Verwaltungsrecht

Abschiebung einer äthiopischen Staatsangehörigen trotz Corona-Pandemie und Heuschreckenplage

Aktenzeichen  W 3 K 19.31490

Datum:
29.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 13838
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland der Abschiebung können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf der Grundlage der sozialen Verhältnisse in Äthiopien ist nicht erkennbar, dass eine arbeitsfähige gesunde Frau mit Kenntnissen in der Landwirtschaft in Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können wird und nicht aus eigener Kraft ein Obdach und eine Arbeit finden können wird, die ihr die Existenz sichert. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nach entsprechender Teilklagerücknahme lediglich noch das Begehren der Klägerin festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes vom 26. Februar 2018 insoweit aufzuheben, als er diesem Begehren entgegensteht.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid erweist sich im angegriffenen Umfang im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Klagepartei nicht in ihren Rechten. Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK – dies insbesondere aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen – liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Diese Vorschrift verweist auf die EMRK, soweit sich aus dieser zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Während für die Tatbestandsalternativen Folter und unmenschliche Behandlung ein einer staatlichen Institution zurechenbares vorsätzliches Handeln erforderlich ist, gilt dies nicht bei der Alternative der erniedrigenden Behandlung. Deshalb können unter diese Tatbestandsalternative auch schlechte humanitäre Verhältnisse fallen. Diese sind relevant, wenn sie auf staatlichem oder auf staatlichen Institutionen zurechenbarem Handeln beruhen, so dass der Zivilbevölkerung kein ausreichender Schutz geboten werden soll oder kann (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 164 bis 169). Aber auch wenn es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen als erniedrigende Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein. Diese müssen jedoch ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Das kann der Fall sein, wenn der Flüchtling im Herkunftsland seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris LS 1 und Rn. 8; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 und 25). Hierbei bedarf es der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, wobei z.B. auch Krankheiten eine Rolle spielen können, soweit sie Auswirkungen auf die Frage habe, ob der Flüchtling seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern kann.
Für die Gefahr einer erniedrigenden Behandlung müssen ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt ist; diese muss also aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher („real risk“) und darf nicht nur hypothetisch sein (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6). Dabei ist ein gewisser Grad an Mutmaßungen dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent; es kann nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhobener Beweis verlangt werden (BVerwG; B.v. 13.2.2019 – a.a.O.). Es gilt also der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 187 bis 191).
Vorliegend ergibt sich, dass unter Beachtung der oben dargestellten Grundlagen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind.
Die Klagepartei hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sie der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung bei einer Rückkehr ausgesetzt sein könnte. Das Vorbringen der Klägerin im Verwaltungsverfahren, Polizisten seien mehrfach ins Haus gekommen und hätten sie schikaniert, sie sei immer wieder geschlagen und vergewaltigt worden, hat sie in der mündlichen Verhandlung nicht weiter aufrechterhalten. Unabhängig hiervon kann ihr dieses Vorbringen nicht geglaubt werden, da es lediglich pauschal, oberflächlich und ohne Details vorgetragen worden ist. Damit ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien staatlicherseits der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein könnte.
Auch eine erniedrigende Behandlung aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse ist nicht erkennbar.
Äthiopien gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung. Sozialleistungen sind nicht existent, Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Es gibt keine kostenlose medizinische Grundversorgung; dennoch ist die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Chronische Krankheiten können mit Einschränkungen behandelt werden (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 64 m.w.N.; AA, Lagebericht Stand März 2020).
Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist es nicht ersichtlich, dass die Klagepartei ihren Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine 30-jährige gesunde Frau ohne Kinder, die in Äthiopien in der Landwirtschaft tätig war. Sie ist nach ihren Angaben mit dem Kläger im Verfahren W 3 K 18.30427 verheiratet, dessen Asylverfahren durch ein klageabweisendes Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. Juni 2019 rechtskräftig beendet worden ist. Auf dieser Grundlage muss unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK davon ausgegangen werden, dass die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Äthiopien zurückkehren wird.
