Verwaltungsrecht

Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug wegen fehlender Lebensunterhaltssicherung

Aktenzeichen  M 9 K 18.3834

Datum:
10.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 13866
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 2 Abs. 3 S. 4, § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 2, § 30 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
SGB XI § 36, § 37 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum ist möglich, wenn hieran ein schutzwürdiges Interesse besteht; ein solches liegt vor, wenn es für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein kann, von welchem Zeitpunkt an der betreffende den begehrten Aufenthaltstitel besitzt (BVerwG BeckRS 2018, 25969; BeckRS 2009, 36348). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Pflegegeld stellt kein Einkommen i.S.d. § 2 Abs. 3 AufenthG dar, welches zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung steht. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die derzeit noch aufgrund der Corona-Pandemie bestehenden Reisebeschränkungen führen nicht zur tatsächlichen Unmöglichkeit der Ausreise i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 AufenthG, weil mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit zu rechnen ist (BayVGH BeckRS 2020, 14546). (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 2020 entschieden werden, obwohl für die Beklagte, wie angekündigt, niemand erschienen ist. In der zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung ist darauf hingewiesen worden, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis aus § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG besteht nicht. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn der Ausländer gestorben ist, während die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bestand und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war.
Eine Verlängerung scheidet schon nach dem Wortlaut eindeutig aus, da das Gesetz eine Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten voraussetzt (vgl. z.B. Hailbronner AuslR, 103. Aktualisierung August 2017, § 31 AufenthG Rn.7).
2. Ein Anspruch auf erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht auch nicht nach § 31 Abs. 1 AufenthG analog. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt nicht vor.
Für eine Analogie besteht kein Bedürfnis. Für eine Situation, wie die vorliegende, kann grundsätzlich eine rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommen.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum ist möglich, wenn hieran ein schutzwürdiges Interesse besteht; ein solches liegt vor, wenn es für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein kann, von welchem Zeitpunkt an der betreffende den begehrten Aufenthaltstitel besitzt (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2018 – 1 C 22.17 – juris Rn. 10 f.; BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 7.08 – juris Rn. 13; BVerwG, U.v. 29.9.1998 – 1 C 14.97 – juris Rn. 15 ff.). Ein ausreichendes schutzwürdiges Interesse für eine rückwirkende Erteilung kann auch an der generellen Schaffung eines aufenthaltsrechtlichen Anknüpfungspunktes für eine Verlängerung nach § 31 AufenthG bestehen (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2019 – 10 C 18.1179 – juris Rn. 4 für die rückwirkende Erteilung der ersten Verlängerung nach § 31 AufenthG zum Zwecke einer weiteren Verlängerung).
Eine rückwirkende Erteilung scheitert aber jedenfalls daran, dass die Klägerin niemals einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis hatte.
Die Klägerin hatte bis zum Tode ihres Ehemanns keinen Anspruch auf eine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG, da der Lebensunterhalt nicht gesichert war (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und sie nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Von der Einreise mit dem erforderlichen Visum konnte nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden.
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist dem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben, der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und der Ausländer eine Niederlassungserlaubnis besitzt.
Neben diesen besonderen Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis, welche vorliegend seit dem Nachweis der einfachen Sprachkenntnisse bis zum Tod des Ehemannes gegeben waren, müssten auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt sein. Dies ist nicht der Fall.
a) Der Lebensunterhalt war bis zum Tod des Ehemanns nicht gesichert. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Der Lebensunterhalt der Klägerin und ihres Ehemannes war nicht gesichert. Von einer Sicherung des Lebensunterhalts kann nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen, was nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung der jeweils aktuellen Einkommensverhältnisse beurteilt werden kann. Es muss unter Berücksichtigung der Berufschancen und der bisherigen Erwerbsbiografie eine gewisse Verlässlichkeit des Mittelzuflusses gewährleistet sein, die unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit eine positive Prognose zulässt (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 10 ZB 16.1850 – juris Rn. 13; B.v. 24.4.2014 – 10 ZB 14.524 – juris Rn. 6).
Die beiden Renten reichten nicht, um den Bedarf der Ehegatten zu decken. Die Renten des Ehemannes sind nach § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG zu berücksichtigen, da die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug geprüft wird. Wegen der zutreffenden Berechnung, welche der Prognose zur fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts zu Grunde liegt, wird nach § 117 Abs. 5 VwGO auf den Bescheid vom 10. Juli 2018 Bezug genommen. Aufgrund der Höhe der Renten des Ehemanns und der nur eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten der Klägerin war absehbar, dass auf Dauer keine Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel möglich ist.
