Strafrecht

Sicherungsverwahrung, Strafvollstreckungskammer, Ermessensentscheidung, Bescheid, Fluchtgefahr, Justizvollzugsanstalt, Vollzugsplan, Aufhebung, Anfechtung, Rechtsbeschwerde, Versagung, Therapie, Verwerfung, Zustimmung, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, gerichtliche Entscheidung, gerichtliche Kontrolle

Aktenzeichen  203 StObWs 12/21

Datum:
26.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 32370
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Einzelne Vollzugsplanfortschreibungen entwickeln jeweils den einmal festgestellten Vollzugsplan weiter und sind deshalb lediglich unselbständige Bestandteile eines einheitlichen Verfahrensgegenstandes. Ein gegen eine vorangegangene Vollzugsplanfortschreibung gerichtetes Rechtsschutzbegehren erledigt sich also nicht.
2. Der Vollzugsplan als Ganzes ist zwar grundsätzlich nicht angreifbar, einzelne Maßnahmen aber schon, wenn sie Rechtswirkung für den Inhaftierten (etwa im Hinblick auf seine Lockerungsgeeignetheit) entfalten.
3. Da der Vollzugsplan ein zentrales Element des dem Resozialisierungsziel verpflichteten Vollzugs ist, sind in ihm wenigstens in groben Zügen die tragenden Gründe darzustellen, welche die Anstalt zur Befürwortung oder zur Verwerfung bestimmter Maßnahmen veranlasst haben. Minimalanforderung sind dabei u.a. Angaben zu vollzugsöffnenden Maßnahmen (Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 BaySvVollzG).
4. Die Gründe für die Gewährung bzw. Versagung von Lockerungen sind dabei nur dann frei von Ermessensfehlern und verhältnismäßig, wenn sie bezogen auf die Art der jeweiligen konkreten Lockerung abgefasst sind. Die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Sicherungsverwahrten ist zu konkretisieren, bloße pauschale Wertungen genügen nicht.
5. Es ist tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG, dass diese dem Erreichen der Vollzugsziele dienen (positives Tatbestandsmerkmal). Einer Gewährung dürfen zwingende Gründe im Sinne von Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG nicht entgegenstehen (negatives Tatbestandsmerkmal). Hierbei handelt es sich jeweils um eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare bewertende Entscheidung, die auch prognostische Elemente enthält.
6. Vollzugsöffnende Maßnahmen sind die wesentlichen Elemente der Entlassungsvorbereitung. Sie sind daher ein wesentliches Instrumentarium zur Umsetzung der Gestaltungsgrundsätze nach Art. 3 BaySvVollzG sowie zum Erreichen der Vollzugsziele nach Art. 2 BaySvVollzG.
7. Bezüglich der Frage, ob der Sicherungsverwahrte Anspruch auf mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen vier Ausführungen pro Jahr nach Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG hat, steht der Vollzugsbehörde ein Ermessensspielraum zu. Hinsichtlich einer etwaigen Missbrauchs- oder Fluchtgefahr hat sie eine Einschätzungsprärogative. Eine solche Gefahr kann dabei nicht bejaht werden, wenn zuvor die Mindestanzahl von jährlich vier Ausführungen bei gleicher Sachlage gewährt worden ist.

Verfahrensgang

SR StVK 1017/17 2020-11-16 Bes LGREGENSBURG LG Regensburg

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Sicherungsverwahrten werden der Beschluss der auswärtigen kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 16.11.2020 und die Vollzugsplanfortschreibungen der Justizvollzugsanstalt St., zuletzt in der Fassung vom 30.07.2020, aufgehoben, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind.
II. Die Justizvollzugsanstalt St. wird verpflichtet, den Sicherungsverwahrten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu verbescheiden.
III. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.
IV. Die Gebühren werden um 4/5 ermäßigt.
V. Von den Auslagen der Staatskasse sowie von den den Beteiligten in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse 4/5 zu tragen, der Sicherungsverwahrte 1/5.
VI. Der Gegenstandswert wird für beide Instanzen auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Beschwerdeführer ist ab dem 18.01.2017 in der Justizvollzugsanstalt St., Abteilung für Sicherungsverwahrung, untergebracht. Zuvor hatte er bis zum 13.12.2016 vollständig eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten aufgrund einer Verurteilung des Landgerichts Kempten vom 05.11.2009 wegen gefährlicher Körperverletzung verbüßt.
