeren Zeitraum hinweg nicht wahrgenommen hat (BVerfG, B.v. 21.7.2016 a.a.O. Rn. 7).
Im Licht dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben verbietet sich eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 129 Satz 1 AO auf die Fallgestaltung, dass der Erlass eines Beitragsbescheids vor dem Eintritt der Festsetzungsverjährung deshalb unterblieben ist, weil die hierfür zuständige Behörde von der Existenz eines Beitragspflichtigen wegen eines Fehlers im Datenaustausch zwischen verschiedenen Trägern öffentlicher Gewalt keine Kenntnis erlangt hat. Gerade in einer solchen Fallgestaltung fehlt es an einer ausreichenden sachlichen Rechtfertigung dafür, die Erwartung des Betroffenen, er werde nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zu einem Kammerbeitrag herangezogen werden, hinter den Grundsatz der vollständigen Realisierung öffentlich-rechtlicher Abgaben zurücktreten zu lassen. Anders kann es sich demgegenüber verhalten, wenn – aber auch nur soweit – er durch die Nacherklärung von Gewerbeerträgen selbst die ausschlaggebende Ursache dafür gesetzt hat, dass er in dem darauf zurückzuführenden Umfang noch zu Beiträgen herangezogen wird.
1.8.4 Zu Unrecht beruft sich die Beklagte schließlich auf die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2017 (OVG 1 B 38.14 – juris) und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. April 2014 (4 K 505.13 – juris).
1.8.4.1 Dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ist darin zu folgen, dass die in jenem Rechtstreit beklagte Industrie- und Handelskammer zu Berlin den im geänderten Gewerbesteuermessbescheid vom 29. Februar 2008 festgestellten Gewerbeertrag der dortigen Klägerin ihrer Beitragsfestsetzung nicht nur in voller Höhe zugrunde legen durfte, sondern dass sie wegen der bindenden Wirkung dieses Grundlagenbescheids hierzu auch verpflichtet war (OVG Berlin-Bbg, U.v. 13.1.2017 – 1 B 38.14 – juris Rn. 23). Denn das Finanzamt hatte in dem geänderten Gewerbesteuermessbescheid vom 29. Februar 2008 den Vorbehalt der Nachprüfung, mit dem der ursprüngliche Gewerbesteuermessbescheid vom 24. Juni 2004 versehen worden war, aufgehoben. Dies hatte gemäß § 164 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 AO zur Folge, dass die Bemessungsgrundlagen als durch den Bescheid vom 29. Februar 2008 erstmalig festgestellt anzusehen waren (vgl. Abschnitt 1.6 der Entscheidungsgründe dieses Urteils). Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 184 Abs. 1 Satz 4 AO kam jenem Grundlagenbescheid deshalb nicht nur hinsichtlich der Differenz zwischen dem im Gewerbesteuermessbescheid vom 24. Juni 2004 festgestellten Gewerbeertrag von 1.791.500 € und dem am 29. Februar 2008 festgestellten Gewerbeertrag in Höhe von 2.015.200 € zu; vielmehr war von einer erstmaligen Feststellung des letztgenannten Betrages auszugehen. Der Ablauf der Festsetzungsfrist wurde in jenem Fall deshalb nicht nur im Umfang des Unterschiedsbetrags zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Gewerbeertrag, sondern in voller Höhe gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO gehemmt. Die Industrie- und Handelskammer zu Berlin hat die ihr bis dahin nicht bekannte Klägerin innerhalb der durch die letztgenannte Vorschrift eröffneten Zweijahresfrist deshalb zutreffend in voller Höhe zum Kammerbeitrag für 2002 herangezogen.
Da demgegenüber die vorliegend geänderten Gewerbesteuermessbescheide vom 30. Dezember 2013 keinen Ausspruch nach § 164 Abs. 3 AO enthalten und die darin gemäß § 165 Abs. 2 Satz 2 AO jeweils erfolgte Aufhebung von Vorläufigkeitsvermerken dem nicht gleichsteht, ist der vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 13. Januar 2017 (OVG 1 B 38.14 – juris) entschiedene Rechtsfall mit der hier inmitten stehenden Streitsache in maßgeblicher Hinsicht nicht vergleichbar.
