Verwaltungsrecht

Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen Abschiebungsandrohung

Aktenzeichen  W 2 S 17.30869

Datum:
22.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2013/32/EU Art. 52
RL 2005/85/EG RL 2005/85/EG Art. 25 Abs. 2 lit. a
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist europarechtskonform so auszulegen, dass Asylanträge, die vor dem 20. Juli 2015 gestellt wurden, nur dann unzulässig sind, wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat den Antragssteller als Flüchtling zuvor anerkannt hat. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 27. Februar 2017 gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Februar 2017 angeordnete Abschiebungsandrohung (Az. …) wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III. Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von …, …, Prozesskostenhilfe gewährt. Diese wird begrenzt auf die Höhe der bei einem im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Würzburg ansässigen Anwalt entstehenden Kosten.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Abschiebungsandrohung nach Bulgarien.
1. Der am … 1985 in der Provinz …Syrien geborene Antragsteller ist syrischer Staats-, kurdischer Volks- und yesidischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 5. Januar 2014 in die Bundesrepublik ein und stellte am 12. Februar 2014 einen Asylantrag. Bereits am 30. September 2013 war ihm in Bulgarien subsidiärer Schutz zugesprochen worden.
Unter Verweis auf den bereits in Bulgarien gewährten internationalen Schutz in der Form des subsidiären Schutzes lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag mit Bescheid vom 12. Februar 2015 als unzulässig ab.
Auf die hiergegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Würzburg den Bescheid vom 12. Februar 2015 mit rechtskräftigem Urteil vom 18. März 2016 auf.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers erneut als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorlägen (Ziffer 2), drohte dem Antragsteller die Abschiebung nach Bulgarien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 15. Februar 2017 Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 20. Februar 2017 zugestellt.
2. Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am 27. Februar 2017 Klage erheben. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ziehe nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht die Unzulässigkeit des Asylantrags nach sich. Auf das Urteil vom 18. März 2016 werde verwiesen. Vorsorglich werde auf die Missstände in Bulgarien in Bezug auf die Behandlung von Flüchtlingen hingewiesen.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lässt der Antragsteller die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des in der Hauptsache verfahrensgegenständlichen Bescheides beantragen.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Antrags und bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Gerichtsakten in den Verfahren W 2 K 14.30663, W 2 K 17.30868 sowie des hiesigen Verfahrens und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere gem. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG fristgerecht erhobene, Antrag auf Anordnung der Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung im Bundesamtsbescheid vom 15. Februar 2017 ist nach der gem. § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch begründet.
Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung liegen – bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage – ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Sinne von § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG vor.
Zwar steht der erneuten Ablehnung des Asylantrags des Antragsstellers vom 12. Februar 2014 nicht die Rechtskraft des Urteils vom 18. März 2016 entgegen. Mit den zum 6. August 2016 in Kraft getretenen Asylrechtsänderungen in Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl I S. 1939) hat sich die für die verfahrensgegenständliche Frage der Zulässigkeit eines Asylantrags maßgebliche (nationale) Rechtslage geändert, so dass die Aufhebung der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig im Urteil vom 18. März 2016 keine Bindungswirkung mehr entfaltet. Die Antragsgegnerin war nach der Rechtsänderung vom 6. August 2016 vielmehr gehalten, die Zulässigkeit des Asylantrags nochmals auf der aktuellen Rechtsgrundlage umfassend zu prüfen.
Gem. § 35 AsylG droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Voraussetzung für eine Abschiebungsandrohung gem. § 35 AsylG ist mithin, dass ein Anwendungsfall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG vorliegt. In Betracht kommt hier alleine § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der vorsieht, dass ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
