Verwaltungsrecht

Ablehnung einer vorläufigen Inobhutnahme eines Irakers mangels Glaubhaftmachung der Minderjährigkeit

Aktenzeichen  M 18 E 19.2076

Datum:
23.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41597
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 42a, § 42f, § 88a
VwVfG  § 51
SGB X § 20,  § 21
VwGO § 123

 

Leitsatz

Die nachträgliche Einreichung zweier irakischer Staatsbürgerurkunden ist jedenfalls hier aufgrund des sehr konkreten medizinischen Altersgutachtens, der erst nachträglichen Dokumentenvorlage sowie der Angaben des Auswärtigen Amtes zur fehlenden Belastbarkeit irakischer Ausweispapiere nicht geeignet, die ärztliche Altersfeststellung insoweit zu erschüttern, dass eine Minderjährigkeit des Antragstellers im Raum stehen könnte. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung einstweilen vorläufig von der Antragsgegnerin in Obhut genommen zu werden.
Am … … 2019 meldete sich der Antragsteller beim Jugendamt der Antragsgegnerin, gab an am 30. Januar 2019 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und minderjährig zu sein. Er sei irakischer Staatsangehöriger aus der Volksgruppe der Kurden. Der Antragsteller wurde daraufhin vorläufig bis zur Feststellung seiner Minderjährigkeit von der Antragsgegnerin in Obhut genommen.
Im Rahmen der Erstregistrierung bei der Polizei am … … 2019 wurde festgestellt, dass der Antragsteller bereits am … … 2017 unter Vorlage eines irakischen Nationalpasses beim Deutschen Generalkonsulat … einen Visumsantrag gestellt hatte, welcher negativ entschieden worden sei. Am 29. Januar 2019 sei der Antragsteller von der Bundespolizeidirektion … aufgegriffen und an das Jugendamt des Landkreises … … überstellt worden. Am 30. Januar 2019 sei der Antragsteller dort als volljährig eingeschätzt und die vorläufige Inobhutnahme abgelehnt worden. Der Antragsteller sei daraufhin untergetaucht.
Am … … 2019 fand bei der Antragsgegnerin ein Alterseinschätzungsgespräch statt. Der Kläger gab an, er sei am 1. Januar geboren; sein Geburtsjahr sei ihm unbekannt. Er habe Ausweispapiere, die sich bei seiner Mutter im Irak befänden. Im Rahmen des Gesprächs korrigierte er später sein Geburtsdatum auf den 1. Januar 2003. Im Gebiet der Antragsgegnerin lebe sein leiblicher Bruder. Aufgrund des Aussehens und Verhaltens des Antragstellers und wegen eines bulgarischen EURODAC-Treffers und der Einschätzung des Jugendamtes des Landkreises … …, nach der der Antragsteller volljährig sei, nahm die Antragsgegnerin einen Zweifelsfall an. Mit E-Mail vom 6. Februar 2019 beauftragte die Antragsgegnerin daher eine ärztliche Untersuchung zur Altersfeststellung.
Das Gesamtgutachten zur ärztlichen Altersfeststellung vom … … 2019 ergibt zusammenfassend, dass sämtliche erhobenen Befunde beim Antragsteller für ein wahrscheinliches Lebensalter von ca. 20 Jahren sprächen. Das angegebene Geburtsdatum von etwas über 16 Jahre sei zum Zeitpunkt der Untersuchung am … … 2019 sicher auszuschließen. Der Antragsteller sei deutlich älter. „Zweifel an einem Lebensalter über 18 Jahren könnten nur nach der Literatur von Wittschieber et al. begründet werden, wobei nach diesen Daten in der ganzen Spannbreite der Schlüsselbeinentwicklungsuntergruppe 3 b nach Kellinghaus et.al der bisher jüngste beobachtete Proband 17,6 Jahre alt“ gewesen sei. Der Antragsteller habe in der Befundspannbreite der Gruppe 3 b jedoch im oberen Bereich gelegen, sodass aus Sicht des Gutachters kein vernünftiger Zweifel daran bestehe, dass der Antragsteller bereits über 18 Jahre alt sei.
Mit Bescheid vom 17. April 2019, der dem Antragsteller am selben Tag ausgehändigt wurde, wurde der Antrag auf vorläufige Inobhutnahme wegen Volljährigkeit des Antragstellers abgelehnt.
Entsprechend einer E-Mail der Antragsgegnerin an die Regierung von Oberbayern vom 2. Mai 2019 habe sich der Antragsteller zusammen mit seinem Bruder am 23. April 2019 erneut bei der Antragsgegnerin vorgestellt. Es seien zwei Dokumente in arabischer Schrift vorgelegt worden, die nach den Angaben des Antragstellers zwei Staatsbürgerurkunden aus dem Irak darstellen sollten. Eine deutsche Übersetzung habe nicht vorgelegen. Da das ärztliche Gutachten die Volljährigkeit eindeutig ergeben habe und die vorgelegten Dokumente weder auf Echtheit, noch auf Wahrheitsgehalt hin überprüft hätten werden können, sei der Antragsteller nicht erneut in Obhut genommen worden. Er sei auf den Rechtsweg verwiesen worden.
