Verwaltungsrecht

Abschiebungsandrohung nach Ungarn für dort anerkannte Asylbewerberin – Rechtsschutzbedürfnis für Eilantrag fehlt bei einer abweichend von § 36 Abs. 1 AsylG festgesetzten Ausreisefrist von “30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens”

Aktenzeichen  AN 17 S 18.50410

Datum:
8.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9922
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 36, § 37
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Hat das Bundesamt eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens (rechtswidrig) festgesetzt, fehlt einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO das Rechtsschutzbedürfnis, weil er dem Antragsteller keinen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt. Eine Abschiebung kommt bis zum Ablauf der genannten Ausreisefrist nicht in Frage und ein weitergehendes Ziel kann mit dem Eilverfahren nicht durchgesetzt werden. (Rn. 12 und 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat das Bundesamt die Ausreisefrist bewusst abweichend von § 36 Abs. 1 AsylG festgesetzt und will vor Ablauf dieser Frist auch nicht vollstrecken, ist ein Eilrechtsantrag auch nicht aufgrund eines faktisch drohenden Vollzugs zulässig. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
4 Nach § 37 Abs. 1 AsylG kommt der stattgebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren eine über den Vollziehungsschutz hinausgehende Wirkung zu. Hierauf kann sich der Asylbewerber im Eilrechtschutz jedoch nicht berufen und diese Wirkung über das Eilrechtsverfahren nicht isoliert durchsetzen. Der asylrechtliche Eilrechtsschutz ist nach der gesetzlichen Konzeption nämlich auf die Verhinderung der Vollziehung der Abschiebung beschränkt. Auf sonstige (Folge-) Wirkungen ist er hingegen nicht angelegt. Auf derartige mittelbare Folgen kann sich der Asylbewerber im Eilrechtsverfahren nicht berufen, diese nicht zum alleinigen Gegenstand seines Eilantrags machen.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Ungarn.
Die minderjährige Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige. Sie ist mit einem syrischen Staatsangehörigen verheiratet und Mutter einer am … 2018 in Deutschland geborenen Tochter.
Die Antragstellerin reiste mit ihrem Ehemann im Oktober 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte über ihren Vormund am 29. Januar 2018 einen Asylantrag.
Nach den Ermittlungen des Bundesamtes (EURODAC-Treffer) wurden der Antragstellerin am 7. September 2017 in Ungarn Fingerabdrücke abgenommen. Auf das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 21. Dezember 2017 hin, teilten die ungarischen Behörden am 27. Dezember 2017 mit, dass die Antragstellerin und ihr Ehemann am 7. September 2017 in Ungarn Asylantrag gestellt hätten und ihnen am 18. September 2017 subsidiärer Schutz in Ungarn gewährt worden sei.
Laut den nicht unterzeichneten Niederschriften gab die Antragstellerin im Beisein ihres Vormundes im Rahmen von Befragung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 21.März 2018 an, ihr Heimatland Ende 2015 verlassen zu haben und über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Deutschland eingereist zu sein. In Ungarn hätten sie und ihr Ehemann einen Schutzstatus, vermutlich für ein Jahr, und einen Reiseausweis erhalten. Nach Ungarn möchte sie nicht zurück. Sie seien dort schlecht behandelt und 15 Tage inhaftiert worden.
Mit Bescheid vom 12. April 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag der Antragstellerin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), forderte die Antragstellerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung – im Fall der Klageerhebung 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens – zu verlassen und drohte ihr für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Ungarn an und stellte fest, dass die Antragstellerin nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe (beides Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Die beigefügte Rechtsmittelbelehrungverwies auf die Möglichkeit zur Klageerhebung innerhalb von zwei Wochen.
Im Bescheid teilte die Antragsgegnerin mit, dass die Asylverfahren des Ehemannes und der Tochter der Antragstellerin noch nicht unanfechtbar abgeschlossen seien. Die Ausreisefrist werde „nach § 38 Abs. 1 Nr. 4 AsylG“ auf 30 Tage festgesetzt.
Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26. April 2018, eingegangenen beim Verwaltungsgericht Ansbach am gleichen Tag, erhob die Antragstellerin Klage und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Ein Rechtschutzbedürfnis sei vorliegend gegeben, da das Rechtschutzziel über den bloßen Abschiebungsschutz hinausgehe. Das Interesse der Antragstellerin richte sich auf Fortführung des Asylverfahrens als gesetzlicher Folge einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG. In Ungarn drohe eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 30. April 2018, den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der – so ausgelegte – Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 12. April 2018 ist unzulässig und deshalb abzulehnen. Ihm fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da eine Abschiebung aufgrund des antragsgegenständlichen Bescheids bis zum Ablauf der in Ziffer 3 des Bescheids genannten Ausreisefrist nicht in Frage kommt und ein weitergehendes Ziel mit dem Eilverfahren nicht durchgesetzt werden kann.
Nach § 75 Abs. 1 AsylG kommt asylrechtlichen Klagen nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 und §§ 73, 73b und 73c AsylG aufschiebende Wirkung zu, wobei vom Fall des § 38 Abs. 1 AsylG („sonstige Fälle“) ausgenommen ist u. a. der Fall nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bzw. nach § 35 AsylG, also der Fall, dass ein Asylbewerber in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union bereits internationalen Schutz erhalten hat und er dorthin abgeschoben werden soll. Um einen solchen Fall der Abschiebungsandrohung nach Ungarn handelt es sich vorliegend richtigerweise. Ein Fall nach „§ 38 Abs. 1 Nr. 4 AsylG“ – wie von der Antragsgegnerin zitiert – existiert nicht. Der Klage kommt damit keine aufschiebende Wirkung zu. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist damit als statthaft zu betrachten.
Er ist auch fristgerecht erhoben. Die in der Rechtsmittelbelehrungbenannte Frist von zwei Wochen ist eingehalten worden. Sie ist überdies unrichtig – es gilt eigentlich die Wochenfrist nach §§ 36 Abs. 3 Satz 1, 74 Abs. AsylG –, so dass gemäß § 58 Abs. 2 VwGO die Jahresfrist gilt.
Dem Antrag fehlt jedoch das allgemeine Rechtschutzbedürfnis, weil er der Antragstellerin keinen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt, auf den sie sich im Eilverfahren berufen kann.
Eine Abschiebung der Antragstellerin vor Abschluss des Klageverfahrens kommt nach dem angefochtenen Bescheid vom 12. April 2018 nicht in Betracht. Vor Ablauf der in Ziffer 3 des Bescheids festgesetzten Ausreisefrist von 30 Tagen nach Rechtskraft der Entscheidung über die Klage darf die Antragstellerin nicht abgeschoben werden. Eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO bedarf zur Erreichung von – vorübergehendem – Abschiebungsschutz nicht. Mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kann kein anderer oder längerer Abschiebungsschutz erreicht werden (vgl. ebenso VG Ansbach, AN 11 S 17.35257, B.v. 12.10.2017 – juris, AN 17 S 18.50240, B.v. 5.3.2018 – juris). Es spricht auch nichts dafür, dass das Bundesamt in Verkennung dieser Rechtslage von der Möglichkeit einer Abschiebung vor Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung ausgeht. Vielmehr hat das Bundesamt die Frist wohl bewusst abweichend von § 36 Abs. 1 AsylG festgesetzt und will vor Ablauf dieser Frist auch nicht vollstrecken. Der Eilrechtsantrag ist damit auch nicht aufgrund eines faktisch drohenden Vollzugs zulässig.