Verwaltungsrecht

Anhörungsrüge statt Abänderung der Entscheidung Im Erstverfahrenim

Aktenzeichen  AN 17 S 20.50300

Datum:
19.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21330
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 36
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7, § 152a
GG Art. 103 Abs. 1
BV Art. 91 Abs. 1

 

Leitsatz

Eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO liegt vor, soweit ein Antagsteller ausdrücklich eine Anhörungsrüge erhebt und sich auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs beruft und andererseits keine veränderten oder verschuldet im Erstverfahren nicht geltend gemachten Tatsachen vorträgt, die eine Abänderung im Sinne des § 80 Abs. 7 VwGO nahelegen (vgl. auch BayVGH, B. v. 22.11.2010 – 1 CS 10.2629 – BeckRS 2011, 45921). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, dessen Asylantrag das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 21. August 2018 als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt und auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuerkannt hat, hat wegen dieses Sachverhaltes mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten am 29. August 2018 Klage erheben lassen (Verfahren AN 17 K 18.50655), über die noch nicht entschieden wurde. Zugleich hat der Antragsteller einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die im Bescheid des Bundesamtes verfügte Abschiebungsandrohung nach Griechenland stellen lassen (Verfahren AN 17 S 18.50654). Eine Klagebegründung war angekündigt aber nicht vertieft gehalten worden. Der Antragsteller hat jedoch mit dem bestimmenden Schriftsatz seines Bevollmächtigten vortragen lassen, der Bescheid des Bundesamtes sei formell und materiell rechtswidrig. In der Folge hat der Bevollmächtigte des Antragstellers Sachstandsanfragen an das Gericht im Hinblick auf einen Fortgang der Verfahren gestellt, in der Sache aber keinen weiteren Vortrag gehalten. Eine ausdrückliche Anfrage des Gerichts vom 12. März 2019, ob noch eine Antrags- und Klagebegründung vorgelegt werde, blieb nach Aktenlage durch die Antragsteller-/Klägerseite unbeantwortet.
Mit Beschluss des Einzelrichters der 17. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 10. Juli 2020 wurde der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Verfahren AN 17 S 18.50654 (als unbegründet) abgelehnt. Das Gericht legte dezidiert dar, aufgrund welcher aktuellen Erkenntnismittel es von welcher derzeitigen Sachlage für die Lage anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland ausgehe und welche Folgen dies für den Antragsteller unter Berücksichtigung seines vor dem Bundesamt gehaltenen Vortrags und des zugrunde gelegten rechtlichen Maßstabes für seine Person habe, sofern der Antragsteller nunmehr nach Griechenland rücküberstellt werde. Der Beschluss, auf dessen Gründe für die Einzelheiten verwiesen wird, wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 16. Juli 2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Mit Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 30. Juli 2020, bei Gericht per Telefax am selben Tag eingegangen, erhob der Antragsteller gegen den Beschluss im Verfahren AN 17 S 18.50654 Anhörungsrüge und trug nunmehr im Einzelnen vor, warum dem Kläger aus dessen Sicht eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Falle einer Rücküberstellung nach Griechenland dort als anerkannt Schutzberechtigter drohe. Das Bundesamt und auch das Gericht habe in den Gründen der Entscheidungen den Vortrag des Antragstellers vor dem Bundesamt nicht umfassend gewürdigt. Dem Antragsteller drohe auch eine zwangsweise Verbringung von Griechenland in die Türkei aufgrund eines Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Überdies sei nicht berücksichtigt worden, dass der Antragsteller beim Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und nicht nur, wie in Griechenland gewährt, subsidiären Schutz begehre.
Der Antragsgegnerin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zum Schriftsatz der Antragstellerseite vom 30. Juli 2020 gegeben. Eine Stellungnahme wurde nicht abgegeben.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die im Hauptsacheverfahren vorgelegte elektronische Behördenakte verwiesen.
II.
Die statthafte und auch sonst zulässig erhobene Anhörungsrüge nach § 152a VwGO (Verfahren AN 17 S 20.50300), mit der der Antragsteller die Fortführung des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsandrohung (Verfahren AN 17 S 18.50654) begehrt, bleibt ohne Erfolg. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass der Einzelrichter seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).
Die Anhörungsrüge erweist sich vor dem Hintergrund der Unanfechtbarkeit des Beschlusses des Gerichts vom 10. Juli 2020 gemäß § 80 AsylG als statthaft und wurde binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses an den Antragstellerbevollmächtigten schriftlich bei Gericht erhoben. Zuständig für die Entscheidung über die Anhörungsrüge ist auch weiterhin der Einzelrichter (Schoch/Schneider/Bier/Rudisile, 38. EL Januar 2020, VwGO § 152a Rn. 28).
