Strafrecht

Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat

Aktenzeichen  52 Js 115/17 2 KLs

Datum:
12.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 54082
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB § 11 Abs. 3, § 56 Abs. 1, § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, § 91 Abs. 1 Nr. 2, § 212
StPO § 53 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Angeklagte A., N. P., geboren am …1990 in M., ist schuldig der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.
Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.
II. Er wird deswegen zu einer Freiheitsstrafe von
einem Jahr
verurteilt.
III. Die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
IV. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen, soweit er verurteilt wurde, im Übrigen hat diese die Staatskasse zu tragen.
Angewendete Vorschrift:
§ 91 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Gründe

Nach den im Rahmen der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte in der Absicht, sich mit Hilfe dessen anleitenden Inhalts eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten, im Internet ein Video verschafft, das eine Anleitung zum Bombenbau beinhaltet.
Der Angeklagte verschaffte sich zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen November 2016 und dem 15.09.2017 im Internet das genannte Video. Unter Zugrundelegung dieses Videos fertigte er sich eine detaillierte Skizze zur Herstellung des Sprengstoffs Triacetontriperoxid (TATP). Der skizzierte Versuchsaufbau stimmt bis in die Details mit der Beschreibung aus dem Bombenbauvideo überein. Einige der zum Bau der Sprengvorrichtung erforderlichen Teile verwahrte der Angeklagte zum Zeitpunkt der am 15.09.2017 bei ihm durchgeführten Wohnungsdurchsuchung in seinem Kellerabteil auf, jedoch war er nicht im Besitz der für die Synthese des Sprengstoffs erforderlichen wesentlichen Grundsubstanzen Aceton und Wasserstoffperoxid. Die Skizze wurde auf einem Schreibtisch in der Wohnung aufgefunden.
Zu dem Zeitpunkt, als sich der Angeklagte das Video verschaffte, handelte er in der Absicht, einen Sprengsatz herzustellen, um damit unter anderem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes umzubringen. So drohte er am 12.07.2017 in der Telegram-Chatgruppe „W…“ unter dem Nutzernamen „I…“ damit, dass er Spione und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes umbringen wolle. Am 15.07.2017 bat der Angeklagte in derselben Gruppe in englischer Sprache um technische Unterstützung beim Bau einer Bombe. Auf Englisch postete er folgende Frage: „Salam alaikum. When I make this bomb, i must wahter Take im this buddle? Sry, my english is not the best.“
Die Schuldfähigkeit des Angeklagten war weder aufgehoben noch in strafrechtlich relevanter Weise beeinträchtigt.
Der Angeklagte hat sich im Rahmen einer Verteidigererklärung geäußert. In dieser stritt er den Anklagevorwurf ab. Die Feststellungen beruhen auf den in Abschnitt C. genannten Beweismitteln, Umständen und Erwägungen.
Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung haben nicht stattgefunden.
Im Einzelnen hat die Staatsschutzkammer Folgendes festgestellt:
A. Feststellungen zur Person
I. Familiäre Verhältnisse und Werdegang
1. Familiäre Verhältnisse
Der Angeklagte wurde am 08.05.1990 in München geboren. Sein verstorbener Vater war selbständig und im Bekleidungs- und Schmuckhandel tätig, seine Mutter ist Hausfrau. Der Angeklagte hat einen Bruder und eine Schwester. Er ist das zweitgeborene Kind. Im Jahr 2012 oder 2013 lernte der Angeklagte seine Frau kennen, die er schließlich heiratete und mit der er zwei Kinder im Alter von 2 und 5 Jahren hat. Mit seiner Ehefrau hat der Angeklagte derzeit eine „Beziehungspause“ vereinbart. Darüber hinaus besteht derzeit ein Kontaktverbot nach Gewaltschutzgesetz.
2. Werdegang
Der Angeklagte verfügt über einen einfachen Hauptschulabschluss, den er im Jahr 2005 erreichte. Einen qualifizierten Hauptschulabschluss verfehlte der Angeklagte, weil er an den für den Abschluss entscheidenden Tagen alkoholisiert war. Eine begonnene Ausbildung zum Schlosser beendete der Angeklagte nicht, da er damals mehr Zeit auf seine Fußballkarriere verwendete. Eine Ausbildung zum Karosseriebauer brach er nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2011 ebenfalls ab. Nach der Geburt seiner Kinder arbeitete der Angeklagte als Lagerist bei der Firma H…, danach war er selbständig mit dem Verkauf von Kleidung tätig. Vor seiner Inhaftierung in dieser Sache war er zuletzt über eine Zeitarbeitsfirma bei der F… als Hausmeister tätig. Diese Arbeitsstelle verlor der Angeklagte aufgrund seiner Inhaftierung. Er arbeitet derzeit als Servicekraft in der Pizzeria „L…“.
II. Finanzielle Situation
Der Angeklagte verfügt weder über Vermögen noch hat er Schulden. Zuletzt verdiente der Angeklagte … € netto monatlich. Darüber hinaus hat der Angeklagte eine Festanstellung bei der Fa. „Fo…“ auf … €-Basis in Aussicht.
III. Gesundheitliche Situation
Beeinflusst durch seinen damaligen Freundeskreis begann der Angeklagte in seiner Jugend verstärkt mit dem Konsum von Alkohol und konsumierte auch Cannabisprodukte. Seit ca. 10 Jahren trinkt er keinen Alkohol mehr und nimmt auch keine Drogen mehr. Der Angeklagte hat in der Vergangenheit weder schwerere Unfälle unter Beteiligung des Kopfes erlitten, noch leidet er unter schwerwiegenden Erkrankungen. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2011 litt der Angeklagte über einen Zeitraum von ca. einem Jahr an einer Depression. Aufgrund der Haftsituation entwickelte er erneut eine schwere Depression. Wegen der Situation in der Untersuchungshaft fügte sich der Angeklagte oberflächliche Schnittverletzungen zu, die ärztlich versorgt und mit einer Vielzahl von Stichen genäht werden mussten. Eine zunächst gestellte Verdachtsdiagnose auf Schizophrenie hat sich nicht bestätigt, der Angeklagte befindet sich derzeit auch nicht in psychologischer Behandlung.
IV. Intelligenz und Persönlichkeit
Bei dem Angeklagten handelt es sich um einen jungen Mann mit einer durchschnittlichen Intelligenzausstattung.
V. Auszug aus dem Bundeszentralregister
Der Auszug aus dem Bundesregister vom 19.06.2019, der von dem Angeklagten bestätigt wurde, weist keine Eintragung auf.
VI. Haftdaten
Der Angeklagte wurde am 26.09.2017 festgenommen aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 25.09.2017 (Az.: ER I Gs 8974/17) und befand sich seit dem 26.09.2017 bis zur Aufhebung des Haftbefehls durch Beschluss des OLG München vom 02.05.2018 ununterbrochen in Untersuchungshaft.
B. Feststellungen zum Tatgeschehen
Der Angeklagte ist muslimischen Glaubens und beschäftigte sich in der Vergangenheit intensiv mit verschiedenen Strömungen des Islams sowie dem „Islamischen Staat“ (IS). Er bewegte sich zeitweise auch im Umfeld eines Personenkreises, der der salafistischen Szene zugerechnet werden kann. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte selbst der salafistischen Ideologie gefolgt wäre, haben sich jedoch nicht ergeben. Ebenso haben sich im Rahmen der Hauptverhandlung keine belastbaren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte jemals Mitglied im „IS“ gewesen wäre, dieser Ideologie gefolgt wäre oder diese verbreitet hätte.
Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen November 2016 und dem 15.09.2017 verschaffte sich der Angeklagte, vermutlich von seiner Wohnung in … München aus, über das Internet ein Video, das über diverse Telegram-Kanäle des „IS“ im Internet unter dem Titel „You Must Fight Them, O Muwahhid“ verbreitet wurde. Hierbei handelt es sich um ein Propagandavideo der terroristischen Vereinigung „IS“. In diesem Video wird unter anderem gezeigt, wie sich in einer Küche unter Zuhilfenahme von vergleichsweise einfach zu beschaffenden Zutaten der hochexplosive Sprengstoff Triacetontriperoxid (TATP) herstellen lässt. In dem Video wird der gesamte Herstellungsprozess detailliert erklärt und jeder Arbeitsschritt ist mit deutschen Untertiteln versehen. Gegenstände, die bei der Herstellung des in dem Video gezeigten Sprengsatzes Verwendung finden, sind unter anderem Metallkugeln, Streichhölzer, eine kleine Glühbirne, Spritzen und Klebeband, außerdem wird zur Herstellung des Sprengstoffes Aceton und Wasserstoffperoxid sowie Schwefelsäure (Batteriesäure) benötigt.