1.8.4.2 Dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. April 2014 (4 K 505.13 – juris) lag die Sachverhaltsgestaltung zugrunde, dass gegenüber dem dortigen Kläger für das seinerzeit streitgegenständliche Jahr 2007 am 28. Oktober 2009 ein Grundlagenbescheid erlassen worden war, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand (VG Berlin, U.v. 17.4.2014 – 4 K 505.13 – juris Rn. 2) und der eine Beitragsschuld des Klägers in Höhe von 261,62 € nach sich zog (VG Berlin a.a.O. Rn. 3). Ein über diesen Betrag lautender Beitragsbescheid vom 19. Dezember 2011 erlangte wegen seines nicht nachweisbaren Zugangs an den Kläger keine Wirksamkeit. Nachdem der Grundlagenbescheid vom 28. Oktober 2009 am 10. September 2012 geändert worden war, zog die Industrie- und Handelskammer zu Berlin den Kläger durch Bescheid vom 26. November 2012 – d.h. nach Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, aber innerhalb der durch den Änderungsbescheid vom 10. September 2012 in Gang gesetzten Auswertungsfrist des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO – zu einem Kammerbeitrag nicht nur in der Höhe heran, der sich aus der Anwendung des einschlägigen Hebesatzes auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem am 28. Oktober 2009 und dem am 10. September 2012 festgestellten Gewerbeertrag ergeben hätte; vielmehr veranlagte die dortige Beklagte den Kläger auf der Grundlage des sich aus dem letztgenannten Bescheid ergebenden Gewerbeertrags.
Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht Berlin dann zu Recht abgewiesen, falls – wozu sich das Urteil vom 17. April 2014 (4 K 505.13 – juris) allerdings nicht verhält – der dem Grundlagenbescheid vom 28. Oktober 2009 beigefügte Vorbehalt der Nachprüfung am 10. September 2012 aufgehoben wurde. Sollte es sich anders verhalten haben, müsste diese Entscheidung als unzutreffend angesehen werden, ohne dass es auf die vom Verwaltungsgericht Berlin verneinte Frage der Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auf Beiträge zu den Industrie- und Handelskammern ankommt. Denn eine „Soweit“-Regelung (d.h. eine Begrenzung der Befugnis der für den Erlass eines Folgebescheids zuständigen Behörde zu seiner Anpassung an einen geänderten oder neu erlassenen Grundlagenbescheid) enthält nicht nur § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, sondern auch die von der Verweisungsnorm des § 3 Abs. 8 IHKG ausdrücklich erfasste Vorschrift des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO. Gleiches gilt für die Bestimmung des § 182 Abs. 1 Satz 1 AO, aus der sich in Verbindung mit § 184 Abs. 1 Satz 4 AO die Reichweite der Bindungswirkung eines Gewerbesteuermessbescheids ergibt.
2. Nichts zu erinnern ist gegen den im Bescheid vom 30. Juni 2014 vorgenommenen Ansatz einer zusätzlichen Beitragsforderung der Beklagten für das Jahr 2007 in Höhe von 1,92 €. Denn insofern handelt es sich um den innerhalb der Frist des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO rechnerisch korrekt festgesetzten Mehrbetrag, der sich aus der Anwendung des Hebesatzes von 0,32% auf die Differenz zwischen dem im geänderten Gewerbesteuermessbescheid für 2007 vom 30. Dezember 2013 festgestellten Gewerbeertrag von (abgerundet) 134.100 € und dem davor zuletzt festgestellten Gewerbeertrag in Höhe von 133.500 € ergibt.
3. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 30. Juni 2014 auch insoweit aufgehoben, als darin vom Kläger Beiträge in der Höhe verlangt wurden, in der nach dem Vorgesagten keine Verjährung eingetreten ist. Der insoweit in Frage stehende Betrag von 17,28 € setzt sich aus der in den Jahren von 2002 bis 2006 angefallenen Summe von 15,36 € (vgl. die Tabelle in Abschnitt 1.2 der Entscheidungsgründe dieses Urteils) und den für 2007 zu Recht nachgeforderten 1,92 € zusammen.
Zwar ermächtigte die im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (d.h. bei Erlass des Bescheids vom 30.6.2014) noch geltende, inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 15 Abs. 4 Satz 3 BeitrO die Beklagte, von einer Nachforderung von Beiträgen dann abzusehen, wenn die Kosten einer solchen Maßnahme in einem Missverhältnis zu dem offenen Betrag stehen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt kein Ermessensausfall darin, dass die Beklagte keine Erwägungen darüber angestellt hat, ob von dieser Bestimmung im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht werden soll.
