Verwaltungsrecht

8 C 25/19

Aktenzeichen  8 C 25/19

Datum:
24.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:240221U8C25.19.0
Spruchkörper:
8. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 20. Juni 2018, Az: 9 A 429/15, Urteilvorgehend VG Gießen, 4. Februar 2013, Az: 4 K 1876/12.GI, Urteil

Tenor

Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Juni 2018 wird geändert. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 4. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen den Teilwiderruf und die Rückforderung einer Zuwendung.
2
Im Februar 2003 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Zuwendungen für den geplanten Ausbau einer Ortsdurchfahrt in einem ihrer Ortsteile, die der Beklagte mit Bescheid vom 3. Dezember 2003 bewilligte. Nach Fertigstellung der Maßnahme und Vorlage des vollständigen Verwendungsnachweises setzte der Beklagte mit Bescheid vom 28. September 2009 die Höhe der Zuwendung auf 194 600 € fest. Im Juli 2011 beanstandete der Landesrechnungshof die Abrechnung von Kosten für die Herstellung von Natursteinpflasterflächen. Daraufhin widerrief der Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2012 den Zuwendungsbescheid in Höhe von 12 400 € und forderte diesen Betrag zurück. Die Mehrkosten für die Herstellung der Flächen in Natursteinpflaster anstatt Betonsteinpflaster seien nicht zuwendungsfähig, da keine entsprechende Anforderung des Denkmalschutzes vorgelegen habe.
3
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid vom 9. August 2012 aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei gemäß § 48 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) rechtmäßig. Der Zuwendungsbescheid vom 28. September 2009 habe sich in Bezug auf die in Naturstein ausgeführten Pflasterarbeiten nachträglich als rechtswidrig erwiesen. Die diesbezüglichen Kosten seien in Höhe der Differenz gegenüber der Ausführung in Betonsteinpflaster nicht zuwendungsfähig gewesen, da es an der nach den Förderrichtlinien erforderlichen Anordnung der Denkmalschutzbehörde gefehlt habe. Die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 HVwVfG sei gewahrt. Die Rücknahme sei nicht wegen fehlender Ermessensausübung des Beklagten rechtswidrig. Das Rücknahmeermessen sei hier auf Null reduziert. Das Gebot der Haushaltssparsamkeit verpflichte die Behörde regelmäßig, ihr Ermessen im Sinne der Aufhebung des Zuwendungsbescheides auszuüben, sofern keine atypischen Umstände vorlägen. Solche atypischen Umstände seien nicht gegeben.
4
Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Revision trägt die Klägerin vor, das Berufungsurteil nehme zu Unrecht eine teilweise Rechtswidrigkeit der Zuwendung an. Die Abweichung von den einschlägigen Förderrichtlinien sei sachlich begründet. Die Rücknahme sei auch ermessensfehlerhaft. Ein Fall des intendierten Ermessens liege nicht vor.
5
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Juni 2018 zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 4. Februar 2013 zurückzuweisen.
6
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7
Er verteidigt das Berufungsurteil und führt ergänzend aus, die Ausübung des behördlichen Ermessens sei durch die einschlägigen Förderrichtlinien, denen ermessenslenkende Wirkung zukomme, eingeschränkt. Zudem habe der Beklagte den Bescheid im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachträglich mit Ermessenserwägungen gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 HVwVfG begründet, die nach § 114 Satz 2 VwGO während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hätten nachgeschoben werden können.

Entscheidungsgründe

8
Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
9
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht und erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 144 Abs. 4 VwGO).
10
1. Das Berufungsurteil stützt seine entscheidungstragende Annahme, das Ermessen des Beklagten zur teilweisen Rücknahme der Zuwendungsbewilligung sei auf Null reduziert gewesen, auf die Erwägung, eine Behörde sei nach dem Gebot der Haushaltssparsamkeit regelmäßig dazu verpflichtet, von der Ermessensermächtigung zur Rücknahme eines rechtswidrigen Zuwendungsbescheids Gebrauch zu machen, sofern keine atypischen Umstände vorlägen. Diese Annahme eines intendierten Ermessens beruht auf einer unzutreffenden Anwendung des § 48 Abs. 1 HVwVfG, der gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zum revisiblen Recht gehört.
11
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt bei der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG grundsätzlich kein Fall intendierten Ermessens vor. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander, sofern dem anzuwendenden Fachrecht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist. Dies gilt auch, wenn sich der Betroffene nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Im Bereich des hier einschlägigen Zuwendungsrechts ist keine gesetzliche Wertung ersichtlich, die das in § 48 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG gewährte Ermessen einschränken würde. Das im Berufungsurteil angeführte Gebot der Wahrung der Haushaltssparsamkeit allein genügt dafür nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2015 – 10 C 15.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:160615U10C15.14.0] – BVerwGE 152, 211 Rn. 29 m.w.N.). Danach durfte das Berufungsurteil nicht davon ausgehen, die nach § 48 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG gebotene Ermessensausübung sei bei der Rücknahme der Zuwendung durch Bescheid vom 9. August 2012 entbehrlich gewesen.
12
2. Das Berufungsurteil beruht auf der aufgezeigten Verletzung des § 48 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG und erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Rücknahme der Zuwendungsbewilligung war mangels Ermessensausübung gemäß § 48 HVwVfG rechtswidrig; dies führt zur Rechtswidrigkeit auch der Rückforderung gemäß § 49a Abs. 1 HVwVfG.
13
Die Begründung des Bescheids vom 9. August 2012 enthält keine Ausführungen zur Ermessensausübung. Sie beschränkt sich auf die Angabe, die Mehrkosten seien wegen fehlender Anforderung des Denkmalschutzes nicht zuwendungsfähig gewesen, und legt im Übrigen die Berechnung der überzahlten Zuwendung dar. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Ermessensausfall nicht nachträglich geheilt worden. Die Ausführungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 15. Januar 2013, den verbindlichen rechtlichen Vorgaben der Denkmalschutzbehörde komme größere Bedeutung zu als den nur gestalterischen Empfehlungen einer Dorferneuerungsbehörde, sind nicht geeignet, die fehlende Ermessensausübung mit heilender Wirkung nachzuholen. § 114 Satz 2 VwGO erlaubt im gerichtlichen Verfahren lediglich eine Ergänzung der Ermessenserwägungen. Ein Ermessensausfall kann hingegen durch eine erstmalige Ermessensbetätigung im gerichtlichen Verfahren nicht wirksam geheilt werden (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Juli 2020, § 114 Rn. 251 und 255).
14
Abgesehen davon kommt eine Ergänzung von Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 114 Satz 2 VwGO nur in Betracht, wenn sie den Bestimmtheitsanforderungen des § 37 Abs. 1 VwVfG genügt. So muss die Behörde unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81 Rn. 35). Auch daran fehlte es hier. Die vom Beklagten in Bezug genommenen Ausführungen in seinem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 15. Januar 2013 bezogen sich unmittelbar auf Überlegungen, die das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2012 im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit des verfahrensgegenständlichen Bescheids geäußert hatte. Vor diesem Hintergrund erschienen sie als prozessuales Verteidigungsvorbringen. Dass der Beklagte sie als nachträgliche, den Bescheid ergänzende Ermessenserwägungen verstanden wissen wollte, war dem Schriftsatz mangels entsprechender eindeutiger Erklärung nicht zu entnehmen.
15
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben