Verkehrsrecht

Verstoß gegen die Zwei-Wochen-Frist

Aktenzeichen  B 1 K 19.46

Datum:
4.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15733
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVZO § 31a Abs. 1
VwGO § 84 Abs. 1 S. 3, § 117 Abs. 3 S. 2
BayVwVfG Art. 43 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
II.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1. Die erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, da sich die Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheides nicht zwischenzeitlich erledigt hat. Nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG erledigt sich ein Verwaltungsakt erst dann, wenn er rechtlich oder tatsächlich keine Wirkung mehr entfaltet. Die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuches wurde für die Dauer von einem Jahr ab Bestandskraft des verfahrensgegenständlichen Bescheides ausgesprochen. Eine Erledigung durch Zeitablauf ist daher nicht eingetreten. Da sich die Fahrtenbuchauflage an den Kläger als Halter des Fahrzeuges richtet, ist es unerheblich, ob er auch als Fahrer des Fahrzeuges in Betracht kommt. Er hat als Halter die ordnungsgemäße Führung eines Fahrtenbuches dahingehend zu gewährleisten, dass sich der jeweilige Fahrzeugführer ordnungsgemäß einträgt. Durch die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers trat keine Erledigung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ein. Für den Kläger als Halter besteht weiterhin die tatsächliche Möglichkeit ein Fahrtenbuch für sein Fahrzeug zu führen.
2. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid vom 10. Dezember 2018 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a. Nach § 31 a Abs. 1 StVZO kann das Landratsamt gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Verwaltungsbehörde kann ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge bestimmen.
Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist dann i.S.v. § 31a Abs. 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Dabei hängen Art und Ausmaß der Ermittlungen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters an der Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleichgelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 12.12.1982 – 7 C 3.80 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2576 – juris Rn. 14). Verweigert ein Fahrzeughalter seine Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers, sind weitere Ermittlungen regelmäßig nicht zumutbar (BVerwG a.a.O), wobei die Verfolgungsbehörde auch in solchen Fällen naheliegenden und mit wenig Aufwand durchführbaren Ansätzen zur Fahrerermittlung nachgehen und das Ergebnis ihrer Bemühungen dokumentieren muss (BayVGH, U.v. 18.2.2016 – 11 BV 15.1164 – juris Rn. 17).
aa. Legt man diesen Maßstab zugrunde, sind die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage erfüllt. In den Akten des Landratsamts ist hinreichend dokumentiert, dass mit dem klägerischen Fahrzeug (amtl. Kennzeichen …*) am 12. Juli 2018 ein Geschwindigkeitsverstoß begangen wurde. Bei einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 44 km/h (nach Abzug der Toleranz), die mit zwei Punkten und einem Fahrverbot von einem Monat geahndet wird, handelt es sich, was § 31 a StVG voraussetzt, um einen Verstoß von einigem Gewicht im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2018 – 11 CS 18.1240 – juris Rn. 19, m.w.N.).
bb. Die Feststellung des Fahrzeugführers war auch unmöglich im Sinne des § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Behörde ihrer in § 31 a StVZO vorausgesetzten Pflicht, zunächst selbst alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Feststellung des Täters zu ergreifen, nur dann genügt, wenn sie den Kraftfahrzeughalter unverzüglich von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung in Kenntnis setzt und dass sie die hierzu eingeräumte Anhörungsfrist – im Regelfall zwei Wochen – nicht überschreiten darf, wobei allerdings bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalles ein Abweichen von dieser Regelfrist begründet sein kann. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem anerkannt, dass eine verspätete Anhörung die Anordnung der Fahrtenbuchauflage dann nicht ausschließt, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist (vgl. BVerwG, B.v. 14.5.1997 – 3 B 28/97 – juris Rn. 3, 5; BayVGH, B.v. 8.11.2010 – 11 ZB 10.950 – juris Rn. 9).
Der Landkreis … übersandte dem Kläger den Anhörungsbogen vom 8. August 2018. Das Anhörungsschreiben an den Kläger wurde korrekt adressiert (Hauptwohnsitz) und kam nicht als unzustellbar in Rücklauf der Behörde. Der Kläger hat den Zugang des Anhörungsbogens lediglich pauschal bestritten und keinen atypischen Geschehensablauf schlüssig vorgetragen, aus dem sich Anhaltspunkte dafür ergeben könnten, dass das Schreiben nicht in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde. Der Kläger erklärte nur, dass er nicht mit Sicherheit sagen könne, ob ihm das Schreiben zugegangen bzw. generell in seinen Machbereich (Briefkasten) gelangt sei. Daher liegen nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins Tatsachen vor, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden kann, dass der Kläger das Anhörungsschreiben tatsächlich durch Einwurf in seinen Briefkasten erhalten hat und davon Kenntnis nehmen konnte (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 18.2.2016 – 11 BV 15.1164 – juris Rn. 21). Der Vortrag des Klägers, er sei an seinem Hauptwohnsitz nur sporadisch anzutreffen, ist daher unerheblich, da ihm die Kenntnisnahme des Anhörungsbogens zumindest möglich gewesen ist.