Basierend auf diesem Video fertigte der Angeklagte eine detaillierte handschriftliche Skizze, die er mit der Überschrift „Creme Herstellen“ versah. Der in der Skizze beschriebene Herstellungsprozess passt jedoch nicht zu der Herstellung einer Creme, sondern vielmehr zur Herstellung des Sprengstoffes TATP.
Am 12.07.2017 drohte der Angeklagte in der Telegram-Chatgruppe „Wahrred Almu’menin“ unter dem Nutzernamen „I…“ damit, dass er Spione und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes umbringen wolle. Am 15.07.2017 bat er in derselben Gruppe in englischer Sprache um technische Unterstützung beim Bau einer Bombe. Auf Englisch postete er folgende Frage: „Salam alaikum. When I make this bomb, i must wahter Take im this buddle? Sry, my english is not the best.“
Am 15.09.2017 bewahrte der Angeklagte in dem zu seiner Wohnung gehörenden Kellerabteil unter anderem Schraubenzieher, Metallkugeln, Draht, Chinaböller, eine aufgrund einer angelegten Überspannung defekte Leuchtdiode, zahlreiche Glühbirnen, Klebeband, zwei Portionierungsspritzen, Zündhölzer, eine entleerte Autobatterie und eine Flasche mit 1,5 Liter Schwefelsäure auf. Aceton und Wasserstoffperoxid wurden beim Angeklagten hingegen nicht aufgefunden. Die von dem Angeklagten gefertigte Skizze wurde auf einem Schreibtisch in der Wohnung des Angeklagten aufgefunden.
Der Angeklagte hat sich mit dem Bau von unkonventionellen Sprengvorrichtungen auseinandergesetzt, sich zur Begehung eines Anschlags eine Bombenbauanleitung und verschiedene zur Herstellung von Sprengsätzen benötigte Grundstoffe verschafft und handelte dabei in der Absicht, durch die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion möglichst viele Menschen zu töten. Bevorzugtes Ziel des Angeklagten waren gemäß seinen Verlautbarungen in der Telegram-Chatgruppe insbesondere Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.
Die von dem Angeklagten skizzierte Bombenbauanleitung ist nach ihrem Inhalt dazu geeignet, einen funktionsfähigen Sprengsatz mit der Wirkung einer militärischen Splitterhandgranate herzustellen. Ein solcher Sprengsatz ist ein taugliches Objekt, um eine Straftat gegen das Leben zu verüben. Aus TATP gefertigte Sprengsätze finden regelmäßig bei terroristischen Bombenanschlägen Verwendung.
Der Angeklagte hat sich die Bombenbauanleitung verschafft, um damit einen Sprengsatz herzustellen, den er gegen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes einsetzen wollte. Eine mit einem solchen Sprengsatz verübte, gegen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gerichtete Tat ist nach ihren Umständen dazu bestimmt und geeignet, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen und die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu untergraben.
Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war zum Tatzeitpunkt weder aufgehoben noch erheblich vermindert.
C. Beweiswürdigung
I. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen
Die unter lit. A. getroffenen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen zunächst auf der Einlassung des Angeklagten. Diese Angaben wurden ergänzt durch die Ausführungen der Diplom-Psychologin P. und des Anstaltspsychologen in der JVA St., RR H., sowie der Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 19.06.2019, die vom Angeklagten bestätigt wurde.
II. Angaben des Angeklagten zum Tatgeschehen
Die unter lit. B. getroffenen Feststellungen beruhen zunächst auf den verschiedenen im Verlauf des Verfahrens gemachten Einlassungen des Angeklagten.
1. Der Angeklagte gab im Rahmen einer abschließenden Verteidigererklärung, die von ihm bestätigt wurde, an, dass der im Anklagesatz enthaltene Vorwurf unzutreffend sei. Er folge nicht der salafistischen Ideologie. Er habe nie vorgehabt, einen Sprengstoffanschlag zu verüben. Zur Beantwortung von Nachfragen war der Angeklagte nicht bereit.
2. Im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung hatte der als Beschuldigter in einem Strafverfahren belehrte Angeklagte folgende Angaben gemacht, die der Polizeibeamte KHK S… im Rahmen der Hauptverhandlung glaubhaft im Wesentlichen wie folgt wiedergab:
Der Angeklagte habe eingeräumt, dass er Mitglied einer Telegram-Gruppe gewesen sei, deren Name er nicht mehr wisse. Er habe sich nicht der Gruppe im Chat anschließen wollen, sondern habe versucht, die Personen dort zu beeinflussen und sich verpflichtet gefühlt, „das Schlechte zu verbieten“. Er habe die Seite an den Betreiber „Telegram“ gemeldet. Später habe der Angeklagte angegeben, dass er die Chatgruppe „W…“ nicht kenne. Auf Vorhalt, dass er damit gedroht habe, dass er Spione und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes umbringen werde, habe er mit „niemals“ geantwortet. Auch habe der Angeklagte abgestritten, dass er sich erkundigt haben solle, ob man für den Bau einer Bombe Wasser in eine Flasche füllen müsse. Zu den aufgefundenen Gegenständen habe er angegeben, dass der Spielzeughubschrauber ein Spielzeug seines Sohnes sei, welches er habe reparieren wollen, was ihm aber misslungen sei. Die Spritzen seien vom Hustensaft seines Sohnes, auch die Böller seien für seinen Sohn bestimmt gewesen. Die Streichhölzer habe er zum Rauchen benötigt, die Stahlkugeln stammten von einer Steinschleuder seines Vaters. Befragt zu der von ihm genutzten Verschlüsselungssoftware bzw. auf seinen elektronischen Geräten vorhandenen professionellen Löschungstools habe er angegeben, dass er damit lediglich seine Privatsphäre habe schützen wollen.
3. Gegenüber dem Abteilungsleiter der juristischen Abteilung der JVA St., ORR Wa…, gab der Angeklagte im Rahmen eines Gesprächs, das auf Wunsch des Angeklagten geführt wurde, zum Tatvorwurf an, dass er zufällig in den „IS“-Chat gelangt sei, er habe zufällig auf einen „Link“ geklickt, auf dem er zufällig ein Video gesehen habe, bei dem er „aus Dummheit“ die Anleitung zum Bombenbau mitgeschrieben habe. Diese Mitschrift habe er wegwerfen wollen, dies aber vergessen. Zum genauen Inhalt des Videos habe er nichts angegeben. Im Übrigen habe er angegeben, dass die Zutaten, die er zu Hause aufbewahrt habe, nicht gereicht hätten, um daraus eine Bombe zu bauen. Der Angeklagte habe einerseits angegeben, dass er mit einer hohen Strafe rechne, andererseits, dass er unschuldig sei und mit einer baldigen Entlassung rechne. Zu seinem Bruder habe er keinen so guten Kontakt, weil dieser der salafistischen Szene angehöre, er selbst hingegen nicht. Der Angeklagte habe angegeben, dass er bei der „lies!“-Aktion mitgemacht habe und Geld an die Organisation „An…“ gespendet habe. Zu dieser habe er den Kontakt gesucht, um die Leute dort zu bekehren.
