Strafrecht

Staats- und Verfassungsrecht; Verfassungsbeschwerde

Aktenzeichen  112/20

Datum:
6.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Verfassungsgerichtshof
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:VERFGHT:2022:0406.112.20.00
Normen:
§ 7 S 2 VGHG TH
§ 8 Abs 1 S 4 VGHG TH
§ 18 Abs 1 S 2 VGHG TH
§ 32 VGHG TH
§ 37 Abs 1 VGHG TH
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Einzelfall einer unzulässigen Verfassungsbeschwerde

Verfahrensgang

vorgehend VG Meiningen, 7. Juli 2020, 2 E 651/20 Me, Beschlussvorgehend VG Meiningen, 5. Oktober 2020, 2 E 864/20 Me, Beschluss

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

Gründe

I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 7. Juli 2020 und vom 5. Oktober 2020.
1. Im Ausgangsverfahren begehrte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 12. Juni 2021 beim Verwaltungsgericht Meiningen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen eine Anordnung des Wartburgkreises. Dieser hatte – zunächst telefonisch und am 3. Juni 2020 schriftlich – angeordnet, dass die Beschwerdeführerin ab sofort bis auf Widerruf eine Neuaufnahme von Patienten in der Neurologie zu unterlassen habe. Diese Anordnung ging der Beschwerdeführerin am 8. Juni 2021 zu. Sie wurde aufgrund negativer Befunde der durchgeführten Tests – wieder zunächst telefonisch und im Anschluss schriftlich – aufgehoben. Die schriftliche Aufhebung ging der Beschwerdeführerin am 15. Juni 2021 zu.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2020 erklärte die Beschwerdeführerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, dem Wartburgkreis die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Mit Schreiben vom 25. Juni 2020 erklärte auch der Wartburgkreis das Verfahren in der Hauptsache für erledigt und beantragte, der Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Mit Beschluss vom 7. Juli 2020 (Az.: 2 E 651/20 Me) stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren ein. Die Kosten des Verfahrens wurden den Beteiligten je zur Hälfte auferlegt. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden sei. Hiernach entspreche es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen, weil der Rechtsstreit schwierige Sach- oder Rechtsfragen aufwerfe und der Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit das Gericht nach Erledigung des Rechtsstreits davon befreie, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, Beweise zu erheben, schwierige Rechtsfragen zu klären und abschließend über den Streitstoff zu entscheiden.
2. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Anhörungsrüge. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei eine Überraschungsentscheidung. Ihr sei das Schreiben des Landkreises vom 25. Juni 2020 nicht zur Kenntnis gegeben worden, weshalb sie keine Kenntnis von der Zustimmung zur Erledigung und dem Antrag, ihr die Kosten aufzuerlegen, gehabt habe. Auch habe sie keine Möglichkeit gehabt, den Vortrag des Landkreises im Schreiben vom 25. Juni 2020 zu bestreiten.
3. Mit Beschluss vom 5. Oktober 2020 (Az.: 2 E 864/20 Me) wies das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, das rechtliche Gehör sei nicht verletzt worden. Bei der Kostenentscheidung handele es sich nicht um eine Überraschungsentscheidung. Der Beschwerdeführerin habe bekannt sein müssen, dass nach der ihrerseits erfolgten Erledigungserklärung eine entsprechende Reaktion des Landkreises erfolgen und das Gericht das Verfahren deklaratorisch einstellen sowie über die Kosten entscheiden werde. Dass die Kostenentscheidung nicht entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin ausgefallen sei, sei der Anhörungsrüge nicht zugänglich. Auch sei die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen erfolgt und habe gerade dem Umstand Rechnung getragen, dass die Sachverhaltsdarstellungen und die rechtlichen Wertungen der Beteiligten streitig gewesen seien. Dass insbesondere eine mündlich ausgesprochene Verfügung über einen Aufnahmestopp streitig gewesen sei, habe das Gericht zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Ob sich die Beschwerdeführerin an den Aufnahmestopp gehalten habe, sei auch nicht entscheidend für die Kostenentscheidung gewesen.
4. Mit Schriftsatz vom 20. November 2020, zugegangen am selben Tag, hat die Beschwerdeführerin beim Thüringer Verfassungsgerichtshof Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse erhoben. Sie ist der Ansicht, die Beschlüsse verletzten sie in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 88 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen (Thüringer Verfassung – ThürVerf). Bei der Entscheidung, sie hälftig zur Kostentragung heranzuziehen, handele es sich um eine Überraschungsentscheidung. Dies gelte zum einen deshalb, weil ihr der Schriftsatz des Landkreises vom 25. Juni 2020 nicht zur Kenntnis gegeben worden sei, und zum anderen hinsichtlich der in diesem Schriftsatz behaupteten Tatsachen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe.
Entsprechendes gelte bezüglich der Festsetzung des Streitwerts im Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 7. Juli 2020. Auch diese Entscheidung sei ohne eine Äußerungsmöglichkeit der Beschwerdeführerin ergangen.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
die angefochtenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Meiningen wegen Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht Meiningen zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
5. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 21. Juni 2021 auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit ihrer Verfassungsbeschwerde hingewiesen.