Der Sicherungsverwahrte wendet sich fortlaufend inhaltlich jeweils gleichlautend gegen die Vollzugsplanfortschreibungen vom 24.11.2017, 12.04.2018, 31.10.2018, 12.04.2019, 18.10.2019, 06.05.2020 und 30.07.2020, zuerst mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 22.12.2017, zuletzt mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 06.10.2020,
– die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihrer Vollzugsplanfortschreibung vom 30.07.2020, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind, zu verpflichten, dem Antragsteller weitere vollzugsöffnende Maßnahmen im Sinne von Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG, zumindest aber im zweiwöchigen Abstand nach Art. 54 Abs. 3 Satz 1 BaySvVollzG, zu gewähren,
– hilfsweise die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihrer Vollzugsplanfortschreibung vom 30.07.2020, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind, zu verpflichten, den Antragsteller erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer zu bescheiden.
Die letzte Vollzugsplanfortschreibung vom 30.07.2020 enthält unter Ziffer 12. als „Angaben über vollzugsöffnende Maßnahmen“:
„Gemäß Artikel 54 Abs. 3 BaySvVollzG werden dem Sicherungsverwahrten auf Antrag zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit, der Förderung der Mitwirkung an der Behandlung und zur Vorbereitung weiterer vollzugsöffnender Maßnahmen mindestens 4 Ausführungen im Jahr gewährt. Eine Erprobung unter gelockerten Bedingungen ist in Betracht zu ziehen, sobald die derzeit noch bestehenden problematischen Persönlichkeitsanteile therapeutisch aufgearbeitet worden sind. Gemäß Art. 57 Abs. 1 BaySvVollzG sollte dann ein Lockerungsgutachten eingeholt werden.“
Es folgt eine Auflistung sämtlicher absolvierter Ausführungen gem. Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG und gem. Art. 55 Abs. 1 BaySvVollzG, die sämtlich beanstandungsfrei erfolgt sind. Zwischen den Daten „21.10.2019“ und „10.06.2020“ findet sich der Eintrag: „Derzeit wird unter Beteiligung aller notwendigen Stellen geprüft, ob Herrn S über das Mindestmaß hinausgehende Ausführungen gemäß Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG gewährt werden können.“
Flucht- oder Missbrauchsgefahren für konkrete vollzugsöffnende Maßnahmen werden nicht dargestellt.
Mit Antrag vom 28.10.2019 hat der Sicherungsverwahrte darüber hinaus beantragt,
– den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.09.2019 über die Versagung von Begleitausgängen nach Art. 54 Abs. 1 Nr. 1 BaySvVollzG und Ausführungen über 4 pro Jahr hinaus aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller Begleitausgänge gem. Art. 54 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BaySvVollzG zu gewähren,
– hilfsweise die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihrer Verbescheidung vom 24.09.2019 zu verpflichten, den Antragsteller erneut über die Gewährung von Begleitausgängen und Ausführungen über 4 pro Jahr hinaus zu verbescheiden.
Ferner gestellte Anträge, die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller individuell zugeschnittene Therapieangebote zu machen, hat der Sicherungsverwahrte zuletzt nicht mehr weiterverfolgt.
Am 26.08.2020 hat das Bayerische Staatsministerium der Justiz zwar über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehenden Ausführungen zugestimmt. Eine Vollzugsplanfortschreibung mit diesem Inhalt wurde jedoch bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses noch nicht festgestellt.
Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 16.11.2020, dem Bevollmächtigten des Sicherungsverwahrten zugestellt am 19.11.2020, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 22.12.2017 in der Form vom 06.10.2020 zurückgewiesen, ebenso den Antrag vom 28.10.2019 über die Anfechtung des Bescheides der Justizvollzugsanstalt vom 24.09.2019.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde vom 12.12.2020, bei Gericht eingegangen am 15.12.2020, mit den Anträgen,
– den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16.11.2020 aufzuheben,
– die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihrer Vollzugsplanfortschreibungen vom 04.12.2017, 17.04.2018, 31.10.2018, 12.04.2019, 18.10.2019, 06.05.2020 und 28.08.2020, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind, zu verpflichten, dem Antragsteller weitere vollzugsöffnende Maßnahmen im Sinne von Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG, zumindest aber im zweiwöchigen Abstand nach Art. 54 Abs. 3 Satz 1 BaySvVollzG, zu gewähren,
– hilfsweise die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihrer Vollzugsplanfortschreibung vom 06.05.2020, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind, zu verpflichten, den Antragsteller erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer zu bescheiden.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Schreiben vom 05.01.2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Sie ist gemäß Art. 103 BaySvVollzG i. V. m. § 116 Abs. 1 StVollzG statthaft und nach Art. 103 BaySvVollzG i. V. m. § 118 Abs. 1, 2 und 3 StVollzG form- und fristgerecht eingelegt worden.
Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG liegen vor. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht nur auf einer nicht ausreichend tragfähigen Tatsachengrundlage. Sie hat auch die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung außer Acht gelassen, welche maßgeblichen Inhalte ein Vollzugsplan aufzuweisen hat und welche Anforderungen an die Ablehnung von Vollzugslockerungen zu stellen sind. Die Überprüfung durch den Senat dient insoweit der Vermeidung künftiger gleichgelagerter Rechtsfehler (vgl. hierzu OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17.04.2019, Az.: 1 Ws 266/18 Vollz, juris Rn. 10).
III.
Die Rechtsbeschwerde hat auch mit dem Hilfsantrag (zumindest vorläufig) Erfolg. Die angefochtenen Inhalte der Vollzugspläne zu Vollzugslockerungen genügen nicht den inhaltlichen Anforderungen und beruhen auf nicht ausreichend tragfähiger Tatsachengrundlage.
1. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind ausweislich der Anträge der Rechtsbeschwerde vom 12.12.2020 nurmehr die Vollzugsplanfortschreibungen bis einschließlich derjenigen vom 30.07.2020, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind. Die einzelnen Vollzugsplanfortschreibungen entwickeln jeweils den einmal festgestellten Vollzugsplan weiter und sind deshalb lediglich unselbständige Bestandteile eines einheitlichen Verfahrensgegenstandes. Ein gegen eine vorangegangene Vollzugsplanfortschreibung gerichtetes Rechtsschutzbegehren erledigt sich also nicht (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2013, 120; OLG Koblenz, Beschluss vom 13.03.2014, Az.: 2 Ws 374/13 (Vollz); Bachmann in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. P Rn. 79; Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 7 StVollzG Rn. 14).
Nicht mehr umfasst ist die Versagung von vollzugsöffnenden Maßnahmen mit „Bescheid“ der Justizvollzugsanstalt Straubing vom 24.09.2019. Dabei handelt es sich nach Ansicht des Senats richtigerweise auch nicht um eine über die angefochtenen Vollzugsplanfortschreibungen hinausgehende Entscheidung der Justizvollzugsanstalt, sondern lediglich um eine im bereits laufenden Verfahren abgegebene konkretisierende Stellungnahme.
2. Gesetzes- und Rechtslage stellen sich hinsichtlich vollzugsöffnender Maßnahmen gemäß Art. 54 BaySvVollzG sowie hinsichtlich der erforderlichen Feststellungen im Vollzugsplan wie folgt dar:
a) Nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG sind vollzugsöffende Maßnahmen insbesondere das Verlassen der Anstalt für eine bestimmte Tageszeit in Begleitung einer von der Anstalt zugelassenen Person (Begleitausgang) oder ohne Begleitung (Ausgang), das Verlassen der Anstalt für mehr als einen Tag (Langzeitausgang) bis zu zwei Wochen, die regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt unter Aufsicht Vollzugsbediensteter (Außenbeschäftigung) oder ohne Aufsicht (Freigang).
Nach Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG werden volllzugsöffnende Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG mit Zustimmung der Sicherungsverwahrten und nach Anhörung der Strafvollstreckungskammer zum Erreichen der Vollzugsziele gewährt, soweit nicht zwingende Gründe entgegenstehen, insbesondere konkrete Anhaltspunkte die Gefahr begründen, die Sicherungsverwahrten werden sich dem Vollzug der Sicherungsverwahrung entziehen oder die vollzugsöffnenden Maßnahmen zur Begehung von Straftaten missbrauchen.