Grundsätzlich fällt auch der dem Antragsteller am 30. September 2013 von Bulgarien gewährte „subsidiäre Schutz“ in den Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. Art. 2 lit. a und g der am 9. Januar 2012 in Kraft getretenen Richtlinie 2011/95/EU – Qualifikationsrichtlinie n.F.).
Da sein in Deutschland gestellter Asylantrag vom 12. Februar 2014 jedoch gemäß der Übergangsregelung in Art. 52 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie n.F.), zeitlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie a.F.) fällt, ist jedoch Art. 25 Abs. 2 lit. a) RL 2005/85/EG auf ihn anwendbar. Gemäß Art. 25 Abs. 2 lit. a RL 2005/85/EG müssen die Mitgliedstaaten – zusätzlich zu den Fällen, in denen ein Asylantrag nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (sog. Dublin II-VO) nicht geprüft wird -, nur dann nicht prüfen, ob der Antragsteller als Flüchtling i.S.d. Qualifikationsrichtlinie anzuerkennen ist, wenn ein anderer Mitgliedstaat bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Im Fall des Klägers wurde lediglich subsidiärer Schutz, nicht jedoch die Flüchtlingseigenschaft gewährt. Art. 33 Abs. 1 lit. a RL 2013/32/EU, der im Gegensatz dazu die Möglichkeit einräumt, einen Antrag als unzulässig abzuweisen, wenn ein anderer Mitgliedstaat bereits internationalen Schutz (d.h. subsidiären Schutz oder Flüchtlingsanerkennung) gewährt hat, ist wegen seiner für den Antragsteller belastenden Wirkung nicht auf Anträge anwendbar, die vor dem gem. Art. 51 Abs. 1 EL 2013/32/EU für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Umsetzungsdatum der Asylverfahrensrichtlinie n.F. am 20. Juli 2015 gestellt wurden. Eine Erstreckung der Anwendung auf Anträge, die vor dem 20. Juli 2015 gestellt wurden, kommt entsprechend dem in Art. 5 RL 2013/32/EU zum Ausdruck kommenden Günstigkeitsprinzips nicht in Betracht. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluss vom 23. Oktober 2015 (Az. 1 B 41/15 – juris) zu § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 1 Satz 2 AufenthG, auf das für die europarechtliche Fragestellung ausdrücklich verwiesen wird, ist – bei summarischer Prüfung – insoweit auf den mit Wirkung zum 6. August 2016 neu eingeführten § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG übertragbar.
Dies führt – bei summarischer Prüfung – dazu, dass der Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – auch entgegen seinem Wortlaut – europarechtskonform dahingehend einzuschränken ist, dass er bei Anträgen, die vor dem 20. Juli 2015 gestellt wurden, nur dann zu einer Unzulässigkeit führt, wenn dem Betroffenen in einem anderen EU-Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist. Die Gewährung allein von internationalem Schutz in der Form von subsidiärem Schutz in einem anderen EU-Mitgliedstaat führt – bei summarischer Prüfung – in europarechtskonformer Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht zur Unzulässigkeit eines Asylantrags, der vor dem 20. Juli 2015 gestellt wurde. Dies gilt jedenfalls für den Asylantrag des Antragstellers vom 12. Februar 2014. Denn hinzu kommt: Im Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes in Bulgarien (30. September 2013) war die aktuelle rechtliche Ausgestaltung des internationalen Schutzes gem. Art. 20 bis 35 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie n.F.) noch nicht verbindlich. Die Umsetzungsfrist der dafür wesentlichen Vorgaben der Richtlinie lief gem. Art. 39 Abs. 1 RL 2011/95/EU erst am 21. Dezember 2013 ab, so dass die aktuellen europarechtlichen Mindeststandards zum Zeitpunkt der Schutzerteilung in Bulgarien noch nicht gewährleistet waren. Erst die rechtliche Gewährleistung dieser Mindeststandards führt jedoch zur „Gleichwertigkeit“ der Schutzgewährung, die Anknüpfungspunkt für die Möglichkeit ist, einen Asylantrag gem. Art. 33 Abs. 1 lit. a RL 2013/32/EU wegen vorheriger Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen EU-Mitgliedstaat als unzulässig abzulehnen.
Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bietet § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – bei europarechtkonformer Auslegung – damit keine Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig.
Damit fehlt es der Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bundesamtsbescheids vom 15. Februar 2017 bereits an der Tatbestandsvoraussetzung eines gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässigen Asylantrags. Es bestehen mithin ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung war deshalb anzuordnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Der Kläger hat anhand der eingereichten Unterlagen nachgewiesen, dass er nach seinen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen. Für die Erfolgsaussichten wird auf obenstehende Ausführungen verwiesen.


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