Eine Auslegung des anwaltlichen Schriftsatzes als Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO ist nicht angezeigt, denn der Antragstellerbevollmächtigte hat einerseits ausdrücklich eine Anhörungsrüge erhoben und sich auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs berufen und andererseits keine veränderten oder verschuldet im Erstverfahren nicht geltend gemachten Tatsachen vorgetragen, die eine Abänderung im Sinne des § 80 Abs. 7 VwGO nahelegen (vgl. i.Ü. auch: BayVGH, B.v. 22.11.2010 – 1 CS 10.2629 – BeckRS 2011, 45921). Dies gilt nach Überzeugung des Gerichts auch, soweit der Antragsteller erstmals vortragen lässt, ihm drohe in Griechenland eine Überstellung in die Türkei. Denn ungeachtet der Frage, ob es sich bei diesem Vortrag überhaupt um einen nach Erlass des Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO eingetretenen Umstand handelt, wäre er grundsätzlich schon nicht geeignet, die vom Antragsteller begehrte Abänderung zu tragen. Der diesbezügliche Vortrag ist ohne jedes Detail und Belege geblieben und überdies in der Sache ohne erkennbaren tatsächlichen oder rechtlichen Anknüpfungspunkt. Dem Antragsteller wurde internationaler Schutz in Griechenland aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen des Bundesamtes, die der Antragsteller nicht in Frage gestellt hat, zuerkannt, so dass er sich insoweit auf Rechte aus europarechtlichen Vorgaben zur Stellung Schutzberechtigter berufen kann, die vom migrationspolitischen Abkommen der Europäischen Union mit der Türkischen Republik vom 18. März 2016 ersichtlich nicht tangiert werden (vgl.: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/03/18/eu-turkey-statement/).
Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), sowie ein rechtzeitiges und möglicherweise erhebliches Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit es aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben muss oder kann (vgl. BayVerfGH, E.v. 25.8.2016 – Vf. 2-VI-15 – juris Rn. 34 f.; BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238 = juris Rn. 45). Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte aber nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2019 – 5 B 11.19 u.a. – juris Rn. 1; B.v. 27.4.2012 – 8 B 7.12 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 14.11.2019 – 8 ZB 19.2240 – BeckRS 2019, 30521).
Die Anhörungsrüge des Antragstellers beschränkt sich inhaltlich im Wesentlichen darauf zu beanstanden, dass der Einzelrichter sich die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Verwaltungsgericht von der Antragstellerseite vorgetragene Auffassung nicht zu Eigen gemacht hat, dem Antragsteller drohe bei einer Rückführung nach Griechenland aufgrund der dortigen Unterbringungs- und Versorgungsbedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wird damit nicht hinreichend dargelegt und ergibt sich auch sonst nicht.
Dabei verkennt der Antragsteller schon den Prüfungsmaßstab sowie die Anforderungen, die das Gesetz an seinen Vortrag und dessen Plausibilisierung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Abschiebungsandrohungen in Drittstaatenbescheiden nach § 36 Abs. 4 AsylG aufstellt. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG kann nur Erfolg haben, wenn die Abschiebungsandrohung unter Beachtung der fristgerecht dargebotenen Tatsachen und Beweismittel bzw. gerichtsbekannter oder offenkundiger Umstände ernstlichen Zweifeln begegnet. Die Antragstellerseite hat es schon versäumt, überhaupt solche Tatsachen und Beweismittel bis zu einer Entscheidung des Gerichts vorzutragen. Darüber hinaus aber hat sich das Gericht im Beschluss vom 10. Juli 2020 mit dem Vorbringen des Antragstellers in seinen Anhörungen vor dem Bundesamt auseinandergesetzt und seine dabei gemachten Angaben gewürdigt. Eines lückenlosen Eingehens auf alle Umstände, die der Antragsteller in seinen Anhörungen zu Protokoll gegeben hatte, war nicht erforderlich aufgrund der bisweilen festzustellenden Detailarmut im Vortrag als auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei wertender Betrachtung um Erlebnisse handelte, die der Antragsteller als Antragsteller im Asylverfahren in Griechenland – und damit als Ausfluss des griechischen Asylsystems – gemacht hat und die demnach nur eine eingeschränkte bzw. keine wesentliche Bedeutung für die hier zu betrachtende Frage, welche Situation den Antragsteller als zurückkehrenden Schutzberechtigten in Griechenland erwarten wird, erlangen.
Der Antragsteller hat die Bedeutung dieses vor dem Bundesamt gehaltenen Vortrags für eine von ihm behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs jedenfalls nicht in einer Weise dargelegt, wie sie das Gesetz für die Begründung der Anhörungsrüge fordert.
Die Anhörungsrüge ist im Ergebnis dessen zurückzuweisen, § 152a Abs. 4 Satz 2 VwGO.
Die Kostenfolge des Anhörungsrügeverfahrens ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO.


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