4. Angaben des Angeklagten im Rahmen der psychologischen Behandlung in der JVA St. gegenüber dem Diplom-Psychologen RR H….
a) Der in der Justizvollzugsanstalt St. tätige Diplom-Psychologe RR H… machte im Rahmen der Hauptverhandlung Angaben zu den Äußerungen, die der Angeklagte ihm gegenüber zum Tatvorwurf gemacht hat. Diese Angaben des Zeugen unterliegen keinem Beweisverwertungsverbot, da dem Zeugen als Diplom-Psychologe kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zuzubilligen war (vgl. BGH NStZ 2006, 509). Der Zeuge war daher zu einer vollständigen Aussage verpflichtet (vgl. Fi…, StGB 66. Auflage, § 203 Rn. 77).
b) Gegenüber dem Anstaltspsychologen in der JVA St. gab der Angeklagte an, dass er durch Zufall im Internet auf einen „IS“-Chat gestoßen sei. Diesen habe er gemeldet und dann abbestellt. Ein Video, in dem der Bau einer Bombe gezeigt werde, habe er aus Neugierde angeschaut und aus „Blödheit“ mitgeschrieben, was man dafür brauche. Aus Neugier sei er wieder in den Chat gegangen und habe nachgefragt, wieviel Wasser man benötige. Irgendwann habe er sich nicht mehr dafür interessiert, die Liste aber liegen lassen. Er habe nicht beabsichtigt, eine Bombe zu bauen. Die bei der Durchsuchung aufgefundenen Gegenstände hätten sich zufällig in seinem Keller befunden. Die Polizei habe das so zusammengelegt, dass das für ihn ungünstig aussehe.
5. Gegenüber der Diplom-Psychologin P… gab der Angeklagte im Rahmen der Begutachtung an, dass er nicht mit dem „IS“ oder dem Salafismus sympathisiere. Er sei vielmehr Gegner dieser Ideologien und habe auch Bücher dagegen verfasst. Er habe sich jedoch viel mit dem Salafismus beschäftigt, weil es in München eine große Szene gebe und auch sein Bruder Anhänger sei. Er habe nie vorgehabt, eine Bombe zu bauen. In den Chats habe er sich nur bewegt, um Kontakte zu anderen zu bekommen und diese zur Abkehr vom islamischen Staat zu bewegen. Später habe er geschildert, dass er zufällig auf den Kanal gekommen sei. Er verstehe nicht, warum keiner diese Gruppen melde. Er wisse nicht, warum er etwas geschrieben habe, wie wieviel Wasser in eine Bombe reinsolle. Er habe angegeben, dass er sich an eine Drohung gegen den Verfassungsschutz nicht erinnern könne. Er habe dies jedoch für möglich gehalten, da die Polizei ihn übermäßig überwacht habe. Der Angeklagte habe nicht bestritten, dass er eine Anleitung zum Bau einer Bombe besessen habe, er habe jedoch nie vorgehabt, einen Anschlag zu verüben, er sei „total stoned“ gewesen. Zu den Teilen, die bei ihm im Kellerabteil gefunden worden seien, habe er angegeben, dass er schon seit Jahren sehr gerne elektronische Teile auseinanderbaue. Die Metallkugeln seien für eine Steinschleuder gedacht gewesen. Jedenfalls seien die Teile nicht zum Bau einer Bombe gedacht gewesen. Die gegen den Angeklagten erhobenen Anschuldigungen seien aus seiner Sicht vollkommen aus der Luft gegriffen.
III. Feststellungen zum Tatgeschehen
1. Der Angeklagte ist praktizierender Moslem mit einer konservativen Grundausrichtung. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte radikale Tendenzen gehabt hätte oder Anhänger der salafistischen Ideologie gewesen wäre, haben sich im Rahmen der Beweisaufnahme nicht ergeben.
a) Sämtliche Zeugen aus dem persönlichen Umfeld des Angeklagten beschrieben diesen als eher konservativen praktizierenden Muslim, der sich sehr intensiv mit Glaubensfragen auseinandergesetzt habe, konnten jedoch eine Nähe zum Salfismus oder zum „IS“ nicht bestätigen. Vielmehr schilderten viele der Zeugen, dass sich der Angeklagte ihnen gegenüber ausdrücklich gegen den „IS“ ausgesprochen habe.
aa) So gab der Zeuge P… an, dass er den Angeklagten zwar nur zwei oder drei Mal getroffen habe und mit ihm nicht vertieft über religiöse Themen gesprochen habe, aus seiner Sicht habe dieser aber keine salafistische Einstellung gehabt, vielmehr habe dieser sich ihm gegenüber vom Salafismus distanziert.
bb) Der Zeuge St… konnte nichts Weiterführendes zur Einstellung des Angeklagten zum Islam sagen.
cc) Der Zeuge E… gab an, dass er den Angeklagten seit 5 bis 6 Jahren gut kenne, im Jahr 2017 sei der Kontakt sporadischer gewesen. Der Angeklagte sei sunnitischer Muslim und folge der weit verbreiteten hanefitischen Rechtsschule. Der Angeklagte habe sich ihm gegenüber ablehnend bis feindlich gegenüber dem Salafismus geäußert. Mit Menschen, die einer radikalen Ansicht gefolgt seien, habe er viel diskutiert und habe sehr stark gegen deren Einstellung argumentiert. Der Angeklagte habe ein „Büchlein“ verfasst, in dem er ultraorthodoxe Muslime anprangere. Der Angeklagte sei aus persönlichen Gründen sehr gegen den „IS“ eingestellt gewesen. Der Angeklagte habe auch auf die Entscheidung des Zeugen, vor 2 Jahren aus dem Islam auszutreten, nicht negativ reagiert.
dd) Der Zeuge M1. Po… hatte in den letzten vier bis fünf Jahren nur noch sporadischen Kontakt zu dem Angeklagten. Er schilderte diesen als „religiösen Typ“. Der Angeklagte sei sunnitischer Muslim, der bete und keinen Alkohol trinke. Er habe ihn nicht als radikal erlebt und würde ihn auch nicht als Salafisten beschreiben, Gewalt habe dieser nie gutgeheißen. Der Angeklagte habe bis 2014 ca. 1 Jahr lang an seinem Religionsunterricht teilgenommen, bevor sich die Gruppe wieder aufgelöst habe. Der Bruder des Angeklagten (Samir A…) habe einen Hang zum Extremen und hätte sich schließlich von ihnen abgekapselt. Der Angeklagte sei in seinem Verhalten eher wechselhaft gewesen, er habe seine Lehrer oft gewechselt, sei aber nie bei einem extremen Lehrer gewesen. Es habe einmal ein Gebet auf dem M2.platz gegeben, wobei er nicht wisse, ob der Angeklagte teilgenommen habe. Dies sei aber gut möglich, weil dieser ab und zu an der Kasse ausgeholfen habe. Radikale Anhänger des Islam lehnten ihre Aktivitäten ab. Ihre Veranstaltungen würden von radikalen Moslems definitiv nicht besucht werden.
ee) Auch der Zeuge C…, der bis vor drei oder vier Jahren engen Kontakt zu dem Angeklagten hatte und danach noch losen Kontakt zu dem Angeklagten pflegte, stellte fest, dass der Angeklagte sich intensiver mit dem Thema Religion auseinandersetzte. Der Angeklagte sei ein eher konservativer Moslem gewesen, habe ihm gegenüber jedoch immer angegeben, dass er gegen den Salafismus und die Salafisten sei, weil diese verschiedene Gelehrtenmeinungen so vermischen würden, wie sie es für ihre Sache brauchten. Der Angeklagte habe ihm auch geschildert, dass er sich mit anderen Leuten darüber unterhalten habe und von diesen als „Ungläubiger“ beschimpft worden sei.
ff) Der Zeuge S1. Po…, der den Angeklagten seit seiner Kindheit kennt, gab an, dass er mittlerweile zwar weniger Kontakt zu dem Angeklagten habe, dieser aber weiter fortbestehe. Der Angeklagte habe an seinen Unterrichten teilgenommen, er sei sehr wissbegierig hinsichtlich des Islams gewesen. Er sei dem Angeklagten irgendwann etwas zu liberal erschienen, dieser habe eine traditionellere Einstellung gehabt und sei deshalb seltener zu seinen Unterrichten erschienen. Der Angeklagte habe den Salafismus strikt abgelehnt und habe dagegen argumentiert. Er habe auch Kontakt zu radikal salafistischen Jugendlichen gehabt und versucht, diese argumentativ davon zu überzeugen, dass sie eine falsche Einstellung hätten. Er sei dann geknickt gewesen, weil diese ihn abgelehnt hätten und nicht einmal in seiner Gegenwart hätten beten wollen. Den Angeklagten habe er als streng gläubig erlebt, jedoch ohne Gewalttendenzen. Der Angeklagte sei immer absolut gegen den „IS“ eingestellt gewesen.
