Verwaltungsrecht

Abschiebungsandrohung, Subsidiär Schutzberechtigter, Auskünfte des Auswärtigen Amtes, Anerkannte Schutzberechtigte, Aussetzung der Vollziehung, Rechtsschutzbedürfnis, Aufschiebende Wirkung, Einzelrichter, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Griechenland, Sozialleistungen, Asylantragstellung, Einstweiliger Rechtsschutz, Antragstellers, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Anfechtungsklage, Familienzusammenführung, Unmenschliche Behandlung, Unzulässigkeitsentscheidung, Arbeitsvermittlung

Aktenzeichen  AN 17 S 19.50334

Datum:
1.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2476
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 4, Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AsylG § 35, § 36

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für … vom 14. März 2019 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach Griechenland, wo sie bereits internationalen Schutz genießen.
Der Antragsteller zu 1) ist am … 1958, die Antragstellerin zu 2) am …1967 in Syrien geboren. Sie sind miteinander verheiratet und haben einen nicht verfahrensbeteiligten Sohn, den im Jahr 2000 in Syrien geborenen …, der sich ebenfalls in Deutschland befindet und Kläger und Antragsteller im Verfahren AN 17 K 19.50329/AN 17 S 19.50328 gegen einen Drittstaatenbescheid mit Rückführungsland ebenfalls Griechenland ist.
Der Antragsteller zu 1) verließ eigenen Angaben nach im Juli 2014 mit seiner Ehefrau das Heimatland Syrien und flog mit ihr zunächst vom Libanon aus in die Türkei, wo sie bis Juli 2015 blieben. Sodann reiste er weiter nach Griechenland, hielt sich dort bis Dezember 2015 auf und kehrte sodann für ein Jahr und fünf Monate in die Türkei zurück. Im Mai 2017 flogen sie erneut nach Griechenland, wo sie sich für zwei Monate aufhielten, um dann im Juli 2017 per Flugzeug in die Niederlande zu reisen. In den Niederlanden lebten sie bis zum Januar 2019 und reisten dann mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Antragstellerin zu 2) schildert ihren Fluchtverlauf insofern abweichend, als dass sie nach der gemeinsamen Ankunft in der Türkei dort für drei Jahre blieb und am 19. und 20. April 2017 mittels eines Visums zur Familienzusammenführung nach Griechenland reiste, dort zwei Monate lebte und sodann gemeinsam mit ihrem Ehemann in die Niederlande flog. Die gemeinsame Einreise nach Deutschland erfolgte am 28. Januar 2019, die Asylantragstellung am 7. Februar 2019.
Vor ihrem Asylantrag in Deutschland hatten die Antragsteller bereits am 21. August 2015 (Antragsteller zu 1)) bzw. am 5. Mai 2017 (Antragstellerin zu 2)) in Griechenland Asyl beantragt und am 12. Juli 2017 in den Niederlanden. Griechenland gewährte dem Antragsteller zu 1) daraufhin mit Entscheidung vom 21. August 2015 internationalen Schutz und der Antragstellerin zu 2) mit Entscheidung vom 21. August 2018 den Flüchtlingsstatus. Der Asylantrag in den Niederlanden wurde abgelehnt, die Klage hiergegen abgewiesen.
In der Anhörung vor dem Bundesamt für … (Bundesamt) am 14. Februar 2019 gab der Antragsteller zu 1) an, dass Griechenland nicht in der Lage sei Flüchtlinge aufzunehmen. Dort habe es keine vernünftige Unterkunft gegeben und sie seien als Flüchtlinge rassistisch diskriminiert worden. Er habe versucht Geld zu verdienen, jedoch hätten selbst die Griechen keine Arbeit. Sie hätten Griechenland zudem verlassen, um ihrem Sohn eine vernünftige Perspektive zu bieten. Die Antragstellerin zu 2) gab in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 14. Februar 2019 an, dass sie in Griechenland keinen Asylantrag gestellt habe, sondern dort nur zur Familienzusammenführung gewesen sei. In Griechenland sei ihr Leben sehr schwierig gewesen und ihr gesundheitlicher Zustand immer schlechter geworden, sie habe Diabetes und Rückenprobleme. Nicht einmal Medikamente habe sie in Griechenland bekommen. Dort würde auch überall mit Drogen gehandelt werden. Aktuell leide sie unter Diabetes, hohem Blutdruck, Rückenproblemen, Arthrose und Entzündungen in den Nervenbahnen, diesbezügliche Atteste habe sie nicht.
Mit Bescheid vom 14. März 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), forderte die Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Frist von einer Woche ab Bescheidsbekanntgabe zu verlassen und drohte ihnen widrigenfalls die Abschiebung nach Griechenland an; nach Syrien dürften sie jedoch nicht abgeschoben werden (Ziffer 3). Außerdem befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4) und setzte die Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus (Ziffer 5). Die Rechtsbehelfsbelehrung:enthielt keinen Hinweis auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO, sondern verwies nur auf die Klagemöglichkeit vor dem Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides.
Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass die Asylanträge gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig seien, da den Antragstellern bereits in Griechenland internationaler Schutz gewährt worden sei. Im Übrigen läge keine Art. 3 EMRK verletzende Situation für nach Griechenland zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte vor. Zwar seien die Lebensbedingungen für international Schutzberechtigte in Griechenland sehr schwierig, allerdings herrschten keine derart handgreiflichen eklatanten Missstände vor, die den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt werden. Insbesondere seien anerkannt Schutzberechtigte hinsichtlich Sozialleistungen, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Zugang zum Arbeitsmarkt und Bildungssektor der griechischen Bevölkerung gleichgestellt und haben dieselben, wenn auch für alle limitierten Rechte. Hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung führte das Bundesamt aus, dass diese auf § 80 Abs. 4 VwGO beruhe und durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gedeckt sei. Durch die Aussetzung der Vollziehung werde die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes vorläufig gehemmt und lebe erst wieder auf, wenn die Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag unanfechtbar werde oder das Bundesamt die Aussetzung abändere oder aufhebe. Solange die Wirksamkeit der Abschiebungsandrohung gehemmt sei, sei ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO weder statthaft noch bestehe dahingehend ein Rechtsschutzbedürfnis.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller durch ihren Prozessbevollmächtigten am 21. März 2019 Klage und stellten einen Antrag nach § 80 Abs. VwGO. Zur Begründung führen sie aus, dass die Antragstellerin zu 2) an einer posttraumatischen Belastungsstörung bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung in gegenwärtig schwerer Episode leide. Aus gesundheitlichen Gründen sei daher dringend notwendig, dass zunächst in Deutschland eine Therapie durchgeführt werde. In Griechenland werde eine solche nicht angeboten, die notwendigen Medikamente seien dort nicht vorhanden. Bezüglich der vorgetragenen Erkrankung der Antragstellerin zu 2) wird ein Arztbrief des Dr. med. … … unter dem Briefkopf des Gesundheitsamtes der Stadt … vom 11. Juni 2019 vorgelegt. Darin sind als Diagnosen aufgeführt: „Posttraumatische Belastungsstörung F43.1, Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode F33.2“. Unter dem Abschnitt Anamnese ist beschrieben, dass die Patientin – die Antragstellerin zu 2) – über Alpträume, Ein- und Durchschlafstörungen, Schreckhaftigkeit, innere Unruhe, Druckgefühl auf der Brust, vermehrte Grübelneigung, Gedankenkreisen, Zukunftssorgen sowie Ängste klage. Sie habe zwischen 2011 und 2014 in Syrien täglich Angriffe mit Raketen sowie Bombardements aus der Luft miterlebt. Hierbei sei ein Onkel sowie ein Schwiegersohn ums Leben gekommen. Zudem sei im Jahre 2013 ihre 25-jährige Tochter, die mit ihrem Sohn sowie ihrem Ehemann nach Libyen geflohen sei, bei der Überfahrt nach Italien ertrunken; ihre Leiche habe man bis heute nicht bergen können. Darunter leide sie sehr wie auch unter der Angst abgeschoben zu werden. Als Therapie wird empfohlen die vorbestehende antidepressive Medikation fortzuführen (Citalopram 20 mg zunächst ½-0-0 mit Steigerung der Dosis nach vier Wochen auf 1-0-0 sowie Mirtazapin 15mg 0-0-1/2). Weiter führt der Antragsteller aus, dass die derzeitigen humanitären Bedingungen in Griechenland derart schlecht seien, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu befürchten sei.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid und führt zur Erkrankung der Antragstellerin zu 2) ergänzend aus, dass anerkannte Schutzberechtigte bei einer Rückkehr nach Griechenland einen gesetzlichen Anspruch auf unentgeltliche medizinische Behandlung hätten und in die staatliche Krankenversicherung mit einbezogen seien. Im Übrigen genüge der vorgelegte Arztbrief nicht den Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung an Atteste, die eine posttraumatische Belastungsstörung bescheinigen, stellt und hinsichtlich der depressiven Störung auch nicht den Anforderungen des § 60 Abs. 2 Buchst. c AufenthG.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen elektronischen Behördenakten und die Gerichtsakten, auch die des Sohnes der Antragsteller, dem Kläger und Antragsteller in den Verfahren AN 17 K 19.50329/AN 17 S 19.50328, Bezug genommen.
II.
Der allgemein gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zunächst als solcher auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 14. März 2019, die die Abschiebungsandrohung nach Griechenland enthält, auszulegen, § 88 VwGO, und ist so zulässig und begründet.
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides ist statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere fehlt ihm nicht das Rechtsschutzbedürfnis wegen der in Ziffer 5 erfolgten Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 4 VwGO.
Der Klage gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG mit korrekter Fristsetzung nach § 36 Abs. 1 AsylG kommt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1, 38 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, so dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO der grundsätzlich statthafte und zur Verhinderung der Abschiebung notwendige Rechtsbehelf ist.
Dem Antrag fehlt es auch angesichts der behördlichen Aussetzungsentscheidung hinsichtlich des Vollzugs der Abschiebungsandrohung nach § 80 Abs. 4 VwGO in Ziffer 5 des Bescheides vom 14. März 2019 nicht am Rechtsschutzbedürfnis.
Die behördliche Aussetzung ist in ihrer Wirkung zum einen nicht identisch mit der gerichtlichen Anordnung nach § 80 Abs. 5 VwGO. Sie bewirkt nämlich nicht, dass der Anfechtungsklage wieder aufschiebende Wirkung zugeführt wird, wenn auch de facto das gleiche Ergebnis hergestellt wird (Gersdorf in Posser/Wolff, VwGO, 55. Ed. 2019, § 80 Rn. 130, a.A. Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 104). Die Aussetzung verhindert vielmehr unabhängig von einer Anfechtungsklage, also auch wenn eine solche nicht erhoben wird, vorläufig die Vollziehung der Anordnung. Auch in ihrer zeitlichen Wirkung sind die beiden Verfahren nicht zwingend identisch. Es ist davon auszugehen, dass die Antragsteller vom Gericht die Vollzugsaussetzung bis zu den in § 80b Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO alternativ genannten Zeitpunkten begehren, während das Bundesamt hier ausdrücklich eine andere Dauer anvisiert und sich den jederzeitigen Widerruf der Aussetzung von vorneherein vorbehalten hat. Die zeitliche Beschränkung der Aussetzung ist zwar möglich und für sich genommen nicht rechtsfehlerhaft (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80b Rn. 12), der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt nach Ansicht des Einzelrichters, der der Kammerrechtsprechung folgt, damit aber statthaft (VG Ansbach, B.v. 25.5.2020 – AN 17 S 20.50147 – juris Rn. 16 ff.; a.A. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 136).
Zum anderen ist ein stattgebender Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO für die Antragsteller jedenfalls dann von Bedeutung, wenn die Wirkung der behördlichen Aussetzung durch deren Widerruf enden würde. Er könnte zu diesem Zeitpunkt den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch nicht mehr nachholen, da er dann verfristet wäre. Gleichwertiger Rechtsschutz ist auch auf anderem Wege später nicht gesichert zu erlangen. Umfassenden Rechtschutz bietet allein der sofort und gegebenenfalls zusätzlich gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Die Aussetzung durch das Bundesamt in Ziffer 5 erfolgte hier nämlich ausdrücklich nur unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs. Sie bleibt damit – wie oben ausgeführt – in ihrer Wirkung deutlich hinter einem stattgebenden gerichtlichen Antrag zurück. Zwar kann auch eine Anordnung nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit, auch von Amt wegen nach § 80 Abs. 7 VwGO, vom Gericht abgeändert werden und bietet keinen gesicherten Abschiebungsschutz bis zum in § 80b VwGO festgelegten Zeitpunkt, jedoch ist die Aufhebung durch ein unabhängiges Gericht in einem festgelegten Verfahren mit Verfahrensgarantien, insbesondere Anhörungspflicht für den Betroffenen als ungleich weniger kritisch und deutlich unwahrscheinlicher anzusehen als die jederzeit und ohne Einschränkung mögliche Aufhebung durch die (Vollzugs-)Behörde. Für sein eigentliches Begehren würde dem Antragsteller ohne ein paralleles Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO der Rechtschutz abgeschnitten, jedenfalls unzumutbar erschwert werden.
Denn im Unterschied zur Konstellation in anderen Rechtsgebieten, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Asylrecht gegen einen Drittstaatenbescheid mit Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG fristgebunden innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu stellen. Nach Ablauf dieser Frist ist er unzulässig. Er kann also auch nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden, insbesondere kann nicht die behördliche Beendigung der Aussetzung der Vollziehung für die Antragstellung abgewartet werden. Zwar wird zum Teil vertreten, dass der Fristanlauf erst mit der Beendigung der behördlichen Aussetzung zu laufen beginnt, weil erst in diesem Zeitpunkt die Wirksamkeit der Anordnung eintritt (vgl. VG Ansbach, B.v. 14.11.2019 – AN 14 S 19.50863 – juris), jedoch überzeugt dies nach Auffassung des Einzelrichters, der der Kammerrechtsprechung folgt, nicht. Diese Auffassung widerspricht vielmehr der gesetzlichen Regelung und geht von einem in diesem Zusammenhang fehlerhaften Wirksamkeitsbegriff aus. Abzustellen ist bei Rechtsbehelfen stets auf die äußere Wirksamkeit des anzufechtenden Bescheids, d. h. auf dessen Bekanntgabe, nicht aber auf die innere Wirksamkeit im Sinne des Eintritts der belastenden Wirkung für den Betroffenen. Ansonsten könnte das Fristenregime der VwGO seinem Sinn, nämlich eine klare und eindeutige Rechtslage in einer absehbaren Zeitspanne zu bewirken, nicht gerecht werden. Da die Beendigung der Aussetzung wie auch die Aussetzung selbst nach herrschender Meinung keinen eigenen Verwaltungsakt darstellt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 78), ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch nicht mit der Beendigungsentscheidung (erneut) möglich (VG Ansbach, B.v. 25.5.2020 – AN 17 S 20.50147 – juris Rn. 24).
Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nach Ansicht des der Kammer folgenden Einzelrichters schließlich auch nicht im Wege einer analogen Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO ab dem Zeitpunkt der Beendigungsentscheidung möglich. Eine Analogie setzt stets eine planwidrige Regelungslücke voraus, die hier nicht erkannt werden kann. Im Bereich der Rechtsmittel des einstweiligen Rechtschutzes grenzen sich die Rechtsbehelfe nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 Abs. 1 VwGO danach voneinander ab, dass der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO subsidiär dann einschlägig ist, wenn der speziellere Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht eingreift, weil die Situation der Anfechtungsklage nicht vorliegt (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Zu einer Gesetzes- und Rechtschutzlücke kann es damit von der Konzeption her schon nicht kommen, was eine Analogie ausschließt. Im Übrigen zeigen die speziellen Regelungen im insoweit vergleichbaren Fachplanungsrecht, § 17e FStrG und § 5 VerkPBG, dass dem Gesetzgeber die Problematik einer Verfristung eines fristgebundenen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durchaus bewusst gewesen ist. In § 17e Abs. 4 FStrG bzw. § 5 Abs. 2 Satz 3 und 4 VerkPBG hat er hierauf dadurch reagiert, dass die Möglichkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb der gesetzlichen Frist nach Kenntnis neuer Tatsachen geschaffen wurde. Da das im AsylG (bewusst) nicht eingeführt wurde, ist eine Lückenschließung durch Analogie ausgeschlossen (VG Ansbach, B.v. 25.5.2020 – AN 17 S 20.50147 – juris Rn. 25).