Zwischen dem begangenen Verkehrsverstoß am 12. Juli 2018 und der Übermittlung des Anhörungsbogens an den Kläger lagen ca. vier Wochen. Damit wurde der Kläger nicht innerhalb der von der Rechtsprechung entwickelten Zweiwochenfrist für die Benachrichtigung des Halters angehört. Die Zweiwochenfrist gilt jedoch nicht für vom Regelfall abweichende Gestaltungen, in denen – bei typisierender Betrachtung – auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt. Ihre Nichteinhaltung ist außerdem unschädlich, wenn feststeht, dass die Rechtsverteidigung des Fahrzeughalters durch dessen verzögerte Anhörung nicht beeinträchtigt worden ist. An einem derartigen Kausalzusammenhang fehlt es dementsprechend, wenn die Ergebnislosigkeit nicht auf Erinnerungslücken des Fahrzeughalters beruht (vgl. BayVGH, B. v. 15.10.2018 – 11 CS 18.1240 – juris Rn. 16 m.w.N.). Die verspätete Anhörung des Klägers war nicht ursächlich für die unterbliebene Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers. Der Kläger äußerte sich zum Anhörungsbogen überhaupt nicht. Erst als sich der Landkreis … zur Ermittlung des verantwortlichen Fahrers an die Stadt … gewandt hat, die wiederum die Polizeiinspektion … sowie die Polizeidirektion … zur Kontaktierung des Klägers einschaltete, sprach der Kläger persönlich am 22. Oktober 2018 bei der Polizeistation … vor. Hierbei gab er an, dass er nicht der verantwortliche Fahrer gewesen sei und er den Verkehrsverstoß nicht zugeben werde. Eine Benennung möglicher Fahrer oder die Bemühung den potentiellen Personenkreis durch die Heranziehung von Unterlagen, beispielsweise Terminkalender oder steuerliche Fahrtenbücher einzuschränken, um weitere Ermittlungen voranzutreiben, fand zu keinem Zeitpunkt statt. Daher war das Schweigen des Klägers und nicht dessen verspätete Anhörung ursächlich für die nicht mögliche Ermittlung des verantwortlichen Fahrers.
cc. Schließlich ist die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und einer zweckgerechten Ermessensausübung gerechtfertigt. Bei der am 12. Juli 2018 begangenen Ordnungswidrigkeit handelt es sich, wie dargestellt wurde, um die Begehung einer Ordnungswidrigkeit von einigem Gewicht. Bereits die erste derartige Zuwiderhandlung rechtfertigt die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage. Insoweit genügt, dass sich der Verstoß verkehrsgefährdend auswirken kann oder Rückschlüsse auf die charakterliche Unzuverlässigkeit eines Kraftfahrers zulässt. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass es zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist (vgl. BayVGH, B. v. 15.10.2018 – 11 CS 18.1240 – juris Rn. 19 m.w.N.). Auch im Hinblick auf die angeordnete Dauer (zwölf Monate ab Bestandskraft) erweist sich die Fahrtenbuchauflage als rechtens. Bei der Bemessung ist im Einzelnen vorrangig das Gewicht des festzustellenden Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen. Bei Geschwindigkeitsverstößen, die selbst mit nur einem Punkt bewertet werden, ist bereits eine Fahrtenbuchauflage von zwölf Monaten verhältnismäßig (vgl. OVG NRW, B.v. 13.1.2016 – 8 A 1030/15 – juris Rn. 15 ff.; Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 31a StVZO Rn. 81 ff. m.w.N.). Bedenken bezüglich der Dauer von einem Jahr bestehen daher bei der begangenen Ordnungswidrigkeit, die mit zwei Punkten geahndet worden wäre, nicht.
dd. Ergänzend, jedoch nicht streitentscheidend, weist das Gericht darauf hin, dass § 31 a Abs. 2 StVZO genau bestimmt, welche Daten in ein Fahrtenbuch einzutragen sind. Hiernach sind vor Beginn jeder einzelnen Fahrt Name, Vorname, Anschrift des Fahrzeugführers, amtliches Kennzeichen des Fahrzeugs sowie Datum und Uhrzeit des Beginns der Fahrt einzutragen. Nach Ende der Fahrt ist unverzüglich Datum und Uhrzeit des Fahrtendes mit Unterschrift zu notieren. § 31 a Abs. 2 StVZO gibt die Muss-Inhalte des Fahrtenbuches exakt vor. Das Gesetz räumt den Behörden hierbei kein Ermessen ein, sodass aufgrund der gesetzlichen Intention kein „modifiziertes Fahrtenbuch“ – wie vom Kläger gewollt – möglich ist.
b. Die Kostenentscheidung in Ziffer 2 und 3 des streitgegenständlichen Bescheides ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruht auf §§ 1 ff. Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt). Die Gebühren sind nach §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt dem Kläger aufzuerlegen. Die festgesetzte Höhe von 120,00 EUR bewegt sich im Gebührenrahmen der Nr. 252 der Anlage 1 zur GebOSt. Die Auslagen für die Postzustellungsurkunde in Höhe von 4,11 EUR sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt vom Kläger zu tragen.
III.
Der Kläger trägt als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO.
IV.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen der Beklagten nicht, zumal diese auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


Ähnliche Artikel


Nach oben