Verkehrsrecht

Schätzung Mietwagen nach Fracke, Desinfektionskosten, Werkstattrisiko bei nicht erforderlichen Reparaturkosten

Aktenzeichen  12 C 763/22

Datum:
17.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15639
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 287
254
BGB §§ 249

 

Leitsatz

1. Sind im Schadensgutachten nicht erforderliche Reparaturkosten kalkuliert, so hat der Schädiger sie zu ersetzen, wenn deren Anfall durch eine Reparaturrechnung belegt ist. Dem Geschädigten ist diesbezüglich kein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht anzulasten. Hier konkretisiert sich das beim Schädiger liegende Werkstattrisiko.
2. Kosten für Desinfektionsmaßnahmen sind vom Schädiger maximal in Höhe von 45 Euro netto zu ersetzen.
3. Das AG Augsburg schätzt Mietwagenkosten nach dem Modell Fracke.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 293,34 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.01.2022 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 31% und die Beklagte 69% zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 428,16 € festgesetzt.

Gründe

I.
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die volle Haftung der Beklagten für die unfallbedingten Folgen aus dem Unfall vom 12.08.2021 dem Grunde nach ist unstreitig.
1. Reparaturkosten:
Hinsichtlich des Anfalls und der Höhe der streitgegenständlichen Kürzungspositionen aus der Werkstattrechnung gilt, dass die Beklagte das sog. Werkstattrisiko zu tragen hat.
Selbst wenn der Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt wird und diese Kosten nicht angefallen sind, so verhilft das der Verteidigung nicht zum Erfolg.
Wird ein Fahrzeug repariert, so ist der Schaden so zu beheben, wie dies ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten tun würde. Mit einer – wie hier – erfolgten Beauftragung „Reparatur gern. Gutachten“, kommt der Kläger dieser Anforderung nach. Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger nach Abgabe seines Fahrzeuges an die Reparaturwerkstatt keinen Einfluss mehr auf die Reparatur hat. Hat der Kläger das Fahrzeug zur Reparatur gegeben, wobei dieses auf Grundlage des entsprechenden Gutachtens repariert werden sollte, hat der Kläger als Geschädigter das zur Wiederherstellung Erforderliche getan.
Das Gericht folgt damit der herrschenden Rechtsauffassung, dass ein Geschädigter eine geeignete Werkstätte seines Vertrauens beauftragen kann. Ein Geschädigter trägt im Rahmen des Anspruchs auf Erstattung des „erforderlichen“ Geldbetrages nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht das sog. Werkstattrisiko, weil die Reparaturwerkstätte nicht sein Erfüllungsgehilfe im Sinn des § 278 BGB ist. Die Ersatzpflicht erstreckt sich daher auch auf Mehrkosten, die ohne Schuld des Geschädigten – etwa durch unsachgemäße Maßnahmen der von ihm beauftragten Werkstatt – verursacht worden sind (vgl. OLG München, Urteil vom 07. Juli 2006 – 10 U 2270/06 -, Rn. 31, juris).
Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis – sei es aus materiellrechtlichen Gründen oder gar in Anwendung des § 278 BGB oder aufgrund der Beweislastverteilung oder als Verletzung seiner Schadensminderungspflicht – im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten, wohl auch nicht vom Schädiger, kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.
Ein Geschädigter soll schadlos gestellt werden und zwar auf einfache Art und Weise. Es ist nicht seine Aufgabe im Rahmen der Schadensminderungspflicht Nachforschungen darüber anzustellen, ob die im Gutachten ausgewiesenen Reparaturmaßnahmen erforderlich sind oder nicht. Würde man dieses von einem Geschädigten verlangen und verletzt er diese Pflicht, so hat er dennoch die Reparatur gern. Gutachten zu bezahlen und muss in Folgeprozessen gegen Werkstatt und Gutachter versuchen seine Kosten erstattet zu erlangen. Es ist daher sachgerecht den Geschädigten von dem Kostenrisiko einer überhöhten Reparatur grundsätzlich freizustellen und dieses Kostenrisiko dem Schädiger, welcher für den Schaden eben verantwortlich ist, aufzuerlegen. Lediglich für den Geschädigten auch als Laien erkennbar unberechtigte oder deutlich überhöhte Rechnungspositionen sind anders zu bewerten.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nachgewiesen, dass sie bereits 15.843,84 € brutto reguliert hat, und nicht, wie die Beklagte vorgetragen hat 15.772,69 € brutto, so dass die Klage hinsichtlich des Differenzbetrages in Höhe von 101,16 € unbegründet ist.