Zwar bliebe, um den Betroffenen nicht rechtschutzlos zu stellen, noch die Möglichkeit, ihm im Zeitpunkt der Beendigung der Aussetzung den Rechtsbehelf des § 123 Abs. 1 VwGO zuzubilligen, allerdings ist dieser Weg für den Antragsteller risikoreich, zum einen, weil dieser Weg in der Rechtsprechung nicht allgemein anerkannt und damit für ihn unsicher ist, zumal im Asylrecht auch eine Überprüfung durch eine zweite Gerichtsinstanz nicht möglich ist (vgl. § 80 AsylG). Zum anderen stellt der Rechtschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO höhere Anforderungen an den Antragsteller (etwa durch das Erfordernis der Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch anstelle einer umfassenden Amtsermittlung durch das Gericht) und ist deshalb für ihn nachteilig. Hierauf kann jedenfalls der Antragsteller, der den Antrag zunächst berechtigt gestellt hat, nicht verwiesen werden. Zur Vermeidung eines Rechtsverlustes bzw. eines erheblichen Rechtsnachteils ist vielmehr bei anfänglicher oder zwischenzeitlicher behördlicher Aussetzung der gerichtliche Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (weiter) als zulässig zu erachten (vgl. mit gleicher Argumentation im Straßenfachplanungsrecht nach § 5 VerkPBG auch BVerwG, B.v. 23.6.2009 – 9 VR 1/09 – juris Rn. 2, vgl. auch bereits VG Ansbach, B.v. 13.11.2019 – AN 17 S 19.50869 – juris). Offenbleiben kann hier, ob Fällen von Anfang an erfolgter behördlicher Vollziehungsaussetzung, bei denen der Betroffene faktisch von der Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO abgehalten wurde, im Zeitpunkt des Widerrufs noch mit einem Antrag nach § 123 VwGO begegnet werden kann (VG Ansbach, B.v. 25.5.2020 – AN 17 S 20.50147 – juris Rn. 26).
2. Der Antrag ist auch begründet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung nicht standhält (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – BeckRS 2020, 8209 Rn. 35; BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
a) Die Unzulässigkeitsentscheidung mitsamt der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 14. März 2019 erscheinen nach dem Vorbringen der Antragsteller beim Bundesamt und im Gerichtsverfahren und unter Berücksichtigung der aktuellen Lage für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland, von der das Gericht nach der Auswertung aktueller Erkenntnisquellen ausgeht, sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für anerkannte Schutzberechtigte (U.v. 19.3.2019 – C-163/17 „Jawo“ – NVwZ 2019, 712; U.v. 19.3.2019 – C-297/17 „Ibrahim“ u.a. – juris, U.v. 19.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 – „Hamed“ und „Omar“ – NVwZ 2020, 137) bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union anerkannten Schutzberechtigten grundsätzlich unzulässig und in der Folge gemäß § 35 AsylG eine Abschiebungsandrohung dorthin veranlasst. Nur ausnahmsweise, nämlich nur bei Erreichen der hohen Hürde einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh führt eine schwierigere Lage für anerkannte Schutzberechtigte in anderen Mitgliedsstaaten im Vergleich zur Lage in der Bundesrepublik Deutschland zum Klageerfolg. Dies ist erst der Fall, wenn – plakativ formuliert – der Anerkannte trotz zumutbarer Eigeninitiative in dem zuständigen Staat nicht in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5; EuGH, a.a.O.; siehe auch EGMR, U.v. 4.11.2014 „Tarakhel“ – NWvZ 2015, 127 ff.) und ihm deshalb ernsthaft eine Verelendung droht. Hiervon geht das erkennende Gericht nach den vorliegenden Erkenntnisquellen und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für die Antragsteller aus.
b) Es wird dabei die nachfolgend dargelegte Sachlage in Griechenland zugrunde gelegt:
aa) Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Anerkannte Schutzberechtigte haben sich sodann beim zuständigen Bürgerservice-Center zu melden. Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8).
Staatliche Integrationsmaßnahmen gibt es kaum. Es existiert kein funktionierendes Konzept für die Integration von Flüchtlingen bzw. es fehlt an nennenswerten staatlichen Ressourcen zu einer Implementierung (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 11; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierte Gesamtausgabe vom 4.10.2019 mit Informationsstand vom 19.3.2020, Ziffer 6. Schutzberechtigte, S. 27 f.). Diesbezügliche Ansätze der Regierung wie die „Nationale Strategie zur Integration von Drittstaatsangehörigen“ sind nur teilweise umgesetzt (Pro Asyl, a.a.O.; BFA a.a.O.) oder haben wie im Falle der nationalen Integrationsstrategie aus Juli 2018 keine rechtlich bindende Wirkung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7). Zwar berichten einige Erkenntnismittel etwa von 53 Integrationsräten auf lokaler Ebene, welche das Ziel verfolgten, Integrationsprobleme zu identifizieren und dem jeweiligen Gemeinderat Vorschläge für eine möglichst reibungsfreie Integration von Einwanderern zu unterbreiten (BAMF, Länderinformation: Griechenland, Stand Mai 2017, S. 5). Diese Beschreibung deutet jedoch auf ein eher politisches Gremium hin, welches sich um Änderungen bemüht, selbst aber keine Integrationsleistungen anbietet. Hinsichtlich staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild uneinheitlich (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Zudem wird die hohe Abhängigkeit etwaiger Integrationsprogramme von einer Finanzierung durch die EU betont, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7; BFA a.a.O.).
