Verwaltungsrecht

Anerkennung Dienstunfall

Aktenzeichen  M 12 K 19.4905

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43069
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 1 S. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Unfall in der vom Dienstherrn bereitgestellten Unterkunft auf dem Weg zur Lehrveranstaltung.

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 13. August 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 21. August 2019 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, das Ereignis vom … Mai 2018 als Dienstunfall mit den Dienstunfallfolgen fibulare Bandruptur oberes Sprunggelenk rechts, knöcherner Ausriss Os metatarsale V Basis rechts, Zerrung Ligamentum calcaneo-cubuidale rechts, Zerrung des Innenbandapparats, Kapseleinriss oberes Sprunggelenk rechts und Begleitverletzung der medialen und lateralen Gelenkkapsel mit Einblutungs- und Ödemzonen anzuerkennen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom … Mai 2018 als Dienstunfall mit den aus dem Klageantrag ersichtlichen und unstrittig auf das Unfallereignis zurückzuführenden Dienstunfallfolgen (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach der Legaldefinition des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG) ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder als Folge des Dienstes eingetreten ist. Als Folgen eines Dienstunfalls können nur Körperschäden anerkannt werden, die durch diesen verursacht wurden.
Das gesetzliche Merkmal „in Ausübung des Dienstes“ verlangt eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Unfallereignisses mit dem Dienst (BVerwG, U.v. 24.10.1963 – 2 C 10.62 – juris; U.v. 18.4.2002 – 2 C 22.01 – juris; U.v. 15.11.2007 – 2 C 24.06 – juris; B.v. 26.2.2008 – 2 B 135/07 – juris).
Dabei kommt nach dem Normzweck der gesetzlichen Regelung dem Kriterium der Beherrschbarkeit des Risikos der Geschehnisse durch den Dienstherrn herausragende Bedeutung zu. Der Beamte steht bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Zu diesem Bereich gehört der Dienstort, an dem der Beamte seine Dienstleistung erbringen muss, wenn dieser Ort zum räumlichen Machtbereich des Dienstherrn gehört. Risiken, die sich hier während der Dienstzeit verwirklichen, sind in der Regel dem Dienstherrn zuzurechnen (BVerwG, U.v. 24.10.1963 – 2 C 10.62 – juris; U.v. 15.11.2007 – 2 C 24.06 – juris; B.v. 26.2.2008 – 2 B 135/07 – juris).
Leisten Beamte Dienst außerhalb ihres eigentlichen Dienstortes, so genießen sie hierbei Dienstunfallschutz, wenn die konkrete Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, im engen natürlichen Zusammenhang mit ihren dienstlichen Aufgaben oder dienstlich notwendigen Verrichtungen besteht. Der Unfall muss seine wesentliche Ursache in den Erfordernissen des Dienstes haben und dadurch nach seiner Eigenart geprägt sein (BVerwG, U.v. 3.11.1976 – 6 C 203.73 – juris; U.v. 14.12.2004 – 2 C 66.03 – juris; B.v. 26.2.2008 – 2 B 135/07 – juris).
Die Klägerin war vorliegend verpflichtet, vom 14. bis 18. Mai 2018 an einer Fortbildungsveranstaltung des Fortbildungsinstituts der Bayerischen Polizei auf der …hütte in der Nähe des … teilzunehmen. Fortbildungsreisen gehören wie Dienstreisen zum Dienst (Art. 46 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBeamtVG).
Die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung wurden vor Ort in der im Eigentum des Beklagten stehenden …hütte untergebracht. Angesichts der abgelegenen Lage der …hütte wäre innerhalb der Sollarbeitszeit eine Anfahrt zur Lehrgangsteilnahme ab 8:15 Uhr auch nicht möglich gewesen (vgl. auch Nr. 46.1.8.1 BayVV-Versorgung). Der Aufenthalt der Klägerin in der …hütte war daher vom Dienstherrn aus dienstlichen Gründen veranlasst. Die Lehrgänge und Gruppenarbeiten fanden sowohl in der …hütte, in der die Klägerin untergebracht war, als auch in der zwei Gehminuten entfernten …hütte statt.