Der Antragsteller erhob am 2. Mai 2019 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zur Niederschrift Klage und beantragte, den Bescheid der Antragsgegnerin aufzuheben und ihn in Obhut zu nehmen (M 18 K 19.2075).
Zugleich beantragte er,
die Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihn umgehend in Obhut zu nehmen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Einschätzung des Jugendamtes, dass er bereits volljährig sei, fehlerhaft sei. Aus den beigefügten Dokumenten, insbesondere seines irakischen Reisepasses, sei zu entnehmen, dass er am 1. Januar 2003 geboren sei. Der ältere Bruder des Antragstellers, der in … wohne, könne die Angaben bestätigen.
Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2019 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass sich der Antrag schon nicht gegen den richtigen Antragsgegner gemäß § 78 VwGO richte, da der Antragsteller gegen den ursprünglich ergangenen Ablehnungsbescheid des Landkreises … … vom 31. Januar 2019 im Rahmen einer Verpflichtungsklage hätte vorgehen müssen. Mangels entgegenstehender Hinweise sei das vorliegende Eilverfahren und Hauptsacheverfahren aus Gründen der Bestandskraft der ergangen Behördenentscheidung nicht mehr zulässig. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Wegen der rechtmäßig festgestellten Volljährigkeit des Antragstellers bestehe kein Anspruch auf eine vorläufige Inobhutnahme. Das Altersfeststellungsverfahren im Sinne des § 42f SGB VIII sei rechtmäßig durchgeführt worden. Die erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens am 23. April 2019 vorgelegten Dokumente hätten keine Berücksichtigung finden können. Mangels beglaubigter Übersetzung seien die Dokumente nicht überprüfbar gewesen. Auch die plötzliche und nicht erklärbare Herkunft der Dokumente schmälere deren Beweiswert. Nach dem Merkblatt des Auswärtigen Amtes sei eine Überprüfung irakischer Urkunden auf formale Echtheit und inhaltliche Richtigkeit zurzeit zudem nicht möglich. Nach dem Alterseinschätzungsverfahren und dem Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchungen sei der Kläger volljährig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 18 K 19.2075, Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag des Antragstellers ist unbegründet.
Das Begehren des Antragstellers ist nach § 88 VwGO sachgerecht dahingehend auszulegen, dass er einstweilen eine vorläufige Inobhutnahme durch die Antragsgegnerin nach § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erreichen möchte.
Entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin fehlt einem Antrag auf einstweilige Anordnung in der vorliegenden Verfahrenskonstellation nicht das Rechtsschutzbedürfnis wegen eines entgegenstehenden, bereits bestandskräftigen Bescheids eines anderen Jugendamtes, mit dem eine vorläufige Inobhutnahme abgelehnt wurde. Denn die im Verfahren nach § 42f SGB VIII festgestellte Volljährigkeit des Klägers stellt lediglich ein Tatbestandsmerkmal eines möglichen Anspruchs auf vorläufige Inobhutnahme nach § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dar. Sowohl das Verfahren als auch das Ergebnis der Altersfeststellung nach § 42f SGB VIII stellen eine unselbstständige Verfahrenshandlung ohne eigenen Regelungscharakter dar (vgl. BVerwG, B.v. 26.4.2018 – 5 C 11/17 – juris Rn. 29; VG Stade, B.v. 13.9.2017 – 4 B 2967/17 – juris Rn. 19; VG Mainz, U.v. 6.9.2018 – 1 K 1376/17.MZ juris Rn. 47, 51). Ihr kann damit auch keine Rechtskraft oder Bindungswirkung zukommen.