Das Pflegegeld stellt kein Einkommen i.S.d. § 2 Abs. 3 AufenthG dar, welches zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung steht (NdSOVG, B.v. 27.11.2014 – 13 LA 108/14 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 13.4.2018 – 18 E 172/18 – juris Rn. 7; B.v. 21.1.1999 -17 A 2175/98 – juris Rn.9). Das Pflegegeld dient nicht dazu den allgemeinen Lebensunterhalt zu sichern. Das Pflegegeld dient vielmehr der Sicherstellung der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung des Pflegbedürftigen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI). Es tritt an die Stelle der Sachleistung nach § 36 SGB XI, soll mithin einen besonderen Bedarf decken und steht nicht zur Bestreitung des allgemeinen Lebensbedarfs zur Verfügung. Es hat keine Entgeltfunktion. Eine andere Bewertung des Pflegegeldes ist nicht deswegen veranlasst, weil durch die persönliche Pflege durch die Klägerin der Staat öffentliche Mittel für eine Pflegeleistung durch Dritte einspart.
Eine Ausnahmemöglichkeit oder ein Ausnahmefall von der Regererteilungsvoraussetzung besteht nicht.
Lediglich für eine Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug sieht § 30 Abs. 3 AufenthG eine Ausnahmemöglichkeit im Wege des Ermessens vor. § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist eine zusätzliche Voraussetzung und § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG daneben anwendbar (vgl. Tewocht BeckOK, AuslR, 25. Ed. 1.3.2020, AufenthG § 27 Rn. 59a). Der Aufenthaltstitel nach § 30 Abs. 1 AufenthG wird von § 5 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AufenthG, welcher ein Absehen von der Sicherung des Lebensunterhalts ermöglicht, ebenfalls nicht erfasst.
Ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liegt nicht vor. Hierfür müssten entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels müsste aus Gründen höherrangigen Rechts, wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK, geboten sein (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2014 – 10 ZB 14.861 – juris Rn. 6 m.w.N.). Mit der Normierung der Pflicht zur Sicherung des Lebensunterhalts als allgemeine Erteilungsvoraussetzung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse anzusehen ist (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 70). Daher ist bei der Annahme eines Ausnahmefalls ein strenger Maßstab anzulegen (BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 C 20.139 – juris Rn. 8). Dabei müssen zunächst auch die gesetzgeberischen Grundentscheidungen berücksichtigt werden. Für § 30 Abs. 1 AufenthG ist keine Vorschrift für ein Absehen von der Sicherung des Lebensunterhalts nach Ermessen vorgesehen. Für ein Absehen bei der Sicherung des Lebensunterhalts müssen die Anforderungen somit höher sein, als bei der Nichtzumutbarkeit der Durchführung des Visumsverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG. Es müssen Gründe vorliegen, welche über die bei jeder Ehe bestehende Beistandsgemeinschaft hinausgehen und die eine dauerhafte Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Dabei müssen die Gründe für die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts in der Person selbst liegen. Die Möglichkeit einer grundsätzlichen Erwerbstätigkeit ist als Umstand zu berücksichtigen (BayVGH, U.v. 9.12.2015 – 19 B 15.1066 -, juris Rn. 44).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt eine Abwägung von Art. 6 Abs. 1 GG mit dem aufenthaltsrechtlichen Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, dass trotz der Ehe mit einem schwer beeinträchtigten und pflegebedürftigen Ehemann eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung nicht wegen Art. 6 Abs. 1 GG geboten gewesen ist.
Mit Blick auf die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm ist aufenthaltsrechtlich schutzwürdig die Pflege durch enge Verwandte in einem gewachsenen familiären Vertrauensverhältnis, das geeignet ist, den Verlust der Autonomie als Person infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen in Würde zu kompensieren (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10/12 -, BVerwGE 146, 198, Rn. 38).
Der langjährige Aufenthalt des Ehemannes in Deutschland spricht dabei zwar für das Interesse des Ehemannes in Deutschland gepflegt zu werden. Zur Überzeugung des Gerichts fehlte es aber an einem besonders stark ausgeprägten Vertrauensverhältnis zwischen den Ehegatten. Die Ausführungen zur Pflege ihres Mannes sind nicht glaubhaft. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung trotz Nachfragens nur sehr kurz zur Pflege und zum Gesundheitszustand ihres später verstorbenen Ehemannes Stellung genommen. Er habe eine kranke Lunge gehabt und er habe nicht mehr essen können. Bezüglich des Zeitpunkts vom Übergang der Pflege durch den Pflegedienst zur persönlichen Pflege ihres Mannes waren die Äußerungen nicht widerspruchsfrei. Die Klägerin erinnerte sich nicht, wann dem Pflegedienst gekündigt wurde und welche Pflegeleistungen die fortschreitende Verschlechterung des Gesundheitszustandes ihres Mannes erforderten. Sie konnte in der mündlichen Verhandlung kaum Angaben zu den Erkrankungen machen, die ihr Mann hatte und die sie selber hatte. Die detailarme Schilderung ist vor dem Hintergrund, dass sie selber körperlich und psychisch nicht zu Arbeitsleistungen und damit grundsätzlich nicht zu Pflegeleistungen fähig war, nicht überzeugend.
Zur Überzeugung des Gerichts bestanden nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung weder vor einer Pflege durch die Klägerin noch zum Zeitpunkt einer Pflege Gründe, welcher einer zumindest zeitweisen Erwerbstätigkeit entgegenstanden. Es ist nicht nachvollziehbar, wie sie aufgrund der diversen eigenen attestierten Krankheiten eine umfangreiche Pflege ihres Ehemannes leisten konnte; gleichzeitig aber für die Zeiten vor Kündigung des Pflegdienstes aufgrund der attestierten Schulterverletzung und der attestierten Depression nur drei Stunden täglich hätte arbeiten können. Der Schutz der Ehe kann hier nicht so weit gehen, dass trotz grundsätzlicher Möglichkeit der Erwerbstätigkeit auf die Sicherung des Lebensunterhalts verzichtet wird. Darüber hinaus muss die Nichtdurchführung des Visumsverfahrens hier berücksichtigt werden. Die Durchführung des Visumsverfahren hätte gerade der Prüfung der Sicherung des Lebensunterhalts gedient. Zu diesem Zeitpunkt war dem Ehemann ein Aufenthalt in Bosnien-Herzegowina noch möglich. Die Ehe wurde dort geschlossen. Art. 6 Abs. 1 GG gewährt kein uneingeschränktes Recht die Ehe in der Bundesrepublik zu leben. Hätten die Ehegatten ein Visumsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt, hätten sie damals entscheiden können, ob sie in Bosnien-Herzegowina leben wollen, oder ob die Klägerin ausreichend arbeiten kann, um den Lebensunterhalt in Deutschland zu sichern. Aufgrund des damaligen Verhaltens ist der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG weniger stark zu gewichten. Bezüglich des Irrtums über die Notwendigkeit eines Visumsverfahrens geht das Gericht von einer reinen Schutzbehauptung aus. Jedenfalls hätte die Pflicht bestanden sich entsprechend zu informieren, sodass ein Irrtum nicht zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden kann.
Unterstellt die Aussage der Klägerin ist zutreffend, dass sich der Zustand ihres Mannes plötzlich verschlechtert hat, als sie sich bereits in Deutschland befunden hat, hätte wegen Art. 6 Abs. 1 GG allenfalls ein Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestanden. Eine Duldung wäre ausreichend gewesen, um die Ehe für den Zeitraum der Pflegebedürftigkeit nach Art. 6 Abs. 1 GG zu schützen. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet hier nicht, dass trotz fehlender Sicherung des Lebensunterhalts eine Verfestigung des Aufenthalts mittels einer Aufenthaltserlaubnis erfolgen muss (vgl. NdsOVG, U.v. 11.7.2014 – 13 LB 153/13 – juris Rn. 56).
Im Ergebnis ist die Nichterteilung der Aufenthaltserlaubnis wegen fehlender Sicherung des Lebensunterhalts im vorliegenden Einzelfall eine verhältnismäßige Einschränkung des Schutzes der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG.
Art. 8 EMRK steht dem Festhalten an der Sicherung des Lebensunterhalts ebenfalls nicht entgegen und gebietet keine von der Regelerteilungsvoraussetzung abweichende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.
b) Neben der fehlenden Sicherung des Lebensunterhalts fehlt es auch an der Durchführung des Visumsverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 AufenthG und an den tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Verzicht auf das Visumsverfahren nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass zu Lebzeiten des Ehemanns die Durchführung des Visumsverfahrens nicht unzumutbar war. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass es auf die tatsächliche Ausführung der Pflege durch die Klägerin für die Frage der Zumutbarkeit nicht ankommt, sondern auf das Vorliegen einer Angewiesenheit des Ehemanns auf einen täglichen Beistand durch seine Ehefrau (BayVGH, B.v. 24.4.2019 – 10 CS 18.2542 – Rn.10). Die nicht glaubhaften Aussagen der Klägerin zu Art und Umfang der Pflege und die nur kurze Schilderung des damaligen Zustands ihres Ehemannes führen dazu, dass nicht davon auszugehen ist, dass eine derart gelebte Beistandsgemeinschaft zwischen den Ehegatten vorlag. Anderenfalls hätte sie die persönliche Beziehung zum Ehemann, welche von der Pflegebedürftigkeit des Ehemanns geprägt war, deutlich genauer beschreiben können. Der Ehemann war nach der Überzeugung des Gerichts zumindest zeitweise nach der Einreise der Klägerin nicht auf den täglichen Beistand durch die Ehefrau angewiesen. Nach den Umständen der Eheschließung und dem Eindruck der Klägerin in der mündlichen Verhandlung war für den verstorbenen Ehemann und die Klägerin selbst wohl nicht mehr entscheidend, ob die Pflege durch seine Ehefrau als Vertrauensperson oder durch einen Pflegedienst erfolgte. Für die Dauer eines Visumsverfahrens war beiden eine Abwesenheit deswegen zumutbar. Die Klägerin hätte es in der Hand gehabt die Ausreisemodalitäten durch Absprache mit der Auslandsvertretung so eheverträglich wie möglich zu gestalten.
