Verwaltungsrecht

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Aktenzeichen  M 18 E 20.6374

Datum:
21.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1177
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
SGB VIII § 35a
SGB VIII § 36a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für den Besuch des Internats des … … … durch die Antragstellerin für den Zeitraum von Dezember 2020 bis zum Ende des Schuljahres 2020/21 gemäß § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vorläufig zu übernehmen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der Kosten für den Besuch eines Internats als Maßnahme der Jugendhilfe.
Die am … … … geborene Antragstellerin wurde im Oktober 2012 erstmals vom Jugendamt des Antragsgegners mit Zustimmung der damals allein sorgeberechtigten Mutter in Obhut genommen. Beim Jugendamt waren mehrere Gefährdungsmeldungen eingegangen in Zusammenhang mit der Alkoholabhängigkeit der Mutter der Antragstellerin und Vorfällen häuslicher Gewalt.
Nachdem die Antragstellerin kurzzeitig in den Haushalt der Mutter zurückgekehrt war, wurde sie im März 2013 erneut in Obhut genommen.
Ein vom Antragsgegner eingeholtes Gutachten der … … vom … … 2013 diagnostizierte bei der Antragstellerin eine Anpassungsstörung mit Beeinträchtigung verschiedener Gefühle (ICD-10 F43.23) sowie eine deutliche Störung der psychosozialen Anpassung. Die Zugehörigkeit der Antragstellerin zum Kreis der nach § 35a SGB VIII Leistungsberechtigten wurde bejaht.
Ab Januar 2014 erfolgte eine stationäre Unterbringung der Antragstellerin im … … … Am … … 2014 übernahm das … … den Hilfefall in eigener Zuständigkeit.
Die Hilfe wurde im Juli 2015 beendet und die Antragstellerin kehrte zunächst zu ihrer Mutter zurück. Nachdem diese erneut rückfällig geworden und infolge ihrer Alkoholkrankheit nicht mehr in der Lage war, sich um die Antragstellerin zu kümmern, wurde die Antragstellerin ab Mai 2016 bei der Familie ihrer Tante gemäß §§ 27 i.V.m. 33 SGB VIII in Vollzeitpflege untergebracht. Von September 2015 an besuchte die Antragstellerin zunächst eine heilpädagogische und sodann ab September 2016 eine sozialpädagogische Tagesstätte. Die Kosten hierfür wurden vom … … zunächst im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII bzw. ab September 2016 im Rahmen von § 32 SGB VIII übernommen.
Im März 2017 verstarb die Mutter der Antragstellerin.
Mit ärztlich-psychologischem Bericht vom … … 2017 wurden bei der Antragstellerin eine reaktive Bindungsstörung (F94.1), eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0), der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsreaktion (F43.1) sowie eine isolierte Rechtschreibstörung, eine Rechenstörung, psychosoziale Belastungen und eine ernsthafte und durchgängige soziale Beeinträchtigung festgestellt.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Ebersberg vom 30. Juni 2017 wurde die Tante der Antragstellerin zu deren Vormundin bestellt.
Im Folgenden wechselte die Zuständigkeit für den Hilfefall zurück zum Antragsgegner, welcher mit Bescheid vom 2. August 2017 der Antragstellerin im Rahmen der Eingliederungshilfe die stationäre Unterbringung in der therapeutischen Wohngruppe C. gewährte. Einem Aktenvermerk des Antragsgegners vom 19. Juli 2017 und einer internen Falleingabe des damals noch zuständigen Stadtjugendamtes München vom 5. Mai 2017 zufolge habe sich die Antragstellerin zwar gut in die Familie ihrer Vormundin eingefügt, jedoch komme die Familie organisatorisch und emotional an ihre persönlichen Grenzen, was das Zusammenleben mit der Antragstellerin betreffe. Aufgrund des hohen Förderbedarfs der Antragstellerin seien ambulante Maßnahmen nicht mehr ausreichend, weswegen die vorübergehende stationäre Unterbringung der Antragstellerin befürwortet werde, um eine Überforderungen der Pflegefamilie zu vermeiden.
Die Antragstellerin besuchte ab dem Schuljahr 2017/2018 die Mittelschule in H.
Auf Wunsch der Vormundin und der Antragstellerin wurde die stationäre Jugendhilfemaßnahme am … … 2019 beendet und die Antragstellerin kehrte in den Haushalt der Pflegefamilie zurück.
Ab dem Schuljahr 2019/2020 besuchte die Antragstellerin die 7. Klasse der … in München.
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 29. November 2019 wurde für die Antragstellerin rückwirkend ab dem 14. April 2019 Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege bei der Familie der Vormundin nach §§ 27 i.V.m. 33 SGB VIII gewährt.
Internen Aktenvermerken des Antragsgegners vom … … 2020 sowie vom … … 2020 zufolge habe sich die Vormundin der Antragstellerin an die zuständige Mitarbeiterin beim Pflegekinderfachdienst des Antragsgegners gewendet und mitgeteilt, dass in diesem und nächsten Jahr keine Nachmittagsbetreuung an der von der Antragstellerin besuchten Wirtschaftsrealschule erfolgen werde. Es seien andere Beschulungsmöglichkeiten besprochen worden. Vor Ort gäbe es kaum Möglichkeiten. Die Realschule passe nicht, die Hauptschule mit M-Zug gebe es zwar, dort gehe die Antragstellerin jedoch nicht gern hin, weil sie dort schlechte Erfahrungen gemacht habe. Eine Überlegung sei, die Antragstellerin auf dem Internat B. zu beschulen. Die Antragstellerin gehe nicht mehr vor die Tür und ihre Ängste würden zunehmen.
Ausweislich eines weiteren Aktenvermerks vom … … 2020 fand an diesem Tag ein Gespräch mit der Antragstellerin und ihrer Vormundin beim Antragsgegners statt. Die Psychiaterin der Antragstellerin spreche von einer beginnenden Depression; die Antragstellerin habe außerhalb der Schule keine Freunde. Ihre Ängste (soziale Phobie) seien zu groß, als dass sie in eine Jugendgruppe oder zum Sport gehen könne. Nach dem coronabedingten Lockdown lebe sie nur noch in ihrem Zimmer. Aufgrund ihrer extremen Ängste würde sie das Grundstück nur für die Schule verlassen. Seit die Antragstellerin ein kleines Kind gewesen sei, sei sie in psychiatrischer Behandlung. Sie nehme auch seit vielen Jahren Medikamente gegen ADHS. Zur Schulsituation wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin die Mittelschule verweigere; diese biete auch keine Ganztagsbetreuung. Die Realschule sei zu schwer, weswegen das Schulamt davon abgeraten habe. Die aktuelle Schule sei coronabedingt auch wegen des S-Bahn-Fahrens schwierig. Die Pflegemutter habe ausgeführt, dass sie der Antragstellerin zu Hause nicht bieten könne, was sie brauche; in der Jugendhilfeeinrichtung sei die Antragstellerin schon gewesen, diese wäre auch nicht mehr geeignet. Das Richtige wäre eine Beschulung im Internat. Auch die Antragstellerin würde das Internat befürworten.
Mit E-Mail vom … … 2020 stellte die Vormundin der Antragstellerin beim Antragsgegner einen Antrag für eine Internatsunterbringung „im Rahmen der Vollzeitpflege“. Die Vormundin führte aus, dass seit der Coronakrise der Pausenhof der Wirtschaftsrealschule auf unabsehbare Zeit komplett gesperrt und auch die Nachmittagsbetreuung gestrichen worden sei. Es könnten nunmehr nur noch Hausaufgaben angefertigt werden. Aufgrund der ADHS-Erkrankung der Antragstellerin sei es dieser nicht möglich, acht Stunden ohne Ausgleich nur im Klassenzimmer zu bleiben. Die Antragstellerin sei mit schweren Ängsten, einer Sozialphobie und beginnender Depression beeinträchtigt, welche sich durch die Coronakrise massiv verstärkt habe. Das Schulamt habe von einem Wechsel auf eine normale Realschule abgeraten und der M-Zweig auf einer anderen Schule komme nicht in Frage. Das Internat B. biete hingegen alles, was für die Antragstellerin wichtig wäre: Klare Strukturen, gleichaltrige Kinder, psychologische und sozialtherapeutische Anbindung, vielfältiges Freizeitprogramm, schulische Unterstützung, Lernförderung, kleine Klassen mit höchstens 12 Schülern und einen wirtschaftlichen Realschulzweig. Sollte diese Unterbringung nicht möglich sein, werde um den Vorschlag von Alternativen, z.B. Heimunterbringung, gebeten, da ein Verbleib der Antragstellerin auf der bisherigen Schule aufgrund der Änderungen nicht möglich sei.
Am 11. August 2020 stellte die Vormundin den Antrag erneut und führte ergänzend aus, dass die Psychiaterin der Antragstellerin diese im Bereich des „§ 35“ (Anmerkung des Gerichts: gemeint wohl § 35a SGB VIII) verorten und die Beschulung auf dem Internat B. befürworten würde.
Die zuständige Mitarbeiterin des Pflegekinderfachdienstes bei dem Antragsgegner wandte sich im Folgenden intern an das Sachgebiet Wirtschaftliche Hilfen und befürwortete in einem auf den … … 2020 datierten Schreiben die Gewährung der Internatsunterbringung im Rahmen des Pflegeverhältnisses. Sie führte aus, dass durch die Unterstützung der Pflegeeltern eine positive Entwicklung der Antragstellerin habe eingeleitet werden können; so habe diese z.B. den Sprung auf die bisher von der Antragstellerin besuchte Wirtschaftsrealschule geschafft. Diese sei im vergangenen Schuljahr für die Antragstellerin ideal gewesen, da sie Förderung und ein Ganztagesangebot vorgehalten habe. Ihre Noten seien dementsprechend akzeptabel gewesen. Wegen der Corona-Pandemie habe die Wirtschaftsschule ihr Konzept aktuell jedoch verändert – beispielsweise sei das Ganztagesangebot gestrichen worden -, sodass diese Schule für die Antragstellerin nicht mehr geeignet sei. Die Antragstellerin sei psychisch schwer beschädigt. Eine Anbindung an die bisherige psychiatrische Praxis müssen daher erhalten bleiben. Von Seiten der Jugendhilfe solle der Antragstellerin ermöglicht werden, eine für sie passende Schulform zu besuchen und durch nachmittägliche Betreuung Sozialkontakte aufzunehmen. Aus pädagogischen Gründen werde daher die Unterbringung in einem Internat im Rahmen des Pflegeverhältnisses befürwortet. Andere Möglichkeiten seien nicht ersichtlich, um die Antragstellerin in ihrer Entwicklung hin zu einer selbstständigen Persönlichkeit zu fördern.
Der Antragsgegner holte des Weiteren eine Stellungnahme des Schulleiters der Wirtschaftsschule ein. Mit Schreiben vom … … 2020 führte dieser aus, dass im Schuljahr 2019/2020 coronabedingt ab Mitte März der Unterricht erst vollständig entfallen sei und auch nach Rückkehr der Schülerinnen nur in deutlich eingeschränkter Form wieder habe aufgenommen werden können. Der Sportunterricht und auch die offene Ganztagsschule mit ihrem Spiel- und Bewegungsangebot hätten mangels Lehrkräften und geeigneten Räumlichkeiten nicht mehr angeboten werden können. Unter diesem Mangel an körperlichen Ausgleich habe die Antragstellerin wohl sehr gelitten. Im kommenden Schuljahr sei beabsichtigt, sowohl die offene Ganztagsschule als auch den Sportunterricht wieder anzubieten. In Anbetracht großer Anmeldezahlen sowie der sehr begrenzten Turnhallenkapazitäten werde vor dem Hintergrund der konsequenten Einhaltung der Abstandsund Hygieneregeln dies aber auch nur in eingeschränkter Form möglich sein. Ob die Schule so dem gesteigerten Bewegungsdrang der Antragstellerin gerecht werden könne, sei nicht mit Sicherheit vorherzusagen.
Dem Antragsgegner wurde – wohl von der Vormundin der Antragstellerin – des Weiteren ein Schreiben der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. M. vom … … 2020 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass sich die Antragstellerin derzeit in testpsychologischer Untersuchung befinde. Erst danach könne ein Gutachten zu § 35a SGB VIII erstellt werden. Die Antragstellerin sei wegen ADHS und einer depressiven Störung in regelmäßiger Behandlung. Der bisherige Schulweg sei aufgrund der Erkrankungen nicht zumutbar.
Seit Schuljahresbeginn im September 2020 besucht die Antragsteller die 8. Klasse des Internats B. In den vorgelegten Akten des Antragsgegners findet sich hierzu der (undatierte) Schulvertrag der Vormundin mit dem Internat B. Dieser sieht eine Vertragsdauer von einem Schuljahr mit der Möglichkeit der Kündigung zum Ablauf des Monats Februar unter Einhaltung einer Frist vom drei Monaten vor.
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2020 zeigten die Bevollmächtigten der Antragstellerin deren Vertretung an und beantragten nochmals die Übernahme der Internatskosten beim Antragsgegner.
Mit Schreiben vom 2. November 2020 nahm der Antragsgegner zum Antrag der Vormundin Stellung und führte aus, dass nach den dem Jugendamt vorliegenden Informationen der Schulleitung die R.-Wirtschaftsschule weiterhin die offene Ganztagsschule und Sportunterricht anbiete. Dies werde aus fachlich pädagogischer Sicht als ausreichend erachtet, um den bisherigen Bedarf an Betreuung am Nachmittag abzudecken. Bei dem Internat B. handele es sich nicht um eine Einrichtung der Jugendhilfe. Aus fachlicher Sicht lägen derzeit die Voraussetzungen für eine stationäre Unterbringung im Rahmen von § 34 bzw. § 35a SGB VIII nicht vor. Auch die Voraussetzungen für eine Übernahme als selbstbeschaffte Maßnahme nach § 36a SGB VIII lägen nicht vor. Es werde daher beabsichtigt, den Antrag auf Unterbringung der Antragstellerin im Internat B. für das Schuljahr 2020/2021 abzulehnen.
Mit Schreiben vom 1. November 2020, beim Antragsgegner eingegangen am 4. November 2020, übersendeten die Bevollmächtigten der Antragstellerin ein kinderpsychiatrisches Gutachten der Dr. M. vom … … 2020. Demzufolge leide die Antragstellerin an einer einfachen Aktivitätund Aufmerksamkeitsstörung (F 90.0) und einer emotionalen Störung des Kindesalters mit sozialer Ängstlichkeit (F 93.2). Zudem bestünde eine deutliche und durchgängige soziale Beeinträchtigung in mehreren Bereichen und der Verdacht auf eine Lese-Rechtschreibstörung.
Die Anfahrt mit der S-Bahn zur R.-Wirtschaftsschule habe die Antragstellerin sehr geängstigt. Auch sei ihr das lange Sitzen in der Schule besonders am Nachmittag schwergefallen, es sei immer wieder zu Mitteilungen hinsichtlich ihres Benehmens am Nachmittag gekommen. Eine zweite Gabe der ADHS-Medikation vor der Mittagsbetreuung habe von der Schule nicht sichergestellt werden können.
Infolge der Coronapandemie und des damit verbundenen home-schooling sei es bei der Antragstellerin zu einer zunehmenden depressiven Verstimmung mit Rückzug aus familiären Bezügen gekommen. Nach dem erneuten Schulstart sei es vermehrt zu aggressiven Impulsdurchbrüchen gegenüber der Vormundin gekommen, die kaum kontrollierbar gewesen sein. Dies habe seine Ursache auch in den vielen Beziehungsabbrüchen, die die Antragstellerin bisher erlebt habe. Auch aus der Schule hätten sich Mitteilungen in Bezug auf störendes Verhalten und vergessene Materialien oder Hausaufgaben gemehrt. Zusätzlich zu der Angst vor dem S-Bahn-Fahren sei auch eine Angst vor dem Virus hinzugekommen. Die Ängste hätten sich zunehmend auch auf soziale Situation übertragen.