In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten und mit denen die griechischen Behörden, insbesondere die lokalen, auch kooperieren (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Athen, Hilfsorganisationen – Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland, Stand Dezember 2019; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2; United States Departement of State [USDOS], Country Report of Human Rights Practices for 2019, Greece, Section 2. f. Protection for Refugees, S. 14; UNHCR, Fact Sheets Greece von Februar, Mai und August 2020; BFA a.a.O. S. 32). Die Arbeit der NGOs ist jedoch räumlich vorwiegend auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2).
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt, entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; BFA a.a.O., S. 30; Amnesty International, Amnesty Report Griechenland 2019, Flüchtlinge und Asylsuchende, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Wohnraum, Stand: 16.4.2020). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (BFA a.a.O., S. 30).
Zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannte Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren und über die Anerkennung hinaus dort verblieben sind und zudem nur für einen mehrmonatigen Übergangszeitraum (BFA a.a.O., S. 26; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.). Von einer Unterbringung kann nur ausgegangen werden, soweit eine explizite Zusage im Einzelfall zur Betreuung des Rückkehrers seitens der griechischen Behörden vorliegt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, a.a.O.).
Auch haben die zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Über das ESTIA-Programm stehen derzeit ca. 4.600 Appartements und insgesamt ca. 25.500 Unterbringungsplätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Mai 2020). Dieses steht jedoch nur Asylsuchenden und begrenzt zwischenzeitlich auch für international Anerkannte zur Verfügung, die bereits dort gelebt haben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2; Pro Asyl, Returned recognized refugees face a dead-end in Greece – a case study, Stand 4.1.2019, S. 3). Durch das neue Asylgesetz Nr. 4636/2019, das am 1. November 2019 in Kraft trat, wurden die Bedingungen für die anerkannt Schutzberechtigten überdies verschärft; sie müssen nunmehr unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Anerkennung die ESTIA-Unterkünfte verlassen, wobei es eine einmalige Übergangsfrist von zwei Monaten Anfang 2020 geben soll (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Das Helios-2-Programm, ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5.000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Das Programm kommt nach derzeitigem Erkenntnisstand aber nicht den anerkannten Flüchtlingen zugute, die nach Griechenland zurückkehren, sondern gilt für ab dem 1. Januar 2018, vorzugsweise ab dem 1. Januar 2019 Anerkannte nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten im ESTIA-Programm (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 3: derzeit keine Kenntnisse des AA hierüber).
Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften für anerkannt Schutzberechtigte ist grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Kapazitäten in den kommunalen und durch NGOs betriebenen Unterkünften, etwa in Athen, knapp bemessen und oft chronisch überfüllt (BFA a.a.O., S. 30; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit. Im Ergebnis bleiben viele anerkannte Schutzberechtigte, die selbst nicht über hinreichende finanzielle Mittel für das – Anmieten privaten Wohnraums verfügen, obdachlos oder wohnen in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen (für alles Vorstehende: Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 6 ff.). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen in Athen dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3).
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt. Das soziale Wohngeld setzt allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 1 f.).
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, auch sonst unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht aus der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen – unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr – wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt. (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; BFA a.a.O., S. 28: Mindestaufenthalt ein Jahr).
Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannten Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; BFA a.a.O., S. 29).
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Chancen auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes gering, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (BFA a.a.O., S. 31). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden, meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Dazu treten regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7) sowie bürokratische Hürden im Allgemeinen und im Speziellen bei der Beantragung der „Social Security Number (AMKA)“. Bezüglich letzterer wird vereinzelt berichtet, dass deren Beantragung seit Juli 2019 für nicht-griechische Staatsangehörige nicht mehr möglich sei (Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 26; zwar von Schwierigkeiten berichtend, aber keine Unmöglichkeit annehmend Asylum Information Database [AIDA], Country Report Greece, Update 2019, S. 166, 219 f.). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannter Schutzberechtigter findet derzeit nicht statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10), vereinzelt haben NGOs bzw. kirchliche Institutionen Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet, etwa der Arbeiter-Samariter-Bund und die Diakonie. Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (für alles Vorstehende: Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7; BFA a.a.O., S. 31). Die Arbeitslosenquote in Griechenland betrug nach Zahlen vom Oktober 2020 16,7%, wobei sie unter Frauen mit 20,6% deutlich höher als bei den Männern mit 13,5% lag (Hellenic Statistical Authority, Press Release: Labour Force Survey October 2020, abrufbar unter https://www…gr/en/statistics/-/publication/SJO02/-)
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und dem Gesundheitssystem ist für anerkannte Schutzberechtigte einschränkungslos gegeben, unterliegt allerdings im Übrigen denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.).
bb) Speziell im Zusammenhang mit der Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 in Europa stellt sich die Lage in Griechenland aktuell wie folgt dar:
Griechenland verzeichnet bei etwa 10,7 Millionen Einwohnern laut der Zahlen der Johns-Hopkins-Universität vom 27. Januar 2021 bislang 153.226 Infektionen, wovon 93.764 Menschen bereits wieder genesen sind. 5.692 Menschen sind an einer Erkrankung mit dem Virus gestorben. In der Bundesrepublik Deutschland, dem derzeitigen Aufenthaltsort der Antragsteller, sind bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 83 Millionen Menschen bisher 2.166.636 Corona-Fälle aufgetreten, 1.881.933 Menschen sind wieder genesen. Die Zahl der Toten wird mit 54.083 berichtet.
