Strafrecht

Freiheitsstrafe, Fahrerlaubnis, Angeklagte, Revision, Geschwindigkeit, Strafausspruch, Fahrzeug, Schuldspruch, Hauptverhandlung, Neuerteilung, Strafkammer, Verkehrskontrolle, Angeklagten, Zeichen, Kosten des Rechtsmittels, angefochtene Entscheidung

Aktenzeichen  4 Ks 220 Js 3532/18 (3)

Datum:
27.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51273
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 315 d Abs. 1 Nr. 3, 69, 69 a

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Angeklagte ist aufgrund des Urteils des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 08.01.2020 schuldig des verbotenen Kraftfahrzeugrennens.
2. Er wird daher verurteilt zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Hiervon gelten 2 Monate als vollstreckt.
3. Dem Angeklagten wird die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein wird eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wird angewiesen, dem Angeklagten nicht vor Ablauf einer Frist von 3 Monaten eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revisionsgebühren werden jeweils um 50% ermäßigt. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden zu 50% von der Staatskasse getragen.

Gründe

I.
Das Landgericht Kempten (Allgäu) – 1. Strafkammer – hat den Angeklagten mit Urteil vom 04.10.2018 wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Der Führerschein wurde eingezogen. Der Verwaltungsbehörde wurde untersagt, dem Angeklagten vor Ablauf einer Frist von 3 Jahren eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte am 04.10.2018 Revision ein.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 05.06.2019 das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 04.10.2018 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Mit Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) – 2. Strafkammer – vom 08.01.2020 wurde der Angeklagte wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Der Führerschein wurde eingezogen. Der Verwaltungsbehörde wurde untersagt, dem Angeklagten vor Ablauf einer Frist von 1 Jahr 3 Monaten eine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte am 15.01.2020 Revision ein.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 29.04.2021 das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 08.01.202020 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen im Strafausspruch und hinsichtlich der Entscheidung über die Dauer der Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wurde verworfen.
II.
1. Der am … 1988 in K. (Kasachstan) geborene Angeklagte ist im Alter von 5 Jahren zusammen mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen. Der Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger. Er hat einen jüngeren Bruder und zwei ältere Schwestern.
Der Angeklagte hat die Grundschule … in K. und die Teilhauptschule II in K. besucht und die Schule im Jahr 2007 mit dem erfolgreichen Hauptschulabschluss verlassen.
Eine danach angefangene Lehre zum Parkett- und Fußbodentechniker hat der Angeklagte im 3. Lehrjahr abgebrochen. Seit dem Jahr 2009 arbeitet er als Maschinenführer bei der Fa. Al. in W. in der Folienproduktion und erzielt ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.500,00 €. Der Arbeitsplatz wurde ihm trotz der Inhaftierung im vorliegenden Verfahren nicht gekündigt. Die Arbeit erfolgt im Schichtbetrieb, den Arbeitsplatz erreicht der Angeklagte dabei derzeit gemeinsam mit seinem Schwiegervater, der in der gleichen Schicht arbeitet.
Der Angeklagte lebt seit 2008 mit seiner jetzigen Ehefrau zusammen, welche er am … 2016 geheiratet hat. Aus der Ehe sind drei Kinder im Alter von 9, 5 und 1 Jahr hervorgegangen. Die Ehefrau des Angeklagten ist Zahnarzthelferin aber derzeit nicht erwerbstätig.
Aus dem Erwerb einer selbstgenutzten Immobilie hat der Angeklagte mit seiner Ehefrau Schulden in Höhe von 300.000 €, die er bei einem Zinssatz von 2,5% mit monatlich 1.100,- € tilgt.
2. Die Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 27.12.2019 weist für den Angeklagten eine Eintragung aus.
Am 05.06.2014 wurde der Angeklagte durch Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung für 3 Jahre ausgesetzt.
Der Verurteilung lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte hielt sich am 15.08.2013 mit dem anderweitig Verurteilten Diskothek F. im Bereich des Eingangs in K., B1. straße 35 auf.
Als er nach Schließung der Diskothek gegen 5.00 Uhr mit dem L. das Lokal verließ, bemerkten sie, dass die ihnen flüchtig bekannte eine von dieser ausgehende verbale Auseinandersetzung hatte. Sämtliche Beteiligte waren dabei ersichtlich alkoholisiert.