Nach Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG ist den Sicherungsverwahrten, wenn vollzugsöffnende Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG nicht gewährt werden, mit ihrer Zustimmung das Verlassen der Anstalt unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht Vollzugsbediensteter für eine bestimmte Tageszeit (Ausführung) zu gestatten, und zwar mindestens vier Mal im Jahr, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte die Gefahr begründen, dass die Sicherungsverwahrten sich trotz besonderer Sicherungsmaßnahmen dem Vollzug der Sicherungsverwahrung entziehen oder die Ausführung zur Begehung erheblicher Straftaten missbrauchen werden oder wenn die zur Sicherung erforderlichen Maßnahmen den Zweck der Ausführung (Erhaltung der Lebenstüchtigkeit, Förderung der Mitwirkung an der Behandlung oder Vorbereitung weiterer vollzugsöffnender Maßnahmen) gefährden.
b) Im Anschluss an den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 11.08.2015 (Az.: 1 Ws 224/15, NStZ-RR 2016, 191; fortgeführt mit Beschluss vom 14.02.2018, Az.: 2 Ws 727/17), der sich ausführlich mit der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 30.09.2014, Az.: 1 Ws 367/14) auseinandersetzt, ist es unter ausdrücklicher Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326) tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 BaySvVollzG, dass diese dem Erreichen der Vollzugsziele dienen (positives Tatbestandsmerkmal). Einer Gewährung dürfen zwingende Gründe im Sinne von Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG nicht entgegenstehen (negatives Tatbestandsmerkmal). Hierbei handelt es sich jeweils um eine bewertende Entscheidung, die auch prognostische Elemente enthält. Die Vollzugsbehörde hat daher sowohl hinsichtlich der Frage, ob eine vollzugsöffnende Maßnahme dem Erreichen der Vollzugsziele dient, als auch hinsichtlich der Frage, ob Versagungsgründe nach Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG vorliegen, eine Einschätzungsprärogative und im Anschluss daran einen nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Beurteilungsspielraum. Vollzugsöffnende Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG, die sich hinsichtlich der Erreichung der Vollzugsziele lediglich neutral verhalten oder deren Erreichung gar zuwider laufen würden, haben demnach zu unterbleiben, selbst wenn zwingende Gründe im Sinne von Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG der Gewährung nicht entgegenstünden.
Vollzugsöffnende Maßnahmen sind die wesentlichen Elemente der Entlassungsvorbereitung. Ihnen kommt zudem besondere Bedeutung für die Prognose der Gefährlichkeit des Sicherungsverwahrten zu. Vollzugsöffnende Maßnahmen dienen der Eingliederung des Sicherungsverwahrten und wirken möglichen schädlichen Folgen der Freiheitsentziehung entgegen. Sie sind daher ein wesentliches Instrumentarium zur Umsetzung der Gestaltungsgrundsätze nach Art. 3 BaySvVollzG (freiheitsorientierte und therapiegerichtete Ausgestaltung) sowie zum Erreichen der Vollzugsziele nach Art. 2 BaySvVollzG (Minderung der Gefährlichkeit des Sicherungsverwahrten, dessen Befähigung, ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit ohne Straftaten zu führen, und Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten) (zu den besonderen Anforderungen bei Sicherungsverwahrten s. auch OLG Celle, Beschluss vom 08.09.2020, Az.: 3 Ws 210/20, StrFo 2020, 432).
Bezüglich der Frage, ob der Sicherungsverwahrte Anspruch auf mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen vier Ausführungen pro Jahr nach Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG hat, steht der Vollzugsbehörde im Anschluss an den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 11.08.2015 (Az.: 1 Ws 224/15, NStZ-RR 2016, 191; ihm folgend OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.11.2015, Az.: 2 Ws 562/15, NStZ-RR 2016, 95, sowie OLG Nürnberg, Beschluss vom 14.02.2018, Az.: 2 Ws 727/17) ein Ermessensspielraum zu. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind die durch weitere Ausführungen erreichbaren Fortschritte hinsichtlich der Entwicklung des Sicherungsverwahrten einerseits und die organisatorischen Bedürfnisse der Einrichtung für Sicherungsverwahrung andererseits zu berücksichtigen. Bestehen allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass durch weitere Ausführungen derartige Fortschritte erreichbar sind, sind nach der gesetzlichen Wertung die vorgesehenen jährlich vier Ausführungen regelmäßig ausreichend.
Hinsichtlich der Missbrauchs- oder Fluchtbefürchtung hat die Vollzugsbehörde auch hier eine Einschätzungsprärogative und im Anschluss daran einen nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Beurteilungsspielraum. Zwar kann der Sicherungsverwahrte nicht verlangen, dass für weitere Ausführungen unbegrenzt personelle oder sonstige Mittel seitens der Justizvollzugsanstalt aufgewendet werden. Auf der anderen Seite hat die Justizvollzugsanstalt jedoch die Rechte der Sicherungsverwahrten zu wahren, was eine angemessene personelle Ausstattung der Justizvollzugsanstalten bedingt (BVerfG, Beschluss vom 04.05.2015, 2 BvR 1753/14, zitiert nach juris, für beantragte Ausführungen eines Strafgefangenen mit Verurteilung zu lebenslanger Haft).