Auf der Grundlage der sozialen Verhältnisse in Äthiopien ist nicht erkennbar, dass die Klägerin als arbeitsfähige gesunde Frau mit Kenntnissen in der Landwirtschaft in Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können wird und nicht aus eigener Kraft ein Obdach und eine Arbeit finden können wird, die ihr die Existenz sichert. Dies gilt erst recht unter der Voraussetzung, dass sie wie oben ausgeführt mit ihrem ebenfalls gesunden – Gegenteiliges hat sie nicht vorgetragen – Ehemann nach Äthiopien zurückkehrt. Die Klägerin wäre sowohl als alleinstehende Frau als auch zusammen mit ihrem Ehepartner nicht auf familiäre Unterstützung in Äthiopien angewiesen (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 65 für einen gesunden arbeitsfähigen Mann ohne familiäre Unterstützung; ebenso U.v. 19.3.2019 – 8 B 18.30276 – juris Rn. 54; VG Würzburg, U.v. 24.5.2019 – W 3 K 18.32324 – n.v.; AA, Lagebericht v. 8.4.2019, IV. und vom 24.4.2020, IV.).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der in Äthiopien angeordneten Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie (COVID-19) und aufgrund der Auswirkungen der Heuschreckenplage.
Gemäß der Johns-Hopkins-Universität sind in Äthiopien 831 Personen (Stand: 28.5.2020) an COVID-19 erkrankt, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss.
Am 8. April 2020 wurde zunächst für fünf Monate der Ausnahmezustand ausgerufen. Die landesweit geltenden Restriktionen umfassen das Verbot größerer Veranstaltungen (ab vier Personen), die Schließung aller Schulen (seit 16.3.2020), Restaurants und Clubs sowie die Besetzung von (auch privaten) Fahrzeugen nur bis zur Hälfte ihrer Kapazität, einhergehend mit der Verdoppelung des Fahrpreises für Busse und Taxis (AA, Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 27.5.2020).
Ein Lockdown ist demgegenüber in Äthiopien nicht angeordnet worden. Die Tagelöhner, die darauf angewiesen sind, jeden Tag Arbeit zu finden, um sich abends etwas zu Essen zu kaufen, gehen weiter zur Arbeit. Auch Wochenmärkte werden weiterhin betrieben (Berliner Zeitung vom 9.4.2020, in Äthiopien gibt es 435 Beatmungsgeräte – und 105 Millionen Menschen).
Allerdings sind aufgrund des Ausnahmezustandes die Kirchen, vor denen die ärmsten Menschen regelmäßig betteln, geschlossen. Die Menschen schränken ihre Kontakte ein, so dass es für Arbeitsuchende schwieriger ist, Aufträge zu bekommen. Dies trifft insbesondere alleinerziehende Mütter, deren Einkommenssituation sich durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie deutlich verschlechtert hat (Menschen für Menschen vom 29.4.2020, Corona-Überlebenspakete für Kinder in Äthiopien).
Gemäß den Ausführungen in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (vom 27.4.2020, Am Ende kann nur Gott uns helfen) sind Zusammenkünfte von mehr als vier Personen seit der Ausrufung des nationalen Notstandes untersagt. Eine Ausgangssperre ist bislang nicht verhängt worden. Allerdings hat Äthiopien die Landesgrenzen weitgehend zu schließen versucht. Zwar sind Bars und Nachtclubs geschlossen, vieles hat jedoch geöffnet. Straßenverkäufer und kleine Kioske sind nach wie vor da und sowohl für die tägliche Versorgung mit Lebensmitteln als auch für das Überleben der Betreiber-Familien von entscheidender Bedeutung. Auch Supermärkte haben weiter geöffnet. Wo in ländlichen Gegenden lokale Märkte geschlossen sind, verkaufen die Menschen ihre landwirtschaftlichen Güter von den Türen der Bauernhöfe aus. Preiserhöhungen unter Ausnutzung der Situation werden bestraft. Gleichzeitig mehren sich Berichte über verstärkte Kleinkriminalität.
Hinsichtlich der Heuschreckenplage ist festzustellen, dass in Äthiopien große Heuschreckenschwärme vorhanden sind, die ganze Felder und Weideflächen kahlfressen. Im Juni 2019 machten sich die Tiere von Oman ausgehend auf den Weg in Richtung Horn von Afrika. In Äthiopien fanden sie dank außergewöhnlicher Regenfälle im Oktober und November 2019 günstige Bedingungen für die Vermehrung vor. Die Welthungerhilfe verteilt derzeit in Äthiopien gemeinsam mit den Partnern des NGO-Bündnisses Alliance 2015 Bargeld, dies zum Schutz vor Ernteverlusten und um steigende Preise infolge der Krise bei Lebensmitteln und Viehfutter abzufedern. Zudem plant die Welthungerhilfe den Aufbau von Capacity-Building (z.B. Entwicklung von Frühwarnsystemen). In der Afar-Region plant die Welthungerhilfe weitere ernährungssichernde Maßnahmen. Dies macht deutlich, dass Äthiopien derzeit nicht so stark von der Heuschreckenplage betroffen ist, dass eine akute Hungersituation eingetreten wäre (vgl. Welthungerhilfe, Projekt-Update vom 12.5.2020, Heuschreckenplage in Ost-Afrika).
Diese Informationen können der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden. Aus ihnen ergibt sich, dass sowohl hinsichtlich der Auswirkungen der Corona-Pandemie als auch hinsichtlich derjenigen der Heuschreckenplage als auch in der Zusammenschau beider Ereignisse nach derzeitigem Stand nichts Konkretes erkennbar ist, was mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer erniedrigenden Behandlung der Klägerin deshalb führen könnte, weil sie bei einer Rückkehr nach Äthiopien ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern könnte.
Vorliegend muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann aufgrund der aktuellen Transportprobleme innerhalb Äthiopiens daran gehindert sein wird, in ihre Herkunftsregion in Agaro oder in die Region Gondar, in der sie mit ihrem Ehemann gelebt hat, zurückzukehren. Deshalb wird sie darauf angewiesen sein, in Addis Abeba zu verbleiben, wo sie nach ihren eigenen Angaben, die das Gericht nicht in Frage stellt, keinen familiären Rückhalt hat. Auf der Grundlage der obengenannten Unterlagen ergibt sich, dass die Klägerin in Addis Abeba einer – wenn auch einfachen – Arbeit nachgehen können wird und dass sie die Möglichkeit haben wird, Lebensmittel zu kaufen. Dass sich die Problematik, eine Wohnung in Addis Abeba zu finden, gegenüber der Situation vor Ausbruch der Corona-Pandemie und vor Auftreten der Heuschreckenplage so verschärft haben könnte, dass alleinstehende Personen oder kinderlose Ehepaare kein Obdach mehr finden könnten, ergibt sich hinreichend konkret weder aus den dem Gericht zur Verfügung stehenden Unterlagen noch ist dies anderweitig ersichtlich.
Demgegenüber beruhen weitere Berichte und Entscheidungen, die die Corona-Pandemie und die Heuschreckenplage in den Blick nehmen und auf die sich die Klägerseite bezieht, auf unbelegten Spekulationen und Zukunftsszenarien. So weist die Klägerseite darauf hin, dass Experten durch das Corona-Virus für den gesamten afrikanischen Kontinent eine Katastrophe befürchteten. Sie warnten davor, dass sich überfüllte afrikanische Großstädte zu einem gefährlichen Herd für das Corona-Virus entwickeln könnten. Es werde in Afrika durch die Pandemie eine ausmaßlose Katastrophe für möglich gehalten, dies aufgrund der Befürchtung, dass die mögliche weitere und schnelle Ausbreitung des Virus in Afrika zu einer hohen Durchseuchungsdichte, zahllosen Todesfällen und zu einem Zusammenbruch des Gesundheitswesens und des Arbeitsmarktes führen werde.
In wirtschaftlicher Hinsicht drohe den Staaten des östlichen Afrika eine Hungersnot, seit gewaltige Heuschreckenschwärme eingefallen seien. Der Kampf gegen Corona verschlimmere die Lage noch.
