Verwaltungsrecht

Abschiebungsverbot, Verwaltungsgerichte, Flüchtlingseigenschaft, Subsidiärer Schutzstatus, Asylverfahren, Bundsverwaltungsgericht, Beachtliche Wahrscheinlichkeit, Befähigung zum Richteramt, Abschiebung nach Afghanistan, Abschiebungsandrohung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rückkehr nach Afghanistan, Eltern, Einzelrichter, Aufhebung des Bescheides, Obergerichtliche Rechtsprechung, Aufenthaltsverbot, Prozeßkostenhilfeverfahren, Lebenshaltungskosten, Erwerbsfähigkeit

Aktenzeichen  W 1 K 21.30125

Datum:
3.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3525
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 4., 5. und 6. des Bescheides der Beklagten vom 21. Januar 2021 verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan besteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Über die Klage konnte mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO. Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan. Vor diesem Hintergrund war der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 21. Januar 2021 in den Ziffer 4., 5. und 6. aufzuheben. Dagegen hat der Kläger keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise des subsidiären Schutzes nach §§ 3, 4 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes hinsichtlich Afghanistan nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
Im Fall des Klägers ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rückkehrprognose (vgl. im Einzelnen: U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – juris) realistischerweise von einer Rückkehr nach Afghanistan gemeinsam mit seinen Eltern auszugehen. Danach ist vorliegend von der Regelvermutung einer gemeinsamen Rückkehr auszugehen, was auch das Bundesamt seiner Entscheidung vom 21. Januar 2021 zugrunde gelegt hat. Entsprechend den dortigen Ausführungen sind die gemeinsam in das Bundesgebiet eingereisten Eltern des Klägers seit dem 17. November 2018 verheiratet, was durch die Vorlage einer vom Generalkonsulat der Republik Afghanistan in München ausgestellten Eheurkunde nachgewiesen wurde. Die Vaterschaft hinsichtlich des Klägers wurde durch Geburtsurkunde des Standesamtes K. vom 5. November 2020 nachgewiesen und der Kläger wohnt mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft als Kernfamilie im Bundesgebiet zusammen.
Unter Berücksichtigung einer gemeinsamen Rückkehr des Klägers mit seinen Eltern nach Afghanistan hat dieser einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG, da davon auszugehen ist, dass der Kläger und seine Familie ihr notwendiges Existenzminimum aufgrund der prekären humanitären Lage in Afghanistan nicht werden sicherstellen können. Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – juris).
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Das wäre jedoch bei dem Kläger der Fall, wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsste. Der Kläger müsste befürchten, aufgrund der dortigen Lage unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation einer nach Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Der Kläger beruft sich insoweit auf die allgemein schlechte Lage in seinem Heimatland. Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen weisen im vorliegenden Einzelfall eine solche Intensität auf, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18. 30632; U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284, B.v. 11.01.2017 – 13a ZB 16.30878; B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31264 – jeweils juris). Der Schutzbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG ist auch bei einer allgemeinen, auf eine Bevölkerungsgruppe bezogenen Gefahrenlage eröffnet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; BayVGH v. 21.11.2014, a.a.O., juris – Rn. 16 ff.). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernst einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden könne, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. auch: BayVGH, U.v. 23.3.2017 und U.v. 21.11.2014, a.a.O.), die im Falle des Klägers gegeben ist.
Die diesbezügliche aktuelle Lage in Afghanistan stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 16. Juli 2020 (Stand: Juni 2020) aus, dass Afghanistan weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei. Auf dem Weg zu einem voll funktions- und fiskalisch lebensfähigen Staat habe Afghanistan verstärkt eigene Anstrengungen unternommen, sei aber weiterhin auf umfangreiche internationale Unterstützung angewiesen. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020 auf das Gesundheitssystem, den Arbeitsmarkt und die Nahrungsmittelversorgung hätten den humanitären Bedarf weiter erhöht (lt. UN-OCHA: 2020 bis zu 14 Mio. Menschen). Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe geprägt von der schwierigen Sicherheitslage sowie schwacher Investitionstätigkeit. Das Wirtschaftswachstum habe sich zuletzt erholen können und habe 2019 bei 2,9% gelegen. Für 2020 gehe die Weltbank bedingt durch Covid-19 von einer Rezession (bis zu – 8% BIP) aus. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was in besonderem Maße für Rückkehrer gelte. Die bereits prekäre Lage habe sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie weiter verschärft. Die Weltbank prognostiziere einen weiteren Anstieg der Armutsrate von 55% aus dem Jahr 2016 aufgrund der Covid-19-Krise und der Absorption des Wirtschaftswachstums durch die hohen Geburtenraten. Dabei bleibe das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Das rapide Bevölkerungswachstum von rund 2,7% p.a. bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebenserwartung sei neben der Sicherheitslage die zentrale Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibe aber auf hohem Niveau (laut ILO 2017 bei 11,2%) und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen. Der Mangel an Arbeitsplätzen stelle für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar, wobei auch Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen könnten (zu letzterem: BFA Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Gesamtaktualisierung 13.11.2019, zuletzt aktualisiert 29.6.2020, S. 323). Die Versorgung von hunderttausenden Rückkehrern sowie Binnenvertriebenen stelle das Land vor große Herausforderungen. Die größeren Städte kämen als Ausweichorte grundsätzlich in Betracht. Die Inanspruchnahme der – durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Ausland bereits stark in Anspruch genommenen – Ausweichmöglichkeiten hänge maßgeblich vom Grad der sozialen Verwurzelung, der Ethnie und der finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielten eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz (so auch BFA Österreich, a.a.O., S. 343). Die afghanische Regierung habe 2017 mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen, der auch ein Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer beinhalten soll. IOM biete Unterstützung bei der Ankunft in Kabul mit bis zu 2-wöchiger Unterkunft und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits. Auch die Bundesrepublik Deutschland und die EU förderten Reintegrationsprojekte, etwa im Zusammenhang mit der Existenzgründung und der Integration in den Arbeitsmarkt (vgl. auch BFA Österreich, a.a.O., S. 343).
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Gefährdungsprofile vom 30.9.2020, S. 15 ff.) führt aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt bleibe und die Armutsrate aufgrund der Covid-19-Pandemie 2020 von 54,5% auf 60-72% steigen werde. Insgesamt seien ca. 9,4 Millionen Menschen von akuter humanitärer Not betroffen. Aufgrund der Covid-19-Pandemie und dem Zusammenbruch der Versorgungsketten sei die Lebensmittelversorgung von ca. 14 Millionen Menschen gefährdet. Die Pandemie habe zu einem Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel und weiterer Güter geführt. Die Weltbank gehe für 2019 von einem Wirtschaftswachstum von 2,9% aus. Die wirtschaftlichen Aussichten seien ungewiss, wenn nicht sehr düster. Es sei davon auszugehen, dass wegen der gigantischen weltweiten Kosten infolge der Corona-Pandemie die Entwicklungshilfe für Afghanistan massiv zurückgehen werde, was für den Finanzhaushalt des Landes katastrophale Folgen haben werde. Afghanistan weise eine der weltweit niedrigsten Beschäftigungsraten auf. ¼ der arbeitsfähigen Bevölkerung sei arbeitslos, mit steigender Tendenz; zudem bestehe ein hoher Anteil an Unterbeschäftigung und unsicheren Arbeitsplätzen. Jährlich strömten 400.000 neue Arbeitssuchende auf den Arbeitsmarkt und die hohe Zahl der Rückkehrer und intern Vertriebenen setze die Arbeitsmöglichkeiten zusätzlich unter Druck. Der Arbeitsmarkt werde von der Landwirtschaft dominiert, in der 44% der Menschen beschäftigt seien. Viele Haushalte seien von informeller Beschäftigung abhängig, die äußerst anfällig für wirtschaftliche Schwankungen sei. Covid-19-Maßnahmen hätten die Wirtschaft massiv getroffen und zu einem Verlust von Arbeitsmöglichkeiten sowie einem deutlichen Rückgang von Auslandsüberweisungen geführt. Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung lebe in sehr schlechten Wohnverhältnissen. Über 70% der Unterkünfte in städtischen Gebieten seien informell und inadäquat. Die Regierung habe die Bereitstellung erschwinglicher Unterkünfte zur Priorität erklärt und wolle den Aufenthalt von rund 1 Million Menschen in informellen Siedlungen mittels Zertifikaten formalisieren. Die große Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten, verfüge nur über einen eingeschränkten Zugang zu Elektrizität und habe weder Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung noch zu ausreichenden sanitären Einrichtungen. Trotz hoher internationaler Investitionen in das Gesundheitssystem habe weiterhin die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung keinen Zugang zu qualitativ guter Gesundheitsversorgung und diese sei auf die größten Städte konzentriert. Ca. 87% der Bevölkerung könne innerhalb von zwei Stunden eine medizinische Einrichtung erreichen. Das afghanische Gesundheitswesen sei aufgrund der Armut, dem Jahrzehnte andauernden Krieg, der schlechten Wasser- und Hygienebedingungen, mangelnder sanitärer Einrichtungen, Ausbrüchen von eigentlich heilbaren Krankheiten sowie den Rückkehrerströmen überfordert und nicht in der Lage, der steigenden Nachfrage nachzukommen. Das Gesundheitssystem stehe weiterhin vor enormen Herausforderungen wie beschädigter Infrastruktur, Mangel an ausgebildetem Gesundheitspersonal und unzureichend ausgestatteter Gesundheitszentren. Aufgrund des schwachen Gesundheitssystems bestehe eine besondere Verletzlichkeit Afghanistans durch die Covid-19-Pandemie. Bis Ende August seien in 2020 knapp 500.000 Afghanen aus anderen Staaten zurückgekehrt, insbesondere aufgrund der Covid-19- und Wirtschaftskrise im Iran. Die Rückkehrer würden oft zu intern Vertriebenen, die dem Risiko erneuter Vertreibungen ausgesetzt seien. Ende 2019 lebten ca. 4,2 Mio. als intern Vertriebene in Afghanistan und bis zum 6. September 2020 seien weitere 150.000 hinzugekommen. Rückkehrer und intern Vertriebene lebten häufig in informellen Siedlungen, hätten nur eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, nur begrenzte Beschäftigungsmöglichkeiten, litten unter Nahrungsmittelunsicherheit und Verschuldung und seien häufiger von gesundheitlichen Problemen betroffen. Die hohe Zahl der Rückkehrer und intern Vertriebenen, insbesondere in Kabul und Nangarhar, setze die begrenzten Dienstleistungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in den städtischen Zentren massiv unter Druck. Durch die Covid-19-Pandemie habe sich die Lage noch verschärft. Die Verletzlichkeit zwinge die Menschen zu negativen Überlebensmechanismen, etwa Zwangsheirat oder Kinderarbeit, und in den Gastgemeinden komme es zu Konkurrenz um den Zugang zu begrenzten Ressourcen.
Der UNHCR weist in seinen Richtlinien zu Afghanistan vom 30. August 2018 darauf hin, dass die Sicherheitslage in Afghanistan volatil bleibe. Es sei eine kontinuierliche Verschlechterung der Sicherheitssituation und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in den Jahren nach dem Rückzug der internationalen Truppen in 2014 zu verzeichnen gewesen. Die Taliban setzten ihre Offensive zur Erreichung der Kontrolle über eine größere Zahl von Distrikten fort, während sich die Regierung auf die Verteidigung der Bevölkerungszentren und strategischen ländlichen Gebiete beschränke. Die zivilen Opferzahlen lägen trotz der Tatsache, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Jahre 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9% gesunken sei, auf einem hohen Niveau. Die Zahl der konfliktbedingt intern Vertriebenen habe am Ende des Jahres 2017 bei geschätzt über 1,8 Millionen gelegen, 2017 sei hierbei ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr bei den neu Vertriebenen zu verzeichnen gewesen. Zusätzlich seien im Jahr 2016 über 1 Million Afghanen aus den Nachbarländern Iran und Pakistan zurückgekehrt und weitere 620.000 im Jahre 2017. Die wirtschaftliche Situation habe sich seit 2013/ 2014 aufgrund der Unsicherheit und dem hohen Bevölkerungswachstum verschlechtert. Zwar habe sich das Wirtschaftswachstum in 2017 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht, allerdings leide der Landwirtschaftssektor unter einer schweren anhaltenden Trockenzeit, vor allem in den nördlichen und westlichen Regionen des Landes. Der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben müsse, habe sich von 38,3% in 2011/2012 auf 55% in 2016/2017 erhöht. Die Arbeitslosenrate habe sich von 22 auf 24% erhöht. 3,3 Millionen Afghanen würden 2018 einen akuten humanitären Bedarf aufweisen, 1,9 Millionen müssten mit ernsthafter Nahrungsunsicherheit leben. 4,5 Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu primären essenziellen Gesundheitsdienstleistungen. Afghanistan bleibe eines der ärmsten Länder der Welt und liege daher auf Rang 169 von 188 Ländern im UN Human Development Index. In den größeren Städten sei zudem zu berücksichtigen, dass sich dort eine sehr hohe Zahl von Rückkehrern und intern Vertriebenen ansiedle, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten geführt habe. Dies gelte insbesondere für die Stadt Kabul, wo zusätzlich die Gefahr von Anschlägen mit hohen Opferzahlen zu berücksichtigen sei. Dort übersteige das Bevölkerungswachstum die Kapazitäten der erforderlichen Infrastruktur, Hilfs- und Arbeitsmöglichkeiten, so dass geschätzte 70% der Bevölkerung in informellen Siedlungen leben müssten. Trotz dieser Einschätzung, für die der UNHCR seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser daran fest, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern sowie verheirateten Paaren im erwerbsfähigen Alter eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt.
Auch die tatsächlichen Feststellungen von EASO (COI Afghanistan: Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, August 2020) zeichnen ein vergleichbares Lagebild.
Die zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen in Afghanistan weisen im vorliegenden Fall eine Intensität auf, bei der auch ohne konkret drohende individuelle Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist, wenn der Kläger im Familienverbund nach Afghanistan zurückkehren müsste.
Es ist hier davon auszugehen, dass der Vater des Klägers bei einer Rückkehr der Familie nach Afghanistan alleine mit der Unterhaltslast für sich, seine Ehefrau und den noch nicht einmal 1 Jahr alten Kläger belastet wäre. Angesichts des im betreuungsbedürftigen Alter befindlichen Klägers ist davon auszugehen, dass die Kindsmutter nach einer Rückkehr nach Afghanistan allein aus Gründen der zwingend erforderlichen Kinderbetreuung nicht würde zum Familienunterhalt beitragen können. Überdies verfügt die Mutter des Klägers über keine Berufsausbildung und hat auch vor ihrer Ausreise in Afghanistan nicht gearbeitet, sodass dies – als nunmehr betreuende und erziehende Mutter – erst recht nicht nach einer Rückkehr nach Afghanistan zu erwarten ist. Angesichts der in Afghanistan – auch weiterhin – herrschenden sehr restriktiven und die Rechte von Frauen erheblich einschränkenden gesellschaftlichen Verhältnisse kann die Mutter des Klägers überdies auch nicht in zumutbarer Weise auf eine Erwerbstätigkeit verwiesen werden, gerade auch angesichts der bestehenden erheblichen Sicherheitsgefahren für Frauen in der Öffentlichkeit (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.7.2020, S. 17; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Gefährdungsprofile vom 12.9.2019, S. 7 f; UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.8.2018, S. 51 f.).
Was den Vater des Klägers angeht, so verfügt auch dieser nicht über herausragende Kenntnisse oder Fähigkeiten, indem er in Afghanistan die Schule bis zur 8. Klasse besucht hat und sodann dort selbstständig als Schneider tätig war, wobei es sich erkennbar lediglich um eine einfache handwerkliche Tätigkeit handelt, die – selbst wenn der Kindsvater in der Lage wäre, im Rückkehrfalle an diese Tätigkeit anzuknüpfen, was keineswegs sicher erscheint – keinesfalls einen überdurchschnittlichen Verdienst erwarten lässt, der eine Lebensunterhaltssicherung der Familie erwarten lässt. Schließlich hat der Kläger auch in Deutschland keine weitere berufliche Qualifizierung, die ihm in Afghanistan von besonderem Nutzen sein könnte, erlangt, sondern lediglich ungelernte Hilfsarbeiten in einem Lager verrichtet, wie er in der mündlichen Verhandlung in seinem Asylverfahren angegeben hat.
Wie ebenfalls glaubhaft vorgetragen wurde, verfügen der Kläger und seine Eltern auch nicht mehr über Vermögen in Afghanistan. Vielmehr hat der Kindsvater in seinem Asylverfahren insoweit glaubhaft dargelegt, dass er für die Fluchtkosten in Höhe von 25.000 USD für sich selbst und seine jetzige Ehefrau seinen Laden samt Waren verkauft habe und sich überdies noch Geld von seinem Onkel habe leihen müssen, an den er dies auch zurückzahlen müsse. Vor diesem Hintergrund ist relevantes Vermögen auf Seiten der Eltern des Klägers nicht erkennbar. Relevante Ersparnisse hat die Familie angesichts der hiesigen Lebenshaltungskosten und der hier lediglich ausgeübten Hilfstätigkeiten auch in Deutschland nicht aufbauen können.
Überdies ist nicht zu erwarten, dass dem Kläger in Afghanistan finanzielle Unterstützung für sich und seine Familie durch andere dort lebende Familienmitglieder und Verwandte des Vaters und der Mutter zuteilwerden würde. Der Vater hat bei seiner Bundesamtsanhörung erklärt, dass sich im Heimatland noch seine Eltern, eine Schwester und ein Onkel mütterlicherseits aufhielten. Hingegen erscheint seine Aussage vor Gericht, dass sein Vater von der Familie der Ehefrau entführt worden sei, vor dem Hintergrund der rechtskräftig festgestellten Unglaubhaftigkeit des gesamten Verfolgungsvorbringens nicht glaubhaft (so im Ergebnis auch Seite 3 des Urteils im Verfahren W 1 K 18.30829). Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen im Heimatland befragt, hat Vater des Klägers diese – insoweit glaubhaft – als normal bezeichnet; offensichtlich war sein Vater von Beruf ebenfalls Schneider, da dieser ihm das Handwerk beigebracht habe. Die Kindsmutter hat im Rahmen ihres Asylverfahrens erklärt, dass im Heimatland noch ihr Vater, zwei Brüder, eine Schwester sowie drei Onkel lebten (vgl. Seite 3 des Urteils im Verfahren W 1 K 18.30830). Der Mutter des Klägers kann insoweit nicht abgenommen werden, dass sie von ihrer Familie aufgrund der nicht genehmigten außerehelichen Beziehung verstoßen wurde und kein Kontakt mehr bestehe, da auch ihr der gesamte Fluchtvortrag – rechtskräftig festgestellt – ebenfalls nicht geglaubt wurde. Vor dem Bundesamt hat die Kindsmutter die wirtschaftliche Lage ihrer Familie wie auch die der Familie ihres Partners – insoweit nachvollziehbar – als durchschnittlich bezeichnet. Bei diesen sich darbietenden wirtschaftlichen Verhältnissen, die hinsichtlich aller genannten Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf einen frei verfügbaren finanziellen Spielraum schließen lassen, ist realistischerweise nicht davon auszugehen, dass der Kläger und seine Eltern nachhaltige Unterstützung aus dem Familien- oder Verwandtenkreis würden erwarten können. Denn angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan kann nicht davon ausgegangen werden, dass Verwandte, zumindest solange diese finanziell nicht besonders gut gestellt sind, wofür hier nichts ersichtlich oder von der Beklagten vorgetragen ist, in der Lage sind, zurückkehrende Familien zu unterstützen.
Etwaige besondere Umstände, welche den Kläger von dem der gefestigten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. zuletzt: B.v. 17.12.2020 – 13a B 19.34211 – juris) zugrundeliegenden Regelfall unterscheiden und ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen, sind weder zu erkennen noch zeigt die Beklagte solche auf. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass gemäß der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich der erkennende Einzelrichter anschließt, allein die Tatsache, dass in Afghanistan – wovon im Regelfall auszugehen sein dürfte – noch Familienangehörige leben, für eine abweichende Beurteilung noch nicht ausreichend ist. Vielmehr müsste hierfür im Einzelfall festgestellt werden können, dass die Familienangehörigen etwa aufgrund überdurchschnittlicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse zur Unterstützung in der Lage sind (vgl. BayVGH, a.a.O.; BayVGH, U.v. 29.10.2020 – 13a B 20.30347 – juris).