Der Besuch eines Internats könne die schulischen Belange aus der Familie nehmen und damit die Basis für einen guten Beziehungsaufbau legen. Die bisherigen Rückmeldungen würden auf ein gutes Gelingen hindeuten. Die Antragstellerin müsse zum Personenkreis des § 35a SGB VIII gerechnet werden. Es drohe eine nicht nur vorübergehende wesentliche seelische Behinderung als Folge eine Aufmerksamkeitsstörung bei durchschnittlicher Leistungsfähigkeit. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass die seelische Gesundheit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweiche. Eine Beeinträchtigung der Teilnahme am Leben der Gesellschaft sei zu erwarten.
Die Antragstellerin erhob am 27. November 2020 durch ihre Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 18 K 20.6196) mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verurteilen, an die Antragstellerin 15.703,29 EUR nebst Zinsen von 9% über dem Basiszinssatz ab 27. November 2020 zu erstatten. Des Weiteren wurde die Feststellung beantragt, dass der Antragsgegner ab dem 1. Dezember 2020 verpflichtet ist, monatlich 2.340 EUR Internatsgeld zu bezahlen, solange sich die Klägerin auf dem Internat B. zur Schulausbildung mit dem Abschluss der Mittleren Reife befindet.
Am 7. Dezember 2020 beantragte die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten zudem,
den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin ab Dezember 2020 vorläufig bis August 2021 Internatsgeld in Höhe von monatlich 2.340 EUR für den Besuch des Internats B. zur Schulausbildung mit dem Abschluss der Mittleren Reife zu bezahlen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Nachmittagsangebot der R.-Wirtschaftsschule, die die Antragstellerin im Schuljahr 2019/20 besucht habe, nicht mehr ihrem pädagogischen Bedarf entspreche. Es bleibe nur die Internatsunterbringung, um die Entwicklung der Antragstellerin nicht zu gefährden. Sämtliches pädagogisches Fachpersonal habe den Wechsel auf das Internat B. befürwortet. Auch die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. M. würde die Internatsunterbringung unterstützen. Eine zwischenzeitlich angedachte Heimunterbringung sei wieder verworfen worden, da der Bedarf der Antragstellerin mittlerweile anders gelagert sei. Die Antragstellerin habe bis zum 25. November 2020 bereits Kosten in Höhe von 15.703,29 EUR für die Internatsunterbringung aufgewendet.
In rechtlicher Hinsicht wurde des Weiteren ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 36a SGB VIII vorlägen. Der Antragsgegner sei vor der Selbstbeschaffung der Maßnahme über den Hilfebedarf der Antragstellerin durch den am … … 2020 übersendeten Antrag in Kenntnis gesetzt worden. Des Weiteren lägen die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe nach § 27 Abs. 1 SGB VIII vor. Auch habe die Deckung des Bedarfs der Antragstellerin keinen zeitlichen Aufschub geduldet, da die Schule bereits im September 2020 begonnen habe und somit bezahlt werden müsse. Ein Anordnungsgrund bestehe zudem auch. Es handele sich um einen Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung von Jugendhilfe und nicht um einen Anspruch der Eltern bzw. der Vormundin. Daher stehe es der Dringlichkeit der Sache nicht entgegen, wenn Dritte der Antragstellerin die Kosten der Unterbringung vorgeschossen hätten. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII stehe Kindern und Jugendlichen, die seelisch behindert oder von einer Behinderung bedroht seien, selbst zu. Wären die Kosten nicht übernommen worden, hätte das Internat nicht besucht werden können. Außerdem könne das Internat nicht weiter besucht werden, wenn die Kosten nicht bezahlt werden würden.
In einem internen Schreiben des Pflegekinderfachdienstes des Antragsgegners vom 7. Dezember 2020 an das Sachgebiet Wirtschaftliche Jugendhilfe wird ausgeführt, dass aus pädagogischer Sicht die Teilhabe der Antragstellerin am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt sei. Des Weiteren biete die R.-Wirtschaftsschule in der 8. Klasse keine Nachmittagsbetreuung an; dieses Angebot habe wegen der derzeitigen Pandemielage kurzfristig zu Schuljahresbeginn gestrichen werden müssen. Die Gewährung der Kostenübernahme für den Internatsbesuch im Rahmen des Pflegeverhältnisses sei für die Antragstellerin aus pädagogischer Sicht die beste Möglichkeit der Jugendhilfe.
Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2020 nahm der Antragsgegner zum Antrag Stellung und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Er führte aus, dass die bisher von der Antragstellerin besuchte Wirtschaftsschule laut dem Hilfeplan vom 8. November 2019 positive Auswirkungen auf ihr Sozialverhalten gehabt habe. Auch aus der Stellungnahme des Pflegekinderfachdienstes vom … … 2020 gehe hervor, dass die Wirtschaftsschule die richtige Schulform sei, um den Bedarf der Antragstellerin zu decken. Mit Schreiben vom … … 2020 habe der Schulleiter der Wirtschaftsschule bestätigt, dass beabsichtigt sei, im Schuljahr 2020/2021 die offene Ganztagesschule als auch den Sportunterricht wieder anzubieten, wenn auch nur in eingeschränkter Form wegen der geltenden Abstands- und Hygieneregeln. Ein Anruf im September 2020 bei der Wirtschaftsschule habe ergeben, dass die Nachmittagsbetreuung einschließlich der 8. Jahrgangsstufe im laufenden Schuljahr angeboten werde. Ein weiteres Telefonat am 15. Dezember 2020 mit dem Schulleiter habe ergeben, dass die Schule weiterhin die offene Ganztagsschule anbiete und auch das Sportprogramm zunächst klassenweise und sodann in Kleingruppen zumindest 30-minütig stattgefunden habe. Eine erneute Rücksprache mit dem Schulleiter am 22. Dezember 2020 habe zudem ergeben, dass eine Erinnerung und Überwachung der Medikamenteneinnahme durch die entsprechenden Lehrkräfte z.B. bei dem gemeinsamen Mittagessen möglich sei. Der Bedarf der Antragstellerin sei damit insgesamt weiterhin vollständig gedeckt. Der Wechsel auf das Internat B. sei weder notwendig, noch bedarfsdeckend, da es sich hierbei nicht um eine Einrichtung der Jugendhilfe handele. Die Voraussetzungen für eine Übernahme als selbstbeschaffte Maßnahme nach § 36a Abs. 3 SGB VIII lägen nicht vor. Die Deckung des Bedarfs sei an der R.-Wirtschaftsschule ohne weitere Kosten möglich.
Mit Bescheid des Antragsgegners vom 22. Dezember 2020 wurde der Antrag auf Internatsunterbringung im Rahmen der Vollzeitpflege unter Wiederholung der in der Antragserwiderung vom 22. Dezember 2020 angeführten Argumente abgelehnt.
Auf telefonische Nachfrage des Gerichts am 14. Januar 2021 teilte der Schulleiter des Internats B. mit, dass die Schule während der ersten pandemiebedingten Schulschließung eine Ausnahmegenehmigung gehabt habe. Derzeit fände jedoch kein Präsenzunterricht statt. Dieser solle ab Februar 2021 wieder beginnen und der Schulbetrieb unter Einhaltung eines Hygienekonzepts „normal“ ablaufen.
Per Fax übersandte der Antragsgegner am 21. Januar 2021 eine von diesem eingeholte erneute Stellungnahme des stellvertretenden Schulleiters der R.-Schule vom selben Tag. In dieser wurde zum Sportangebot der 8. Jahrgangsstufe ausgeführt, dass bis zu den Herbstferien im Schuljahr 2020/2021 eine Doppelstunde Sportunterricht mit geteilten Klassen im 14-tägigen Wechsel stattgefunden habe. Nach den Herbstferien und bis zum 4. Dezember 2020 hätten sich Sport mit Mund-Nase-Bedeckung bei geringer Intensität und Unterrichtsgänge abgewechselt, ab 11. Dezember 2020 habe lediglich Theorieunterricht stattgefunden. Sofern die Antragstellerin die offene Ganztagesschule besuchen würde, wo sie allerdings die einzige Schülerin der 8. Jahrgangsstufe wäre, würde ein tägliches Spiel- und Bewegungsangebot in Kleingruppen unter Anleitung einer Sportlehrerin hinzukommen.
Wegen des weiteren Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren M 18 K 20.6196 und die vorgelegten Behördenakten ergänzend Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO hat auch in der Sache Erfolg.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der von der Antragstellerin begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber – zumindest in zeitlicher Hinsicht – teilweise vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und die Antragstellerin ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
Die Antragstellerin hat obigen Anforderungen entsprechend einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für den Besuch des Internats B. ab Dezember 2020 bis zum Ende des Schuljahres 2020/2021 glaubhaft gemacht.
Nach § 36a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII übernimmt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten einer Hilfe grundsätzlich dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird.
An einer solchen Entscheidung des Antragsgegners fehlt es hier. Die Antragstellerin besucht bereits seit September 2020 das Internat B. und ist dort auch für das gesamte laufenden Schuljahr 2020/21 kostenpflichtig angemeldet, ohne dass der Antragsgegner die Kostenübernahme im Rahmen der Jugendhilfe bewilligt hätte.
In einem solchen Fall der sogenannten Selbstbeschaffung einer Hilfe ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zur Übernahme der Aufwendungen nur verpflichtet, wenn 1.) der Leistungsberechtigte die Behörde vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, 2.) die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und 3.) die Deckung des Bedarfs bis zu einer behördlichen Entscheidung über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (vgl. dazu grds. BayVGH, U.v. 23.2.2011 – 12 B 10.1331 – juris Rn. 76).
