Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot hinsichtlich Italien

Aktenzeichen  W 8 K 20.50118

Datum:
11.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9728
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84 Abs. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3, Art. 8
GG Art. 6 Abs. 1
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 17

 

Leitsatz

1. Das italienische Asylverfahren und auch die Aufnahmebedingungen in Italien leiden nicht an systemischen Mängeln . Auch die zurzeit bestehende Corona-Pandemie ändert nichts an dieser Beurteilung (Bestätigung von VG Würzburg BeckRS 2020, 3625). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus der rechtlichen Unmöglichkeit einer Überstellung der Ehefrau und minderjährigen Sohnes ergibt sich ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (§ 34a Abs. 1 S. 1 AsylG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, 8 EMRK) auch für den Ehemann und Vater, weil andernfalls die Kernfamilie auseinandergerissen würde. Dies ist auch im Dublin-Verfahren zu berücksichtigen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Nrn. 2 bis 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. März 2020 verpflichtet, festzustellen, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich It. vorliegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die gemäß § 84 Abs. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden konnte, ist zulässig und teilweise – bezogen auf die Nrn. 2 bis 4 des Bescheides vom 13. März 2020 – begründet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 1 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid, macht sich diese zu Eigen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass das italienische Asylverfahren und auch die Aufnahmebedingungen in It. nicht an systemischen Mängeln leiden. Auch die zurzeit bestehende Corona-Pandemie ändert nichts an dieser Beurteilung (vgl. im Einzelnen: VG Würzburg, B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50089 – juris; B.v. 10.2.2020 – W 8 S 20.30180 – juris sowie Be.v. 7.5.2020 – W 8 K 20.50105 und W 8 K 20.50107). Des Weiteren führt auch der Umstand, dass der Kläger mit der Klägerin des Verfahrens W 8 K 20.30428 verheiratet und Vater des 1 ¾ alten gemeinsamen Kindes ist, nicht zwingend zu einem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO (siehe etwa VG Würzburg, U.v. 3.4.2020 – W 10 K 19.30677 – juris mwN), zumal es sich um ein Folgeverfahren handelt.
Abgesehen davon ist die Klage bezogen auf die Nrn. 2 bis 4 des streitgegenständlichen Bescheides begründet und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil sowohl ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 und 8 EMRK hinsichtlich It.s besteht als auch ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK gegeben ist.
In der Person des Klägers liegt ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 und 8 EMRK vor, weil er Vater eines 1 ¾ Jahren alten Sohnes ist. Der Sohn gehört zu dem besonders schutzbedürftigen Personenkreis der Familien mit minderjährigen Kindern im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahmerichtlinie) gehört. Nach dieser Regelung ist die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen in dem einzelstaatlichen Recht zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie zu berücksichtigen. Auch nach italienischem Recht muss grundsätzlich auf die spezifischen Bedürfnisse vulnerabler Personen Rücksicht genommen werden.
Im Einzelnen wird auf das Urteil des Gerichts vom 7. Mai 2020 (W 8 K 20.30428) Bezug genommen, in dem es ausführlich auf die Rechtsposition des Sohnes des Klägers und dessen Mutter (der Ehefrau des Klägers) eingegangen ist. In dem Urteil ist ausgeführt, dass dem Sohn und der Ehefrau des Klägers ohne eine hier fehlende individuelle Zusicherung aus It. eine Rückkehr nach It. von Rechtswegen nicht zugemutet werden kann, weil ihnen Obdachlosigkeit und Verelendung droht. Dies verstößt gegen Art. 3 EMRK und Art. 3 GRCh. In dem Urteil ist schon weiter angemerkt, dass die ganze Familie betroffen ist. Denn eine Rückkehr wäre nur dann zumutbar, wenn das 1 ¾ Jahre Kind zusammen mit seiner Mutter und seinem Vater untergebracht würde und eine dahingehende individuelle Zusicherung aus It. dies explizit garantieren würde. Daran fehlt es. Im dortigen Verfahren hat die Ehefrau des Klägers vielmehr ausgeführt, dass die italienischen Behörden eine Flüchtlingsanerkennung des Klägers verweigert haben. Im Einzelnen wird auf die Ausführungen im Urteil vom 7. Mai 2020 – W 8 K 20.30428 und die dortigen Nachweise Bezug genommen.
Vor diesem Hintergrund ist die Abschiebung – auch des Klägers – nach It. angesichts der bei der Rückführung von Familien in Rede stehenden hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 8 EMRK und der bei der Durchführung von Überstellungen vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls ohne vorherige individuelle Zusicherung It.s nicht möglich. Eine dahingehende individuelle Garantieerklärung von den italienischen Behörden, die auch den Kläger als Ehemann und Vater der Kläger des Verfahrens W 8 K 20.30428 erfasst, fehlt und ist auch nicht zu erwarten.
Unabhängig davon besteht aus der derzeitigen rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung der Ehefrau und Sohnes des Klägers nach It. auch ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, 8 EMRK), weil andernfalls die Kernfamilie auseinandergerissen würde. Im vorliegenden Dublin-Verfahren sind auch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu berücksichtigen.
In Folge der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten ist des Weiteren zwangsläufig auch die verfügte Abschiebungsanordnung nach It. rechtswidrig und aufzuheben. Gleichermaßen konnte die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG keinen Bestand haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG und entspricht dem Umfang des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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