Eine vom Sicherungsverwahrten ausgehende Missbrauchsgefahr im Sinne des Art. 54 Abs. 3 Satz 3 BaySvVollzG kann dabei nicht zur Versagung weiterer Ausführungen nach Satz 2 dieser Vorschrift führen, wenn zuvor die Mindestanzahl von jährlich vier Ausführungen bei gleicher Sachlage gewährt worden ist. Schon bei dieser Entscheidung war nämlich gemäß Art. 54 Abs. 3 Satz 3 BaySvVollzG zu prüfen, ob die Ausführungen deswegen zu versagen sind. Werden diese aber gewährt, kann die Versagung zusätzlicher Ausführungen nur dann auf eine Missbrauchsgefahr gestützt werden, wenn neue Umstände (etwa das Verhalten des Sicherungsverwahrten bei den Ausführungen) vorliegen.
c) Für die Festsetzungen in den Vollzugsplänen gilt im Anschluss hieran als Prüfungsmaßstab:
Der Vollzugsplan ist nach allgemeiner Meinung ein zentrales Element des dem Resozialisierungsziel verpflichteten Vollzugs. Die erforderlichen grundsätzlichen Entscheidungen müssen im Vollzugsplan festgeschrieben werden, der damit für die an der Behandlung beteiligten Mitarbeiter des Vollzugsstabs sowie für den Betroffenen selbst einen Orientierungsrahmen bildet.
Im Vollzugsplan sind wenigstens in groben Zügen die tragenden Gründe darzustellen, welche die Anstalt zur Befürwortung oder zur Verwerfung bestimmter Maßnahmen veranlasst haben (BVerfG, BVerfGK 9, 231, NStZ-RR 2008, 60, juris Rn. 19; OLG Karlsruhe, StV 2004, 555, juris Rn. 10). Minimalanforderung sind dabei u.a. Angaben zu vollzugsöffnenden Maßnahmen (Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 BaySvVollzG). Ein Vollzugsplan, der nur die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen wiedergibt, genügt den Anforderungen nicht. Er muss in groben Zügen einen Zeitplan enthalten, der die einzelnen Abschnitte des Vollzugsplans als einen sinnvoll aufeinander abgestimmten Verlauf des Vollzugsprozesses begreifen lässt (vgl. Nestler in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. C Rn. 31; Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 7 StVollzG Rn. 3 und Rn. 7).
Die Gründe für die Gewährung bzw. Versagung von Lockerungen sind dabei nur dann frei von Ermessensfehlern und verhältnismäßig, wenn sie bezogen auf die Art der jeweiligen konkreten Lockerung abgefasst sind (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 20.06.2012, Az.: 2 BvR 865/11, juris Rn. 17; BayObLG, Beschluss vom 26.11.2020, Az.: 204 StObWs 59/20; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17.04.2019, Az.: 1 Ws 266/18 Vollz, juris Rn. 19; Arloth in: BeckOK Strafvollzug Bayern, 14. Ed. 01.02.2021, Art. 9 BayStVollzG Rn. 7).
Es muss eine den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügende gerichtliche Kontrolle daraufhin möglich sein, ob das inhaltliche Gestaltungsermessen der Behörde rechtsfehlerfrei ausgeübt worden ist (vgl. BVerfG, BVerfGK 9, 231, NStZ-RR 2008, 60). Hierzu sind wenigstens in groben Zügen die tragenden Gründe darzustellen, die die Anstalt zur Befürwortung oder zur Verwerfung bestimmter Maßnahmen veranlasst haben (vgl. Nestler in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschn. C Rn. 34).
Der Vollzugsplan als Ganzes ist zwar grundsätzlich nicht angreifbar, da er selbst keine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten darstellt. Einzelne Maßnahmen des Vollzugsplans können aber dann isoliert überprüft werden, wenn sie Rechtswirkung für den Inhaftierten entfalten. Dies ist etwa im Hinblick auf die Lockerungsgeeignetheit des Gefangenen zu bejahen (BVerfGK 8, 319 ff.; vgl. auch Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 7 StVollzG Rn. 13 mit zahlr. weit. Nachw.). Für eine gerichtliche Kontrolle ist es also nicht erforderlich, dass der Sicherungsverwahrte zunächst im Einzelfall einen Antrag auf Gewährung konkreter Lockerungsmaßnahmen stellt und die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt über diesen Antrag auf der Grundlage des Vollzugsplanes abwartet.