Sodann entschlossen sich die Angeklagten welche die Situation beobachteten – ermuntert durch die Provokationen der Zeugin – zu verprügeln, wobei ihnen bewusst war, und ihre Begleiterin, der Zeugin I nicht dass eine Hilfeleistung für die Zeugin notwendig war. Von Seiten Tätlichkeiten gegen die beiden Mädchen. Im bewussten und gewollten Zusammenwirken rannten die beiden Angeklagten auf die Gruppe um B. gab es keinerlei zu und fingen nach kurzer verbaler Pöbelei sofort an, auf diese einzuschlagen. Die Zeugen versuchten sich noch zu wehren, waren den Angeklagten jedoch unterlegen, so dass alle im Laufe der Auseinandersetzung zu Boden kamen. Auch zu Boden. Der Angeklagte weitere gezielte Faustschläge in stürzte nach einem Faustschlag des Angeklagten versetzte dem bereits am Boden liegenden Benjamin das Gesicht, bis sich dieser nicht mehr bewegte. Dann drehte sich der Angeklagte kurz um, bemerkte jedoch, dass Benjamin Gleinser versuchte, sich wieder aufzurichten, worauf er sich erneut umdrehte und dem sichtlich benommenen und nicht mehr wehrhaften mit seinem beschuhten Fuß einen kräftigen Tritt im Stile eines das Bewusstsein. Trotzdem ging der Angeklagte los. Von weiteren Übergriffen sah er ab, da er von der Zeugin wurde und ihn auch der Angeklagte erneut auf Fußballspielers gegen dessen Kopf versetzte. Aufgrund dieses heftigen Trittes verlor B. das Bewusstsein.
Die Angeklagten gingen sodann vom Tatort weg und folgten den zwischenzeitlich ebenfalls den Tatort verlassenden Zeuginnen konnte sich nach dem Fußtritt noch einmal kurz und in eine an die Schulter fasste und ihn aufforderte:
„Lass uns abhauen.“
Der Zeuge B2. richtet sich auf, brach dann aber zusammen und blieb bewusstlos in einer etwa 1 m großen Blutlache liegen.
Er zog sich ein Schädel-Hirn-Trauma, ein Brillenhämatom sowie einen Nasenbeinbruch zu und wurde notfallmäßig in das Klinikum Immenstadt eingeliefert. Aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung musste er intubiert und mit der Magensonde ernährt werden. Erst am Abend des 16.08.2013 konnte er extubiert werden. Am 20.08.2013 erfolgte eine operative Nasenbeinreposition. Er befand sich bis einschließlich 21.08.2013 in stationärer Behandlung im Klinikum Immenstadt. Infolge des Trittes gegen den Kopf bestand die Gefahr von Prellungsblutungen mit Einblutungen in das Hirngewebe mit der Folge einer Hirndrucksteigerung, Atemlähmung bis hin zum Kreislaufstillstand. Ebenso bestand die Gefahr eines Schädelbruches mit den gleichen möglichen potentiell tödlichen Folgen. Zu dem bestand infolge der Bewusstlosigkeit des Geschädigten die Gefahr einer Aspiration von Blut mit der möglichen Folge eines Erstickungstodes.
Der Eintritt dieser Folgen war vom Zufall abhängig. Diese sind infolge der schnellen ärztlichen Rettungsmaßnahmen vorliegend nicht eingetreten. Eine konkrete Lebensgefahr bei Benjamin bestand zu keinem Zeitpunkt.
Aufgrund der Schläge und Tritte der beiden Angeklagten zog sich Denis eine Kopfplatzwunde frontal mit Kopfschmerzen sowie Rückenschmerzen zu. Emil Gasisow erlitt Schmerzen im Oberkörperbereich und im rechten Taillenbereich und eine Schürfwunde an der Stirn.
Fl. H zog sich Schürfwunden an den Knien und eine Nasenprellung zu. Ferner brach ihm ein Stück vom Zahn weg.
Eine beim Angeklagten S. am 15.08.2013 um 7.44 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine mittlere Blutalkoholkonzentration von 1,4 o/oo bei einer maximalen Blutalkoholkonzentration zum Tatzeitpunkt von 2,2 o/oo.