gg) Der Bruder des Angeklagten, Samir A… gab an, dass der Angeklagte dem Sufismus zugewandt sei. Seine Ansichten seien konservativ liberal gewesen, nicht extrem, wie die des Zeugen selbst. Der Zeuge habe Widerstand in einigen islamischen Ländern als gerechtfertigt angesehen, demgegenüber habe der Angeklagte versucht, ihn davon abzubringen. Sein Bruder habe mit dem Salafismus nichts zu tun gehabt. Er habe in religiösen Fragen vieles lockerer gesehen. Der Angeklagte habe den „IS“ gehasst.
hh) Der Zeuge M3. S2.… gab an, dass er den Angeklagten seit ca. 4 Jahren ziemlich gut kenne. Sie seien befreundet. Er habe den Angeklagten als sehr liberal kennengelernt. Er gehöre keiner salafistischen Gruppierung an, sondern folge eher dem Sufismus. Der Angeklagte stehe dem Salafismus sehr negativ gegenüber. Der Zeuge gab an, dass er nur wenige Personen kenne, die sich so stark wie der Angeklagte gegen diese Strömung ausgesprochen hätten. Der Angeklagte habe – wie er selbst – an einem Freitagsgebet teilgenommen, das vom M2.platz in eine katholische Kirche verlegt worden sei. In Chats seien er und der Angeklagte als „Ungläubige“, „Modernisten“ und „Abtrünnige“ angefeindet worden. Der Zeuge gab an, zusammen mit dem Angeklagten ein Buch geschrieben zu haben, in dem sie ausgeführt hätten, dass das, was Salafisten machten, nicht rechtmäßig sei.
ii) Die von dem Angeklagten seit Januar 2019 getrenntlebende Ehefrau gab an, dass der Angeklagte sich ihr gegenüber stets ablehnend zum Salafismus bzw. dem „IS“ geäußert habe. Ihr gegenüber habe er sich immer beschwert über den „IS“ und den radikalen Islam. Demgegenüber habe sie im Verlauf der Ehe nie mitbekommen, dass der Angeklagte mit diesen Strömungen sympathisiert hätte. Im Jahr 2014 sei es einmalig zu einer spontanen Äußerung des Angeklagten ihr gegenüber gekommen. Damals habe er geäußert, dass er nach Syrien oder den Irak gehen wolle, um für den „IS“ zu kämpfen. Damals sei sie schwanger gewesen. Sie wisse nicht, warum er schließlich von diesen Plänen abgelassen habe.
b) Die polizeilichen Ermittlungen zeichnen ein uneinheitliches Bild hinsichtlich der religiösen Einstellung des Angeklagten, sind aber in ihrer Gesamtschau nicht dazu geeignet zu belegen, dass der Angeklagte zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit Anhänger des Salafismus oder des „IS“ gewesen wäre.
aa) KHK G… konnte zu den polizeilichen Erkenntnissen zur Entwicklung des Angeklagten Angaben machen. Dieser habe am 04.05.2014 an einer Spendenveranstaltung für Syrien teilgenommen, zu der als Redner auch das „Who-Is-Who“ der salafistischen bzw. islamistischen Szene, wie beispielsweise Pierre V…, angekündigt gewesen sei. Einige der Teilnehmer seien später in den sogenannten „Jihad“ ausgereist, jedoch seien sicher nicht sämtliche Teilnehmer Jihadisten gewesen. Im Oktober 2014 habe es bei einer Polizeikontrolle des Hendrik S… Auffälligkeiten gegeben. Bei dieser seien verschiedene Nachrichten des Angeklagten auf dem Handy des Kontrollierten eingegangen. In einer Nachricht habe sich der Angeklagte dahingehend geäußert, dass der „Jihad“ im Islam so sei wie die Bundeswehr in Deutschland. Der Polizeibeamte gab weiter an, dass eine Auswertung des Facebook-Accounts des Angeklagten ergeben habe, dass dort im Jahr 2014 ein Foto des IS-Mitglieds „Jihadi John“ aufgefunden worden sei. Zusammenfassend gab der Polizeibeamte KHK G… an, dass er aufgrund seiner polizeilichen Erkenntnisse nicht bewerten könne, ob der Angeklagte Salafist sei, aber dieser habe sich jedenfalls mit Salafisten abgegeben.
bb) Der Polizeibeamte KHK Sch… sagte aus, dass bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten im Schlafzimmer auch Camouflage-Kleidung mit Aufdrucken in arabischer Schrift aufgefunden worden sei. Hierzu konnte der Polizeibeamte KHM R… angeben, dass die Aufdrucke dem Schriftzug des „IS“ sehr ähnlich gesehen hätten, außerdem sei ein Stirnband mit dem Glaubensbekenntnis aufgefunden worden. Die entsprechenden Lichtbilder wurden in Augenschein genommen. Soweit der Bruder des Angeklagten hierzu angegeben hat, dass der Angeklagte auch Kleidung von ihm in seinem Kleiderschrank aufbewahrt habe und die bei der Durchsuchung aufgefundene Kleidung ihm gehöre, hat die Kammer an diesen Angaben grundlegende Zweifel und geht davon aus, dass diese unzutreffend sind und der Zeuge den Angeklagten insoweit entlasten wollte. Dennoch kommt dem Umstand, dass der Angeklagte derartige Kleidungsstücke verwahrt hat, allenfalls eine vage indizielle Bedeutung zu. Sichere Rückschlüsse auf eine von dem Angeklagten verfolgte Ideologie lassen sich aus dem Besitz solcher Kleidungsstücke nicht ziehen.
cc) Der Polizeibeamte KHM R… konnte angeben, dass bei der Durchsicht des Handys des Angeklagten aufgefallen sei, dass dieser auf seinem „Telegram“-Account viele Gruppen abonniert gehabt habe, die einen Bezug zu religiösen Inhalten gehabt hätten. Die Aussage des Angeklagten gegenüber dem Diplom-Psychologen RR H…, dass er den „Telegram“-Chat gemeldet habe, hat sich so nicht bestätigt. Die polizeilichen Ermittlungen haben – wie KHM R… schilderte – lediglich ergeben, dass der Angeklagte sich beim Kundendienst der Firma „Telegram“ informiert habe, ob es möglich sei, auffällige Inhalte mitzuteilen. Anhaltspunkte, dass es zu einer solchen Mitteilung tatsächlich gekommen sei, hätten sich im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen nicht ergeben.
dd) Aus der Handyauswertung ergab sich, dass der Angeklagte einzelne Nachrichten versendet hat, die auf eine radikale Einstellung hindeuten könnten. So wurde eine Nachricht des Angeklagten vom 12.9.2017, also nur wenige Tage vor der Durchsuchung beim Angeklagten, verlesen, in der dieser folgende Nachricht an Haidar Hussein Nor schrieb: „Möge Allah die die kufar aneinander hetzen damit die zu tun haben und uns vergessen und wir dann vom Hinterhalt kommen können…“ und „Wir müssen echt für den tauhid sterben“. Neben dieser Nachricht schrieb der Angeklagte nach den Angaben des Polizeibeamten KHK G… auch eine Nachricht an seine Ehefrau in arabischen Schriftzeichen, die übersetzt worden sei und die folgenden Inhalt gehabt habe: „Wir bekämpfen Assad, den Hund, die Schiiten und die Ungläubigen in aller Welt“.