Die diesbezüglich vielfach zitierte Unterlage „Ebola war furchtbar, aber Corona könnte viel schlimmer werden“ (Spiegel vom 11.4.2020) bezieht sich ausweislich der weiteren Überschrift auf West-Afrika. Es finden sich Ausführungen allgemein zum gesamten afrikanischen Kontinent und speziell zu Guinea und Mali, nicht jedoch zu Äthiopien. Vergleichbares gilt für die Unterlage „Afrika steht allein am Abgrund“ (Süddeutsche Zeitung vom 4.4.2020), die sich zunächst allgemein auf Afrika bezieht und sodann lediglich die wirtschaftlichen Probleme der äthiopischen Luftfahrtgesellschaft thematisiert. Auch die weiteren Ausführungen des Beitrags „Am Ende kann nur Gott uns helfen“ (aus Politik und Zeitgeschichte vom 27.4.2020) beschäftigen sich mit Zukunftsspekulationen. Aus diesen Berichten geht nichts hervor, was über allgemeine Erwartungen und Befürchtungen hinaus die Schwelle der Voraussetzungen von Abschiebungsverboten konkret berühren oder gar erreichen könnte.
Denn gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG stellt das Gericht in Streitigkeiten nach diesem Gesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab. Dies bedeutet, dass unbelegte Spekulationen hinsichtlich der Zukunft keine Rolle spielen dürfen (vgl. auch BayVGH, B.v. 19.5.2020 – 23 ZB 20.31069 – a.U. Rn. 12 – n.v.).
Die genannten Ausführungen und Inhalte der zitierten Unterlagen bewegen sich weit jenseits des Maßstabs der ernsthaften und stichhaltigen Gründe bzw. der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, welchem ein gewisser Grad an Mutmaßung immanent ist; es handelt sich vielmehr um unbelegte Spekulationen ohne hinreichend konkreten Tatsachen als Grundlage. Sie können und dürfen deshalb im vorliegenden Verfahren keine Berücksichtigung finden.
Damit liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vor.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG derartige Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Doch auch in diesem Fall kann der Asylsuchende ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Aus dieser müsste sich die begründete Furcht des Flüchtlings ableiten lassen, selbst in erheblicher Weise ein Opfer dieser extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies müsste sich alsbald nach der Rückkehr realisieren (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 67). Dies bedeutet, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489, Rn. 12; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38).
Unabhängig hiervon liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist gemäß Satz 4 der Vorschrift nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, die insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, der lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Derartige erhebliche konkrete Gefahren für die Klagepartei sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Die Klägerin hat keinerlei ernstzunehmenden Erkrankungen geltend gemacht.
Auch hinsichtlich der Corona-Pandemie sind keine erheblichen konkreten Gefahren für die Klägerin erkennbar. Bei dieser Pandemie handelt es sich gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG um eine Gefahr, der die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist und die deshalb lediglich bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 19.5.2020 – 23 ZB 20.31096 – a.U. Rn. 12 – n.v.). Demgegenüber ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien aufgrund der Corona-Pandemie mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, also alsbald nach ihrer Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen bzw. Erkrankungen ausgeliefert wäre. Denn es ist nicht erkennbar, dass sich die Klägerin mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit alsbald nach ihrer Rückkehr mit dem Corona-Virus infizieren wird. Dies ergibt sich daraus, dass trotz der vermutlich hohen Dunkelziffer nicht erkennbar ist, dass die Krankheit in Addis Abeba so verbreitet wäre, dass man sich jederzeit infizieren würde. Doch selbst, wenn dies so wäre, ist weiterhin nicht erkennbar, dass eine entsprechende Infektion bei der Klägerin erhebliche lebensgefährliche Auswirkungen haben würde. Denn hinsichtlich der Auswirkungen einer Infektion mit dem Corona-Virus ist allgemein bekannt, dass in sehr vielen Fällen der Verlauf milde ist oder sogar keinerlei Symptome auftreten. Lediglich ein kleinerer Teil der Infizierten benötigt eine stationäre und ein sehr geringer Teil der Infizierten sogar eine intensivmedizinische Behandlung.
Damit liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insbesondere unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie nicht vor.
Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Die Bezeichnung des Abschiebezielstaates im Bescheid des Bundesamtes genügt den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (BayVGH v. 10.1.2000 – 19 ZB 99.33208 – juris). Es bleibt Sache der für eine Abschiebung zuständigen Behörde, unter Beachtung der im Asylverfahren gewonnenen Erkenntnisse sicherzustellen, dass die Klagepartei nicht in für sie gefährliche Gebiete des Zielstaates abgeschoben wird.
Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Aus alledem ergibt sich, dass der Bescheid des Bundesamtes, soweit er angegriffen worden ist, rechtmäßig ist und der Klagepartei die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen, so dass die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen war.


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