Griechenland hat zum Schutz der Bevölkerung seit Anfang November 2020 einen Lockdown verhängt, der u.a. die Schließung von Schulen, Gastronomie und Bars, eine Ausgangssperre von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens sowie ein Verbot von Reisen ohne triftigen Grund im Landesinneren beinhaltet. Seit dem 18. Januar 2021 sind allerdings die Geschäfte wieder geöffnet (Redaktionsnetzwerk Deutschland, Artikel vom 7. Dezember 2020 und 18. Januar 2021, „Griechenland verlängert Corona-Lockdown bis zum 7. Januar“ und „Lockdown-Lockerung: Griechenland öffnet Geschäfte“, abrufbar unter https://www…de/themen/griechenland/). Nach Angaben des Vize-Regierungschefs Georgiadis sind derzeit die Hälfte der griechischen Intensivbetten belegt (Redaktionsnetzwerk Deutschland, Artikel vom 18. Januar 2021 a.a.O.).
In wirtschaftlicher Hinsicht führte das Corona-Virus und der staatliche angeordnete Lockdown zu einem Einbruch der griechischen Wirtschaft im dritten Quartal 2020 von 11,7%. Im wirtschaftlich bedeutsamen Tourismus-Sektor, der im Jahr 2019 noch ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes beigetragen hatte, gingen die Urlauberzahlen 2020 um 80% zurück. Im Jahr 2021 erwartet die Regierung statt eines Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt von 7,5% nur noch ein Plus von 4,8%. Um den Folgen des Coronabedingten Wirtschaftseinbruchs zu begegnen, stellte der griechische Staat im Jahr 2020 23,9 Milliarden Euro an Hilfen für die Wirtschaft zur Verfügung und plant diese im Jahr 2021 um weitere 7,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Trotz der hohen Schuldenquote von 209% des Bruttoinlandsproduktes ist die Finanzierung des griechischen Staates wegen eines Liquiditätspuffers von 30 Milliarden Euro derzeit aber nicht in Gefahr (Redaktionsnetzwerk Deutschland, Artikel vom 25. Dezember 2020, „Corona wirft Griechenland weit zurück“, abrufbar unter https://www…de/politik/corona-wirft-griechenland-weit-zuruck-HJYQGCXHSBGL5GKDIHFW4AOQIQ.html).
c) Unter Beachtung des vorstehenden rechtlichen Maßstabes (II. 2. a)) und der tatsächlichen Situation für rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte (II. 2. b)) ergeben sich unter Zugrundelegung des Vortrags der Antragsteller im hier zu betrachtenden individuellen Einzelfall und unter Berücksichtigung der verschärften wirtschaftlichen Lage infolge der Corona-Pandemie ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Die Antragsgegnerin hat den Asylantrag der Antragsteller aller Voraussicht nach zu Unrecht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt, denn den Antragstellern droht im Falle einer Rückkehr nach Griechenland eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verelendung. Als Rückkehrperspektive ist von einer gemeinsamen Rückkehr der Antragsteller zu 1) und 2) als Eheleute und Kernfamilie auszugehen. Der volljährige Sohn der Antragsteller, dessen Asylantrag auch nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen einer bereits erfolgten Anerkennung in Griechenland abgelehnt wurden, befindet sich ebenfalls in Deutschland (Kläger und Antragsteller in den Verfahren AN 17 K 19.50329/AN 17 S 19.50328), gleichwohl kann eine gemeinsame Rückkehrperspektive nur für die Kernfamilie, also Eltern plus minderjährige Kinder angenommen werden (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – NVwZ 2020, 158 Ls. 2, 3, Rn. 15 ff., allerdings für § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).
Die Lebensverhältnisse von Schutzberechtigten in Griechenland stellen sich nach Auffassung des Einzelrichters, der sich der Kammerrechtsprechung anschließt (etwa VG Ansbach, U.v. 10.7.2020 – AN 17 K 18.50449), allerdings nicht schon allgemein für jedweden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh dar. Zwar haben international oder subsidiär Schutzberechtigte nach der Ankunft in Griechenland möglicherweise über einen längeren Zeitraum keinen effektiv gesicherten Zugang insbesondere zu Obdach und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie teilweise praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des sozialen Solidaritätseinkommens zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist der Zugang zu Sozialleistungen, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt und zu Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs für eine Übergangszeit nach der Rückkehr nach Griechenland allerdings durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen und die Hilfestellung von NGOs geprägt (eine Übersicht der zahlreichen in der Flüchtlingshilfe engagierten Organisationen in Griechenland bietet: Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Athen, Hilfsorganisationen – Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland, Stand Dezember 2019).
Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte nach Überzeugung des Einzelrichters grundsätzlich befähigt sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Griechenland (so auch: VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 – 5 L 581/18.A – juris Rn. 40; VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A – juris Rn. 43; VG Leipzig B.v. 17.2.2020 – 6 L 50/19 – BeckRS 2020, 2228 Rn. 15). Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. Art. 3 EMRK gewährt grundsätzlich keinen Anspruch auf den Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 – 12 L 1326/19.A – juris Rn. 39).