ee) Die polizeiliche Hauptsachbearbeiterin KHKin P… fasste das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen so zusammen, dass positive Erkenntnisse zu radikalen Tendenzen weder zum Tatzeitpunkt noch für den Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorliegen würden, allerdings sei der Bruder des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 89 a StGB rechtskräftig verurteilt worden. In der Vergangenheit habe es verschiedene Auffälligkeiten auf dem Facebook-Account des Angeklagten gegeben. So habe er zu einem Zeitpunkt, als diese noch nicht verboten gewesen sei, eine „IS“-Flagge gepostet. Außerdem gab die Zeugin an, dass durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt worden sei, dass der Angeklagte früher einen Post eines Predigers geliked habe, der der salafistischen Szene zuzurechnen sei und einen Post von einer Person namens „Abu Ibrahim“, der den Titel getragen habe „Ich möchte ein Mujahid sein und als Saheed sterben“. Die Auswertung des aktuellen Facebook-Accounts des Angeklagten habe keine Auffälligkeiten ergeben. Auch der Polizeibeamte KHK Sch… gab an, dass es aktuell keine konkreten Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Angeklagte der salafistischen Ideologie folge.
ff) KHK W… vom Kompetenzzentrum für Deradikalisierung gab ab, dass ihm der Angeklagte aus seiner Tätigkeit seit dem Jahr 2013 bekannt sei. Damals sei er im Zusammenhang mit einem Gebetskreis in N1 aufgefallen. Dieser sei von den Brüdern P… initiiert worden mit dem Ziel, Leute von der Straße zu bekommen. Der Zeuge schilderte, dass es sich nach seiner Erfahrung sehr schwierig gestalte, mit radikalen Moslems ins Gespräch zu kommen. Demgegenüber habe der Angeklagte nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft im Jahr 2018 Kontakt zu ihm gesucht. Er habe ihm gegenüber angegeben, dass er sich selbst nicht als radikal einschätze, aber für den Fall, dass man in Gesprächen mit ihm zu einer anderen Einschätzung käme, er bereit sei, sich damit auseinanderzusetzen. Aus Sicht des Zeugen habe sich der Angeklagte damals immer im Umfeld eines Milieus aufgehalten, das unter polizeilicher Beobachtung gestanden habe und das man vereinfacht als salafistisch bezeichnen könne. Im Gegensatz zu seinem Bruder sei der Angeklagte aber eher nur „mitgeschwommen“. Der Angeklagte selbst sei nie so aufgetreten, dass ein Anlass zu vertieften Ermittlungen bestanden hätte. Er habe keine Aussagen in Erinnerung, die auf eine extreme Gesinnung hätten schließen lassen. Religion habe für den Angeklagten eine wichtige Rolle gespielt, er habe eine differenzierte Betrachtung gehabt und bestimmte Punkte hätten aus Sicht des Zeugen nicht zu einer salafistischen Grundeinstellung gepasst. Er habe verschiedene Personen aus dem salafistischen Bereich gekannt, sei aber selbst nie so in Erscheinung getreten, dass man sagen könnte, er habe zu einer engeren salafistischen Szene gehört. Bei einem persönlichen Gespräch nach der Haftentlassung sei der Angeklagte sehr mitteilungsbedürftig gewesen und habe versucht, den Zeugen zu überzeugen, dass er kein radikales Gedankengut vertrete. Hinsichtlich seiner Ausführungen in Sachen Religion sei der Angeklagte sehr in die Tiefe gegangen. Zum Thema Salafismus habe der Angeklagte während dieses Gesprächs geäußert, dass er diesen nicht gut finde.
gg) ORR W… berichtete, dass es in der Zeit, in der sich der Angeklagte in Untersuchungshaft in der JVA St. befunden habe, keine Anhaltspunkte dafür gab, dass der Angeklagte dem „IS“ angehört hätte oder dass er versucht hätte, zu bestimmten Personen innerhalb der JVA Kontakt aufzunehmen, die diesem Gedankengut nahestehen.
Insgesamt lässt sich in einer Gesamtschau sämtlicher Umstände kein klares Bild von der religiösen Einstellung des Angeklagten zeichnen. Einige Äußerungen gegenüber Dritten lassen radikale Tendenzen vermuten, auch soll er sich in der Vergangenheit zeitweise in einem salafistischen Umfeld bewegt haben, wobei hier klare Verhaltensweisen des Angeklagten nicht festzustellen waren. Andererseits äußerte er sich wiederholt ablehnend gegenüber dem „IS“ und soll nach übereinstimmenden Zeugenaussagen versucht haben, radikal eingestellte Moslems von ihrer Einstellung abzubringen. Die Kammer vermag auch aus den Äußerungen des Angeklagten in Nachrichten gegenüber Dritten nicht den sicheren Schluss zu ziehen, dass dieser aktuell eine salfistische Ideologie verfolgt hätte oder gar Anhänger des „IS“ gewesen sei.
2. Dass sich der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen November 2016 und dem 15.09.2017 über das Internet das Video mit dem Titel „You Must Fight Them, O Muwahhid“ verschaffte, ergibt sich zunächst aus dem Umstand, dass auf dem am 15.09.2017 sichergestellten Smartphone des Angeklagten, wie die Polizeibeamtin KHKin P… angab, ein Bild (ein sogenanntes „Thumbnail“) festgestellt werden konnte, das im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen zweifelsfrei dem entsprechenden Video zugeordnet werden konnte. Das Video selbst wurde auf den Datenträgern des Angeklagten nicht gefunden, konnte jedoch im Rahmen früherer Ermittlungstätigkeiten im Internet gesichert werden. Dieses Video wurde durch die Kammer im Rahmen der Hauptverhandlung auszugsweise in Augenschein genommen. Danach hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass das bei dem Angeklagten gesicherte Bild aus dem genannten Video stammt.
3. Im Rahmen der Inaugenscheinnahme des Videos konnte sich die Kammer selbst davon überzeugen, dass darin neben anderem auch gezeigt wird, wie man mit haushaltsüblichen Mitteln einen Sprengsatz bauen kann.
4. Dass sich der Angeklagte jedenfalls den Teil des genannten Videos verschafft hat, in dem die Herstellung eines Sprengsatzes erklärt wird, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund folgender Umstände:
a) Auf dem bei dem Angeklagten sichergestellten Smartphone konnte ein Bild (sog. „Thumbnail“) gesichert werden, auf dem eine Person in Tarnfleckuniform zu sehen ist, deren Gesicht durch eine Sturmhaube unkenntlich gemacht ist und die hinter einer Arbeitsfläche in einer Küche steht. Augenscheinlich handelt es sich genau um die Person, die in dem Video mit dem Titel „You Must Fight Them, O Muwahhid“ zu sehen ist und die darin den Versuchsaufbau zur Herstellung einer Bombe erklärt und selbst einen Sprengsatz in einer Küche herstellt. Nach der Aussage der Polizeibeamten KHK S… und KHM R… hätten die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass es sich bei dem Sprengstoff um TATP handelt.
b) Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten wurde auf dem Schreibtisch in der Wohnung eine Zeichnung aufgefunden, die mit der Überschrift „Creme Herstellen“ versehen war, wie die Zeugin KHKin P… und der Zeuge KHK S… angeben konnten.
Diese Zeichnung wurde ohne vernünftigen Zweifel vom Angeklagten angefertigt. Die Zeichnung wurde auf einem Schreibtisch in der Wohnung des Angeklagten aufgefunden und im Rahmen der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Der Sachverständige Dr. W… führte hierzu aus, dass aus der Skizze herauslesbar sei, dass für den Versuchsaufbau ein offenes Gefäß, zwei Flüssigkeiten mit jeweils 25 ml (bezeichnet mit „A.P.“ und „H.P.“) in einem Eisbad gekühlt werden müssten, wobei eine Temperaturmessung erforderlich sei, 2,5 ml „SS“ tröpfchenweise hinzugegeben werden müsse und nach 24 bis 48 Stunden sich ein Produkt aus Feststoff abscheide, der abfiltriert werden müsse und sodann in ein Gefäß gepackt werden müsse. Hierbei handele es sich um eine typische Anleitung für die gängige TATP-Synthese. Der Sachverständige gab weiter an, dass der skizzierte Versuchsaufbau nicht zur Herstellung einer Creme tauge, da diese aus einer wässrigen Phase und Fett bestehe. Um diese zu vermischen sei eine Erwärmung erforderlich und später müsse gekühlt werden, um die Konsistenz einer Creme zu erlangen. Eine Kühlung bei der Herstellung würde dazu führen, dass sich die beiden Phasen nicht vermischen würden. Der Sachverständige führte weiter aus, dass das Video „Greif sie an“ sehr gut zu der Skizze passen würde. Viele Details, wie die Mengenangaben für die Flüssigkeiten und die Zeitangaben passten so genau, dass Zufälle nicht wahrscheinlich seien.
