Verwaltungsrecht

Abgelehnter Berufungszulassungsantrag – Ausweisung wegen Vergewaltigung

Aktenzeichen  10 ZB 19.863

Datum:
3.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15140
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 3 S. 2, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1a, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 4
GKG § 52 Abs. 2
VwGO § 114, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 2, § 124a Abs. 5 S. 4

 

Leitsatz

1 Die Tatsache, dass ein Ausländer eine Vergewaltigung im häuslichen Umfeld begeht, spricht nicht gegen das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Allein die Überschreitung der Obergrenze von fünf Jahren bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG begründet keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten, die zur Berufungszulassung führen müssten. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 18.2515 2019-03-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 20. April 2018, mit dem er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden ist, weiter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch die besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier in Bezug auf die Ausweisung des Klägers und Befristungsentscheidung nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Voraussetzungen der Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG und insbesondere die Wiederholungsgefahr aufgrund der Begehung vergleichbarer Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bejaht. Ausweislich der Führungsberichte der Justizvollzugsanstalt (JVA) und auch in der mündlichen Verhandlung habe der Kläger die der Anlasstat zugrunde liegende Vergewaltigung geleugnet. Solange eine Therapie und anschließende Bewährung nicht stattgefunden hätten, bestehe die Wiederholungsgefahr unverändert fort. Unabhängig davon gefährde der Aufenthalt des Klägers auch aus generalpräventiven Gründen die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung ergebe, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Bleibeinteresse des Klägers überwiege. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung u.a. wegen Vergewaltigung sei ein besonders schweres Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a AufenthG gegeben. Ein besonders schweres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liege vor, weil der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Ein besonders schweres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sei hingegen nicht anzunehmen, weil der Kläger mit seiner deutschen Ehefrau nicht mehr in familiärer Lebensgemeinschaft lebe. Die Ehe sei am 17. Januar 2018 geschieden worden. Auch unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange überwiege das Ausweisungsinteresse. Der Kläger sei Wiederholungstäter, wobei der Umstand der Begehung der zweiten Tat im häuslichen Umfeld besonders schwer wiege. Weder seien besondere familiäre noch soziale Bindungen im Bundesgebiet ersichtlich. Auch wenn der Kläger bis zur Inhaftierung gearbeitet habe, seien seine wirtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet nicht verfestigt. Aufgrund seiner (Erwerbs-)Biographie, Sprachkenntnisse und verwandtschaftlichen Beziehungen in Nigeria sei ihm eine Rückkehr möglich und zumutbar. Ausgehend von der Schwere und Vielzahl der vom Kläger begangenen Straftaten sowie mangels schützenswerter Bindungen im Bundesgebiet erscheine die festgesetzte Wiedereinreisesperre von neun Jahren ermessensgerecht.
Demgegenüber rügt der Kläger, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht vorliege. Bei der ersten Verurteilung wegen Vergewaltigung sei die Freiheitsstrafe noch zur Bewährung ausgesetzt worden. Die zweite Tat sei im häuslichen Umfeld begangen worden. Diesen Umstand habe das Verwaltungsgericht nicht entsprechend berücksichtigt. Diese Einwände begründen indes keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils insbesondere hinsichtlich der Annahme einer Wiederholungsgefahr. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass vom Kläger eine Wiederholungsgefahr ausgeht, weil er wiederholt straffällig geworden ist und zuletzt wegen Vergewaltigung seiner Stieftochter zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Hinsichtlich dieser Tat ist der Kläger einschlägig vorbestraft (s. Urteil des Landgerichts Ingolstadt v. 3.5.2011 wegen Vergewaltigung, 2 Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung). Da der Kläger ausweislich der vorgelegten Führungsberichte der JVA B. vom 20. April 2018 und vom 6. März 2019 sowie nach der von ihm verfassten und in der mündlichen Verhandlung am 13. März 2019 vorgelegten Stellungnahme unverändert die Taten leugnet und auch keine entsprechende Therapie in Anspruch nimmt, besteht die in den Taten zu Tage getretene Wiederholungsgefahr unverändert fort. Das Verwaltungsgericht konnte entgegen dem Zulassungsvorbringen den Umstand, dass die zweite Vergewaltigung im häuslichen Umfeld und unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers begangen worden ist, zu Lasten des Klägers berücksichtigen. Im Hinblick auf das (auch) generalpräventiv begründete Ausweisungsinteresse bestehen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung. Insbesondere ist das generalpräventiv begründete Ausweisungsinteresse gemessen an den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Maßstäben (vgl. U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23) zum maßgeblichen Zeitpunkt noch aktuell. Auch die weiteren in der Zulassungsbegründung vorgebrachten Einwände betreffend die Rechtmäßigkeit der Abwägungsentscheidung sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat die insofern vom Kläger angeführten Aspekte wie seine Bindungen im Bundesgebiet, die (nicht wahrgenommenen) Therapiemöglichkeiten in der Haft sowie seine Integrationsleistungen der objektiven Sachlage entsprechend beleuchtet und bei der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt. Entgegen der Auffassung des Klägers kann angesichts der wiederholten Straffälligkeit weder von einer gelungenen rechtlichen Integration noch im Hinblick auf die gescheiterte Ehe von schützenswerten sozialen Bindungen im Bundesgebiet ausgegangen werden. Ausweislich der Stellungnahme der JVA B. vom 6. März 2019 nimmt der Kläger an besonderen Behandlungsmaßnahmen zur Deliktbearbeitung nicht (mehr) teil. Eine begonnene Maßnahme habe wieder abgebrochen werden müssen, weil der Kläger nach wie vor die Delikte bestreite und während der Inhaftierung eine Verhaltensmodifikation nicht habe erwirkt werden können.
2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten, die die Zulassung der Berufung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigen würden, liegen ebenfalls nicht vor.
Solche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2019 – 10 ZB 18.2455 – juris Rn. 15; B.v. 4.3.2019 – 10 ZB 18.2195 – juris Rn. 17 m.w.N.). Es ist eine Begründung dafür anzugeben, weshalb die Rechtssache an den entscheidenden Richter (wesentlich) höhere Anforderungen stellt als im Normalfall (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2019 – 10 ZB 18.2343 – juris 18).
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger legt nicht dar, inwiefern die gemäß § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkte gerichtliche Überprüfung der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung über die Länge der Frist (vgl. OVG RhPf, U.v. 8.11.2016 – 7 A 11058/15.OVG – juris Rn. 26 f.; BT-Drs. 18/4097, S. 36) in seinem Fall wesentlich höhere Anforderungen an den Tatrichter stellt als bei anderen Fristbemessungen. Insbesondere begründet allein die Überschreitung der Obergrenze von fünf Jahren, was bei einer Ausweisung wegen einer strafrechtlichen Verurteilung oder einer vom Ausländer ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zulässig ist (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), für sich genommene keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten. Es müssen (lediglich) besondere Gründe des öffentlichen Interesses für eine Abweichung vom Regelfall und die Notwendigkeit einer über den Fünfjahreszeitraum hinausgehenden Fernhaltung des Ausländers vom Bundegebiet dargelegt werden. Im Übrigen ist sowohl in den Fällen, in denen diese Obergrenze gilt, als auch in solchen, in denen eine Überschreitung der fünf Jahre zulässig ist, eine Einzelfallprüfung geboten (Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 11 Rn. 56; Maor in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.5.2019, § 11 Rn. 21 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2019, § 11 Rn. 131).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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