§ 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sichert mit diesen Tatbestandsvoraussetzungen die Steuerungsverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. Dieser soll die Leistungsvoraussetzungen sowie mögliche Hilfemaßnahmen unter Zubilligung eines angemessenen Prüfungs- und Entscheidungszeitraums jeweils pflichtgemäß prüfen können und nicht nachträglich als bloße Zahlstelle für selbstbeschaffte Maßnahmen fungieren (BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 35). Liegt hingegen ein Systemversagen in dem Sinne vor, dass das Jugendamt gar nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in einer den Anforderungen entsprechenden Weise über eine begehrte Hilfeleistung entschieden hat, darf ein Leistungsberechtigter im Rahmen der Selbstbeschaffung nach § 36a Abs. 3 SGB VIII an Stelle des Jugendamtes den sonst diesem zustehenden und nur begrenzt gerichtlich überprüfbaren Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. In dieser Situation ist er – obgleich ihm der Sachverstand des Jugendamts fehlt – dazu gezwungen, im Rahmen der Selbstbeschaffung eine eigene Entscheidung über die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme zu treffen mit der Folge, dass sich die Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der selbstbeschafften Hilfe auf eine fachliche Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung des Leistungsberechtigten zu beschränken haben. Ist die Entscheidung des Leistungsberechtigten in diesem Sinne fachlich vertretbar, kann ihr im Nachhinein nicht etwa mit Erfolg entgegnet werden, das Jugendamt hätte eine andere Hilfe für geeignet oder notwendig gehalten (BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris; U.v. 9.12.2014 – 5 C 32/13 – juris, m.w.N.).
Die Voraussetzungen einer zulässigen Selbstbeschaffung sind vorliegend für den beantragten Zeitraum ab Dezember 2020 bis zum Ende des Schuljahres 2020/2021 als gegeben anzusehen. Ein Systemversagen des öffentlichen Jugendhilfeträgers lag sowohl in Hinblick auf den Zeitraum zwischen Schuljahresbeginn im September 2020 und der Ablehnung des am … … 2020 gestellten Antrags mit Bescheid vom 22. Dezember 2020 als auch in Hinblick auf den Ablehnungsbescheid selbst vor.
Die Selbstbeschaffung der Jugendhilfemaßnahme in Form des Besuchs des Internats B. durch die Antragstellerin mit Beginn des Schuljahres 2020/2021 stellt sich als rechtmäßig dar.
Der Antragsgegner wurde im Sinne des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. SGB VIII rechtzeitig über den Hilfebedarf der Antragstellerin in Kenntnis gesetzt.
Für eine Inkenntnissetzung bedarf es einer eindeutigen Willenserklärung in dem Sinne, dass der Leistungsberechtigte den Jugendhilfeträger über den konkreten Hilfebedarf in Kenntnis setzt und einen (nicht formgebundenen) Antrag auf die gewünschte Leistung stellt (vgl. NdsOVG, B.v. 25.11.2020 – 10 LA 58/20 – juris Rn. 27; Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 36a Rn. 44). Maßgeblich ist des Weiteren, dass der Antrag so rechtzeitig gestellt wird, dass der Jugendhilfeträger zur pflichtgemäßen Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist (BVerwG, U.v. 11.8.2005 – 5 C 18.04 – juris Rn. 19).
Die Vormundin der Antragstellerin wandte sich vorliegend erstmals telefonisch am 6. Juni 2020 an den Pflegekinderfachdienst beim Antragsteller und berichtete von den coronabedingten Änderungen des Schulalltags an der R.-Schule und den negativen Auswirkungen auf die psychische Verfassung der Antragstellerin. In einem Telefonat am … … 2020 wurde sodann erstmals die Beschulung der Antragstellerin auf dem Internat B. erörtert. Ein konkreter Antrag auf die Übernahme der Internatskosten wurde am … … 2020 gestellt. Das Gericht geht unter einer Gesamtschau der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls davon aus, dass es dem Antragsgegner, dem der Hilfebedarf der Antragstellerin aus der Vergangenheit nach langjähriger Betreuung der Antragstellerin hinlänglich bekannt war und die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung bis zum Schuljahresbeginn auf der Hand lag, auch bei Zubilligung eines angemessenen Prüfungs- und Entscheidungszeitraums möglich gewesen wäre, spätestens bis zum Beginn des neuen Schuljahres eine Entscheidung über die beantragte Maßnahme zu treffen (vgl. OVG NW, U.v. 25.4.2012 – 12 A 659/11 – juris Rn. 53: Zwei Wochen bei vorheriger Fallkenntnis (noch) nicht ausreichend), so dass eine rechtzeitige Inkenntnissetzung anzunehmen ist.
Die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe in Form der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII lagen des Weiteren zum maßgeblichen Zeitpunkt der Selbstbeschaffung (vgl. VGH BW, B.v. 26.2.2020 – 12 S 3015/18 – juris Rn. 21; OVG SH, U.v. 15.8.2019 – 3 LB 7/18 – juris Rn. 56) vor, § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII.
Dahinstehen kann vorliegend, ob die Übernahme der Internatskosten (auch) auf § 27 (ggf. i.V.m. § 34 SGB VIII – so VG Mainz, U.v. 28.10.2019 – 1 K 1198/18.MZ – juris) gestützt werden kann, da das Gericht zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung im September 2020 jedenfalls die Voraussetzungen der im vorliegenden Fall sachgerechter erscheinenden Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII als gegeben ansieht.
Einer Einordnung des Hilfebegehrens als Eingliederungshilfe steht hierbei insbesondere nicht entgegen, dass durch die Vormundin der Antragstellerin mit E-Mail vom … … 2020 die Kostenübernahme „im Rahmen der Vollzeitpflege“ beantragt wurde. Dem im Jugendhilferecht unbewanderten Laien, wozu die Vormundin der Antragstellerin wohl rechnen dürfte, dürfte regelmäßig der Unterschied zwischen den auf verschiedentlichen Anspruchsgrundlagen beruhenden Jugendhilfemaßnahmen nicht hinreichend deutlich sein. Ungeachtet der Rechtsgrundlage lag die Zielsetzung der Antragstellung für den Antragsgegner unverkennbar allein auf dem Besuch des Internats B. durch die Antragstellerin.