c) Im Übrigen ist die Kammer nach auszugsweiser Inaugenscheinnahme des genannten Videos auch aus eigener Anschauung zu der Überzeugung gelangt, dass sowohl der skizzierte Versuchsaufbau als auch die Mengenangaben den in dem Video angegebenen entsprechen. Es ist ausgeschlossen, dass der Angeklagte eine solche Zeichnung ohne intensive Beschäftigung mit dem Video und ohne ein mehrmaliges Anschauen hätte anfertigen können.
d) Weiter steht aufgrund des im Rahmen der Hauptverhandlung verlesenen Behördenzeugnisses des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 03.05.2018 zur Überzeugung der Kammer fest, dass der unter dem Namen „Imam Tahawi“ auftretende Telegram-Nutzer am 15.07.2017 innerhalb der Telegram-Gruppe „W…“ einen Link zu dem Bombenbauvideo (mit „Thumbnail“) veröffentlichte und daran die Frage anschloss „Salam alaikum. When i make this bomb, i must wahter Take im This buddle? Sry, my English is not the best!“. Ausweislich des Behördenzeugnisses konnte der Telegram-Nutzer „I…“ als Nidal A… Geburtsdatum 08.05.1990 in München, Anschrift: … München identifiziert werden. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz habe die „Telegram“-Gruppe zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Nachricht im Juli 2017 fast 400 Mitglieder umfasst und habe der Veröffentlichung von Propagandamaterial der Terrororganisation „IS“ gedient. Nach Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei davon auszugehen, dass die Mitglieder zumindest als Sympathisanten und in Einzelfällen als Unterstützer dieser Terrororganisation eingeschätzt werden könnten. Die Polizeibeamtin KHKin P… schilderte, dass es sich bei dem in dem Chat enthaltenen Thumbnail ebenfalls um ein Bild handelt, das in dem Bombenbauvideo zu sehen ist.
e) Insgesamt geht die Kammer aufgrund des Umstands, dass sich der Angeklagte intensiv mit dem Video beschäftigt hat und eine Skizze nach der Anleitung des Videos fertigte und des Umstands, dass der Angeklagte in einer Äußerung innerhalb eines Telegram-Chats den Link zu dem Bombenbauvideo verknüpfte, davon aus, dass sich der Angeklagte das Video nicht nur im Internet angesehen hat, sondern dass er sich dieses auch heruntergeladen hat und damit – zumindest vorübergehend – tatsächliche gegenständliche Herrschaft über das Video hatte. Die Fertigung einer derart detaillierten Skizze, wie beim Angeklagten aufgefunden, ist aus Sicht der Kammer alleine aufgrund einmaligen Betrachtens des Videos im Internet nicht möglich.
5. Dass der Angeklagte in seiner Wohnung bzw. dem dazugehörigen Kellerabteil verschiedene Gegenstände aufbewahrte, die beim Bau eines Sprengsatzes, wie in dem Video gezeigt, Verwendung finden können, ergibt sich aus folgenden Umständen:
a) Aus den Sicherstellungsverzeichnissen und den Ausführungen der Polizeibeamten KHKin P… und KHM R…, sowie den Lichtbildern von der Auffindesituation, die in Augenschein genommen wurden, ergibt sich, dass bei der Durchsuchung am 15.09.2017 in einer am Boden stehenden Kiste im Kellerabteil eine Metallschachtel mit 26 Metallkugeln aufgefunden wurde, außerdem unter anderem Streichhölzer, zwei Portionierungsspritzen und eine LED mit angelöteten Kabeln. Bei einer zweiten Durchsuchung am Abend des gleichen Tages wurde eine alte Autobatterie ohne Flüssigkeit und eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit aufgefunden. Außerdem konnte KHM R… angeben, dass bei der Durchsuchung zahlreiche Glühbirnen aufgefunden worden seien.
b) Wie der Sachverständige Dr. W… berichtete, hat die chemische Analyse der aufgefundenen Flüssigkeit ergeben, dass es sich dabei um Schwefelsäure mit einer gemessenen Dichte von 6 % gehandelt hat. Dies entspricht einer geringeren Dichte als die von normaler Akkumulatorsäure, die normal bei mehr als 20 % liege. Die Säure sei selbst kein explosionsrelevanter Stoff, könne aber als Katalysator bei der Herstellung von Explosivstoffen, insbesondere zur Herstellung von TATP, dienen. Der Sachverständige konnte keine definitive Aussage dazu treffen, ob die Konzentration der sichergestellten Säure dafür ausreiche, da in den Anleitungen für die Herstellung von Explosivstoffen stets eine höhere Konzentration empfohlen werde. Er führte jedoch aus, dass aus seiner Sicht auch die geringer konzentrierte Schwefelsäure ausreiche, zumal diese auch leicht aufkonzentrierbar sei. Hierzu passt auch, dass der Angeklagte auf seinem Handy am 14.07.2017 nach dem Begriff „Schwefelsäure“ suchte, wie KHKin P… angab. Der Sachverständige führte weiter aus, dass in dem Video Spritzen zum Zugeben des Wasserstoffperoxids Verwendung fänden, im Video werde erklärt, dass eine Glühbirne als Zünder verwendet werden solle. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W… könne nach der Anleitung in dem Video ein funktionsfähiger Sprengsatz hergestellt werden. Je nach Reinheit des hergestellten TATP könne eine Menge von 50 bis 100 Gramm TATP mit einer Wirkung von einer Verpuffung oder Stichflamme bis zur Wirkung einer militärischen Splitterhandgranate erzeugt werden. Die aufgefundenen Spritzen, die Metallkugeln und die Streichhölzer seien ohne weiteres zum Bau des Sprengsatzes verwendbar, bei der aufgefundenen LED stehe dies unter einem Vorbehalt. In dem Video werde nämlich als Zünder eine kleine Glühlampe mit Glühdraht verwendet, bei der der Glaskörper mittels eines Schmirgelpapiers geöffnet werde. Dies sei jedoch in dem Video nicht eindeutig zu erkennen, wovon sich auch die Kammer selbst bei der Inaugenscheinnahme des Videos überzeugt hat. Demgegenüber sei bei der Durchsuchung bei dem Angeklagten eine LED gefunden worden. Diese sei aufgrund einer hohen thermischen Belastung durch eine zu hohe angelegte Spannung zerstört worden. Der Sachverständige führte aus, dass eine LED weder über einen Glühdraht noch über einen Hohlraum verfüge, der aufgeschmirgelt werden könnte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen komme es durch das Anlegen einer zu hohen Spannung (beispielsweise unter Verwendung eines „9-Volt-Blocks“) kurzzeitig zu einer Temperatur von 180 Grad Celsius, bevor eine LED durchbrenne. Nach seinen Ausführungen sei es weiter plausibel, dass es durch diese Temperatur zur Umsetzung von TATP kommen könne, also TATP zur Explosion gebracht werden könne. Somit sei auch eine LED grundsätzlich dazu geeignet, als Zünder eines solchen Sprengsatzes zu dienen.
c) Allerdings wurden bei der Durchsuchung wesentliche Grundstoffe zur Herstellung von TATP nicht aufgefunden. So bewahrte der Angeklagte weder Aceton noch Wasserstoffperoxid auf. Der Sachverständige Dr. W… führte zur Beschaffbarkeit dieser Stoffe aus, dass man Aceton durchaus im Baumarkt erhalten könne, Wasserstoffperoxid sei hingegen für Privatpersonen nicht frei verfügbar und deshalb schwerer zu beschaffen.