Diese Strafe wurde mit Wirkung vom 19.06.2017 erlassen.
3. Der Angeklagte befand sich in dieser Sache aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 25.06.2018 im Zeitraum 25.06.2018 bis zur Hauptverhandlung vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) am 04.10.2018 ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Kempten.
4. Die Fahrerlaubnis des Angeklagten wurde diesem in dieser Sache aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) gemäß § 111 a StPO vom 12.03.2018 vorläufig entzogen. Der Führerschein wurde am 19.03.2018 beschlagnahmt.
III.
Aufgrund Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 08.01.2020 mit der Maßgabe des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2021 steht folgender Sachverhalt fest:
Der Angeklagte fuhr am 23.12.2017 gegen 1.08 Uhr mit dem Pkw VW Golf, FIN …, amtliches Kennzeichen, mit Abblendlicht, auf dem Schumacherring in K.. Bei dem PKW des Angeklagten handelte es sich um einen VW Golf GTI, Erstzulassung 30.06.2009 mit einer Leistung von 155 kW(211 PS) und einer Fahrzeugbreite von 2,05 m (2048 mm). Beim Golf GTI handelt es sich um ein Automobil mit sportlichem Charakter. Die Bezeichnung Gran Turismo Injektion (kurz GTI) ist generell eine Bezeichnung für Automobile mit sportlichem Charakter, welche in Deutschland vor allem mit dem Namen VW Golf verbunden ist.
Die Polizeistreife mit dem Zeugen POM und PM´in befuhr die K1. Straße in Richtung Schumacherring und stand an der Ampel mit Blickrichtung auf den Schuhmacherring. Die Polizeibeamten waren mit einem mit voller Einsatzausrüstung beladenen VW Bus T 5 mit einer Leistung von 96 kW (130 PS) unterwegs.
Der Angeklagte bog dann ohne erkennbaren Anlass unvermittelt nach rechts in die K1. Straße ein. In der K1. Straße ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h beschränkt.
Die Polizeistreife entschloss sich daraufhin, den PKW des Angeklagten einer allgemeinen Verkehrskontrolle zu unterziehen.
Der das Polizeifahrzeug führende Zeuge POM wendete dazu sein in Gegenrichtung auf Höhe der Ampel befindliches Fahrzeug, um dem Angeklagten nachzufahren, diesen anzuhalten und zu kontrollieren. Das Anhaltesignal hatte der Zeuge nach dem Wenden eingeschaltet.
Der Angeklagte bemerkte das hinter ihm mit dem Anhaltesignal fahrende Einsatzfahrzeug, hielt jedoch nicht an, sondern beschleunigte sein Fahrzeug mit Vollgas, um sich dieser von ihm als solche erkannten Verkehrskontrolle zu entziehen. Der Zeuge POM schaltete das Blaulicht an und fuhr dem Angeklagten ebenfalls zunächst mit Vollgas stadteinwärts hinterher.
Obwohl der Angeklagte weiterhin die Anhaltesignale und nun auch das Blaulicht des von den Beamten geführten VW-Busses erkannte, beschleunigte er, ohne sich über andere Verkehrsteilnehmer und mögliche Gefahren Gedanken zu machen, seinen Pkw höchstmöglich und fuhr weiterhin stadteinwärts mit steigender Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h an der dortigen Veranstaltungshalle „bigBOX Allgäu“ vorbei, durch die anschließende 20 km/h Zone und bog sodann nach rechts in die dortige Fußgängerzone, B1. straße, ein.
Sein Ziel war es, dem verfolgenden Streifenwagen zu entkommen, dies konnte er in seiner Vorstellung nur durch das Wegfahren mit der in der Situation höchstmöglichen Geschwindigkeit. Durch eine „rennartige“ Flucht vor dem Polizeifahrzeug wollte er sich der Kontrolle entziehen. Also beschleunigte er seinen zunächst mit normaler Geschwindigkeit fahrenden VW Golf GTI zunächst mit Vollgas, wobei er das Gaspedal seines mit einer Automatik ausgestatteten Fahrzeugs bis zum Bodenblech durchdrückte (sogenanntes „kickdown“), durchfuhr dann mit unverändert hoher Geschwindigkeit von über 130 km/h die auf eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h beschränkte Zone vor der „bigBOX Allgäu“ und verringerte auch in der Fußgängerzone „B1.strasse“ die Geschwindigkeit nicht wesentlich.