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist auch nicht mit Blick auf § 37 Abs. 1AsylG zulässig. Danach wird die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und die Abschiebungsandrohung unwirksam und das Asylverfahren ist durch das Bundesamt fortzuführen, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Der stattgebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Eilverfahren kommt aufgrund dieser gesetzlichen Anordnung damit eine über den Vollziehungsschutz hinausgehende Wirkung zu. Hierauf kann sich der Asylbewerber im Eilrechtschutz jedoch nicht berufen und diese Wirkung über das Eilrechtsverfahren nicht isoliert durchsetzen. Der asylrechtliche Eilrechtsschutz ist nach der gesetzlichen Konzeption nämlich auf die Verhinderung der Vollziehung der Abschiebung beschränkt. Auf sonstige (Folge-)Wirkungen ist er hingegen nicht angelegt. Auf derartige mittelbare Folgen kann sich der Asylbewerber im Eilrechtsverfahren nicht berufen, diese nicht zum alleinigen Gegenstand seines Eilantrags machen. Dass das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ausschließlich mit dem Ziel der Aussetzung der Abschiebung betrieben werden kann und dies allein den Prüfungsumfang des Gerichts darstellt, ergibt sich insbesondere aus der Formulierung des § 36 Abs. 4 VwGO („Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden…“). Dass der einstweilige Rechtsschutz im Asylrecht nicht über eine Verhinderung einer Abschiebung hinausgeht, ergibt sich auch aus der Gesamtkonzeption des Asylrechts. Anders als unter Umständen in anderen Rechtsgebieten ist es im Asylrecht von vorneherein unmöglich, einen materiellen Anspruch (d. h. einen Schutzstatus) – wenigstens vorübergehend bzw. vorläufig – zu erreichen. Ein solcher ist auch nicht über den Weg eines Antrags nach § 123 VwGO erreichbar, sondern nur und erst mit der Hauptsacheklage. Es muss erst recht davon ausgegangen werden, dass auch keine formalen dauerhaften Verfahrenspositionen mit einem Eilverfahren erwirkt werden können, zumal im Eilverfahren vom Grundsatz her Rechte nur gesichert, nicht aber endgültig zugesprochen werden. Eine Vorwegnahme der Hauptsache verbietet sich im einstweiligen Rechtschutzverfahren grundsätzlich (für Verfahren nach § 123 VwGO vgl. Kopp/Schenke, VwGO 23. Aufl., § 123 Rn. 13 ff; im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kann dies aber nicht anders beurteilt werden). Die Fortführung des Asylverfahrens würde aber eine endgültige, nicht nur eine vorübergehende, sichernde Maßnahme bzw. Folge darstellen. Anträge ausschließlich mit diesem Ziel sind folglich als unzulässig anzusehen. Ihnen fehlt die Antragsbefugnis bzw. das Rechtsschutzbedürfnis.
Dies gilt auch dann, wenn die Fristsetzung seitens des Bundesamtes bewusst rechtswidrig vorgenommen worden sein sollte, um die Durchführung eines Asylverfahrens zu verhindern. Eine gezielten Umgehung der Folge des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG kann vorliegend aber nicht festgestellt werden. Aufgrund der familiären Situation des in Deutschland nachgeborenen Kindes der Antragstellerin kommt es auch in Betracht, dass auf diesem Weg die Wahrung der Familieneinheit gewährleistet werden sollte. Ob für die in Deutschland geborene Tochter der Antragstellerin ein Bescheid nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Betracht kommt, ist zumindest fraglich und hängt von der Anwendbarkeit und dem Verständnis des Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO ab. Sollte für die Tochter von dem Unzulässigkeitstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 1a) Dublin III-VO auszugehen sein, ist eine gemeinsame Abschiebung nach Ungarn gegebenenfalls kaum anders zu gewährleisten als über den Weg einer Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung von 30 Tagen für beide Personen. Für die Tochter der Antragstellerin kommt eine Abschiebungsandrohung mit einer Ein-Wochen-Frist nicht in Betracht, vgl. § 35 AsylG, nach § 34a Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 38 Abs. 1 AsylG jedoch eine Abschiebungsandrohung mit Frist von 30 Tagen. Ein Gleichlauf der Fristen und Verfahren ist ansonsten kaum zu gewährleisten, so dass die gewählte Lösung noch am ehesten rechtmäßige Zustände schafft.
Die Kostenentscheidung des erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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