Steuerrecht

Zur Bestimmung der Hauptwohnung durch die Meldebehörde

Aktenzeichen  M 13 K 16.4698

Datum:
21.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 141773
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BMG § 6 Abs. 1 S. 1, § 21 Abs. 1, 2, § 22 Abs. 3
BayVwVfG Art. 35 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Berichtigung des Melderegisters mittels Festsetzung der Hauptwohnung durch die Meldebehörde gegen den erklärten Willen des Betroffenen stellt aufgrund ihrer Regelungswirkung einen feststellenden Verwaltungsakt dar (Anschluss an BayVGH BeckRS 9998, 82005). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da die Behörde zur Bestimmung der Hauptwohnung eine auf Tatsachen gestützte Prognoseentscheidung für die Zukunft zu treffen hat (Anschluss an BayVGH BeckRS 2014, 45260), ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im gerichtlichen Verfahren derjenige der letzten Behördenentscheidung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Bestimmung der vorwiegend benutzten Wohnung sind die Aufenthaltszeiten an den Orten, in denen sich die Wohnungen befinden, rein quantitativ festzustellen und miteinander zu vergleichen, ohne sie – etwa unter Berücksichtigung familiärer oder sonstiger privater Belange – qualitativ zu gewichten (Anschluss an BVerwG BeckRS 2002, 22289 u.a.). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4 Das Bestimmungskriterium des Schwerpunkts der Lebensbeziehungen darf erst dann herangezogen werden, wenn sich durch einen Vergleich der Aufenthaltszeiten nicht hinreichend sicher feststellen lässt, welche Wohnung vorwiegend benutzt wird (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 54300). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alternative 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Die Berichtigung des Melderegisters mittels Festsetzung der Hauptwohnung durch die Meldebehörde gegen den erklärten Willen des Betroffenen stellt aufgrund ihrer Regelungswirkung einen feststellenden Verwaltungsakt i. S. d. Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar (BayVGH, U.v. 9.12.1988 – 5 B 87.04031 – juris). Mit seinem Klageantrag begehrt der Kläger die Aufhebung dieses Bescheides.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da sich der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. September 2016 als rechtmäßig erweist und den Kläger somit nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. a) Rechtsgrundlage für die Festsetzung der im Gebiet der Beklagten gelegenen Wohnung des Klägers als Hauptwohnung durch die Beklagte ist § 6 Abs. 1 Satz 1 Bundesmeldegesetz (BMG). Danach hat die Meldebehörde das Melderegister von Amts wegen zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn es unrichtig oder unvollständig ist.
Im vorliegenden Fall war das Melderegister unrichtig, da die im Gebiet der Beklagten gelegene Wohnung des Klägers als Nebenwohnung gemeldet war, obwohl sie im Jahr 2016 als Hauptwohnung zu qualifizieren ist. Mit der Festsetzung der Wohnung des Klägers im Gebiet der Beklagten als Hauptwohnung hat die Beklagte daher das Melderegister berichtigt.
Gemäß § 21 Abs. 1 BMG ist, wenn ein Einwohner mehrere Wohnungen im Inland hat, eine dieser Wohnungen seine Hauptwohnung. Nach § 21 Abs. 2 BMG ist Hauptwohnung die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners.
Zur Bestimmung der Hauptwohnung hat die Behörde eine auf Tatsachen gestützte Prognoseentscheidung für die Zukunft zu treffen (BayVGH, B.v. 9.12.2013 – 5 ZB 13.502 – juris). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im gerichtlichen Verfahren ist somit der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 45 ff.). Auf etwaige spätere Änderungen der Sachlage, insbesondere durch Vorbringen neuer Tatsachen oder durch Vorlage von Nachweisen im Laufe des gerichtlichen Verfahrens, kommt es daher grundsätzlich nicht an.
Die Rechtsprechung stellt für die Bestimmung der vorwiegend benutzten Wohnung darauf ab, wo sich der Einwohner am häufigsten aufhält. Hierfür sind die Aufenthaltszeiten an den Orten, in denen sich die Wohnungen befinden, rein quantitativ festzustellen und miteinander zu vergleichen (BVerwG, U.v. 30.9.2015 – 6 C 38/14 – juris), ohne die Aufenthaltszeiten qualitativ zu gewichten, etwa unter Berücksichtigung familiärer oder sonstiger privater Belange (BVerwG, U.v. 20.3.2002 – 6 C 12/01 – juris; VG Augsburg, U.v. 22.1.2013 – Au 1 K 12.1117 -juris). Dabei erfolgt die Berechnung vor dem Hintergrund der Erfordernisse der melderechtlichen Massenverwaltung taggenau, einzelne Tage können nicht nach ihrem stundenmäßigen Anteil teilweise dem einen und teilweise dem anderen Aufenthaltsort zugerechnet werden (VG Augsburg, U.v. 22.1.2013 – Au 1 K 12.1117- juris; BayVGH, B.v. 9.12.2013 – 5 ZB 13.502 – juris).