Dagegen sind die Schadenspositionen 128 (54 € netto) und 47 (54,60 € netto) nach den obigen Erwägungen voll zu erstatten.
Die Schadenspositionen „Maßnahmen aufgrund der aktuellen Covid 19 Situation“ (56,10 € netto = 66,76 € brutto) und Hygienematerial Covid 19“ (10 € netto – 11,90 € brutto) sind danach dem Grunde nach auch zu erstatten. Allerdings sind diese beiden Kostenpositionen mit insgesamt 78,66 € auch für den Laien erkennbar deutlich überhöht, so dass die Regulierung der Beklagten mit 45 € hier ausreichend und angemessen erscheint und der Ersatz weiterer Kosten der Klägerin nicht zustehen. Damit unterliegt die Klägerin in Höhe von weiteren 33,66 €.
2. Mietwagenkosten:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 172,66 €.
Der Geschädigte kann die zur Wiederherstellung erforderlichen Kosten verlangen. Erforderlich sind gern. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Aufwendungen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen (Münchner Kommentar, § 249 BGB, Rn. 385 m.w.N.).
Mietwagenkosten sind demnach grundsätzlich erstattungsfähig.
Die Höhe der Mietwagenkosten wird nach § 287 ZPO durch das Gericht geschätzt, wobei als Schätzgrundlage das arithmetische Mittel von Schwacke-Liste und Fraunhofer Mietpreisspiegel angewendet wird. Die Mittelung beider Listen heben die entsprechenden Unzulänglichkeiten der jeweiligen Listen gegeneinander auf.
Hiernach ergibt sich folgende Berechnung:
Maßgebliches Listenjahr 2021
Klasse des Unfallfahrzeugs 8
Klasse des Mietfahrzeugs 7
Anmietdauer 16 Tage
Postleitzahl 8….
Position
Dauer
Preis/Woche
Preis/Tag
Summe
Fraunhofer Mittelwert
16
276,43 €
39,49 €
613,84 €
Schwacke Modus
16
703,80 €
100,54 €
1.608,69 €
Zwischensumme
2.240,53 €
Arithm. Mittel
1.120,27 €
Haftungsreduktion
16
24,00 €
384,00 €
Zwischensumme
1.504,27 €
geleistete Zahlungen
1.331,61 €
offener Restbetrag
172,66 €
Hier ist im Einzelnen weiter auszuführen:
a. Fahrzeugklasse
Es ist auf die Klasse des angemieteten Fahrzeugs abzustellen (OLG Schleswig, Urteil vom 28.11.2019 – 7 U 39/19 = BeckRS 2019, 29887).
b. Ermittlung der Mietwagenkosten nach Tage
Die Ermittlung der Mietwagenkosten erfolgt durch Aufteilung des größten Zeitraums der Listen (hier 7 Tage) und Mulitplikation mit der Anzahl der Miettage (so zuletzt: OLG Düsseldorf, Urteil vm 05.03.2019, Az. 1-1 U 74/128 = DAR 2019, 329).
c. Haftungsreduktion
Die Kosten für die Haftungsreduktion sind erstattungsfähig, unabhängig von der gewählten Art der Versicherung für das eigene Fahrzeug. Vielmehr ist aus Sicht eines vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Geschädigten nachvollziehbar, wenn der das zumeist junge Mietfahrzeug, das ja nicht ihm selbst gehört, sogar entsprechend besser absichern möchte, als sein eigenes, eventuell schon älteres Fahrzeug.
Der in Ansatz gebrachte Modus-Wert der Schwacke-Liste ist dem arithmetischen Mittel hinzuzurechnen, da die Fraunhofer-Liste keine Erhebungen zu diesem Punkt enthält.
d. Eigenersparnis
Eine Eigenersparnis war nicht in Abzug zu bringen, nachdem die Klägerin einen um 1 Klasse niedrigeren Wagen angemietet hat.
e. Vergleichsangebote der Beklagten
Die von der Beklagtenseite vorgelegten Vergleichsangebote führen nicht dazu, dass die vom Gericht gewählte Schätzgrundlage erschüttert wird. Vielmehr ist eine Schätzung der Kosten des Normaltarifs anhand der Mittelwerte von Schwacke und Fraunhofer zulässig (BGH, Urteil vom 18.05.2010, Az.: VI ZR 293/08; zuletzt auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.03.2019, Az. 1-1 U 74/128 = DAR 2019, 329). Die a. Angebote sind nicht geeignet, da nicht sichergestellt ist, dass dieses Angebot im Zeitpunkt der Anmietung durch die Klägerin verfügbar waren.
3. Verzugszinsen
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.


Ähnliche Artikel


Nach oben