In einer derartigen Situation gebietet § 16 Abs. 3 SGB I dem zuständigen Jugendhilfeträger, einen ihm unterbreiteten Antrag so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Das Jugendamt hat in diesem Kontext folglich alle aufgrund des Sachverhalts dem Begehren des Antragstellers entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen seiner Zuständigkeit zu erwägen und ggf. auf eine Klärung des Verfahrensgegenstandes durch den Antragsteller hinzuwirken. Insoweit gilt zugunsten des Antragstellers der sozialrechtliche „Meistbegünstigungsgrundsatz“ (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2019 – 12 ZB 16.1920 – juris Rn. 26).
Das Begehren der Vormundin bezüglich des Besuchs des Internats B. durch die Antragstellerin wäre daher unter allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten und damit auch als Eingliederungshilfeleistung nach § 35a SGB VIII zu prüfen gewesen. Letztere wäre auch aus Sicht des Antragsgegners in Hinblick auf den durch frühere Gutachten – zuletzt vom … … 2017 – bescheinigten massiven Eingliederungshilfebedarf der Antragstellerin und die noch bis April 2019 geleistete Eingliederungshilfemaßnahme in Gestalt der stationären Unterbringung in der intensiv-therapeutischen Gruppe C. zumindest naheliegend gewesen. Spätestens jedoch die Mitteilung der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. M. vom … … 2020, dass sich die Antragstellerin aktuell zur Erstellung eines Gutachtens nach § 35a Abs. 1a SGB VIII in Testung befinde, hätte Grund zur Prüfung eines – ggf. zusätzlich – bestehenden Eingliederungshilfebedarfs der Antragstellerin gegeben.
Die Voraussetzungen des § 35a Abs. 1 SGB VIII lagen zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung jedenfalls dem Grunde nach vor.
Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII besteht dann ein Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Das Abweichen der seelischen Gesundheit nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII ist gemäß § 35a Abs. 1a Satz 1 SGB VIII durch die Stellungnahme eines Facharztes festzustellen.
Unter Zugrundelegung des medizinischen Gutachtens von Frau Dr. M. vom … … 2020 ist auch für den zeitlich geringfügig vorgreiflichen Zeitraum ab Beginn des Schuljahres 2020/2021 von einem Abweichen der seelischen Gesundheit der Antragstellerin i.S.d. § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII auszugehen. Laut dem Gutachten leidet die Antragstellerin an einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ICD-10 F 90.0) und einer emotionalen Störung des Kindesalters mit sozialer Ängstlichkeit (ICD-10 F 93.2) und müsse nach Einschätzung der Ärztin daher zum Personenkreis des § 35a SGB VIII gerechnet werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass die seelische Gesundheit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweiche.
Auch das Vorliegen einer – aus der vom Alterstypischen abweichenden seelischen Gesundheit abgeleiteten – zumindest drohenden Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII (sog. Teilhabebeeinträchtigung) ist vorliegend glaubhaft gemacht.
Während § 35a Abs. 1a SGB VIII Maßgaben für die Feststellung der Abweichung der seelischen Gesundheit nach § 35a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII trifft und diese spezialisierten Fachkräften überantwortet, obliegt die Feststellung des Vorliegens der (drohenden) Teilhabebeeinträchtigung dem Jugendamt. Anders als die Auswahl der konkret notwendigen und geeigneten Hilfemaßnahmen ist das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich voll überprüfbar und es besteht auf Seiten des Jugendamtes kein Beurteilungsspielraum (BayVGH, B.v. 18.2.2013 – 12 CE 12.2104 – juris Rn. 40 m.w.N.).
Eine Teilhabebeeinträchtigung liegt vor allem dann vor, wenn dem behinderten jungen Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in sozialer, schulischer oder beruflicher Hinsicht erschwert ist, mithin die Integrationsfähigkeit des jungen Menschen beeinträchtigt ist. Hierfür genügt, wenn sich die Störung in einem der relevanten Lebensbereiche auswirkt (Kepert/Dexheimer in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 7. Aufl. 2018, § 35a Rn. 19). Allerdings muss die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv sein, dass sie die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt (BVerwG, U.v. 26.11.1998 – 5 C 38/97 – juris Rn. 15).
Gemessen an diesen Maßstäben geht das Gericht insbesondere unter Würdigung der Stellungnahme der fallführenden Sozialpädagogin des Pflegekinderfachdienstes des Antragsgegners vom … … 2020 von einer Teilhabebeeinträchtigung der Antragstellerin vornehmlich im schulisch-sozialen Bereich aus. In der Stellungnahme führte diese aus, dass die sozialen Ängste der Antragstellerin diese enorm an einer altersadäquaten Lebensführung und Entwicklung behindern würden. Nur über die Nachmittagsbetreuung hätte sie es geschafft, mit Gleichaltrigen zu interagieren. Durch die coronabedingten Einschränkungen habe sich ihr Verhalten, Kontakte zu vermeiden, jedoch verstärkt; sie verlasse nur noch in Begleitung der Pflegemutter das Haus und kehre so schnell wie möglich dorthin zurück. Auch Dr. M. berichtete in ihrer Stellungnahme vom … … 2020 von zunehmenden sozialen Ängsten der Antragstellerin, insbesondere bei der Bewältigung des Schulwegs.