Die Fahrtstrecke bis zum Erreichen der 20 km/h Zone betrug ca. 550 m, die Strecke der 20 km/h Zone bis zum Erreichen der B1. straße ca. 300 m. In die K1. Straße münden im Bereich der 20 km/h Zone, in Fahrtrichtung des Angeklagten, von rechts zwei Straßen ein. Hier gilt die Vorfahrtsregelung „rechts vor links“.
Die dem Angeklagten ebenfalls zunächst mit Vollgas nachfahrenden Polizeibeamten verringerten bei Einfahrt in die 20 km/h-Zone aus Sicherheitsgründen ihre Geschwindigkeit, da sich neben der Fahrbahn vor der „bigBOX Allgäu“ Fußgänger befanden. Der Abstand zwischen dem Polizeifahrzeug und dem Fahrzeug des Angeklagten, der zunächst ca. zwei Fahrzeuglängen betrug, vergrößerte sich während der Fahrt kontinuierlich. Die Polizeibeamten, die ihrerseits vor dem Einfahren schon eine fahrzeugbedingte Höchstgeschwindigkeit von über 100 km/h erreichten, verloren schon vor der „bigBOX Allgäu“ den direkten Kontakt zum PKW des Angeklagten aufgrund dessen stärkerer Motorisierung und hatten dann einen Abstand von ca. 200 – 300 m, so dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug für die Beamten ab Einfahrt in die B1. straße, nicht mehr sichtbar war. In diesem Abschnitt der B1. straße ist diese als Fußgängerzone mit dem Zeichen 242.1, Anlage 2 zu § 40 StVO gekennzeichnet. Auf die Lichtbilder 1 bis 12 der Lichtbildtafel des OED Kempten vom 23.12.2017 wird verwiesen, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO. Die Lichtbilder zeigen den entsprechenden Verkehrsabschnitt mit der bezeichneten Verkehrstafel.
Der ortskundige Angeklagte fuhr sodann mit weiterhin von der Flucht getrieben mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit über die, für den öffentlichen Verkehr zugelassene, vorfahrtsberechtigte B3. straße in die weitere Fußgängerzone in der F1. straße ein. Dabei ging er davon aus, dass die Polizei immer noch dicht hinter ihm sei und ihm durch die Fußgängerzone möglicherweise nicht folgen würde. Er war der Meinung, dass ihm die Fortsetzung seiner Flucht am besten durch die Fußgängerzone gelänge, da er auch schon mit dem Einsatz und der Anforderung weiterer Streifenwagen rechnete. Er wollte daher auf seiner weiteren Flucht nicht mehr auf öffentlichen Straßen fahren.
Der Angeklagte raste die Fußgängerzone in der F1.strasse entlang und gelangte dann über die Klostersteige zum R1.platz. Der Angeklagte verließ die Fußgängerzone am R1.platz und bog von dort wiederum scharf nach rechts in die weitere Fußgängerzone in der G. straße ein. Nach dem Passieren dieser scharfen Kurve raste er erneut mit „kickdown“ in die G. straße hinein. Dabei befuhr er beim Abbiegen nicht die dort vorhandene öffentliche Straße, sondern blieb auf dem Fußweg neben der Straße.
Die zurückgelegte Fahrtstrecke in der B1. straße bis zum Erreichen der B3. straße betrug ca. 160 m, die Fahrtstrecke in der F1. straße über die Klostersteige bis zum Erreichen des Residenzplatzes betrug ca. 420 m. Die Fahrtstrecke auf dem Fußweg der für den öffentlichen Kraftfahrzeugverkehr zugelassenen Straße „R1.platz“ betrug ca. 40 m.