3. Diesen Anforderungen genügen die Feststellungen weder in der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer noch in den Vollzugsplanfortschreibungen. Sie beruhen schon nicht auf einer ausreichend tragfähigen Tatsachengrundlage, ohne dass der Senat darüber hinaus auf die erhobene Darstellungsrüge (Verletzung des § 115 Abs. 1 Satz 2 StVollzG) eingehen müsste. Die vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen sind teilweise widersprüchlich (wobei sowohl die Justizvollzugsanstalt als auch die Strafvollstreckungskammer diesen zudem nicht ausreichend Rechnung tragen), ebenso die Einschätzungen am Verfahren Beteiligter.
a) Am 17.01.2018 hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie / Forensische Psychiatrie Dr. B. ein forensisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten erstellt. Danach gilt die Therapie – im Gegensatz zur Selbsteinschätzung des Sicherungsverwahrten – zwar als nicht sicher abgeschlossen, es bestehe keine vertrauensvolle therapeutische Anbindung.
Im Sicherungsverwahrungsfortdauerbeschluss der Strafvollstreckungskammer vom 08.05.2018 wird u.a. ausgeführt, dass die Sachverständige in der Anhörung am 03.05.2018 bekundet habe, dass sie gleichwohl für die zur Vorbereitung zweckmäßigen Begleitausgänge keine Missbrauchsgefahr sehe, sofern der Sicherungsverwahrte die von der Anstalt angebotene Einzeltherapie insbesondere zur Risikoprävention, beispielsweise im Umgang mit kritischen Situationen, wahrnehme und diese Therapie positiv verlaufe. Die Strafvollstreckungskammer hat dem folgend die Justizvollzugsanstalt Straubing zur Gewährung von Begleitausgängen angehalten.
b) Das Gutachten des Sachverständigen Dr. S vom 20.05.2019 (samt Anhörung am 02.07.2019) führt aus: „Die bisherige gute Anpassungsleistung für begleitete Ausgänge ist zumindest eine Grundlage dafür, dass über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehende Vollzugslockerungen gewährt werden können. Es wird aus psychiatrischer Einschätzung durchaus eine häufigere Lockerung denkbar mit bis zu 10 Ausgängen in Begleitung pro Jahr, ohne dass das Sicherheitsrisiko für Dritte deutlich erhöht ist. Darüber hinausgehende Vollzugslockerungen sind ohne eine entsprechende Begleitung durch therapeutisches Personal im Sinne von Erörterungen von Verhalten, Risikosituationen, adäquater Zukunftsplanung und anhaltender Kooperationsbereitschaft nicht zu befürworten.“
Der Sachverständige spricht hier also dezidiert von „Ausgängen in Begleitung“, wobei er als Begleiter den für den Sicherungsverwahrten zuständigen Therapeuten im Blick hat.
Zugleich verneint der Sachverständige aber grundsätzlich eine weitergehende Lockerungsfähigkeit des Sicherungsverwahrten: „Die gegenwärtige Haltung des Probanden ist nicht ausreichend, um Grundlage für eine zusätzliche Lockerungsfähigkeit herzustellen. Ohne regelmäßige therapeutische Maßnahmen ist die Wahrnehmung von Herrn S. unzureichend, um rechtzeitig auf sich ändernde Motivationslagen, Impulse und Risikosituationen einzugehen. Die Grundlage einer psychiatrischen Kriminaltherapie ist und bleibt ein ausreichendes Risikomanagement, das voraussetzt, dass an den deliktbegünstigenden Persönlichkeitseigenschaften Herr S. bereit ist zu arbeiten. Diese Mitwirkungsbereitschaft hat der Proband ab Oktober 2015 bis zum aktuellen Zeitpunkt vermissen lassen, so dass er auch niederschwellige Angebote, u.a. auch eine externe Suchtberatung, die in die Abteilung für Sicherungsverwahrung kommen könnte, abgelehnt hat. Der Verweis darauf, dass er über das notwendige Maß hinaus eine sozialtherapeutische Behandlung durchlaufen hat, ist für eine Gewährung von weiteren Lockerungsmaßnahmen nicht ausreichend. Zum einen deshalb, weil die Therapieinhalte Herrn S. nicht mehr präsent sind, und zum anderen, da die damals durchgeführte Behandlung ohne eine ausreichende Änderung der Persönlichkeitseigenschaften blieb.“
Das Gutachten ist auch unvollständig. Nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Straubing vom 24.09.2019 habe es nämlich im Zeitraum vom 06.03.2018 bis zum 08.05.2019 vier Meldungen des allgemeinen Vollzugsdienstes über den Sicherungsverwahrten gegeben (geringe Hemmschwelle betreffend sein aggressiv-gewalttätiges Verhalten, mangelnde Impulskontrolle), die der Sachverständige überhaupt nicht berücksichtigt hat.