Zwar würde bei dem Weg von der privaten Wohnung zur Dienststelle (Art. 46 Abs. 2 Nr. 1 BayBeamtVG) der Dienstunfallschutz tatsächlich erst mit dem Durchschreiten der Außenhaustür der privaten Wohnung beginnen. Dieser Grundsatz ist aber bei einer mehrtägigen Dienstreise mit notwendiger Übernachtung vor Ort schon nicht auf einen Gang zwischen der Unterkunft in der Nähe des Dienstortes zum Dienstort gem. Art. 46 Abs. 2 Nr. 3 BayBeamtVG übertragbar. Bei einer mehrtägigen Dienst- oder Fortbildungsreise mit notwendiger Übernachtung steht der Beamte stets im Bann des Dienstes, da letztlich der gesamte Aufenthalt dienstlich veranlasst und geprägt ist. Insbesondere kann die Unterkunft am oder in der Nähe des Dienstortes nicht der privaten Sphäre des Beamten zugerechnet werden, die er erst mit Durchschreiten der Außentür der Unterkunft verlässt, da es sich auch hierbei um eine für ihn fremde Umgebung handelt. Daher unterliegen auch dienstlich veranlasste Gänge innerhalb der Unterkunft dem Dienstunfallschutz. Muss der Beamte – wie im vorliegenden Fall – in einem vom Dienstherrn bestimmten Gebäude übernachten, um dort seine dienstlichen Aufgaben zu erfüllen, so ist dieses Gebäude der räumlichen Risikosphäre des Dienstherrn zuzurechnen (BVerwG, B.v. 26.2.2008 – 2 B 135/07 – juris). Der Beamte genießt in diesem Fall sogar bei eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten Dienstunfallschutz, wenn der Unfall eine wesentliche Mitursache in der baulichen Beschaffenheit oder der Ausstattung des Gebäudes hatte. Ohne eine derartige Mitursache hat die Abgrenzung des dienstunfallgeschützten Bereichs allein danach zu erfolgen, ob sich der Unfall bei einer rein eigenwirtschaftlichen Betätigung oder bei einer Tätigkeit im engen natürlichen Zusammenhang mit der dienstlichen Aufgabe oder dienstlich notwendigen Verrichtungen ereignet hat (s.o.). Dies wird durch Nr. 46.1.8.2 BayVV-Versorgung bestätigt, wonach auch die mit der dienstlichen Tätigkeit zusammenhängenden Wege am Bestimmungsort dienstunfallgeschützt sind, nicht aber rein eigenwirtschaftliche Tätigkeiten wie der Gang zur Hotelbar. Bei einer mehrtägigen Fortbildungsveranstaltung mit notwendiger Unterbringung vor Ort steht der Gang von der Unterkunft zur Lehrveranstaltung ohne Zweifel im engen natürlichen Zusammenhang mit der dienstlichen Aufgabe, so dass auch der Weg innerhalb des Unterkunftsgebäudes zur Lehrveranstaltung dienstunfallrechtlich geschützt ist. Auf das Durchschreiten einer Außenhaustür kommt es hierbei nicht an.
Im vorliegenden Fall kommt darüber hinaus hinzu, dass alles andere auch der bei natürlicher Betrachtungsweise gebotenen Einordnung der gesamten Einrichtung „…hütte“ als Fortbildungszentrum der bayerischen Polizei als einheitlicher Dienstort widersprechen und zu untragbaren Ergebnissen führen würde. Nach der – auch in der mündlichen Verhandlung bestätigten – Rechtsauffassung des Beklagten wäre nämlich der Gang vom Zimmer der Beamtin zu einer in der …hütte selbst stattfindenden Lehrveranstaltung dienstunfallrechtlich geschützt, nachdem ein Durchschreiten der Außentür in diesem Fall nicht erforderlich ist, während ein Unfall in der …hütte auf dem Weg zu einer im Nebengebäude stattfindenden Lehrveranstaltung mangels Durchschreitens der Außentür des Unterkunftsgebäudes keinen Dienstunfall darstellen würde. Der Dienstunfallschutz wäre somit allein davon abhängig, ob die Lehrveranstaltung zufällig im Unterkunftsgebäude selbst oder im Nebengebäude stattfände. Eine derartige Unterscheidung wäre letztlich willkürlich.
Der Beklagte war nach alledem zu verpflichten, das Unfallereignis vom … Mai 2018 als Dienstunfall mit den beantragten unbestrittenen Dienstunfallfolgen anzuerkennen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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