3. Für eine rückwirkende Erteilung aus anderen Anspruchsgrundlagen besteht kein schützenswertes Interesse. Insbesondere ist ein schützenswertes Interesse an einer rückwirkenden Erteilung aus humanitären Gründen nach § 25 AufenthG ausgeschlossen, da eine solche Aufenthaltserlaubnis nicht nach § 31 Abs. 1 AufenthG verlängert werden könnte. Sowohl aus Wortlaut als auch der Gesetzessystematik ergibt sich, dass mit Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nur eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzugs gemeint ist (BVerwG, U.v. 4. 9.2007 – 1 C 43/06 -, BVerwGE 129, 226, Rn. 17).
Hinsichtlich eines Anspruchs auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, welchen die Bevollmächtigte der Klägerin hilfsweise als erfüllt ansieht, ist deswegen allein maßgeblich, ob nach dem Tod des Ehegatten und ab der mündlichen Verhandlung ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis besteht.
Die Klägerin hat ab dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreishindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG ist dabei keine eigene Anspruchsgrundlage, sondern modifiziert nur das Ermessen („soll“) und lässt die tatbestandlichen Voraussetzungen des Satz 1 unberührt (BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14/05 -, BVerwGE 126, 192, Rn. 22).
Gründe für eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Ausreise liegen nicht vor. Unter Berücksichtigung von Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergibt sich keine rechtliche Unmöglichkeit. Nach dem Tod des Ehemanns scheidet ein Entgegenstehen von Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK offensichtlich aus. Die Klägerin, welche nicht in Deutschland aufgewachsen ist und sich erst seit 2016 dauerhaft in Deutschland aufhält, ist keine sog. „faktische Inländerin“. Die Aufenthaltszeiten des Ehemannes in Deutschland sind für ein Aufenthaltsrecht der Klägerin nach dessen Tod unbeachtlich.
Die derzeit noch aufgrund der Corona-Pandemie bestehenden Reisbeschränkungen führen nicht zur tatsächlichen Unmöglichkeit der Ausreise i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, weil mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit zu rechnen ist (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – Rn. 19).
Darüber hinaus ist weiterhin die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt. Die Klägerin lebt derzeit nach eigenen Angaben von ihrer Witwenrente in Höhe von 322 € und von Unterstützung durch Freunde. Die nun vorgelegte Einstellungszusage führt nicht zu einer anderen Prognose. Nach den oben genannten Maßstäben zur Prognose im Rahmen der Sicherung des Lebensunterhalts ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin im Hinblick auf die Vollendung des 60. Lebensjahres und ihrer nur einfachen Deutschkenntnisse dauerhaft in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Auch ein Erwerb ausreichender Rentenanwartschaftsrechte ist äußerst unwahrscheinlich.
Die Nichtdurchführung des Visumsverfahren steht ebenfalls nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen. Gründe für eine Unzumutbarkeit oder ein gesetzlicher Anspruch liegen nicht vor.
3. Andere Anspruchsgrundlagen für eine Aufenthaltserlaubnis, deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt wären, sind nicht ersichtlich. Ein Anspruch auf eine Beschäftigungsduldung, welcher von der Bevollmächtigten der Klägerin vorgebracht wurde, war nicht Klagegenstand und war deswegen nicht zu prüfen. Eine Klageänderung ist nicht erfolgt. Die Klageänderung wäre auch nicht sachdienlich gewesen und eine Klage unzulässig mangels Vorbefassung und Entscheidung der Beklagten über einen Antrag auf Beschäftigungsduldung.
4. Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der ebenfalls im Bescheid vom 10. Juli 2018 angedrohten Abschiebung nach § 59 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Abschiebungsverbote oder Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung sind hierbei nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG unbeachtlich.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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