Verwaltungsrecht

Ablehnung des Asylantrags einer pflegebedürftigen Person aus Israel als offensichtlich unbegründet

Aktenzeichen  AN 17 K 17.35945

Datum:
22.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40008
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 30 Abs. 1, § 78 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1.  Mit Eintritt der Erledigung entfällt das Rechtsschutzbedürfnis und damit die Zulässigkeit der Klage, soweit der Kläger nicht auf die Erledigung reagiert, etwa durch Abgabe einer (einseitigen) Erledigungserklärung, sondern die Klage unverändert aufrecht erhält. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer qualifizierten Ablehnung des Asylantrags wegen offensichtlicher Unbegründetheit nach § 30 Abs. 1 AsylG ist zwingend erforderlich, dass sich das negative Offensichtlichkeitsurteil kumulativ auf die Asylberechtigung und die Voraussetzungen des internationalen Schutzes bezieht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. 
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2020 trotz des Ausbleibens der Beteiligten entschieden werden, § 102 Abs. 2 VwGO. Die Klägerin und die Beklagte sind form- und fristgerecht geladen worden und in der Ladung wurde auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei Ausbleiben eines Beteiligten hingewiesen. Streitgegenstand ist der Bescheid des Bundesamtes vom 6. November 2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. Oktober 2020, mit dem der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG zugesprochen wurde und der Bescheid vom 6. November 2017 aufgehoben wurde, soweit er dem entgegensteht.
Die Klage ist bereits unzulässig, soweit sie auf die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG und auf Aufhebung der Ziffern 4 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes vom 6. November 2017 gerichtet ist. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, soweit die Klägerin die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG und die Aufhebung der Ziffern 4 bis 6 des Bescheides vom 6. November 2017 begehrt. Insoweit hat sich die Klage durch den Bescheid des Bundesamtes vom 1. Oktober 2020 erledigt. Mit diesem Bescheid hatte das Bundesamt hinsichtlich der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt und den Bescheid vom 6. November 2017 insoweit aufgehoben, als er dem entgegensteht, also in den Ziffern 4 bis 6, die die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbotes, die Abschiebungsandrohung nach Israel und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots enthielten. Hierauf hat die Klägerin trotz Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 2. Oktober 2020 nicht prozessual reagiert, in der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 2020 ist sie trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen. Mit Eintritt der Erledigung entfällt nach ganz herrschender Ansicht das Rechtsschutzbedürfnis und damit die Zulässigkeit der Klage, soweit der Kläger nicht auf die Erledigung reagiert, etwa durch Abgabe einer (einseitigen) Erledigungserklärung, sondern die Klage unverändert aufrechterhält (OVG NW, B.v. 23.9.2013 – 11 A 1834/11 – juris Rn. 10; Clausing in Schoch/Schneider, VwGO, 39. EL Juli 2020, § 161 Rn. 12 m.w.N. auch zur a.A. (Unbegründetheit); Zimmermann-Kreher in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 55. Ed. 1.10.2020, § 161 Rn. 7).
2. Im Übrigen, also was die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte, als Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG und hilfsweise als subsidiär Schutzberechtigte nach § 4 AsylG angeht, ist die Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet.
Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG zu. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Anerkennung als Asylberechtigte und der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus als offensichtlich unbegründet durch das Bundesamt ist jeweils rechtmäßig. Bei einer qualifizierten Ablehnung des Asylantrages wegen offensichtlicher Unbegründetheit nach § 30 Abs. 1 AsylG ist zwingend erforderlich, dass sich das negative Offensichtlichkeitsurteil kumulativ auf die Asylberechtigung und die Voraussetzungen des internationalen Schutzes bezieht (VG München, B.v. 25.7.2018 – M 9 S 17.40120 – BeckRS 2018, 17144 Rn. 17; Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Ed. 1.10.2020, § 30 AsylG Rn. 9).
3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, weil es an einer begründeten Furcht vor Verfolgung fehlt. Ihr Asylantrag war diesbezüglich gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, da die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Flüchtling offensichtlich nicht vorliegen.
a) Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Hierzu bestimmt § 3a AsylG näher die Verfolgungshandlungen, § 3b AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz. Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Verbindung mit § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Die Handlung muss darauf gerichtet sein, den Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung in diesem Sinne „wegen“ eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolger leiten (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 33/18 – NVwZ 2020, 161 Rn. 13).