Die G. straße ist als Fußgängerzone mit dem Zeichen 242.1, Anlage 2 zu § 40 StVO gekennzeichnet. Sie hat eine Breite von 8-9 m und verläuft in einer leichten Rechtskurve. Aufgrund der Kurvenführung, der kurveninnenseitigen Bebauung und einer zum Tatzeitpunkt dort befindlichen Baustelle, welche die Straßenbreite auf 4,12 m verringerte, war die G. straße schlecht einsehbar. Sie ist gepflastert und in der Mitte mit einer Wasserablaufrinne versehen. Die Wasserablaufrinne soll aus städtebaulichen Gründen einen Bachlauf simulieren und an den mittlerweile unterirdisch verlaufenen Gerberbach, einen kleinen Zulauf der Iller, erinnern.
Die insoweit verlegten Wasserzu- und -abläufe werden im Winter mit Markierungsstangen versehen, damit der Schneepflug die Installation nicht versehentlich beschädigt.
Auf die Lichtbilder 13 bis 19 der Lichtbildtafel des OED K. vom 23.12.2017, aufgenommen am 23.12.2017 durch POM, wird verwiesen, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO. Auf diesen Lichtbildern ist der Straßenverlauf der G. straße bis zur Kreuzung K2. straße, samt Kennzeichnung der Straße als Fußgängerzone und der zum Tatzeitpunkt vorhandenen Baustelle, abgebildet. Ebenso sind die Markierungsstangen abgebildet (Bild 17).
Trotz der dortigen Beschaffenheit der Straße und der schlecht einzusehenden Kurven und Kreuzungen überquerte der Angeklagte die dortige Kreuzung mit der Straße in der Brandstatt und fuhr maximal beschleunigend und mit der für ihn gerade noch beherrschbaren Geschwindigkeit auf die baustellenbedingte Fahrbahnverengung in der leichten Rechtskurve unmittelbar vor dem weiteren Kreuzungsbereich G. straße/K. straße zu. Die K2. straße ist für den öffentlichen Kraftfahrzeugverkehr freigegeben. Der Fahrbahnverlauf der K2. straße ist aufgrund der Hausbebauung nicht einsehbar.
Vor der Gaststätte „M.“ standen die Zeugen M., Th. und C. zum Rauchen auf der Fahrbahn der G. straße. Der Angeklagte hat die Fußgänger aus einer Entfernung von ca. 40-50 m erkannt.
Trotz der schlechten Einsehbarkeit der dortigen Örtlichkeit fuhr er immer noch von der Flucht getrieben mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h auf die unmittelbar hinter der Baustelle und weit vor der Kreuzung stehenden Zeugen M., Th. und C. zu und wich diesen auch nicht aus.
Auf die Lichtbilder 19 und 25 bis 27 der Lichtbildtafel des OED K. vom 23.12.2017 wird hinsichtlich des Standortes der Geschädigten verwiesen, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO. Auf Bild 19 ist der Standort der Zeugen mit einem grünen Pfeil markiert, auf Lichtbild 25 bis 27 ist die genaue Position durch die Zeugen selbst nachgestellt.
Eine bevorstehende Kollision des Pkws des Angeklagten mit den Zeugen, zumindest der Zeugin L. konnte nur durch die ungewöhnlich schnelle Reaktion des Ma. vermieden werden, der die Th. gerade noch zur Seite ziehen konnte, welche die C. packen und mit sich ziehen konnte, während der Angeklagte mit seinem Pkw gerade noch in einem Abstand von ca. 30 cm an diesen mit unverminderter Geschwindigkeit vorbeifuhr.
Letztlich kam es nur aufgrund der geistesgegenwärtigen Reaktion der Zeugen M. und Th. hierbei nicht zu einem Zusammenprall des Fahrzeugs mit der Zeugin . Durch einen Zusammenprall wäre die Zeugin schwer, wenn nicht gar lebensbedrohlich, verletzt worden.
Die konkrete Gefahr des Eintritts eines solchen Unfalls mit entsprechenden Verletzungen hätte der Angeklagte bei dieser Fahrweise erkennen können und müssen.
Der Angeklagte ließ während der gesamten Fahrt aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und um seines schnelleren Fortkommens willen von vornherein und zu keinem Zeitpunkt Bedenken irgendwelcher Art gegen seine Fahrweise aufkommen. Vielmehr wollte der Angeklagte seine begonnene Flucht vor der Polizei weiter erfolgreich fortsetzen, weshalb er trotz der von ihm erkannten Passanten nicht abbremste, sondern darauf vertraute, dass diese schon ausweichen würden.