6. Dass der Angeklagte unter dem Nutzernamen „Imam Tahawi“ innerhalb der Telegram-Gruppe „W…“ am 12.07.2017 damit gedroht hatte, Spione und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes umzubringen, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Angaben von KHKin P… und der verlesenen Mitteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, KHKin P. gab an, dass den polizeilichen Ermittlungen Mitteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz zugrunde lagen. Nach dieser Mitteilung habe der „Telegram“-Nutzer „Imam T…“ am 12.07.2017 in der Telegram-Gruppe „W…“ damit gedroht, „Spione“ und „Mitarbeiter des Verfassungsschutzes“ umbringen zu wollen. Abgerundet wird dieses Bild davon, dass bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten ein Ordner aufgefunden werden konnte, in dem ein Buch mit der Aufschrift „Die Glaubenslehre des Islam al-Tahawi“ aufgefunden werden konnte, das nach den Feststellungen des Polizeibeamten KHM R… bearbeitet wirkte bzw. mit Notizen versehen war. Der Angeklagte hat sich somit mit der Lehre dieser Person intensiv auseinandergesetzt, weshalb es aus Sicht der Kammer nachvollziehbar ist, dass er sich in dem „Telegram“-Chat dieses Aliasnamens bediente.
7. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte sich die Bombenbauanleitung in der Absicht verschafft hat, eine Tat nach § 89 a Abs. 1 StGB zu begehen.
a) Hierfür spricht zunächst, dass sich der Angeklagte das Video aus dem Internet nicht lediglich angesehen hat und dieses damit eventuell nur flüchtig wahrgenommen haben könnte. Vielmehr hat der Angeklagte unter Zugrundelegung des Videos eine detaillierte Skizze angefertigt, die bis in die Einzelheiten mit den Angaben in dem Video übereinstimmt. Dies setzt zur Überzeugung der Kammer ein mehrmaliges Ansehen des Videos ebenso voraus, wie eine intensive Befassung mit dem Inhalt und den chemischen Abläufen bei der Synthese der Stoffe zur Herstellung des Sprengstoffes.
b) Hinzu kommt, dass der Angeklagte nach den durchgeführten Ermittlungen am 15.07.2017 in einer „Telegram“-Gruppe in englischer Sprache Unterstützung suchte, indem er dort in englischer Sprache nachfragte, ob er beim Bau der Bombe Wasser zugeben müsse.
c) Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte noch am 12.07.2017 in der „Telegram“-Chatgruppe „W…“ unter dem Nutzernamen „Imam T…“ damit drohte, dass er „Spione“ und „Mitarbeiter des Verfassungsschutzes“ umbringen wolle.
d) Auch das konspirative Verhalten des Angeklagten spricht dafür, dass er nicht nur zufällig Kenntnis von der Anleitung zum Bombenbau erlangt hat. Dies zugrunde gelegt wäre für die Kammer das von dem Angeklagten gezeigte konspirative Verhalten nicht nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob aus der bei dem Angeklagten aufgefundenen Verschlüsselungssoftware Rückschlüsse gezogen werden können. Denn wie der Polizeibeamte KHM R… angab, wurden bei einer ersten Durchsicht des Handys verschiedene Verschlüsselungs-Apps festgestellt, die dazu gedient hätten, das eigene Nutzerverhalten im Internet zu anonymisieren. Dies sei ihm aufgrund der Masse der aufgefundenen Apps ungewöhnlich erschienen. Außerdem sei bei der Durchsuchung der Wohnung ein Notizzettel aufgefunden worden, auf dem eine Vielzahl von Verschleierungs-Apps aufgeführt gewesen seien, sowie eine Anleitung zur Unbrauchbarmachung des im Personalausweis enthaltenen Chips. Auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte am 15.07.2017 im Internet nach den Begriffen „Abhören, Überwachen, Durchsuchen – was ist erlaubt bei Verdacht…“ suchte, wie KHKin P. angab, können keine sicheren Schlüsse gezogen werden. Etwas anderes gilt hinsichtlich der Überschrift über der Skizze zum Versuchsaufbau („Creme Herstellen“). Diese spricht eindeutig für ein außerordentlich konspiratives Verhalten des Angeklagten mit konkretem Bezug zu dem Bau des Sprengsatzes. Dieses lässt sich nicht mit einem allgemeinen Sicherheitsbedürfnis des Angeklagten erklären, sondern war definitiv dazu gedacht, seine wahren Absichten zu verdecken.
e) Im Übrigen hat der Angeklagte auch in der Vergangenheit gezeigt, dass er einen Hass auf staatliche Stellen, insbesondere den Verfassungsschutz hegt. Dies ergibt sich nicht nur aus der Aussage in dem Telegram-Chat, in dem der Angeklagte drohte, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes umbringen zu wollen. Vielmehr lässt auch das Verhalten des Angeklagten in früheren Situationen Rückschlüsse zu. So konnte der Polizeibeamte KHK S…, der die Besuchsüberwachung durchführte, als der Angeklagte am 22.02.2016 seinen damals in Untersuchungshaft befindlichen Bruder in der Justizvollzugsanstalt besuchte, dass beide sich gegenseitig hochgeschaukelt hätten und relativ aggressiv über die ermittelnden Polizeibeamten und den Staat im Allgemeinen geschimpft hätten, auch wenn der Angeklagte zwischendurch versucht habe, seinen Bruder zu besänftigen. In diesem Zusammenhang ist auch die Äußerung gegenüber der Diplom-Psychologin P… zu sehen, der gegenüber der Angeklagte angegeben hat, dass es möglich sei, dass er eine Drohung gegen den Verfassungsschutz ausgesprochen habe, da er sich durch die Polizei übermäßig überwacht gefühlt habe.
Aus Sicht der Kammer lässt die in dem „Telegram“-Chat verlautbarte Drohung, „Spione“ und „Mitarbeiter des Verfassungsschutzes“ umbringen zu wollen, in der Zusammenschau mit dem Verschaffen einer Anleitung zum Bombenbau, dem vorrätighalten verschiedener dazu benötigter Bauteile und dem Skizzieren der Bombenbauanleitung den Schluss zu, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, einen derartigen Anschlag zu begehen.
8. Anhaltspunkte dafür, dass bei Tatbegehung Umstände vorgelegen hätten, die die Schuldfähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt hätten, haben sich weder im Rahmen der Ermittlungen noch im Verlauf der Hauptverhandlung ergeben.
D. Rechtliche Würdigung
I. Die Tat stellt sich strafrechtlich als ein Vergehen der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dar (§ 91 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
1. Der Angeklagte hat sich ein Video verschafft, in dem gezeigt wird, wie mit haushaltsüblichen Mitteln eine Bombe hergestellt werden kann. Zwar wurde das Video selbst auf dem Rechner des Angeklagten nicht gefunden, wohl aber ein sogenanntes „Thumbnail“.
a) Bei dem Video handelt es sich um eine Schrift im Sinne des § 91 StGB. Nach der Definition des § 11 Abs. 3 StGB stehen den Schriften Ton- und Bildträger, Datenspeicher und Abbildungen und andere Darstellungen gleich.
b) Der Angeklagte hat sich dieses Video auch verschafft.
aa) „Sich-Verschaffen“ ist jede Handlung, die zum Erlangen gegenständlicher Herrschaft über ein Exemplar der Schrift führt. Hierzu zählt auch das Herunterladen oder Speichern elektronischer Dateien (vgl. Fischer, § 91 Rn. 17; BT Drs. 16/12428, S. 13). Das bloße Betrachten einer Datei im Internet mit dem hiermit verbundenen Speichern im Cache-Speicher soll hierfür nicht ausreichend sein (vgl. Fischer a.a.O.). Allerdings verlangt die Gesetzesbegründung lediglich, dass der Täter einen „nicht nur flüchtigen, vorübergehenden Zugriff“ auf die Daten hatte (vgl. BT Drs. 16/12428, S. 18, 2. Absatz), außerdem bedarf es keiner physischen Herrschaft über die Daten (ebenda).
bb) Aufgrund des Umstands, dass sich der Angeklagte unter Zugrundelegung des Videos eine Skizze des Versuchsaufbaus mit genauen Mengen und Zeitangaben fertigen konnte, ist es aus Sicht der Kammer ausgeschlossen, dass der Angeklagte das Video nur versehentlich angeschaut hat oder lediglich einen flüchtigen, vorübergehenden Zugriff hatte. Vielmehr setzt dies voraus, dass der Angeklagte sich vertieft mit dem Video auseinandergesetzt hat. Zudem enthielt die Anfrage auf dem Telegram-Chat einen Link zu dem Bombenbauvideo.
cc) Im Übrigen stellt auch die vom Angeklagten selbst angefertigte Skizze eine Schrift im Sinne des § 91 StGB dar; über diese hatte er ebenfalls die tatsächliche gegenständliche Herrschaft und sich diese somit durch verschriftlichen des angesehenen Videos „verschafft“.