Letzteres lässt sich insbesondere dem Vorbringen der Eltern des Klägers beim Bundesamt und in deren mündlicher Verhandlung nicht ansatzweise entnehmen. Anhaltspunkte hierfür sind auch weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich geworden. Insbesondere reicht hierfür der lapidare und pauschale Hinweis nicht aus, dass die Familienmitglieder zumindest Kontakte innerhalb eines sozialen Netzwerks böten und bei der Eingliederung in die afghanische Gesellschaft, auch im Hinblick auf den Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz, behilflich sein könnten. Denn auch dies bildet beim Vorhandensein von Familienmitgliedern einzig und allein den Regelfall ab, entsprechend dem eine Rückkehr für Familien nach Afghanistan derzeit nicht mit Art. 3 EMRK in Einklang zu bringen ist. Es lassen sich damit vorliegend keinerlei begünstigende Umstände erkennen, die auf eine Sondersituation hindeuten würden und eine Ausnahme von der zitierten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen könnten.
Der Hinweis der Beklagten darauf, dass bei den Eltern des Klägers in deren Asylverfahren kein Abschiebungsverbot festgestellt worden sei, lässt in wenig nachvollziehbarer Weise die sich aufdrängende Überlegung außer Betracht, dass sich die Situation der in den Blick zu nehmenden Personen grundlegend und entscheidungserheblich gerade dadurch geändert hat, dass es sich nunmehr nicht mehr um alleinstehende Personen bzw. ein kinderloses Ehepaar handelt, sondern um eine Familie mit einem minderjährigen Kleinkind, für das entsprechende Unterhaltspflichten bestehen. Dies deckt sich auch mit der Einschätzung des UNHCR, der in seinen Richtlinien zu Afghanistan die Zumutbarkeit einer Rückkehr (dort im Rahmen einer internen Schutzmöglichkeit) nur für alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter in Betracht zieht (vgl. UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.8.2018, S. 124 f.). Diese Situation ist hier jedoch nicht gegeben, da im Hinblick auf den Kläger gerade Unterhaltspflichten zulasten seiner Eltern und ein entsprechend erhöhter Bedarf bestehen.
Erschwerend kommen die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie hinzu (vgl. hierzu etwa: OCHA, Strategic Situation Report: Covid-19, No 91, 25.02.2021). Auch wenn der entscheidende Einzelrichter im Fall von alleinstehenden männlichen arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen jüngst noch entschieden hat, dass sich aus den zum Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Erkenntnismitteln keine Erkenntnisse für eine relevante Gefährdung durch die Auswirkungen der Pandemie ergeben (so auch: BayVGH, B.v. 7.1.2021 – 13a ZB 20. 30747; B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – juris; U.v. 26.10.2020 – 13a B 20.31087 – juris; U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004), trifft das für Familien mit minderjährigen Kindern nicht zu. Wenn für diese nach ständiger Rechtsprechung schon vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie eine menschenwürdige Existenz nicht gewährleistet war, ist das im Hinblick auf die Pandemie vielmehr erst recht nicht der Fall (vgl. BayVGH, 17.12.2020 – 13a B 19.34211 – juris).