Im Sicherungsverwahrungsfortdauerbeschluss der Strafvollstreckungskammer vom 02.07.2019 wird trotz eben aufgezeigter Defizite des Gutachtens u.a. ausgeführt, dass Begleitausgänge (also nicht nur Ausführungen) baldmöglichst zu gewähren sind, da aktuell eine Vorbereitung solcher Begleitausgänge nicht erforderlich ist.
c) Im Sicherungsverwahrungsfortdauerbeschluss der Strafvollstreckungskammer vom 25.06.2020 wird (wiederum auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. S vom 20.05.2019) u.a. ausgeführt, dass der Sicherungsverwahrte nicht an den erforderlichen therapeutischen Maßnahmen teilnehme und wiederholt seine Bereitschaft zu suchttherapeutischen Maßnahmen verneint habe. Es sei nicht zu beanstanden, wenn zur Motivationssteigerung – allerdings über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehende – (nur) Ausführungen gewährt würden und keine Begleitausgänge. Die Strafvollstreckungskammer merkt ausdrücklich kritisch an, dass die Justizvollzugsanstalt über einen Zeitraum von acht Monaten die vom Sachverständigen vorgeschlagenen und durch die Kammer aufgegriffenen Empfehlungen nicht umgesetzt habe.
d) Der den Sicherungsverwahrten behandelnde Therapeut Dipl.-Psych. K hat hierzu im unter b) genannten Anhörungstermin am 02.07.2019 ausgeführt, dass diese Therapie nunmehr erschöpft sei und allein eine Erprobung unter Realumständen und eine konkrete Vorbereitung des sozialen Empfangsraumes im therapeutischen Konzept Sinn machten. Bei seiner nächsten Anhörung am 18.06.2020 (vor dem unter c) genannten Beschluss) hat er erklärt, dass beim Sicherungsverwahrten eine Hemmung funktioniere; als er bei einer körperlichen Auseinandersetzung zuletzt angegriffen worden sei, habe er nicht zurückgeschlagen. Er habe ihm gegenüber keinen Mangel im direkten Kontakt feststellen können. Er habe keinerlei Befürchtungen, dass es bei begleiteten Ausgängen zu Straftaten komme, wenn er dabei sei. Er sehe keine Flucht- und Missbrauchsbefürchtungen. Er befürworte deshalb ein Lockerungsprozedere.
Der Therapeut hält also von ihm begleitete Ausgänge nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG für angezeigt. Dies steht in direktem Gegensatz zur Haltung der Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt Straubing, die dem Sicherungsverwahrten nur Ausführungen nach Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG gewähren wollen.
e) In der letzten Vollzugsplanfortschreibung vom 30.07.2020 findet sich unter Ziffer 12 eine Auflistung sämtlicher absolvierter Ausführungen gem. Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG und gem. Art. 55 Abs. 1 BaySvVollzG, die sämtlich beanstandungsfrei erfolgt sind.
f) Die Strafvollstreckungskammer legt nun im angefochten Beschluss vom 16.11.2020 in Übereinstimmung mit der Auffassung der Justizvollzugsanstalt Straubing die Ausführungen des Sachverständigen Dr. S im Gutachten vom 20.05.2019 als rechtliche Umsetzung so aus, dass mit den „Ausgängen in Begleitung“ tatsächlich nur „Ausführungen“ gemeint seien. Dies steht jedoch nicht nur in krassem Widerspruch zu der verschriftlichten Wortwahl des psychiatrisch erfahrenen Sachverständigen (Chefarzt eines Bezirksklinikums), sondern ließe sich auch nicht praktisch umsetzen, da nach dessen Intention allein der behandelnde Therapeut Dipl.-Psych. K den Sicherungsverwahrten begleiten sollte, was nur als vollzugsöffnende Maßnahme nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG möglich ist („Begleitausgang“), nicht jedoch als „Ausführung“ nach Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG, die unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht Vollzugsbediensteter zu erfolgen hat und deshalb der intendierten Erprobung des Sicherungsverwahrten unter Realumständen zuwiderlaufen würde.