Auch die Passivlegitimation der Antragsgegnerin ist gegeben, § 78 VwGO. Da der Antragsteller aktuell bei seinem Bruder innerhalb des Stadtgebiets der Antragsgegnerin lebt, ist die Antragsgegnerin passivlegitimiert. Denn die Antragsgegnerin ist wegen der dynamischen Zuständigkeitsvorschrift des § 88a SGB VIII bei jeder Person, die in ihrem Gebiet aufgegriffen wird und minderjährig sein könnte, verpflichtet, selbstständig und in eigener Verantwortung die Voraussetzungen des § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (erneut) in eigener Zuständigkeit zu prüfen (BayVGH, B.v. 14.3.2017 – 12 CE 17.507 – juris). Ein Berufen auf ein bereits früher vor einem anderen Jugendamt durchgeführten Verfahren kann diese Verpflichtung nicht entfallen lassen. Eine Berücksichtigung der in früheren Verfahren bereits durchgeführten Verfahrenshandlungen nach § 42f Abs. 1, 2 SGB VIII, insbesondere der Anhörungsprotokolle zum Alterseinschätzungsgespräch und ärztlicher Gutachten, ist zwar möglich, jedoch muss sich die Antragsgegnerin ein eigenes Bild machen und eine eigene Einschätzung des Antragsstellers vornehmen. Ein bloßes Berufen auf das Ergebnis der Alterseinschätzung eines anderen Jugendamtes. (Volljährigkeit des Antragstellers) und eine allein darauf basierende Ablehnung einer vorläufigen Inobhutnahme ist ebenso wenig zulässig, wie eine Berufung auf die Bestandskraft eines Bescheides, der eine vorläufige Inobhutnahme ablehnte.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist jedoch unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis begründet, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs spricht (BVerfG, B.v. 28.9.2009 – 1 BvR 1702/09 – juris Rn. 15, 24; BayVGH, B.v. 11.12.2013 – 7 CE 13.2063 – juris; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Online-Kommentar, Stand: Juni 2017, § 123 Rn. 74 f.) und ein Anordnungsgrund gegeben ist. Voraussetzung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist mithin grundsätzlich, dass hinsichtlich der Hauptsache überwiegende Erfolgsaussichten bestehen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 123 Rn. 23 f.). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Die Ablehnung der vorläufigen Inobhutnahme durch die Antragsgegnerin aufgrund der von ihr festgestellten Volljährigkeit ist vorliegend rechtmäßig erfolgt. Dem Antragsteller gelang es nicht, glaubhaft zu machen, dass er minderjährig ist, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
Nach § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen vorläufig in Obhut zu nehmen, sobald dessen unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird. Anspruchsberechtigt nach den vorgenannten Normen sind ausschließlich Kinder und Jugendliche. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII ist im Sinne des SGB VIII Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Volljährige dürfen dahingegen nicht in Obhut genommen werden.
Die Ablehnung der vorläufigen Inobhutnahme durch die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17. April 2019 war nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Die Feststellung der Minderjährigkeit/Volljährigkeit im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme wurde nach Maßgabe des § 42f SGB VIII rechtmäßig durchgeführt. Am … … 2019 fand ein Alterseinschätzungsgespräch statt, in dem der Antragsteller keine Ausweispapiere vorlegen konnte, § 42f Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Wegen der Einschätzung der Antragsgegnerin, dass ein Zweifelsfall im Sinne des § 42f Abs. 2 Satz 1 SGB VIII vorliege, hat sie eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung veranlasst, welche am … … 2019 durchgeführt wurde. Das zusammenfassende Gutachten vom … … 2019 ergab im Ergebnis mit Sicherheit eine Volljährigkeit des Antragstellers bei einem wahrscheinlichen Lebensalter von 20 Jahren. Mängel des Alterseinschätzungsgesprächs oder des Gutachtens sind vom Antragsteller weder vorgetragen noch dem Gericht ersichtlich.
Auch die erst nach der Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme vorgelegten Ausweispapiere des Antragstellers führen zu keinem anderen Ergebnis, da ein Wiederaufgreifen des Verfahrens ermessensfehlerfrei durch die Antragsgegnerin abgelehnt wurde. Unter Beachtung der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens nach § 9 SGB X ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin den konkludenten Antrag des Antragsstellers vom 23. April 2019 auf Wiederaufgreifen des Verfahrens rechtmäßig ablehnte.
Im Grundsatz hat die Antragsgegnerin bei Vorliegen von neuen Beweismitteln oder bei Vortrag einer geänderten Sachlage im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zu prüfen, ob Anlass dafür besteht, die bisherige Entscheidung abzuändern. Vorliegend begehrte der Antragsteller die mit Bescheid vom 17. April 2019 bereits abgelehnte Leistung weiter und legte neue Beweismittel für seinen Vortrag der Minderjährigkeit vor. Wegen einer Regelungslücke im SGB X erfolgt die Prüfung der Wiederaufnahme des Verfahrens entsprechend der Vorschrift des § 51 VwVfG. Im Übrigen steht bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 51 VwVfG analog die Entscheidung, ob in eine Sachprüfung der Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsaktes eingetreten wird, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (BSG, U.v. 3.4.2001 – B 4 RA 22/00 R – juris Rn. 28). Ein solches Verwaltungsverfahren ist nach Maßgabe der §§ 20 ff. SGB X durchzuführen. Dabei muss die Behörde von Amts wegen den Sachverhalt ermitteln und bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen. Nach § 20 Abs. 2 SGB X hat die Behörde alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Die Behörde bedient sich dabei der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßen Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Aus der Akte der Antragsgegnerin ergibt sich lediglich aus einer E-Mail der Antragsgegnerin an die Regierung von Oberbayern vom 2. Mai 2019, dass die Papiere des Antragstellers zwar in Kopie zur Akte genommen wurden, das medizinische Gutachten jedoch eindeutig die Volljährigkeit des Antragstellers ergeben habe und eine (weitere) vorläufige Inobhutnahme daher nicht erfolge.
Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass die von dem Antragsteller neu vorgelegten Beweismittel nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, nämlich irakische Ausweispapiere, keine günstigere Entscheidung für den Antragsteller herbeiführen, ist nicht zu beanstanden. Auch die Ablehnung eines Wiederaufgreifens im Übrigen ist ermessensgerecht erfolgt.
Nachträglich vorgelegte Ausweispapiere können zwar grundsätzlich zu einer anderen, für den Antragsteller günstigeren Einschätzung des Alters des Vorlegenden führen. Jedoch ist angesichts der im vorliegenden Fall sehr konkreten Aussage des ärztlichen Altersgutachtens, dass der Kläger nach den ärztlichen Befunden mit Sicherheit nicht am 1. Januar 2003 geboren sein könne, sondern mindestens zwei Jahre älter (und damit volljährig), am Wahrscheinlichsten jedoch vier Jahre älter sei, als von diesem angegeben, trotz der neu vorgelegten Papiere kein Raum mehr für die Annahme einer Minderjährigkeit. Hierbei kann grundsätzlich berücksichtigt werden, dass irakische Ausweispapiere ausweislich des Merkblatts des Auswärtigen Amtes vom Juli 2017 zu irakischen öffentlichen Urkunden (abrufbar auf der Homepage des Auswärtigen Amts) wegen der Sicherheitslage im Irak derzeit nicht legalisiert werden können (zu Gambia: OVG Bremen, B.v. 6.11.2018 – 1 B 184/18 – juris Rn. 18). Eine Überprüfung auf formale Echtheit und inhaltlicher Richtigkeit von irakischen Urkunden ist derzeit damit nicht möglich. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 12. Januar 2019, S. 27 f., ist im Irak jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echt Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums seien im Umlauf, sodass Legalisationen und auch eine inhaltliche Richtigkeitsprüfung mangels Amtshilfe der irakischen Behörden derzeit nicht möglich sind. Auch die Umstände, dass die Papiere erst nachträglich vorgelegt worden sind und nicht bereits zum Zeitpunkt des Alterseinschätzungsgesprächs vorlagen, kann zu Recht zu Lasten des Antragstellers in die Überlegungen einfließen (OVG Bremen, B.v. 6.11.2018 – 1 B 184/18 – juris Rn. 19 ff.). Vorliegend konnte sich die Antragsgegnerin daher zu Recht ohne erneute Alterseinschätzung auf die ausführlichen Angaben des Gutachtens berufen und war daher nicht mehr gezwungen, aus Kindeswohlgesichtspunkten zumindest einen Zweifelsfall anzunehmen und in eine neuerliche Sachverhaltsermittlung einzutreten.
Hingegen ist eine pauschale Ablehnung der Anerkennung von Dokumenten und Urkunden aufgrund der Einreichung in einer fremden Sprache – wie von der Antragsgegnerin vorgenommen – trotz der Festlegung von Deutsch als Amtssprache nicht möglich. Stattdessen ist die Behörde verpflichtet, dem Antragsteller bei Relevanz des Dokuments, eine angemessene Frist für die Einreichung einer (ggfls. beglaubigten) Übersetzung der Dokumente zu setzen. Beim fruchtlosen Verstreichen dieser Frist muss die Behörde im Rahmen einer Ermessensentscheidung prüfen, ob sie selbst eine Übersetzung vornehmen lässt, § 19 Abs. 2 Satz 3 SGB X. Der hier erfolgte bloße Verweis darauf, dass eine Prüfung der Dokumente aufgrund ihrer Einreichung ohne Übersetzung nicht möglich gewesen sei, ist vorliegend nur deshalb nicht verfahrensfehlerhaft, da im konkret vorliegenden Fall die irakischen Ausweisdokumente auf Grund des medizinisches Altersgutachten, der erst nachträglichen Passvorlage sowie der Angaben des Auswärtigen Amtes nicht geeignet sind, die ärztliche Altersfeststellung insoweit zu erschüttern, dass eine Minderjährigkeit des Antragstellers im Raum stehen könnte.
Auch die nachträgliche Benennung des Bruders des Antragstellers als Zeuge für dessen Minderjährigkeit ist vorliegend nicht geeignet, die Feststellungen des ärztlichen Gutachtens zu erschüttern.
Mangels Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs war der Antrag daher abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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