Verwaltungsrecht

Allgemeinverfügung (der Landeshauptstadt, München) vom 13.01.2022 zu Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen, Versammlungsverbot, Antragsbefugnis

Aktenzeichen  10 CS 22.125

Datum:
17.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1107
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 33 S 22.185 — VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. In Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 wird der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 13. Januar 2022 abgelehnt.
II. In Abänderung von Nr. II. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 trägt die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. In Abänderung von Nr. III. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 5.000 Euro festgesetzt

Gründe

I.
Mit ihren Beschwerden wenden sich die Antragsgegnerin und der Vertreter des öffentlichen Interesses gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die „Allgemeinverfügung vom 13.01.2022 zu Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen“ (veröffentlicht im Internet unter www.muenchen.de/amtsblatt, in Rundfunk und Presse am 13. Januar 2022).
Diese lautet auszugsweise:
1. Im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München werden alle stationären oder sich fortbewegenden Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen, wie beispielsweise sog. „Corona“-, „Montags“- oder sonstige „Spaziergänge“ bzw. „Kerzendemos“ untersagt, sofern die Anzeige- und Mitteilungspflicht nach Art. 13 BayVersG nicht eingehalten ist. Das bedeutet, dass sowohl das Veranstalten von als auch die Teilnahme an solchen Versammlungen verboten ist.
2. Ziffer 1 gilt an folgenden Tagen:
Samstag, den 15.01.2022, von 0.00 bis 24.00 Uhr
Montag, den 17.01.2022, von 0.00 bis 24.00 Uhr
Mittwoch, den 19.01.2022, von 0.00 bis 24.00 Uhr
Auf den Eilantrag der Antragstellerin vom 17. Januar 2022 hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 17. Januar 2022 die aufschiebende Wirkung der am gleichen Tag erhobenen Klage gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 13. Januar 2022 angeordnet. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache seien aus Sicht der Kammer offen, die zu treffende Interessenabwägung gehe zugunsten der Antragstellerin aus.
Die Antragsgegnerin beantragt mit ihrer Beschwerde sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 den Antrag der Antragstellerin abzulehnen.
Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses beantragt mit ihrer Beschwerde ebenfalls,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2022 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Der Antragstellerin wurde Gelegenheit gegeben, sich zu ihrer Antragsbefugnis, die die Antragsgegnerin bereits in erster Instanz bezweifelt hatte, zu äußern. Eine Stellungnahme erfolgte nicht.
Auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Unterlagen und Schriftsätze wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
II.
Die zulässigen Beschwerden der Antragsgegnerin und des Vertreters des öffentlichen Interesses sind begründet, da der Antragstellerin die für ihren Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog erforderliche Antragsbefugnis fehlt.
Demgemäß erweist sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage aufgrund dieser fehlenden allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzung, deren Vorliegen in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. etwa BayVGH, B. v. 29.10.2019 – 10 ZB 19.1652 – juris Rn. 3),
bereits als unzulässig.
Die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage sowie eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO setzt voraus, dass der Antragsteller durch den angegriffenen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt möglicherweise in seinen eigenen Rechten verletzt ist (§ 42 Abs. 2 VwGO). Damit fehlt es an der Antragsbefugnis, wenn nicht hinreichend substantiiert dargelegt wurde, dass der angefochtene Verwaltungsakt (bzw. die Ablehnung oder Unterlassung des beantragten Verwaltungsakts) gerade die Rechtssphäre des Rechtsschutzsuchenden betrifft (Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 379). Zwar ist keine nachhaltige oder mehrfache Betroffenheit von dem angegriffenen Verwaltungsakt zu verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2003 – 3 C 15.03 – juris Rn. 18 f. zu einer Allgemeinverfügung in Form eines Verkehrsschildes). Es müssen jedoch die Tatsachen, die eine Rechtsverletzung möglich sein lassen, so substantiiert dargelegt werden, dass es dem Gericht möglich ist zu klären, ob ein subjektives Recht der rechtsschutzsuchenden Person im konkreten Rechtsstreit einschlägig sein kann (Schmidt-Kötters in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2019, § 42 Rn. 210 m.w.N.).
Der angegriffene sofort vollziehbare Verwaltungsakt regelt Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – BVerfGE 104, 92 = juris Rn. 41).
Gemessen daran hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass sie durch die „Allgemeinverfügung vom 13.01.2022 zu Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen“ der Antragsgegnerin in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung untersagt Versammlungen im Gebiet der Antragsgegnerin „im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen“ am 15., 17. und 19. Januar 2022, „sofern die Anzeige und Mitteilungspflicht nach Art. 13 BayVersG nicht eingehalten ist“. Die in einer ca. 20 km östlich der Antragsgegnerin gelegenen Gemeinde wohnhafte Antragstellerin hat jedoch nicht einmal vorgetragen, sich am 17. oder 19. Januar 2022 im Gebiet der Antragsgegnerin aufhalten zu wollen. Erst Recht hat sie nicht vorgetragen, dass sie an unangemeldeten Versammlungen mit Bezug zu den Corona-Maßnahmen teilnehmen möchte. Fasst man ihren Vortrag zu ihrer individuellen Betroffenheit (S. 2, 4, 29, 40, 58/59 und 60 der Antragsschrift) zusammen, befürchtet sie, als an einem Versammlungsgeschehen „Unbeteiligte“ – wie (angeblich) bereits einmal geschehen – von polizeilichen Maßnahmen („Einkesselung“) betroffen zu werden. Besonders deutlich wird das an ihrem Vortrag auf S. 60 der Antragsbegründung („Der Antragstellerin – die gerade kein Teil der Versammlungen war – wird durch die Allgemeinverfügung ein faktischer Platzverweis erteilt.“).
Der Sache nach wendet die Antragstellerin sich damit gegen eine ihrer Auffassung nach rechtswidrige Polizeimaßnahme am 29. Dezember 2021 bzw. gleichartige polizeiliche Maßnahmen in der Zukunft. Soweit sie darin eine Verletzung ihrer Grundrechte sieht, ist es ihr unbenommen, nachträglich oder – im Falle einer konkret drohenden Wiederholung – vorbeugend Rechtsschutz in Bezug auf diese konkreten Maßnahmen zu suchen. Eine Klage- bzw. Antragsbefugnis im Hinblick auf die spezifisch versammlungsrechtliche Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin verleiht ihr die Betroffenheit durch eine (ihrer Schilderung nach nicht durch eine Versammlungsteilnahme ausgelöste) polizeiliche Maßnahme nicht.
Auch der vage Hinweis auf S. 29 der Antragsbegründung, die Antragstellerin sei in ihrem Recht, sich „spontan zu versammeln“ verletzt, lässt angesichts ihres Vortrags zum Einkaufen und Geldabheben ein konkretes Betroffensein der Antragstellerin nicht mit der erforderlichen Konkretheit erkennen, so dass offenbleiben kann, ob Spontanversammlungen (s. Art. 13 Abs. 4 BayVersG) generell bzw. insbesondere solche gegen „überzogene polizeiliche Maßnahmen“ von der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erfasst wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, sieht der Senat keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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