Ein solcher Ermessensausfall wäre von vornherein zu verneinen, falls das in § 15 Abs. 4 Satz 3 BeitrO enthaltene Wort „kann“ so zu verstehen sein sollte, dass der Satzungsgeber damit lediglich die Befugnis der Beklagten zum Ausdruck bringen wollte, unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen von einer Beitragsnacherhebung abzusehen, ohne dass es zusätzlich darauf ankommen sollte, ob der jeweils handelnde Amtsträger – wie es dem Wesen einer Ermessensentscheidung entspräche – einen Verzicht auf den Erlass eines Beitragsbescheids auch als zweckmäßig ansieht. Für ein solches Verständnis des § 15 Abs. 4 Satz 3 BeitrO könnte sprechen, dass der Satzungsgeber mit dem Tatbestandsmerkmal des „Missverhältnisses zwischen nachzufordernder Beitragshöhe und Kosten der Beitragserhebung“ die aus solchem Anlass anzustellenden Zweckmäßigkeitserwägungen bereits selbst (abschließend) vorgenommen hat.
Eine Aufhebung des Bescheids vom 30. Juni 2014 in Höhe des Betrags von 17,28 € käme aber auch dann nicht in Betracht, wenn § 15 Abs. 4 Satz 3 BeitrO als Ermessensvorschrift anzusehen sein sollte. Da der angefochtene Bescheid allen erkennbaren Umständen nach ausschließlich auf EDVtechnischem Weg erstellt wurde, muss zwar davon ausgegangen werden, dass Ermessenserwägungen tatsächlich nicht angestellt wurden. Dieser Ermessensausfall bliebe jedoch deshalb ohne rechtliche Folgen, weil bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 4 Satz 3 BeitrO nicht vorlagen. Diese Vorschrift regelt – wie namentlich ihre Gegenüberstellung mit der für das Beitreibungsverfahren geltenden Vorschrift des § 18 Abs. 4 BeitrO zeigt – das Absehen von einer Beitragserhebung als solcher (d.h. das Unterbleiben des Erlasses eines Beitragsbescheids). Die Kosten, die mit dem reinen Erstellen eines einzelnen Beitragsbescheids einhergehen, der – wie hier der Fall – auf der Grundlage von elektronisch übermittelten Daten der staatlichen Steuerverwaltung durch eine behördeneigene Datenverarbeitungsanlage erstellt werden kann, sind jedoch nicht derart hoch, dass sie im „Missverhältnis“ zu einer Beitragshöhe von 17,28 € stehen.
Bei der Auslegung des § 15 Abs. 4 Satz 3 BeitrO muss berücksichtigt werden, dass diese Bestimmung eine Durchbrechung des Gebots der Gesetzmäßigkeit der Abgabenerhebung und der Gleichmäßigkeit der Heranziehung aller Beitragsschuldner zu den Kammerlasten darstellte; sie bedurfte deshalb einer restriktiven Handhabung. Ein „Missverhältnis“ im Sinn dieser Vorschrift dürfte vor diesem Hintergrund selbst dann nicht angenommen werden, falls der Aufwand, der mit der Erstellung des Bescheids vom 30. Juni 2014 einherging, maßvoll höher als 17,28 € gewesen sein sollte.
Ausschlaggebend gegen eine im Jahr 2014 bestehende Befugnis der Beklagten, bei Beitragsnachforderungen in Höhe von insgesamt 17,28 € dann vom Erlass eines dahingehenden Bescheids absehen zu dürfen, wenn diese Ansprüche – wie hier der Fall – in ein und demselben Dokument geltend gemacht werden können, spricht aber vor allem die normative Wertung, die sich § 18 Abs. 4 BeitrO entnehmen lässt. Obgleich die Beitreibung von Beiträgen unverhältnismäßig aufwändiger sein kann als der Erlass eines EDVtechnisch zu erstellenden Beitragsbescheids (die Bandbreite der im Beitreibungsverfahren ggf. anfallenden Maßnahmen reicht von der Versendung standardisierter Mahnschreiben über die Führung einer ggf. umfangreichen Korrespondenz mit dem Beitragsschuldner und die Entscheidung über Billigkeitsmaßnahmen wie Stundung, Niederschlagung und Erlass bis hin zur Einleitung und Durchführung von Vollstreckungshandlungen), bestimmt § 18 Abs. 4 BeitrO, dass die Beklagte von Beitreibungsmaßnahmen lediglich bei Beitragsforderungen absehen darf, die 5 € nicht übersteigen. Diese Entscheidung des Satzungsgebers würde unterlaufen, sähe man die Verwaltung der Beklagten als befugt an, bei Beitragsnachforderungen, die sich auf mehr als das Dreifache dieses Betrages belaufen, bereits von der erheblich weniger kostenaufwändigen bescheidsmäßigen Veranlagung des Schuldners abzusehen.