Im Falle der Antragsteller liegen allerdings solche außergewöhnlichen humanitären Gründe, die einer Rückführung nach Griechenland entgegenstehen, vor. Zunächst steht ihnen weder eine Unterkunft im Rahmen des ESTIA-Programms noch des Helios 2-Programms zur Verfügung. Auch ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine Anmietung einer ausreichenden Wohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt nicht möglich sein wird. Einerseits wegen der dort bestehenden Hürden wie einer Bevorzugung von Familienmitgliedern oder Studenten als Mietern, zum anderen wegen des zumindest in den ersten fünf Jahren bestehenden Ausschlusses wohnungsbezogener Sozialleistungen und des Ausschlusses vom Sozialgeld in den ersten zwei Jahren.
Die selbstständige Erwirtschaftung wenigstens ihres Existenzminimums durch die Antragsteller erscheint angesichts des für sie faktisch kaum mit Erfolg zugänglichen Arbeitsmarktes äußerst unwahrscheinlich. Insbesondere hinsichtlich des nunmehr 62 Jahre alten Antragstellers zu 1) ist nicht mehr damit zu rechnen, dass dieser auf dem griechischen Arbeitsmarkt Fuß fassen wird. Zum einen verfügt er nach Aktenlage über keine besondere berufliche Qualifikation oder Sprachkenntnisse wenigstens des Englischen, zum anderen fallen aufgrund seines fortgeschrittenen Alters körperlich besonders fordernde Tätigkeit weitestgehend weg, die jedoch gerade für Geringqualifizierte häufig den Einstieg in den Arbeitsmarkt bilden. Dazu tritt die die Lage am sowieso angespannten griechischen Arbeitsmarkt weiter verschärfende Corona-Pandemie, die insbesondere in der starken griechischen Tourismusbranche zu Einbrüchen geführt hat. Auch dafür, dass die Antragstellerin zu 2) diese Lücke füllen wird, spricht wenig. Zum einen ist auch sie bereits 53 Jahre alt, verfügt über keine besondere berufliche Qualifikation oder Sprachkenntnisse außerhalb ihrer Muttersprache und trifft auf einen, wie bereits geschildert, angespannten Arbeitsmarkt, der für Frauen noch deutlich schwieriger zugänglich ist als für Männer, wie deren deutlich höhere Arbeitslosenquote von 20,6% gegenüber 13,5% bei Männern belegt (insg. 16,7%, s.o.). Dazu tritt die gesundheitliche Einschränkung der Antragstellerin zu 2) in Folge einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode (F 33.2), die am Maßstab des § 60a Abs. 2 c AufenthG, der zur Beurteilung der Frage, ob den Antragstellern bei einer Rückführung eine gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht, entsprechend heranzuziehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.2020 – 1 C 35/19 – juris Rn. 29, das seine Rspr. zur Substantiierung einer PTBS im Rahmen der Prüfung des Art. 4 GRCh anwendet), substantiiert dargetan wurde. Die Antragstellerin zu 2) hat eine ärztliche Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. … … (Gesundheitsamt Stadt …*) vom 11. Juni 2019 vorgelegt, in dem dieser zunächst die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beteiligung im Sinne des § 60a Abs. 2 c Satz 3 AufenthG erfolgt ist, in Form einer ausführlichen Anamnese dargelegt hat; die Methode der Tatsachenerhebung ergibt sich mittelbar, die Antragstellerin zu 2) wurde in Anwesenheit eines Dolmetschers durch den Arzt befragt. Als Diagnose mitsamt der Angabe des Schweregrades war unter anderem und entsprechend § 60a Abs. 2 c Satz 3 AufenthG eine „Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode F33.2“ aufgeführt. Auch die bekannte psychiatrische Vorbehandlung war enthalten (zu diesem Erfordernis Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60a AufenthG Rn. 53). Ebenso werden unter der Überschrift „Psychopathologischer Befund“ die Folgen abgehandelt, die sich aus der Erkrankung ergeben können (§ 60a Abs. 2 c Satz 3 a.E. AufenthG). Schließlich wurden gemäß § 60a Abs. 2 c Satz 4 AufenthG die zur Behandlung erforderlichen Medikamente genannt und zwar Citalopram 20mg (1/2-0-0, nach 4 Wochen 1-0-0) sowie Mirtazapin 15mg (0-0-1/2). Dass die Untersuchung durch Dr. … soweit ersichtlich nur einmalig erfolgte, verstößt angesichts deren Ausführlichkeit nicht gegen § 60a Abs. 2 c AufenthG (Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60a AufenthG Rn. 54). Die ebenfalls geltend gemachte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist durch das genannte Attest des Dr. … hingegen nicht ausreichend belegt, da es an einer Begründung fehlt, warum die traumatisierenden Erlebnisse, die mittlerweile sechs bis sieben Jahre zurückliegen, erst nach der Einreise nach Deutschland im Januar 2019 geltend gemacht wurden (BayVGH, B.v. 13.12.2018 – 13a ZB 18.33056 – juris Rn. 8).
Daher wird es den Antragstellern aller Voraussicht nach an entsprechenden finanziellen Mitteln fehlen, um die Miete und den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften ist angesichts der limitierten Kapazitäten und der teils bestehenden Aufnahmebeschränkungen wie etwa Sprachkenntnissen eine nur vage und unwahrscheinliche Möglichkeit, die die tatsächliche Gefahr der drohenden Obdachlosigkeit nicht zu beseitigen vermag. Daran ändert auch die Tatsache, dass es etwa auf den Straßen Athens keine augenscheinliche Massenobdachlosigkeit gibt, nichts. Dies ist vor allem auf informelle Möglichkeiten zur Unterkunft, wie leerstehende oder besetzte Gebäude, meist ohne Wasser und Strom, zurückzuführen, auf die die Antragsteller sich in ihrem Alter und wegen der Vorerkrankung der Antragstellerin zu 2) nicht verweisen lassen müssen.
Angesichts des beschriebenen temporären Ausschlusses von Sozialleistungen in den ersten zwei bzw. für das Wohngeld fünf Jahren des (legalen) Aufenthalts in Griechenland und der äußerst problematischen Arbeitsmarktsituation für ältere Anerkannte unter Einfluss der Corona-Pandemie sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei den Antragstellern um zwei zu versorgende Personen handelt, droht trotz rechtlicher Inländergleichbehandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung, da innerhalb einer Zeitspanne von zwei Jahren nach Rückkehr keine Änderung in Hinblick auf Obdach und Sozialleistungen absehbar ist. Der Einzelrichter geht davon aus, dass die Antragsteller durch jedes soziale Netz fallen würden und sich auch nicht aus eigener Kraft und eigenem Engagement heraus ein menschenwürdiges Existenzminimum erwirtschaften können.
Die zu erwartenden Lebensumstände in Griechenland beruhen zwar nicht auf der Gleichgültigkeit (so die Formulierung des EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90) des griechischen Staates, aber auf dessen massiver Überforderung, die trotz Unterstützung des UNHCR und der EU weiterhin besteht. So kamen im Jahr 2019 74.600 Asylsuchende in Griechenland an und damit 50 Prozent mehr als im Jahr zuvor (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Dezember 2019), was angesichts einer Bevölkerungszahl von etwa 11 Millionen und der Steigerungsrate eine enorme Belastung darstellt. Zum Vergleich wurden in Deutschland im Jahr 2019 etwa 150.000 Asylsuchende und damit 11 Prozent weniger als im Jahr 2018 registriert (Bundesamt für …, Das Bundesamt in Zahlen 2019, S. 7). In absoluten Zahlen sind dies zwar gut doppelt so viele wie in Griechenland, allerdings bei einer mehr als sieben Mal so großen Gesamtbevölkerung. Im europäischen Vergleich muss Griechenland gemessen an seiner Größe überproportionale Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen schultern und ist mit diesem Ausmaß, insbesondere was die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung anbelangt, überfordert. Für die Betroffenen wirkt sich die Überforderung des griechischen Staates im Ergebnis genauso wie Gleichgültigkeit, worauf der Europäische Gerichtshof abgestellt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90), aus. Rechtlich maßgeblich ist letztlich allein, ob wegen der Defizite mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht, was sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ergibt, da dieser an anderer Stelle den „allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 der Charta, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet“, betont (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 37).
Der Annahme einer drohenden erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung steht auch nicht entgegen, dass die Antragsteller als anerkannte Schutzberechtigte freiwillig aus Griechenland ausgereist sind, damit – möglicherweise sogar bewusst – auf die ihnen zustehenden Sozialleistungen verzichtet und ihre eigene Notsituation im Falle einer Rückkehr erst herbeigeführt haben. Zwar stellt der Europäische Gerichtshof grundsätzlich auf eine Notsituation der schutz-berechtigten Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen“ ab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Allerdings kommt Art. 4 GRCh in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs absoluter Charakter zu, sprich Einschränkungen in dessen Gewährleistung sind nicht rechtfertigbar (EuGH, U.v. 24.2.2018 – MP, C-353/16 – ZAR 2018, 395 Rn. 36; Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 12). Zudem lässt sich der Europäische Gerichtshof auch so verstehen, dass die Notsituation unabhängig vom Willen und persönlichen Entscheidungen des Anerkannten sich erst auf die Situation ab einer angenommenen Rückkehr nach Griechenland bezieht und deshalb das zeitlich davorliegende Verhalten keine Rolle mehr spielen darf. Angesichts dessen verbleiben weiter erhebliche Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG an der Unzulässigkeitsentscheidung mit Abschiebungsandrohung nach Griechenland.
Schließlich vermag auch das allgemeine Schreiben des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 bezüglich zurückkehrender anerkannter Flüchtlinge nach Griechenland eine drohende unmenschliche Behandlung nicht auszuschließen. In diesem wird zugesichert, dass Griechenland die Qualifikations-RL 2011/95/EU rechtzeitig in griechisches Recht umgesetzt hat und basierend hierauf allen international Schutzberechtigten die Rechte aus der Richtlinie gewährt werden unter Beachtung der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Zusicherung, die die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung ausschließen soll, muss nach der Rechtsprechung des EGMR hinreichend konkret und individualisiert, etwa durch detaillierte und zuverlässige Informationen über die materiellen Bedingungen in der Unterkunft mit Bezug zu den Klägern, ausgestaltet sein (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127 Rn. 120 ff.). Das Bundesverfassungsgericht betont hinsichtlich der Beurteilung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK die Notwendigkeit einer „hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage“ (BVerfG [2. Senat, 1. Kammer], B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 15 f., wo auch auf die Tarakhel-Entscheidung des EGMR Bezug genommen wird). Gemessen an diesem Maßstab bleibt die Mitteilung Griechenlands vom 8. Januar 2018 zu abstrakt und damit nicht ausreichend.
Da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 14. März 2019 im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestehen, bestehen diese auch hinsichtlich der auf der Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 35 AsylG aufbauenden Abschiebungsandrohung nach Griechenland in Ziffer 3 des Bescheides. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Griechenland war nach alldem anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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