Der Angeklagte raste mit gleichbleibender Geschwindigkeit über die Kreuzung K2. straße hinweg durch die G. straße. Diese ist ab der Kreuzung „G. straße/K. straße“ wieder für den öffentlichen Kraftfahrzeugverkehr zugelassen und mit einer weiteren Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 km/h versehen. Auf Höhe des Hotels „F.“ stellte der Angeklagte seinen Pkw zur Hälfte auf einem F2.weg im Bereich des eingeschränkten Halteverbots ab.
Die Fahrstrecke ab der Kreuzung G. straße/K. straße bis zum Haltepunkt betrug ca. 180m.
Auf die Lichtbilder 20 bis 24 der Lichtbildtafel des OED Kempten vom 23.12.2017 wird verwiesen, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO. Auf diesen Lichtbildern ist der Abstellort des Fahrzeugs samt Verkehrszeichen 286 – eingeschränktes Halteverbot – ersichtlich.
Die Fahrstrecke betrug insgesamt ca. 1.850 m, die durch die Fußgängerzone zurückgelegte Teilstrecke 780 m.
Durch die Tat hat sich der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.
Der Angeklagte hat während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung am 08.01.2020 den Zeugen M., Th. und C. jeweils einen Betrag in Höhe von 500,- Euro übergeben, sich bei den Zeugen entschuldigt und mit den Zeugen M., Th. und C. jeweils eine so bezeichnete „Vereinbarung gemäß § 46 a StGB – Täter-Opfer-Ausgleich“ geschlossen.
IV.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten hierzu in der Hauptverhandlung, wobei dem Angeklagten die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen aus dem Urteil vom 08.01.2020 vorgehalten wurden. Diese bestätigte er als zutreffend und machte ergänzende Angaben. Die Feststellungen zu seiner Vorstrafe beruhen auf der Verlesung des Bundeszentralregisterauszugs vom 07.01.2020 sowie auf der Verlesung des Urteils des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 05.06.2014, wie es im Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 08.01.2020 niedergelegt wurde.
Der Sachverhalt beruht auf den Feststellungen des Urteils des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 08.01.2020 mit der Maßgabe des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2021.
V.
Der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens ist durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2021 in Rechtskraft erwachsen.
VI.
1. Das Gesetz sieht in § 315d Abs. 1 StGB Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von 1 Monat bis zu 3 Jahren vor. Einen minder schweren Fall sieht das Gesetz nicht vor.
2. Anhaltspunkte für eine Strafmilderung oder eine Strafrahmenverschiebung liegen nicht vor.
Insbesondere ist keine Strafrahmenverschiebung nach §§ 46a, 49 StGB durch die Zahlungen des Angeklagten an die Polizeistiftung und die Zeugen und vorzunehmen.
Denn der Anwendungsbereich des § 46a StGB ist vorliegend nicht eröffnet. Ein Täter-OpferAusgleich ist bei dem verwirklichten Delikt des § 315d StGB aufgrund dessen Schutzrichtung nicht geeignet, eine Milderung gem. §§ 49, 46a StGB herbeizuführen. Bei denjenigen Tatbeständen, die abstrakte Interessen der Allgemeinheit schützen, zum Beispiel Staatsschutz-, Aussage- und Amtsdelikten, ferner Delikten gemäß § 315b, § 316, §§ 331 ff. StGB scheidet eine Anwendbarkeit des § 46 a StGB vom Schutzzweck der Normen her aus (BGH NStZ 2015, 263).
Deshalb ist die Anwendung des § 46 a StGB wegen der Schutzrichtung der Norm auch bei einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315 d StGB grundsätzlich ausgeschlossen.
Erbrachte Ausgleichsbemühungen oder Schadenswiedergutmachung sind aber auch bei diesen Taten als strafmilderndes Nachtatverhalten (§ 46 Abs. 2 StGB) zu berücksichtigen.
3. Innerhalb dieses Strafrahmens hat sich das Gericht maßgeblich, aber nicht ausschließlich von folgenden Umständen leiten lassen:
Zugunsten des Angeklagten sprach sein Geständnis. Zugunsten des Angeklagten sprachen die bereits erbrachten Ausgleichsbemühungen als strafmilderndes Nachtatverhalten.
