Verwaltungsrecht

Anforderungen an eine Gehörsverletzung

Aktenzeichen  9 ZB 20.31886

Datum:
7.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28965
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Es besteht keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens vorgebracht worden sind. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG BeckRS 2015, 50924). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 14 K 17.35331 2020-08-06 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.30023 – juris Rn. 10).
a) Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe wesentliche Argumente des Klagevortrags übergangen, nämlich, dass ihm ein Mord vorgeworfen werde, obwohl er nicht getötet habe, die Verwandten der Getöteten aber nie darüber hinwegkommen und überall nach ihm suchen würden, bzw. wegen Mordes oder der Tötung „alle“ nach ihm suchen würden, ergibt sich hieraus kein Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts.
Das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Vortrag des Klägers, betreffend einen Angriff von Anhängern der Gruppierung „Gonamba“, bei der zwei Personen der „Samai Group“ getötet worden seien, ausweislich des Tatbestands und der Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheids vom 15. Januar 2020 auseinandergesetzt. Es hat erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens geäußert, ist unabhängig davon aber von der Möglichkeit des Klägers ausgegangen, internen Schutz in anderen Landesteilen Sierra Leones zu finden, da angesichts der bestehenden infrastrukturellen Mängel nicht ansatzweise erkennbar sei, wie etwaige Verfolger ihn vier Jahre nach den angeblich fluchtauslösenden Geschehnissen ausfindig machen könnten. Der Sache nach rügt der Kläger die Würdigung des Streitstoffs durch das Verwaltungsgericht, womit die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N). Anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn die Sachverhaltswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 9 ZB 19.32080 – juris Rn. 7). Derartige Verstöße können der Zulassungsbegründung nicht entnommen werden.
b) Auch mit dem Vortrag dazu, dass das Verwaltungsgericht eine Erkrankung des Klägers unzureichend gewürdigt habe, ist eine Gehörsverletzung nicht dargetan.
Das Verwaltungsgericht ist ausweislich des Gerichtsbescheids vom 15. Januar 2020 auf der Grundlage des Befundberichts eines Bezirkskrankenhauses vom 14. März 2017 davon ausgegangen, dass ein singulärer psychischer Ausnahmezustand des Klägers zu seiner damaligen stationären Unterbringung führte. Im Urteil vom 6. August 2020 hat es im Tatbestand angeführt, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 2020 angegeben habe, an Albträumen zu leiden und sich deshalb in Behandlung begeben zu wollen. Eine medikamentöse Behandlung erfolge derzeit nicht. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass die Angaben des Klägers hinsichtlich seines Gesundheitszustands nicht zu einer geänderten Sachentscheidung führen. Ein ärztliches Attest, welches den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG genügt, um die Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG zu begründen, sei nicht vorgelegt worden.
Indem der Kläger in seinem Zulassungsantrag darauf Bezug nimmt, dass er in der mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 2020 außerdem noch mitteilte, dass ein Behandlungstermin wegen seiner Albträume, in denen er verfolgt werde, bedingt durch die Corona-Pandemie nicht stattgefunden habe, sowie von einer Medikamenteneinnahme „damals“ berichtete, die als Nebenwirkung mit Schmerzen unter dem Arm verbunden gewesen sei, und insoweit rügt, dass im Urteil hierzu nichts zu finden sei, ist schon nicht nachvollziehbar dargelegt, warum diese Punkte für das Verwaltungsgericht in Anbetracht seiner im Urteil erörterten Rechtsauffassung überhaupt entscheidungserheblich gewesen sein könnten. Das Verwaltungsgericht ist ersichtlich von einer unzureichenden Substantiierung einer Erkrankung des Klägers im Sinne des Art. 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. Art. 60a Abs. 2c AufenthG ausgegangen. Es besteht keine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens vorgebracht worden sind. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 30.6.2015 – 2 BvR 433/15 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 9.10.2018 – 9 ZB 16.30738 – juirs Rn. 4). Auch soweit der Kläger zum Ausdruck bringen will, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag dies einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.7.2020 – 9 ZB 20.31306 – juris Rn. 5). Dem Zulassungsvorbringen ist nichts zu entnehmen, was darauf schließen ließe, dass sich dem Verwaltungsgericht aufgrund der Angaben des Klägers eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben