Verwaltungsrecht

Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen Aufenthalts und Asylantragstellung im westlichen Ausland

Aktenzeichen  M 22 K 16.32463

Datum:
12.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 133102
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 3a Abs. 3, § 3b Abs. 2, § 26 Abs. 5 S. 1, S. 2 iVm Abs. 2, § 28 Abs. 1a
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 Auf der Grundlage einer Gesamtschau der Verhältnisse in Syrien ist davon auszugehen, dass Rückkehrer, die im westlichen Ausland gelebt und dort ggf. einen Asylantrag gestellt haben, im Falle einer Abschiebung eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten hätten und bereits diese Befragung eine Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslösen würde. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist offenkundig, dass aufgrund der realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, es einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten wäre, jetzt als ehemaliger Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3 Unter Berücksichtigung der extrem unduldsamen Haltung des syrischen Staates gegenüber echten oder vermeintlichen Regimegegnern bzw. Personen, bei denen nur vermutet wird, es könnte sich um Oppositionelle handeln, muss davon ausgegangen werden, dass regelmäßig mit der Rückkehrerbefragung untrennbar verbunden auch eine Aufklärung dahingehend bezweckt sein wird, ob der Betroffene möglicherweise dem Regime feindlich gegenüber steht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4 Zivilisten, die aus vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten oder Dörfern stammen, sind als Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einem spezifischen Verfolgungsrisiko ausgesetzt. (Rn. 26 – 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Unter Aufhebung von Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes für … vom 5. August 2016 wird die Beklagte verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, den Klägern zu 2) und zu 3) zum Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit der Zuerkennung gegenüber dem Kläger zu 1).
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet, da die Kläger wie tenoriert Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), wobei darauf hinzuweisen ist, dass insoweit mit Blick auf den von der Klagepartei formulierten Antrag kein teilweises Unterliegen gegeben ist, es sich vielmehr in Bezug auf den Ausspruch zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenüber den Klägern zu 2) und zu 3) in Abhängigkeit von der Unanfechtbarkeit der Zuerkennung gegenüber dem Kläger zu 1) der Sache nach nur um eine Klarstellung handelt.
1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich
– aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe,
– außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
– dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
– in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
§ 3 Abs. 2 und 3 AsylG beinhalten Exklusionsklauseln u.a. für den Fall des Verdachts der Begehung bestimmter schwerer Straftaten (Abs. 2) sowie bei anderweitiger Schutzgewährung durch eine Organisation oder Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des UNHCR (Abs. 3).
Einzelheiten zum Begriff der Verfolgungshandlung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen, den Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren sowie zur Frage eines etwaigen internen Schutz regeln die §§ 3a bis e und 28 Abs. 1a und Abs. 2 AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU.
Einem Ausländer, der Flüchtling nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird gemäß § 3 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 oder 3 AufenthG (weitere Ausschlussklauseln bei Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bzw. bei Vorliegen einer Gefahr für die Allgemeinheit; für den Fall des Satzes 3 nur, wenn das Bundesamt von einer Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG absieht).
2. Die hier einschlägigen Voraussetzungen für die Annahme der Flüchtlingseigenschaft und deren förmliche Zuerkennung liegen beim Kläger zu 1) vor (zum Schutzanspruch der Kläger zu 2) und zu 3) siehe unten 3.).
Nicht entscheidungserheblich ist dabei, ob der Kläger zu 1) vorverfolgt aus Syrien ausgereist sind, denn eine begründete Furcht vor Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Schutzsuchende das Herkunftsland verlassen hat (§ 28 Abs. 1a AsylG). Ein solcher beachtlicher Nachfluchttatbestand ist im Hinblick auf dem Kläger zu 1) drohende Gefahren aus Anlass einer Rückkehrerbefragung gegeben (2.1). Zu berücksichtigen ist weiter, dass hinsichtlich des Klägers zu 1) ein gefahrerhöhender Umstand vorliegt, weil er aus der „Rebellenhochburg“ … stammt und allein dies aus Sicht der Behörden den Verdacht einer Gegnerschaft gegenüber dem Regime begründen dürfte. Dieser Umstand würde die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft daher auch selbständig tragend rechtfertigen (2.2).
2.1 Das erkennende Gericht geht (wie auch eine Vielzahl anderer Gerichte, vgl. hierzu etwa HessVGH, B.v. 21.1.2014 – 3 A 917/13.Z.A.–; VGH BW, B.v. 19.6.2013 – A 11 S 927/13 – und B.v. 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –; OVG LSA, U.v. 18.7.2012 – 3 L 147/12 –; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid v. 10.8.2016 – 3 K 7501/16.A –; VG Regensburg, U.v. 6.7.2016 – RN 11 K 16.30889 –; VG Köln, U.v. 26.6.2014 – 20 K 4130/13.A –; VG Frankfurt, U.v. 26.9.2014 – 3 K 1489/13.A –; VG Augsburg, U.v. 25.11.2014 – Au 2 K 14.30422 – alle in juris) auf der Grundlage einer Gesamtschau der Verhältnisse in Syrien davon aus, dass Rückkehrer, die im westlichen Ausland gelebt und dort ggf. einen Asylantrag gestellt haben, im Falle einer Abschiebung eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten hätten und bereits diese Befragung eine Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslösen würde (Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylG; zur Situation in Syrien siehe Auswärtiges Amt – AA –, Stellungnahme der Botschaft Beirut v. 03.02.2016 – u.a. zur Gefahr von Sanktionen und Übergriffen gegenüber Rückkehrern –; Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17.02.2012: zu Repressionsmaßnahmen gegen echte und vermeintliche Oppositionelle allgemein siehe S. 7 f.; zur Menschenrechtslage – Foltergefahr, Haftbedingungen – siehe S. 10 ff.; zur Beobachtung exilpolitischer Aktivitäten durch syrische Geheimdienste siehe S. 10; zu Rückkehrbefragungen und damit zusammenhängend der Gefahr, verhaftet bzw. Opfer von Misshandlungen zu werden, vgl. auch AA, Lagebericht vom 27.09.2010, S. 19 f., AA, Ad hoc-Ergänzungsbericht vom 07.04.2010 und Amnesty International – AI –, Bericht vom 14.03.2012, „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“; siehe zur Entwicklung des Konflikts und der aktuellen Situation weiter die AI-Jahresberichte 2012 bis 2015 – dort auch zur Praxis des „Verschwindenlassens“; Bundesamt, „Syrien – Situation in den Provinzen“, April 2014, sowie UNHCR, „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“, November 2015; dazu, dass das Fehlen von Referenzfällen einer prognostischen Wertung in diesem Sinne nicht entgegensteht, vgl. OVG NRW, U.v. 14.2.2012 – 14 A 2708/10.A – juris; zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.).
Die vorliegenden Erkenntnisse rechtfertigen auch die Bejahung des mit dem Kriterium der begründeten Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) der Sache nach vorgegebenen bzw. geforderten Gefährdungsgrades hinsichtlich einer entsprechenden Rechtsgutsverletzung nach dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; juris Rn. 23). Insoweit die subjektive Seite in den Blick nehmend („begründete Verfolgungsfurcht“) ist nach Auffassung des Gerichts offenkundig, dass aufgrund der realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, es einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten wäre, jetzt als ehemaliger Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung wegen der Entwicklungen in jüngerer Zeit nicht mehr gerechtfertigt wäre, liegen nicht vor. Tatsächlich dürfte sogar von einer Verschärfung der Gefährdungslage für Rückkehrer auszugehen sein, weil sich die Gewinnung von Erkenntnissen über exilpolitische Aktivitäten aus Sicht des syrischen Staates gerade auch vor dem Hintergrund der Parteinahme einer Vielzahl westlicher Staaten für Teile der Opposition (der syrische Bürgerkrieg weist auch Elemente eines Stellvertreterkrieges auf) bedeutsamer als zu Beginn der Unruhen darstellen dürfte.