Innerhalb des genannten Strafrahmens waren weiterhin vor allem Art, Gewicht und Dauer der Rechtsverletzung zu Beginn der Fluchtfahrt in der K1. Straße, der Grad der Pflichtwidrigkeit, die Tatintensität und die Täterpersönlichkeit zu würdigen.
Dabei war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bisher nicht wegen schwerwiegender Verkehrsverstöße und auch ansonsten im Straßenverkehr nicht strafrechtlich relevant aufgefallen ist.
Strafmildernd war auch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich aus Anlass der Tat etwas mehr als drei Monate in Untersuchungshaft befand.
Die Kammer berücksichtigt auch die beruflichen und familiären Nachteile, die für den Angeklagten mit einer länger dauernden Inhaftierung verbunden sind.
Strafmildernd wirkt sich zudem der Entzug der Fahrerlaubnis und die verhältnismäßig lange Dauer der Sperrfrist für die Wiedererteilung derselben aus.
Zu Lasten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits eine Eintragung im Bundeszentralregister wegen einer vorsätzlich verübten, wenngleich andersartigen Straftat vorzuweisen hat; dies allerdings aufgrund des Zeitablaufes von nunmehr über 7 Jahren mit nur geringem Gewicht. Insgesamt zeigte der Angeklagte während der langen Fahrt zu Beginn ein außergewöhnlich hohes Maß an Rücksichtslosigkeit.
Nach Würdigung sämtlicher zu Gunsten und zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigender Umstände war die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten tat- und schuldangemessen.
Aufgrund der langen Verfahrensdauer hielt die Kammer eine Kompensation für angezeigt, wonach hiervon 2 Monate als vollstreckt gelten.
VII.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden.
Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung für ihn zu erwarten sind.
Die Sozialprognose des Angeklagten ist überaus günstig. Er ist verheiratet und Vater von 3 Kindern. Sein Arbeitsplatz ist ihm erhalten geblieben. Trotz des Entzugs der Fahrerlaubnis kann er die Tätigkeit im Schichtbetrieb weiter ausüben, da mit dem Schwiegervater eine Fahrgemeinschaft besteht.
VIII.
Aufgrund Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2021 war die Entziehung der Fahrerlaubnis in Rechtskraft erwachsen. Die Verhängung eines Fahrverbotes anstelle dessen war nicht möglich; der diesbezügliche Antrag des Verteidigers war insofern nur geeignet, falsche Erwartungen beim Angeklagten zu wecken.
Nach § 69a Abs. 1 S.1 StGB beträgt die Sperrfrist zwischen 6 Monaten und 5 Jahren. Da dem Angeklagten die Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO bereits vorläufig entzogen worden war, beläuft sich die Mindestsperrfrist auf 3 Monate, § 69a Abs. 4 S. 2 StGB.
Die Kammer hielt nach Ausübung des ihr zustehenden Ermessens und insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Führerschein des Angeklagten bereits am 19.03.2018 beschlagnahmt wurde, die Verhängung einer Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von 3 Monaten für ausreichend, um den festgestellten Eignungsmangel zu beseitigen.
IX.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 464, 465 Abs. 1, 473 StPO.
Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen des Gerichts und der Beteiligten ganz oder teilweise der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten, § 473 Abs. 4 StPO. Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so kann die Gebühr aus Billigkeitsgründen ermäßigt werden. Das richterliche Ermessen wird im Wesentlichen durch den Umfang des erreichten Erfolgs sowie dadurch bestimmt, ob der Angeklagte die angefochtene Entscheidung so hingenommen hätte, wie sie sich nach dem Ergebnis des Rechtsmittelverfahrens darstellt, wenn auch dieses Kriterium nicht stets oder gar schematisch als entscheidend angesehen werden darf und im Einzelfall im Rahmen der gebotenen umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalles hinter dem Umfang des letztlich erreichten Teilerfolgs des Rechtsmittels zurück treten kann.
Die Gebühr für die jeweiligen Revisionsverfahren war hier nach den dargelegten Grundsätzen gemäß § 473 Abs. 4 StPO um jeweils 50% zu ermäßigen.


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