6. Die Anhörungsberechtigten hatten Gelegenheit, zum Verfahren Stellung zu nehmen.
II.
An der Entscheidung wirkt wegen des Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze der aus dem Verfassungsgerichtshof ausgeschiedene Präsident … nicht mehr mit. An die Stelle des ausgeschiedenen Präsidenten in seiner Vorsitzendenfunktion tritt nach § 7 Satz 2 und § 8 Abs. 1 Satz 4 ThürVerfGHG das dienstälteste ständige berufsrichterliche Mitglied Dr. …. An die Stelle des ausgeschiedenen Präsidenten in seiner richterlichen Funktion tritt das stellvertretende Mitglied P.
III.
Der Thüringer Verfassungsgerichtshof kommt einstimmig zu dem Ergebnis, dass die Verfassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen ist. Er trifft seine Entscheidung nach § 37 Abs. 1 ThürVerfGHG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 5. Oktober 2020 (Az.: 2 E 864/20 Me) über die Anhörungsrüge richtet. Denn Entscheidungen, mit denen Gerichte Anhörungsrügen zurückweisen, schaffen grundsätzlich keine eigenständige Beschwer, sondern lassen allenfalls eine bereits durch die Ausgangsentscheidung eingetretene Verletzung rechtlichen Gehörs durch die unterbliebene fachgerichtliche „Selbstkorrektur“ fortbestehen (vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 – VerfGH 29/17 -, S. 15 des amtlichen Umdrucks).
2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Kostenentscheidung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2020 (2 E 651/20 Me) richtet, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls unzulässig.
a) Zwar steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, dass sie sich gegen eine gerichtliche Kostenentscheidung richtet. Denn auch eine gerichtliche Kostenentscheidung kann selbstständiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein, wenn sich der geltend gemachte Verfassungsverstoß ausschließlich auf die Kostenentscheidung und nicht auch auf die Entscheidung in der Sache bezieht (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1986 – 1 BvR 872/82 -, BVerfGE 74, 78 [90] = juris Rn. 31).
b) Jedoch genügt die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2020 nicht den Darlegungs- und Begründungsanforderungen.
Eine Verfassungsbeschwerde bedarf nach § 32 i. V. m. § 18 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 ThürVerfGHG einer substantiierten Begründung. Die Beschwerdeführerin darf sich nicht darauf beschränken, das als verletzt gerügte Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht zu bezeichnen, sondern muss hinreichend substantiiert darlegen, dass die behauptete Verletzung eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts möglich ist. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil oder einen gerichtlichen Beschluss, hat sich der Beschwerdeführer mit deren Begründung konkret und in Bezug auf die einschlägigen verfassungsrechtlichen Maßstäbe auseinanderzusetzen (st. Rspr. des ThürVerfGH, vgl. Beschluss vom 2. November 2016 – VerfGH 8/14 -, juris Rn. 20). Rügt ein Beschwerdeführer die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, ist konkret darzulegen, inwiefern im Rahmen der angegriffenen Entscheidung der Sachvortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen wurde und wie sich dieser Fehler des Gerichts auf die Entscheidung ausgewirkt hat (ständige Rechtsprechung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, vgl. nur Beschluss vom 14. September 2009 – VerfGH 14/08 – S. 6 des amtlichen Umdrucks).
Diesen Anforderungen wird die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Die Beschwerdeführerin zeigt die Möglichkeit einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 88 ThürVerf nicht hinreichend auf. Hierauf wurde die Beschwerdeführerin bereits mit Schreiben des Verfassungsgerichtshofs vom 21. Juni 2021 ausführlich hingewiesen. Auch der – im Übrigen außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingegangene – Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 27. Juli 2021 ändert an der vorgenannten Beurteilung nichts.
Die Beschwerdeführerin führt lediglich aus, dass ihrerseits – hätte sie das Schreiben der Gegenseite vom 25. Juni 2020 gekannt – noch eine gegenteilige Erwiderung erfolgt wäre. Sie hat hierbei jedoch weder hinreichend dargelegt, dass das Verwaltungsgericht Tatsachen oder Umstände verwertet hat, zu denen sie nicht gehört wurde, noch dass seine Entscheidung darauf beruht. Das Gericht führte im Rahmen der Kostenentscheidung aus, dass der Sachverhalt zwischen den Beteiligten streitig und auch einige Rechtsfragen offen seien, zu deren Klärung es nach der beiderseitigen Erledigungserklärung nicht mehr verpflichtet sei. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Falle einer Erwiderung der Beschwerdeführerin auf das Schreiben der Gegenseite zu einer anderen, für sie günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Der Sachverhalt des in der Hauptsache erledigten Rechtsstreits wäre vielmehr auch dann weiterhin umstritten und unaufgeklärt geblieben.
3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2020 (2 E 651/20 Me) richtet, ist die Verfassungsbeschwerde mangels Rechtswegerschöpfung ebenfalls unzulässig. Auch hierauf wurde die Beschwerdeführerin bereits in dem Schreiben des Verfassungsgerichtshofs vom 21. Juni 2021 hingewiesen.
IV.
Das Verfahren ist nach § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG kostenfrei.
Gegen die Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.


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