Verwaltungsrecht

Anforderungen an die Lebensverhältnisse eines anerkannten international Schutzberechtigten

Aktenzeichen  20 ZB 17.50032

Datum:
7.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 253
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, die einer Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz als unzulässig entgegensteht, ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbes., sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 11 K 16.50274 2017-06-27 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wird abgelehnt, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen bzw. schon nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Art und Weise dargelegt sind.
1. Der Rechtssache kommt nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten (Klärungsfähigkeit) und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (Klärungsbedürftigkeit; vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Diese Voraussetzungen liegen bezüglich der von dem Kläger aufgeworfenen Frage jedoch nicht vor.
Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
“nach welchen unionsrechtlichen Maßstäben die Lebensverhältnisse eines anerkannten international Schutzberechtigten zu beurteilen sind.”
Es ist bereits fraglich, ob die so erhobene Frage in ihrer Allgemeinheit überhaupt klärungsfähig ist, jedenfalls ist sie – richtig verstanden – nicht mehr klärungsbedürftig, weil sie jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats über den Zulassungsantrag (§ 77 Abs. 1 AsylG) durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geklärt ist.
In seiner Entscheidung vom 13. November 2019 (Az.: C-540/17; BeckRS 2019, 28304) hat der Gerichtshof ausgeführt, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes es einem Mitgliedstaat verbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu erfahren.
Insoweit ist aber auch festzustellen, dass solche Schwachstellen nur dann unter Art. 4 der Charta fallen, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (U.v. 19.3.2019, Ibrahim u.a., EUGH Az.: C-297/17, EUGH Az.: C-318/17, EUGH Az.: C-319/17 und EUGH Az.: C-438/17, ECLI:ECLI:EU:C:2019:219, Rn. 89 bis 91).
2. Mit seiner Grundsatzrüge hat der Kläger nach zwischenzeitlicher Klärung der aufgeworfenen Frage aber auch keine Divergenz nach § 78 Nr. 2 AsylG dargelegt (BVerfG, B.v. 21.1.2000 – 2 BvR 2125/97 – NVwZ-Beil. 2000, 33). Aus seinem Vortrag im Antrag auf Zulassung der Berufung ist zum einen nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht von gänzlich anderen Maßstäben ausgegangen ist. Zum anderen hat der Kläger ebenso wenig aufgezeigt, dass ihm bei einer Rückkehr eine solche Gefahrenlage droht, welche die Voraussetzungen des EuGH für die erneute Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet. Die vom Kläger in seinem Zulassungsantrag zitierte Rechtsprechung ist grundsätzlich nicht geeignet, derartiges zu belegen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
4. Nach alledem hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff ZPO).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Berufungszulassung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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