Ein abweichendes Ergebnis ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass sie Beklagte dargelegt hat, der Kläger und seine Familie könnten aus verschiedenen Rückkehrerprogrammen Reintegrationshilfen – laut Beklagtem im Gesamtwert von bis zu 5.000,00 EUR – erhalten, wodurch für eine Übergangszeit der Lebensunterhalt sichergestellt sei und in zumutbarer Weise ein Neustart in Afghanistan möglich sein werde. Denn in der überzeugenden obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der erkennende Einzelrichter anschließt, ist hinlänglich geklärt, dass mögliche Unterstützungsleistungen zwar für die erste Zeit nach der Rückkehr einen vorübergehenden Ausgleich zu schaffen vermögen, aber nicht dazu geeignet sind, auf Dauer eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten (BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 13a B 19.34211 – juris; U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris; VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris), was in gleicher Weise auch auf die aktuell gewährten Corona-Zusatzleistungen zutrifft. Neuere und anderslautende Erkenntnisse hierzu sind weder ersichtlich noch hat die Beklagte solche vorgetragen. Soweit die Beklagte schließlich erklärt hat, dass sich der Einwand der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht an dem allgemein anerkannten Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit orientiere und die Hilfen lediglich Nachteile in der Phase des Neustarts gegenüber der ortsansässigen Bevölkerung ausgleichen, sie aber nicht auf Dauer besserstellen sollten, so vermag diese Argumentation rechtlich nicht zu überzeugen. Denn wie sich aus der Gesamtschau der vorstehenden Ausführungen ergibt, besteht angesichts der in Afghanistan herrschenden Umstände, denen sich Familien mit minderjährigen Kindern gegenübersehen, aktuell und auch bis auf weiteres gerade die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dort das Recht des Klägers nach Art. 3 EMRK verletzt wird. Die Gewährleistung des Art. 3 EMRK, dass niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf, gilt jedoch zweifelsfrei nicht nur für den Übergangszeitraum des Neustarts in Afghanistan, sondern auch darüber hinaus; eine zeitliche Beschränkung ist der Norm nicht zu entnehmen. Infolgedessen ist auch nicht allein eine Übergangszeit und die etwaig während dieses Zeitraums gegebene Lebensunterhaltssicherung in den Blick zu nehmen, zumal nach der Erkenntnismittellage nichts dafür erkennbar ist, dass sich an der beschriebenen prekären Situation für Familien in Afghanistan in absehbarer Zeit etwas ändern würde. Dass die Beklagte Rückkehrhilfen nur für einen Übergangszeitraum für sinnvoll erachtet, vermag das aus Rechtsgründen feststehende Ergebnis nicht verändern.
Nach alledem ist davon auszugehen, dass der Kläger bei der zu unterstellenden gemeinsamen Rückkehr mit seinen Eltern nach Afghanistan tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dies deckt sich auch mit der Einschätzung des UNHCR, der – im Hinblick auf die Zumutbarkeit einer internen Schutzmöglichkeit – davon ausgeht, dass die einzige Ausnahme vom Erfordernis externer Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne weitere besondere Gefährdungsfaktoren seien. Diese Personen könnten unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung böten (UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.8.2018, S. 124 f.). Auch in der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einer Familie mit minderjährigen Kindern im Hinblick auf die zu erwartenden schlechten humanitären Verhältnisse in Afghanistan im Allgemeinen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist (vgl. etwa B.v. 17.12.2020 – 13a B 19. 34211 – juris; BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris; U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030 – juris; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284; VGH Baden-Württemberg, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris). Von diesem Regelfall abweichende besonders begünstigende Umstände waren vor dem Hintergrund vorstehenden Ausführungen im vorliegenden Fall nicht festzustellen.
Im Rahmen einer Gesamtschau steht damit vorliegend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten würden, die ihm nicht zugemutet werden kann. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG ist daher unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 21.01.2021 festzustellen. Angesichts dessen sind auch die Abschiebungsandrohung, vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG, sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot, vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, aufzuheben.
II.
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), das zuletzt durch Art. 3 des Gesetzes vom 15. August 2019 – Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (BGBl I S. 1294 ff.) – geändert worden ist (AsylG), anzuwenden. Dieses Gesetz setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der RL 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) im deutschen Recht um. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen.