aa) Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers im behördlichen Verfahren durfte die Beklagte im Rahmen der von ihr zu treffenden Prognoseentscheidung zu Recht davon ausgehen, dass sich der Kläger an der überwiegenden Anzahl der Tage des Jahres 2016 im Gebiet der Beklagten aufhalten wird und seine Wohnung im Gebiet der Beklagten daher als Hauptwohnung zu qualifizieren ist.
Dabei hat die Beklagte zugunsten des Klägers berücksichtigt, dass sich dieser nach eigenen Angaben an 105 Wochenendtagen, 11 nicht auf ein Wochenende fallenden gesetzlichen Feiertagen, 30 Urlaubstagen und 24 Praktikumstagen in T. aufhält. Der Praktikumstag am 15. August 2016 ist, da dieser im Gebiet der Beklagten gesetzlicher Feiertag ist, im Rahmen der 11 Feiertage als Tag berücksichtigt, den der Kläger in T. verbringt. Danach ergibt sich, dass sich der Kläger an 196 Tagen im Gebiet der Beklagten aufhält (366 Tage abzüglich 105 Wochenendtage, 11 Feiertage, 30 Urlaubstage und 24 Praktikumstage).
Hingegen durfte die Beklagte die vom Kläger angegebenen 12 Krankheitstage unberücksichtigt lassen, da der Kläger für diese in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung trotz Aufforderung keinen Nachweis beigebracht hat. Zudem würde es im Ergebnis nicht zu einer anderen Bewertung führen, wenn diese Krankheitstage berücksichtigt würden. Auch in diesem Fall wäre der überwiegende Aufenthalt des Klägers mit 184 Tagen im Gebiet der Beklagten (366 Tage abzüglich 105 Wochenendtage, 11 Feiertage, 30 Urlaubstage, 24 Praktikumstage und 12 Krankheitstage).
bb) Da aufgrund der rein quantitativen Betrachtung der Aufenthaltszeiten zweifelsfrei feststellbar ist, welche der Wohnungen des Klägers die vorwiegend benutzte Wohnung ist, kommt es im vorliegenden Fall auf die Frage des Schwerpunkts der Lebensbeziehungen i. S. d. § 22 Abs. 3 BMG nicht an.
Gemäß § 22 Abs. 3 BMG ist in Zweifelsfällen die vorwiegend benutzte Wohnung dort, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt. Das Bestimmungskriterium des Schwerpunkts der Lebensbeziehungen darf jedoch erst dann herangezogen werden, wenn sich durch einen Vergleich der Aufenthaltszeiten nicht hinreichend sicher feststellen lässt, welche Wohnung vorwiegend benutzt wird (BVerwG, U.v. 30.9.2015 – 6 C 38/14 – juris). Weder mit der Systematik noch mit dem Normzweck des Gesetzes wäre es vereinbar, den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen als stillschweigendes Tatbestandsmerkmal hineinzulesen (BVerwG, U.v. 20.3.2002 – 6 C 12/01 – juris).
b) Die in Nummer 2 des Bescheides enthaltene Aufforderung zur unverzüglichen Vorlage des Personalausweises bzw. Reisepasses stellt eine gesetzeskonkretisierende Verfügung dar. Die Verpflichtung zur unverzüglichen Vorlage des Personalausweises bzw. Reisepasses zur Berichtigung der darauf gespeicherten Wohnungsdaten ergibt sich aus § 27 Abs. 1 Nr. 1 Personalausweisgesetz (PAuswG) bzw. § 15 Nr. 1 Paßgesetz (PaßG) und wird mit der in Nummer 2 des Bescheides enthaltenen Aufforderung im Hinblick auf den Kläger konkretisiert.
Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 PAuswG ist der Ausweisinhaber verpflichtet, der Personalausweisbehörde unverzüglich den Ausweis vorzulegen, wenn eine Eintragung unrichtig ist. Nach § 15 Nr. 1 PaßG ist der Inhaber eines Passes verpflichtet, der Behörde unverzüglich den Paß vorzulegen, wenn eine Eintragung unzutreffend ist. Sowohl Personalausweis als auch Reisepass enthalten gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 9 PAuswG bzw. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 PaßG Angaben zu der Anschrift bzw. dem Wohnort des Inhabers. Mit der Festsetzung der Hauptwohnung im Gebiet der Beklagten sind diese Angaben des Personalausweises bzw. Reisepasses des Klägers unrichtig geworden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.


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