Strafrecht

Schadensersatz wegen des Erwerbs eines gebrauchten Pkw mit einem „EA 189“ Motor (sog. Diesel-Abgasskandal, hier: Audi Q 3 2.0)

Aktenzeichen  20 U 5392/19

Datum:
9.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38370
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 249 Abs. 1, § 826
ZPO § 256, § 287

 

Leitsatz

1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch OLG München BeckRS 2020, 34041; BeckRS 2020, 32848; BeckRS 2020, 34151; BeckRS 2020, 34153; BeckRS 2020, 36057; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29603; BeckRS 2020, 33045; BeckRS 2020, 33157; BeckRS 2020, 35123; sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei OLG München BeckRS 2020, 25691 (dort Ls. 1); OLG München BeckRS 2020, 27215 (dort Ls. 1); OLG Köln BeckRS 2019, 42328 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 14352 (dort Ls. 1), OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7002 (dort Ls. 1), OLG Jena BeckRS 2020, 8618 (dort Ls. 1), OLG Oldenburg BeckRS 2020, 6234 (dort Ls. 1) und KG BeckRS 2019, 29883 (dort Ls. 5); mit gegenteiligem Ergebnis noch: OLG München BeckRS 2019, 33738; BeckRS 2019, 33753; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 2737. (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Käufer eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs steht gegen die Herstellerin des Motors ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB auf Zahlung des für den Erwerb des Fahrzeugs aufgewandten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Kraftfahrzeugs zu. (Rn. 5 und 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu typischen Detailfragen aus VW-Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 250.000 km; keine Verzugszinsen; keine Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten mangels Darlegung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlicher vorgerichtlicher Tätigkeit; kein Annahmeverzug; kein Feststellungsinteresse. (Rn. 8, 9, 10, 11 und 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 O 3734/18 2019-08-14 Urt LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 14.08.2019, Az. 22 O 3734/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 22.765,26 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.12.2020 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw Audi Q 3 2.0 TDI, FIN …49.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klagepartei 30%, die Beklagte 70%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Klagepartei verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Pkw, in den ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe „EA 189“ eingebaut ist.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf das landgerichtliche Urteil verwiesen. Hinsichtlich der Anträge im Berufungsverfahren und des Kilometerstands zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wird auf das Protokoll vom 09.12.2020 Bezug genommen.
Im Übrigen bedarf es keines Tatbestands, da gegen das Urteil kein Rechtsmittel zulässig ist (§ 313 a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 ZPO).
II.
Die Berufung der Klagepartei ist hinsichtlich des Hilfsantrags zulässig und zum Teil begründet.
1. Die Beklagte haftet der Klagepartei aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. §§ 826, 31 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19). Die Beklagte hat gem. §§ 249 ff. BGB der Klagepartei sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen.
Der Ersatzanspruch richtet sich bei § 826 BGB auf das negative Interesse. Wenn wie hier der Geschädigte durch Täuschung eines Dritten zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, steht ihm im Rahmen der Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags zu, das heißt Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten.
Die Klagepartei kann daher den von ihr aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte zurückverlangen. Sie muss sich allerdings im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 64-77).
Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer, ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (BGH, Urteil vom 17.05.1995, VIII ZR 70/97, NJW 1995, 2159, 2161). Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Dieser betrug 32.400 Euro. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrlaufleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar. Der Senat schätzt gemäß § 287 ZPO die Gesamtlaufleistung auf 250.000 Kilometer. Die gefahrenen Kilometer belaufen sich auf 70.981 km (82.284 km abzüglich 11.303 km bei Erwerb). Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 9.634,74 Euro. Damit verbleibt ein ersatzfähiger Betrag von 22.765,26 Euro.
2. Der Klagepartei steht ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung seit Rechtshängigkeit des Zahlungsantrags (§ 291 BGB) zu. Weitergehende Verzugszinsen sind nicht zuzusprechen, da eine vorgerichtliche Mahnung nicht substantiiert vorgetragen ist.
3. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Eine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderliche vorgerichtliche Tätigkeit im konkreten Fall ist nicht dargelegt.
4. Die Beklagte befindet sich nicht in Annahmeverzug, weil die Klagepartei ihr Angebot der Rückgabe des Fahrzeugs an unberechtigte Bedingungen knüpft, nämlich die Erstattung des vollen Kaufpreises.
5. Die (hilfsweise) erhobenen Feststellungsanträge sind unzulässig.
Die Beklagte haftet wegen der sittenwidrigen vorsätzlichen Herbeiführung eines ungewollten Vertragsschlusses. Der in dem Vertragsschluss selbst liegende Schaden aber kann mit einer Leistungsklage gerichtet auf die Verurteilung der Beklagten zur Kaufpreiserstattung vollständig erfasst werden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 397/19, juris Rn. 29).
Welche weiteren Schäden aus dem Fahrzeugerwerb zu befürchten sind, hat die insoweit darlegungsbelastete Klagepartei nicht vorgetragen; solche sind auch nicht ersichtlich. Da eine Änderung der Schadstoffklasseneinteilung des Kfz von den zuständigen Behörden weder angedroht noch durchgeführt wurde, kommen auch die von der Klagepartei angesprochenen möglichen steuerlichen Schäden ersichtlich nicht in Betracht.
Die deshalb durch nichts fundierte Meinung der Klagepartei, dass weitere Schäden möglich seien, genügt für die Bejahung eines Feststellungsinteresses gemäß § 256 ZPO nicht.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen sind durch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 und vom 30.07.2020 geklärt.


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