Das Gericht verweist zur Begründung seiner Entscheidung vollumfänglich auf die Begründung betreffend § 3 AsylG im Bescheid vom 21. Januar 2021 und macht sich die dortige überzeugende Darstellung zu eigen. Ergänzend ist lediglich hinzuzufügen, dass die nach dem Vortrag der Eltern des Klägers inmitten stehende Verfolgung durch die Familie der Mutter wegen einer nicht gewünschten außerehelichen Beziehung schon nicht an ein Verfolgungsmerkmal nach § 3b AsylG anknüpft, sondern es sich lediglich um eine Fehde aus rein privaten Gründen gehandelt haben soll. Darüber hinaus wäre eine persönliche Betroffenheit des Klägers selbst bei Wahrunterstellung der Angaben der Eltern nicht erkennbar, da die Verfolgung offensichtlich allein an die nicht genehmigte außereheliche Beziehung und deren Beteiligte angeknüpft hat. Weitergehendes ist im hiesigen Verfahren nicht vorgetragen worden.
III.
Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
Auch insoweit verweist das Gericht zur Begründung seiner Entscheidung vollumfänglich auf die Begründung betreffend § 4 AsylG im Bescheid vom 21. Januar 2021 und macht sich die dortige überzeugende Darstellung zu eigen. Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen: Auf die obigen Ausführungen zu § 3 AsylG wird verwiesen, soweit dort eine persönliche Betroffenheit des Klägers als nicht erkennbar festgestellt wurde, was vorliegend in vollem Umfang auch auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zu übertragen ist.
Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in der Herkunftsregion seiner Eltern, der Stadt/Provinz Kabul. In Afghanistan wurden im Jahre 2020 insgesamt 8.820 Zivilpersonen getötet (3.035) oder verletzt (5.785). Dies entspricht einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 15% und stellt die niedrigste Zahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 dar (vgl. zum Ganzen UNAMA, Annual Report 2020 Afghanistan, Februar 2021). Ausgehend von einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von 27 Millionen (vielfach wird eine erheblich höhere Bevölkerungszahl angenommen) lag das konfliktbedingte Schädigungsrisiko landesweit bei 1:3.061. Auch in der Herkunftsprovinz des Klägers, Kabul, für die UNAMA die höchste Opferzahl ausweist (817 zivile Opfer; 255 Tote und 562 Verletzte), ergibt sich bei einer Bevölkerungszahl von ca. 4.373.000 ein Schädigungsrisiko von 1:5.352. Damit lag die Gefahrendichte im Jahr 2020 landesweit wie auch in der Herkunftsprovinz des Klägers erheblich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; BayVGH, BayVGH, B.v. 28.10.2020 – 13a ZB 20.31934 – juris; B.v. 08.10.2020 – 13a ZB 18.33212 – juris; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris; vgl. UNAMA, Annual Report 2020 Afghanistan, Februar 2021, S. 110; Einwohnerzahlen jeweils aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Provinzen_Afghanistans). Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht vom 16.7.2020, aktualisiert am 14.1.2021) hat sich die Bedrohungslage für Zivilisten in jüngster Zeit nicht wesentlich verändert, insbesondere nicht verschlechtert. Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt immer noch im Promillebereich. Auch individuelle gefahrerhöhende Umstände sind bei dem Kläger nicht ersichtlich; auf obige Ausführungen wird insoweit vollumfänglich verwiesen. Schließlich ist auch in einer Gesamtbetrachtung gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln im Ergebnis unverändert davon auszugehen, dass in Afghanistan derzeit im Allgemeinen weiterhin keine Gefahrenlage gegeben ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG oder zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes aufgrund der prekären Sicherheitslage führt. Denn im Rahmen einer solchen umfassenden Beurteilung aller gefahrbegründenden Umstände würde sich bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände letztlich durchgreifend auswirken, dass sich das konfliktbedingte Schädigungsrisiko hier deutlich unter 1:800 und damit auf einem nicht hinreichend hohen Niveau befindet (vgl. BayVGH, B.v. 07.01.2021 – 13a ZB 20.30747; B.v. 17.1.2020 – 13a ZB 20.30107 – juris).
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den Abhandlungen von Frau F. S. (vgl.: Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.; Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei (vgl. in diesem Zusammenhang auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 18: Dunkelziffer in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten), so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau S. alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau S. eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht. Soweit Frau S. in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 (vgl. S. 9) ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, so handelt es sich hierbei um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr darüber hinaus geschilderten Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier jedoch aufgrund der – gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken können (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris), § 83b AsylG, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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