Nach Einschätzung des Gerichts erscheint es im Übrigen lebensfremd anzunehmen – auch in Ansehung des Umstandes, dass die große Mehrzahl der aus Syrien stammenden Asylbewerber vor dem Bürgerkrieg geflohen ist und dies selbstverständlich den syrischen Behörden bekannt ist –, dass die mit einer Rückkehrerbefragung verbundenen Gefährdungen, soweit es sich nicht um Personen handelt, deren oppositionelle Haltung den Behörden bekannt ist bzw. bei denen aus anderen Gründen (als einem Aufenthalt im westlichen Ausland) entsprechende Verdachtsgründe vorliegen, allein durch ein als nichtpolitisch zu qualifizierendes polizeiliches Aufklärungsinteresse bedingt wären mit der Folge, dass es an der notwendigen Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund fehlen würde (so aber OVG NRW, B.v. 13.2.2014 – 14 A 198/14.A – juris). Vernünftigerweise muss vielmehr bei Berücksichtigung der extrem unduldsamen Haltung des syrischen Staates gegenüber echten oder vermeintlichen Regimegegnern bzw. Personen, bei denen nur vermutet wird, es könnte sich um Oppositionelle handeln, davon ausgegangen werden, dass, auch wenn die Abschöpfung etwaigen Wissens über die Exilszene das Vorgehen wesentlich motivieren dürfte, regelmäßig damit untrennbar verbunden auch eine Aufklärung dahingehend bezweckt sein wird, ob der Betroffene möglicherweise dem Regime feindlich gegenüber steht (wobei als gewichtige Indizien aus Sicht der syrischen Behörden gerade auch Verbindungen zur oder Kenntnisse über die Exilszene anzusehen sein dürften). Die zur Aufklärung eines solchen Verdachtes eingesetzten Mittel können aber flüchtlingsrechtlich nicht als irrelevant qualifiziert werden (vgl. BVerfG, B.v. 8.11.1990 – 2 BvR 933/90 – InfAuslR 1991, 25, juris Rn. 20; B.v. 28.2.1992 – 2 BvR 1608/90 – InfAuslR 1992, 215; B.v. 28.1.1993 – 2 BvR 1803/92 – InfAuslR 1993, 142, juris Rn. 19; B.v. 22.11.1996 – 2 BvR 1753/96 – juris Rn. 5, alle zu Art. 16a Abs. 1 GG).
Die für den Fall einer Rückkehr mit Kontakt zu den syrischen Behörden anzunehmende Gefährdung des Klägers zu 1) (Foltergefahr bei Rückkehrerbefragung) knüpft zur Überzeugung des Gerichts daher im Sinne von §§ 3a Abs. 3 und 3b Abs. 2 AsylG jedenfalls an eine zumindest vermutete politische Gesinnung und damit an eines der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgeführten Konventionsmerkmale an (siehe hierzu auch VGH BW, B.v. 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 –; Hess VGH, B.v. 27.1.2014 – 3 A 917/13.Z.A –; OVG Berlin-Bbg, B.v. 9.1.2014 – 3 N 91.13 –; a.A. OVG NRW, U.v. 13.2.2014 – 14 A 215.14 – alle in juris; zur Frage, inwieweit die hier vorzunehmenden Wertungen sich als Tat- oder Rechtsfragen darstellen, siehe BVerfG, B.v. 14.11.2016 – 2 BvR 31/14 – juris).
2.2 Selbst wenn man der Auffassung folgen wollte, dass allein ein Aufenthalt im westlichen Ausland und ggf. eine Asylantragstellung dort die Gefahr einer Verfolgung in Anknüpfung an Konventionsmerkmale nicht hinreichend begründen würde, so steht nach den Umständen des Falles zur Überzeugung des Gerichts doch außer Frage, dass der Kläger zu 1) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gleichwohl beanspruchen kann, da in seiner Person gefahrerhöhende Umstände vorliegen, die die Annahme einer beachtlichen Verfolgungsgefahr unabhängig von den soeben unter 2.1 dargestellten Erwägungen geboten erscheinen lassen.
Der Kläger zu 1) stammt nach seinem glaubhaften Vorbringen aus der Stadt … in der gleichnamigen im Norden Syriens gelegenen Provinz. … hat sich bald nach Beginn der Unruhen im Jahr 2011 neben … und … zu einer der „Protesthochburgen“ entwickelt, wobei wohl auch eine Rolle gespielt hat, dass in der Region seit jeher antibaathistische Stimmungen verbreitet sind. In der Folge gelang es Oppositionskräften größere Gebiete in der Provinz dauerhaft unter ihre Kontrolle zu bringen, worauf das Regime u.a. mit einer Kampagne von Luftangriffen reagiert hat, die nach wie vor anhält (vgl. hierzu AA, Ad hoc-Bericht vom 17.02.1012, S. 5; Bundesamt, „Syrien – Situation in den Provinzen, April 2014, S. 29 ff.; siehe auch die laufende Medienberichterstattung zum Kriegsgeschehen, z.B. FAZ Online vom 29.05.2015: „Syriens Regime verliert letzte Bastion in der Provinz …; tagesschau.de vom 15.11.2016 „Russische Offensive in … und …“; Zeit Online vom 10.09.2016: „Mehr als 100 Tote bei Luftangriffen auf … und …; Deutschlandfunk vom 05.12.2016: „Mehr als 40 Tote bei Luftangriffen auf …*).
Mit Blick auf die Würdigung dazu, ob der Kläger Gefahr laufen würde, im Rahmen einer Rückkehrerbefragung Misshandlungen ausgesetzt zu sein, die als politische Verfolgung zu werten wären, ist Vorstehendes (soweit man nicht schon den Auslandsaufenthalt und ggf. die Asylantragstellung als hinreichend erachtet) insoweit von Bedeutung, als sich die Frage stellt, ob die syrischen Behörden aus dem Umstand, dass ein Rückkehrer aus … stammt, möglicherweise darauf schließen werden, dass dieser dem Regime ablehnend gegenübersteht. Davon ist nach Auffassung des Gerichts auszugehen.
Das Gericht schließt sich insoweit der Einschätzung des UNHCR in den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“, Stand: November 2015, an, wonach Zivilisten, die aus vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten oder Dörfern stammen, als Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einem spezifischen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sind (S. 25, Rn. 38).
Die Gründe für diese Einschätzung werden in den Erwägungen im Kapitel „Die Auswirkungen von Konflikt und Gewalt auf die Zivilbevölkerung in Syrien“ näher erläutert. In Rn. 17 wird dazu u.a. Folgendes ausgeführt: „Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten eine politische Meinung (Fettdruck im Original) unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden … Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“
Weiter ist hier auf die Ausführungen in Fußnote 78 zu Rn. 17 hinzuweisen, die (mit Angaben zur Herkunft der entsprechenden Informationen) speziell das Vorgehen des Regimes gegenüber echten oder vermeintlichen Oppositionellen zum Gegenstand haben (während die soeben in Auszügen zitierte Rn. 17 sich zusammenfassend nicht nur auf das Handeln der Regierungsseite, sondern auch das der verschiedenen Rebellenfraktionen bezieht). Dort wird u.a. festgestellt: „Berichten ist zu entnehmen, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete Rebellengruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, im Allgemeinem mit der Opposition in Verbindung gebracht werden und daher von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen werden. Es gehört Berichten zufolge zu einer umfassenden Politik, Zivilisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das als regierungsfeindlich und/oder als Unterstützer oppositioneller bewaffneter Gruppen betrachtet wird, ins Visier zu nehmen.“
Umstände, die darauf hindeuten könnten, dass im Rahmen einer Rückkehrerbefragung die Herkunft des Betroffenen aus einem von Rebellen dominierten Gebiet keine Rolle spielen dürfte, sind nicht ersichtlich. Angesichts der in den UNHCR-Erwägungen beschriebenen Politik des syrischen Staates liegt daher auf der Hand, dass der Kläger zu 1), ungeachtet der Bewertung des Auslandsaufenthalts und der Asylbeantragung, für den Fall einer Rückkehrerbefragung, weil den Behörden nicht unbekannt bleiben dürfte, woher er stammt, damit zu rechnen hätte, dass die Befragenden ihn für einen Regimefeind halten oder jedenfalls eine Regimefeindschaft vermuten werden und er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (auch deshalb) mit einer Behandlung zu rechnen hätte, die nach ihrer objektiven Gerichtetheit als politische Verfolgung zu qualifizieren wäre.
2.4 Eine zumutbare inländische Fluchtalternative für Rückkehrer (vgl. § 3e AsylG) besteht derzeit in Syrien nicht (siehe dazu die oben genannten Erkenntnismittel, die auf die aktuelle Situation in Syrien eingehen).
Es ist schließlich auch nichts dafür ersichtlich, dass der Annahme bzw. (förmlichen) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einer der Ausnahmetatbestände des § 3 Abs. 2 und 3 bzw. des § 3 Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 Satz 1 oder Satz 3 AufenthG entgegenstehen könnte.
2.5 Im Ergebnis ist danach festzustellen, dass der Kläger zu 1) Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist und er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG beanspruchen kann.
3. Den Klägern zu 2) und 3) ist als minderjährigen Kindern des Klägers zu 1) die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 2 AsylG zu dem Zeitpunkt zuzuerkennen, in dem die Zuerkennung gegenüber dem Kläger zu 1) unanfechtbar wird.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläu-figen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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