Nur ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass § 156 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AO in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung die Grenze, bis zu der die Steuerverwaltung vom Erlass von Festsetzungsbescheiden absehen durfte, bei 10 € zog; erst durch Art. 1 Nr. 28 des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18. Juli 2016 (BGBl I S. 1679) wurde dieser Betrag mit Wirkung ab dem 1. Januar 2017 auf 25 € angehoben.
4. Nicht geboten war es, die im Schriftsatz der damaligen Bevollmächtigten der Beklagten vom 21. Dezember 2015 der Sache nach enthaltene Anregung aufzugreifen, den Freistaat Bayern als den Rechtsträger des Finanzamtes A. zum Verfahren beizuladen. Da durch den Ausgang dieser Streitsache Rechtspositionen des Freistaates Bayern nicht unmittelbar begründet oder verändert werden, liegen die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung (§ 65 Abs. 2 VwGO) nicht vor. Eine Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO war in pflichtgemäßer Ausübung des dem Gericht insoweit zustehenden Ermessens nicht veranlasst, da weder schutzwürdige Interessen eines der Verfahrensbeteiligten noch des Freistaates Bayern eine derartige Maßnahme angezeigt erscheinen lassen. Die Beklagte hat ihre diesbezügliche Anregung damit begründet, ihr stünden für den Fall einer Niederlage im vorliegenden Rechtsstreit Schadenersatzansprüche gegen den Freistaat Bayern zu, da das Finanzamt A. für die Beitragserhebung erforderliche Daten entgegen § 31 Abs. 1 AO nicht rechtzeitig an sie übermittelt habe. Über das Bestehen eines solchen Anspruchs hat das mit einer diesbezüglichen Klage befasste Gericht eigenständig zu befinden. Mit dem Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils stünde zwar nach erfolgter Beiladung des Freistaates Bayern gemäß § 121 Nr. 1 VwGO auch ihm gegenüber fest, dass der Bescheid vom 30. Juni 2014 insoweit keinen Bestand haben konnte, als die Beklagte darin gegenüber dem Kläger Beiträge festgesetzt hat, die in ihrer Summe 17,28 € übersteigen. Um diese Rechtsfolge im Verhältnis zum Freistaat Bayern eintreten zu lassen, bedarf es indes keiner durch eine Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO zu bewirkenden Rechtskrafterstreckung gemäß § 121 Nr. 1 VwGO auf ihn. Sie ergibt sich nämlich bereits aus der Tatsache, dass eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung, durch die ein Verwaltungsakt (teilweise) aufgehoben wird, Gestaltungswirkung entfaltet: Der streitgegenständliche Hoheitsakt ist ab dem Eintritt der Rechtskraft eines kassatorischen Urteils im Umfang seiner Aufhebung nicht mehr existent. Diese Gestaltungswirkung einer derartigen Gerichtsentscheidung wirkt gegenüber jedermann (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 121 Rn. 16).
5. Da der Kläger nur in geringem Maß unterlegen ist, waren die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO zur Gänze der Beklagten aufzuerlegen. Da die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts damit in Einklang steht, konnte sie aufrechterhalten bleiben.
6. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
7. Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinn von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof unter anderen tatsächlichen Voraussetzungen entscheidet, als sie dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2017 (OVG 1 B 38.14 – juris) zugrunde lagen, greift insbesondere der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht ein, wie das dann der Fall sein kann, wenn Oberverwaltungsgerichte ein und dieselbe Rechtsfrage in verschiedenem Sinn beantworten.


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