Verwaltungsrecht

Anforderungen an ein ärztliches Attest – erfolgloser Berufungszulassungsantrag

Aktenzeichen  9 ZB 20.31605

Datum:
10.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24829
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 7, § 60a Abs. 2c
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG sind auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 103 Abs. 1 GG statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 14 K 18.31658 2020-06-16 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist Staatsangehöriger Sierra Leones und begehrt die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 16. Juni 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Es liegt weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), noch ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen ein Verfahrensmangel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG).
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 18.30670 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Der Kläger trägt vor, dass durch nichts belegt sei, dass die 16-jährige Schwester oder ein Bruder, dessen Alter nicht abgefragt wurde, oder die selbst pflegebedürftige Tante den Kläger in irgendeiner Weise materiell oder logistisch unterstützen könnten, weshalb sich die Frage von grundsätzlicher Bedeutung stelle, „ob das Gericht ein Urteil begründende Mutmaßungen zum Nachteil einer Partei anstellen darf, wenn es belastbare Angaben durch Beweiserhebung bzw. ohne weiteres mögliche Befragung in der Verhandlung erlangen kann.“ Die Frage ist jedoch nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass der Kläger sich ein Existenzminimum erarbeiten kann, selbst wenn er auf sich alleine gestellt ist und keine Unterstützung durch in Sierra Leone lebende Verwandte erhalten würde.
b) Die Frage, „inwieweit der Substantiierungsmaßstab des § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG, der auf den zeitlich begrenzten Vorgang der Abschiebung zugeschnitten ist, für die Zeit nach der Abschiebung angepasst werden muss, nachdem er sich naturgemäß um einen erheblich längeren Zeitraum handelt, bei dem die Prognose zwangsläufig ungenauer bis unmöglich wird“, ist nicht klärungsbedürftig. Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung, dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2019 – 9 ZB 18.32132 – juris Rn. 4 m.w.N.). Zudem ist höchstrichterlich geklärt, dass in Fällen einer eher singulären Erkrankung die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG erfüllt sind, wenn sich die Krankheit des Betroffenen mangels (ausreichender) Behandlung im Abschiebungszielstaat verschlimmert und sich dadurch der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde; konkret ist die Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – juris Rn. 34). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf. Mit der Kritik des Klägers an der diesbezüglichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht wendet er sich letztlich nur im Gewand einer Grundsatzrüge gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, was jedoch keinen im Asylverfahrensrecht vorgesehenen Zulassungsgrund darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2020 – 9 ZB 20.31328 – juris Rn. 4).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 8).
a) Soweit der Kläger vorträgt, das Verwaltungsgericht habe eine Fragepflicht hinsichtlich der Unterstützung des Klägers durch Familienangehörige im Falle seiner Rückkehr, kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf einen Gehörsverstoß berufen. Eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht statuiert Art. 103 Abs. 1 GG nicht (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2018 – 1 BvR 1011/17 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 22.10.2019 – 9 ZB 19.31503 – juris Rn. 10). Wie bereits ausgeführt, ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger in der Lage sein werde, sein Existenzminimum eigenständig zu sichern.
b) Für eine Nichtberücksichtigung des klägerischen Vorbringens betreffend seine Hauterkrankung ist nichts ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat (auch) die Frage der Stigmatisierung ausweislich der Urteilsgründe gesehen. Es hat ein Abschiebungsverbot verneint, weil der Kläger jung und arbeitsfähig sei und nicht ersichtlich sei, warum er nicht in der Lage sein sollte, dass ihm die vor seiner Ausreise mögliche Sicherung des Lebensunterhalts im Falle seiner Rückkehr nicht wieder gelingen sollte.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 6). So liegt der Fall hier. Insgesamt wendet sich das Zulassungsvorbringen vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, womit jedoch kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2019 – 9 ZB 19.34121 – juris Rn. 10).
c) Der Vortrag, der Kläger könne ohne Betreuung seine Krankheit nicht managen und das Verwaltungsgericht habe nicht beachtet, dass der Kläger wegen durchgehender Haft seit 2018 keine ärztlich qualifizierten Bescheinigungen gem. § 60a Abs. 2c AufenthG habe erstellen können, zeigt keinen Gehörsverstoß auf. Das Verwaltungsgericht hat sich mit den vom Kläger – in der mündlichen Verhandlung und nach Ablauf der vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist nach § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO – vorgelegten Bescheinigungen in den Urteilsgründen gleichwohl ausführlich auseinandergesetzt und das Bestehen eines Abschiebungsverbots verneint. Abgesehen davon hat der anwaltlich vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge gestellt, so dass sich dem Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung aufdrängen musste. Der Kläger wendet sich auch insoweit vielmehr im Gewand einer Gehörsrüge gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, was keinen Zulassungsgrund im Asylverfahrensrecht darstellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar


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