Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im asylrechtlichen Berufungsverfahren

Aktenzeichen  20 ZB 18.30386

Datum:
20.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23741
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Verlangt § 78 Abs. 4 S. 4 AsylG für die Zulassung der Berufung in asylrechtlichen Streitigkeiten die “Darlegung” der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, erfordert dies iSv “erläutern”, “erklären” oder “näher auf etwas eingehen” (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 48687) eine Durchdringung der Rechtsmaterie und in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die verdeutlicht, dass dessen Entscheidung dem grundsätzlichen Klärungsbedarf nicht gerecht geworden ist (vgl. BVerfG NVwZ-Beil. 1995, 17). (Rn. 2) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Nach der Rechtsprechung des EGMR (BeckRS 2012, 8036 – Sufi und Elmi) ist mit Blick auf eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Abschiebungsfällen nur zu prüfen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Dabei sind die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend, ob der Betroffene einer derartigen Gefährdung tatsächlich ausgesetzt wäre. (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Aus dem Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 10. August 2012 idF vom 3. März 2014 geht eindeutig hervor, dass eine Rückführung irakischer Staatsangehöriger in das von der irakischen Zentralregierung beherrschte Gebiet faktisch noch nicht möglich ist. (Rn. 9) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

RN 6 K 17.30811 2018-01-19 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt ist.
a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG verlangt, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert, ausführt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutert, weshalb die Frage klärungsbedürftig ist und schließlich darlegt, weshalb der Frage eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. „Etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerfGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2815). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit erfordert regelmäßig eine Durchdringung der Materie und in diesem Zusammenhang eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die verdeutlicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (BVerfG, B.v. 7.11.1994 – 2 BvR 2079/93 – juris Rn. 15; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105/92 – NJW 1993, 2825). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.
b) Der Kläger wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,
„ob aufgrund der schlechten humanitären Bedingungen im Irak die Rahmenbedingungen eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen kann.“
Die Beantwortung dieser Frage rechtfertigt die Durchführung eines Zulassungsverfahrens nicht, denn der Kläger hat die grundsätzliche Bedeutung der Frage nicht dargelegt. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts erforderlich (vgl. Berlit in GK-AsylG, RnNrn. 592, 607 und 609 zu § 78). Der Zulassungsantrag bezieht sich zur Begründung der Klärungsbedürftigkeit der formulierten Frage auf Ausführungen im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 18. Februar 2016, wonach rund 2,4 Millionen Menschen im Irak auf Nahrungshilfe angewiesen seien und nicht einmal die Grundversorgung der Bürger in allen Bereichen des Landes gewährleistet sei. Die Lebensbedingungen der in den Städten befindlichen Menschen glichen denen von Slums. Ein Viertel der gesamten Bevölkerung lebe unter der Armutsgrenze und nach UN-Missionen seien 4 Millionen Iraker unterernährt. Daneben sei auch die medizinische Versorgung weder technisch noch personell zureichend. Es fehlt in der Begründung des Zulassungsantrags jedoch an einer Auseinandersetzung mit der tragenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und des verwaltungsgerichtlichen Urteils, dass dem Kläger eine Rückkehr in die Provinz Bagdad, wo seine Mutter und seine Geschwister leben, möglich und zumutbar sei. Es seien auch keine besonderen, in der Person des Klägers liegenden, individuellen Umstände ersichtlich, die auf eine erhöhte Gefährdung im Verhältnis zu sonstigen Angehörigen der Zivilbevölkerung schließen ließen. Es sei dem Kläger gelungen, in Bagdad immerhin vier Jahre lang offensichtlich ohne wirtschaftliche Schwierigkeiten zu studieren. Weshalb er nicht wieder dort anknüpfen könne, wo er vor der Ausreise aufgehört hat, erschließe sich nicht. Dass der Kläger bei Rückkehr einer extremen allgemeinen Gefahr ausgesetzt wäre, weil er untypisch von Hilfe und Unterstützung durch im Heimatland verbliebene Verwandte ausgeschlossen wäre, sei nicht erkennbar. Individuelle Gründe für ein Abschiebungsverbot seien nicht vorgetragen worden (S. 6/8 des Bescheides, Bl. 61/62 der Bundesamtsakte). Diesen einzelfallbezogenen Erwägungen des Bundesamtes, denen sich das Verwaltungsgericht zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß angeschlossen hat (S. 15/16), hat der Kläger nichts entgegen gesetzt.
In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen das Vereinigte Königreich (Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich drauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (Rn. 278). Derartige Gründe hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen.
c) Des Weiteren wirft der Kläger noch als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,
„ob aufgrund des durch das Bayerische Staatsministerium des Innern bekannt gegebenen Rundschreibens vom 10. August 2012 mit dem Inhalt, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich nach wie vor nicht möglich ist, auch automatisch der Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG umfasst ist und deshalb ein Schutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährt werden muss.“
Diese Frage ist ungeachtet der Darlegungsanforderungen nicht klärungsbedürftig. Dies ist nämlich nur der Fall bei einer Frage, die sich nicht ohne weiteres aus dem Gesetz bzw. durch Auslegung oder aus vorhandener obergerichtlicher Rechtsprechung beantworten lässt. Denn aus dem Rundschreiben des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 10. August 2012 i.d.F. vom 3. März 2014 geht eindeutig hervor, dass eine Rückführung irakischer Staatsangehöriger in das von der irakischen Zentralregierung beherrschte Gebiet faktisch noch nicht möglich ist. Dafür spricht im Übrigen bereits die auf in der Begründung des Zulassungsantrags verwendeter Formulierung „faktischer Abschiebestopp“. Weshalb aus einem faktischen Abschiebungshindernis eine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG abzuleiten sein soll, legt der Zulassungsantrag auch nicht dar.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 789 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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