Auch im Übrigen besteht wegen der vorstehend aufgezeigten Widersprüchlichkeiten sowohl hinsichtlich der vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen als auch hinsichtlich der divergierenden Einschätzungen der Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt Straubing und des für den Sicherungsverwahrten zuständigen Therapeuten keine ausreichend tragfähige Tatsachengrundlage. Eine vollständige und zutreffend ermittelte Sachverhaltsaufklärung erfordert jetzt vorrangig die Erholung eines aktuellen, auf die aufgezeigten Widersprüche detailliert eingehenden neuen Sachverständigengutachtens.
Mit gleicher Begründung hat das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 21.12.2020 (Az.: Ws 645/20) den Sicherungsverwahrungsfortdauerbeschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 25.06.2020 (Az.: 1 SR StVK 427/16) aufgehoben und die Erholung eines neuen Sachverständigengutachtens angeordnet, und zwar auch hinsichtlich der Vertretbarkeit und Erforderlichkeit von Lockerungen auch in Form von durch den Psychologen begleiteten Ausgängen i.S.d. Art. 54 Abs. 1 Nr. 1 BaySvVollzG.
Sollte das Gutachten nach dessen Bewertung zu dem Ergebnis führen, dass Begleitausgänge dem Erreichen der Vollzugsziele dienen, sind auch zu einer etwaig bestehenden Flucht- oder Missbrauchsgefahr Feststellungen konkret bezogen auf die jeweilige Art der Lockerung zu treffen (s. oben unter 2.c)). Bloße pauschale Wertungen oder der Hinweis auf eine abstrakte Flucht- oder Missbrauchsgefahr genügen nicht. Es sind vielmehr im Rahmen einer überprüfbaren Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Sicherungsverwahrten zu konkretisieren (vgl. BVerfG, BVerfGK 17, 459, StV 2011, 488, juris Rn. 32; BayObLG, Beschluss vom 26.11.2020, Az.: 204 StObWs 59/20).
Die bisherige Verweigerung über das gesetzliche Mindestmaß nach Art. 54 Abs. 3 Satz 2 BaySvVollzG hinausgehender Ausführungen hält ebenfalls rechtlicher Überprüfung nicht stand. Grundsätzlich steht zwar die Häufigkeit der Gewährung von Ausführungen im Ermessen der Justizvollzugsanstalt. Hat sich jedoch bereits ein Sachverständiger wie vorliegend zur Anzahl vollzugsöffnender Maßnahmen geäußert, muss sich die Justizvollzuganstalt bereits im Vollzugsplan damit auseinandersetzen und für den Sicherungsverwahrten im Sinne vollzugsplanerischer Orientierung einem nachvollziehbaren Konzept folgend begründen, wenn sie von dessen Einschätzung abweicht. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen bestehen nämlich im Sinne des oben unter 2.b) zitierten Beschlusses des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 11.08.2015 (Az.: 1 Ws 224/15, NStZ-RR 2016, 191) konkrete Anhaltspunkte dafür, dass durch weitere Ausführungen Fortschritte hinsichtlich der Entwicklung des Sicherungsverwahrten erreichbar sind, so dass sich nach der gesetzlichen Wertung die vorgesehenen jährlich vier Ausführungen als nicht mehr ausreichend darstellen – zumal sämtliche bislang absolvierten Ausführungen beanstandungsfrei erfolgt sind. Auch das Oberlandesgericht Nürnberg hält es in vorgenanntem Beschluss vom 21.12.2020 (Az.: Ws 645/20) für erforderlich, dass es für den Sicherungsverwahrten vorhersehbar sein muss, wann er abhängig von welchen Fortschritten mit weiteren Lockerungen rechnen kann.
IV.
Soweit der Beschwerdeführer über die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der diesem zugrunde liegenden Vollzugsplanfortschreibungen hinaus eine abschließende Entscheidung in seinem Sinne beantragt (Hauptantrag), ist seine weitergehende Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29.05.2008, Az.: 1 Ws 220/08, juris). Denn eine Spruchreife im Sinne des § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG, also eine Sachlage, bei der nur eine Entscheidung im Sinne der Ausführungen des Beschwerdeführers in Betracht käme, ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht feststellbar.
V.
1. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Sicherungsverwahrten beruht auf Art. 103 BaySvVollzG i.V.m. §§ 121 Abs. 4 StVollzG, 473 Abs. 4 StPO.
2. Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt §§ 60, 65, 52 GKG.


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