Eine begründete Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr nach Israel in diesem Sinne macht die Klägerin unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt geltend. Ihr Vorbringen beschränkt sich im Wesentlichen darauf, aufgrund ihres Gesundheitszustandes – insbesondere aufgrund ihrer schweren Demenzerkrankung – auf die engmaschige Pflege durch ihre Tochter und gesetzliche Betreuerin in Deutschland angewiesen zu sein, sowie dass eine adäquate Pflege durch und in Einrichtungen in Israel nicht möglich sei, da sie niemand anderen als ihre Tochter als Pflegeperson akzeptiere. Zudem würde eine Rückführung nach Israel, möglicherweise in eine geschlossene Einrichtung dort, zu einer dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin führen. Daraus ergibt sich kein Ansatzpunkt für eine Verfolgung der Klägerin aus den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründen. Im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 6. November 2017 Bezug genommen.
b) Auch die qualifizierte Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG als offensichtlich unbegründet durch die Beklagte nach § 30 Abs. 1 AsylG ist rechtmäßig.
Ein Asylantrag ist dann im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Bundesamtes vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrages geradezu aufdrängt. Aus den Bescheidsgründen muss sich zudem klar ergeben, weshalb die Behörde den Asylantrag nicht als einfach unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet ablehnt (Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Ed. 1.10.2020, § 30 AsylG Rn. 14; BVerfG [Kammer], B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 18 ff.).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist die Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG durch das Bundesamt als offensichtlich unbegründet zutreffend. Weder der eigene Vortrag der Klägerin (s.o. 1.a)) noch die übrige Aktenlage lassen irgendeinen Anhaltspunkt für eine Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erkennen.
4. Aus denselben Gründen wie unter 1. ausgeführt, hat die Klägerin offensichtlich (§ 30 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf eine Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne des Art. 16a GG.
5. Der Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, weil keine stichhaltigen Gründe dafür ersichtlich sind, dass ihr im Herkunftsland Israel ein ernsthafter Schaden droht. Ihr Asylantrag ist auch diesbezüglich gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, da die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.
a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist der Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2  Nr. 3 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die von der Klägerin berichtete, in Israel unter Umständen drohende Einweisung in eine geschlossene Einrichtung aufgrund ihrer Demenzerkrankung ist keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Vielmehr obliegt es dem Staat alleinstehende, geschäftsunfähige und dringend hilfsbedürftige Menschen in Obhut zu nehmen, die bei einer drohenden Eigengefährdung aufgrund einer demenziellen Erkrankung auch die Einweisung in eine geschlossene Einrichtung bedeuten kann.
Auch für eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klägerin infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gibt es laut der ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel für die Herkunftsregion/-stadt der Klägerin, … (im Südwesten Israels an der Mittelmeerküste gelegen), keinerlei Ansatzpunkte (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Israel, Stand 2.7.2020, S. 16 ff.).
Im Übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 6. November 2017 Bezug genommen.
b) Auch die qualifizierte Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG als offensichtlich unbegründet im Sinne der oben genannten Definition (s.o. 1. b)) durch die Beklagte ist rechtmäßig. Sowohl nach dem Vorbringen der Klägerin als auch der aus den Erkenntnismitteln hervorgehenden Lage in Israel sind keinerlei Ansatzpunkte für eine Gewährung subsidiären Schutzes nach den Voraussetzungen des § 4 AsylG erkennbar. Aus dem klägerischen Vortrag lässt sich vielmehr entnehmen, dass der Klägerin und ihrer Betreuerin und Tochter – menschlich nachvollziehbar, aber für den Flüchtlings- und subsidiären Schutz nicht relevant – daran gelegen ist, dass die Pflege der schwerkranken Klägerin durch die in Deutschland lebende Tochter erfolgen soll, nicht aber, dass in Israel eine grundsätzlich defizitäre gesundheitliche oder pflegerische Versorgungslage herrsche oder die Sicherheitslage kritisch sei.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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