2. Das Video ist nach seinem Inhalt dazu geeignet, als Anleitung für eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu dienen. Das Video zeigt, wie ein Sprengsatz hergestellt werden kann, der die Wirkung einer militärischen Splitterhandgranate erzielen kann. Der Einsatz eines Sprengsatzes ist grundsätzlich dazu geeignet und bestimmt, Personen im unmittelbaren Wirkbereich zu töten und damit eine Straftat gegen das Leben im Sinne des § 211 oder § 212 StGB zu begehen. Ein derartiger Sprengstoffanschlag gegen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes als staatliches Organ, dessen vorrangige Aufgabe darin besteht, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu schützen (wie sich schon aus dem Namen ergibt), ist auch dazu geeignet, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden und Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu untergraben.
3. Für die Strafbarkeit nach § 91 StGB spielt es keine entscheidende Rolle, welchem Gedankengut der Angeklagte anhängt. Somit entfällt eine Strafbarkeit nicht deshalb, weil im Rahmen der Hauptverhandlung nicht festgestellt werden konnte, dass der Angeklagte eine radikale islamistische Strömung verfolgt hätte. Die Vorschrift erfasst nämlich nicht nur eine Tätergruppe mit einer bestimmten Motivation; sie stellt vielmehr beispielsweise Vorbereitungshandlungen mit militant-religiösem Hintergrund ebenso unter Strafe wie solche, bei denen der Täter aus politisch extremistischen Motiven heraus handelt (so ausdrücklich zu § 89 a StGB BT Drs. 16/12428, S. 2; BGH NJW 2014, 3459, 3464).
4. Der Angeklagte hat sich das Video wissentlich und willentlich verschafft. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er mit dem Video „gearbeitet“ hat und sich darauf basierend eine Skizze zur Herstellung eines Sprengsatzes fertigte.
5. Der Angeklagte handelte auch in der Absicht, unter Nutzung des Inhalts des Videos eine Tat nach § 89 a Absatz 1 StGB zu begehen.
In einer Gesamtschau dieser Umstände ist die Kammer davon überzeugt, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, einen Anschlag auf Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zu begehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers setzt eine Strafbarkeit nach § 89 a StGB nicht voraus, dass der Täter ein schon im Detail geplantes Verbrechen vorbereitet (vgl. BT Drs. 16/12428, S. 14). Nichts anderes kann für die Regelung des § 91 StGB gelten, zumal hier die Strafbarkeit an ein Verhalten anknüpft, das der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89 a StGB denknotwendig zeitlich vorgelagert ist. Insofern kann an die zu fordernde Absicht, mit Hilfe der Schrift eine Tat nach § 89 a StGB zu begehen, kein strengerer Maßstab angelegt werden, als für eine Strafbarkeit nach § 89 a StGB.
II. Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor.
E. Strafzumessung
Der Strafrahmen des § 91 Abs. 1 Nr. 2 StGB sieht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder Geldstrafe vor. Innerhalb des so gefundenen Strafrahmens sind die zu Gunsten und zu Lasten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen.
I. Zugunsten des Angeklagten spricht, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist und der er sich in dieser Sache bereits mehr als sieben Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Außerdem war er nach Entlassung aus der Untersuchungshaft zur Zusammenarbeit mit der Deradikalisierungsstelle bereit.
II. Zu Lasten des Angeklagten spricht, dass er sich nicht nur eine Anleitung zum Bombenbau verschafft hat, sondern darüber hinaus auch schon verschiedene Bestandteile für den Bau des Sprengsatzes vorrätig gehalten hat.
III. Unter Abwägung dieser Strafzumessungsgesichtspunkte hält die Kammer eine Freiheitsstrafe von
einem Jahr
für tat- und schuldangemessen.
IV. Bewährung
Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr konnte zur Bewährung ausgesetzt werden, da das Gericht die begründete Erwartung hat, dass der Angeklagte künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, § 56 Abs. 1 StGB. Der Bundeszentralregisterauszug für den Angeklagten weist keine Eintragung auf. Das Gericht geht davon aus, dass er bereits durch die Verhängung der Strafe nachhaltig beeindruckt ist, zumal er sich bereits vom 26.09.2017 bis zum 02.05.2018 in dieser Sache in Untersuchungshaft befunden hat.
H. Teilfreispruch
Dem Angeklagten wurde von der Generalstaatsanwaltschaft mit unverändert zugelassener Anklageschrift vom 10.04.2018 ein tatmehrheitlich begangenes Vergehen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 StGB zur Last gelegt. Insoweit war der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
1. Eine Strafbarkeit nach § 89 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter sich Stoffe verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in § 89 a Abs. 2 Nr. 1 StGB (also unter anderem Spreng- oder Brandvorrichtungen) bezeichneten Art wesentlich sind. Strafbar ist demnach das Sichverschaffen von wesentlichen Gegenständen oder sogenannten Grundstoffen zur Herstellung der in § 89 a Abs. 2 Nr. 2 genannten Kampfmittel oder Vorrichtungen (vgl. BT Drs. 16/12428, S. 15). Nach der Gesetzesbegründung soll die Beschränkung auf wesentliche Gegenstände oder Stoffe vermeiden, dass auch der Erwerb oder Besitz eines einzelnen Gegenstandes mit einem alltäglichen Verwendungszweck bereits vom Tatbestand erfasst wird. Zur Erfüllung dieser Tatbestandsvariante müssen vielmehr solche Gegenstände oder Stoffe in staatsschutzrelevanter Zielsetzung beschafft oder verwahrt werden, die im Fall ihrer Zusammenfügung oder technischen Manipulation ein taugliches Kampfmittel oder eine taugliche Vorrichtung im Sinne der Nummer 2 ergeben. Das Fehlen von Kleinteilen von untergeordneter Bedeutung verhindert indes nicht die Vollendung des Tatbestands. Ob Gegenstände für die Herstellung wesentlich sind, ist vielmehr stets im Rahmen einer wertenden Gesamtschau im Einzelfall zu beurteilen (vgl. BT Drs. 16/12428 a.a.O.).
2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist eine Strafbarkeit nach § 89 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegend nicht gegeben.
a) Vorliegend wurden bei dem Angeklagten Gegenstände gefunden, die objektiv zunächst alltäglich erscheinen. In einer Gesamtschau mit dem Video, das als Bombenbauanleitung dient und welches der Angeklagte sich verschafft und den Versuchsaufbau skizziert hat, steht für die Kammer jedoch fest, dass diese Gegenstände sich nicht zufällig in den von dem Angeklagten genutzten Räumlichkeiten befunden haben.
b) Die aufgefundenen Gegenstände sind jedoch – auch in ihrer Gesamtheit – nicht dazu geeignet, ein taugliches Kampfmittel herzustellen. Vielmehr fehlten noch wesentliche Zutaten zur Herstellung eines Sprengstoffes. Hierfür war bislang alleine die Schwefelsäure vorhanden, die ihrerseits jedoch lediglich als Katalysator in der Synthese hätte Verwendung finden sollen. Demgegenüber hatte sich der Angeklagte bislang weder Aceton noch das – schwerer zu beschaffende – Wasserstoffperoxid beschafft. Somit hatte der Angeklagte die relevanten Bestandteile zur Herstellung des Sprengstoffes (noch) nicht in seinem Besitz. Insoweit fehlen nach einer wertenden Gesamtschau die wesentlichen Bestandteile für die Herstellung des Sprengstoffes, ohne den aber auch eine Sprengvorrichtung nicht funktionsfähig ist. Die bei dem Angeklagten aufgefundenen Bestandteile sind nicht dazu geeignet, einen funktionsfähigen Sprengsatz herzustellen.
3. Da bereits der objektive Tatbestand des § 89 a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht verwirklicht ist, kann dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte zur Ausführung der Tat im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 89 a StGB bereits fest entschlossen war.
H. Kosten
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO.

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