Eine Teilhabebeeinträchtigung liegt in Hinblick auf diese von sozialpädagogischer sowie ärztlich-psychiatrischer Seite geschilderte drohende, wenn nicht bereits eingetretene, soziale Isolation der Antragstellerin und deren beschriebenen massiven Ängste nach Auffassung des Gerichts vor.
Welche Hilfeform im Rahmen des Anspruchs aus § 35a Abs. 1 SGB VIII sodann geleistet wird, richtet sich grundsätzlich nach dem jeweiligen Bedarf im Einzelfall (vgl. § 35a Abs. 2 und 3 SGB VIII).
Wie bereits vorstehend aufgezeigt, trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe insoweit die Steuerungsverantwortung. Daher ist ihm bei der Entscheidung, welche Maßnahme im konkreten Fall geeignet und notwendig ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2016 – 12 ZB 15.1641 – juris; BVerwG, U.v. 24.6.1999 – 5 C 24.98 – juris). Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit und Geeignetheit einer Hilfe handelt es sich um das Ergebnis eines kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses unter Mitwirkung des Kindes bzw. des Jugendlichen und mehrerer Fachkräfte. Es soll eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation gefunden werden, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich in diesem Fall darauf zu beschränken, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet wurden, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 12 CE 12.2136 – juris Rn. 29 m.w.N.).
Hat der Jugendhilfeträger – so vorliegend der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung – jedoch (zunächst) gar nicht entschieden, darf ein Leistungsberechtigter, wie bereits dargestellt, im Rahmen der Selbstbeschaffung nach § 36a Abs. 3 SGB VIII an Stelle des Jugendamtes den sonst diesem zustehenden Einschätzungsspielraum für sich beanspruchen. Die selbstbeschaffte Hilfe ist sodann in Hinblick auf ihre Geeignetheit und Erforderlichkeit lediglich einer fachlichen Vertretbarkeitskontrolle aus der ex-ante-Betrachtung des Leistungsberechtigten zu unterziehen.
Die infolge des Übergangs der Einschätzungsprärogative getroffene Entscheidung der Vormundin der Antragstellerin, diese ab dem Schuljahr 2020/2021 das Internat B. besuchen zu lassen, erscheint vorliegend fachlich vertretbar. Aus Sicht der Antragstellerin dürfte sich die Privatschule zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung als die allein geeignete Möglichkeit zur Bewältigung der Belastungssituation dargestellt haben.
In der Rechtsprechung ist bereits umfassend geklärt, dass Leistungen der Eingliederungshilfe grundsätzlich auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung umfassen, sofern diese Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem jungen Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61/14 – juris Rn. 4). Der Einwand des Antragsgegners, es würde sich bei dem Internat B. nicht um eine Einrichtung der Jugendhilfe handeln und daher eine Bedarfsdeckung bereits aus diesem Grund ausscheiden, geht entsprechend fehl.
Ein Anspruch auf Übernahme von Kosten für eine Privatschule im Rahmen der Eingliederungshilfe setzt jedoch im Speziellen voraus, dass auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf des jungen Menschen im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken, mithin diesem der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven Gründen unmöglich bzw. unzumutbar ist (vgl. BVerwG, B.v. 17.2.2015 – 5 B 61/14 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 15.7.2019 – 12 ZB 16.1982 – juris Rn. 18; B.v. 18.10.2016 – 12 CE 16.2064 -juris Rn. 3 ff., jeweils m.w.N.). Denn die Vermittlung einer angemessenen Schulbildung ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst Angelegenheit des Allgemeinschulsystems, so dass den schulrechtlichen Anforderungen entsprechende Maßnahmen Vorrang haben. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben insofern keinen eigenständigen Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. Der Besuch einer Privatschule kann also nur dann eine erforderliche Maßnahme nach § 35a Abs. 3 SGB VIII sein, wenn im konkreten Fall das öffentliche Schulsystem versagt hat. Dies hat die leistungsberechtigte Antragstellerin auch im Rahmen der auf sie übergegangenen Einschätzungsprärogative grundsätzlich zu berücksichtigen.
Hiervon ausgehend nimmt das Gericht an, dass aus der maßgeblichen Sicht der Antragstellerin und ihrer Vormundin ein Fall vorgelegen hat, in dem das öffentliche Schulsystem versagt und der Antragstellerin keine adäquate Beschulungsmöglichkeit hat zur Verfügung stellen können. Wie der stellvertretende Direktor der R.-Wirtschaftsschule in seiner Stellungnahme vom … … 2020 bestätigte, entfiel der Unterricht an der Schule ab März 2020 zunächst vollständig und konnte auch nach Rückkehr der Schülerinnen nur in deutlich eingeschränkter Form stattfinden. Der Sportunterricht und die offene Ganztagesschule konnten nicht mehr angeboten werden. Angesichts der Stellungnahmen der Vormundin bei ihren Vorsprachen beim Antragsgegner im Juni und Juli 2020 sowie der Einschätzung der fallzuständigen Sozialpädagogin des Pflegekinderfachdienstes und der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. M. dürfte ein schulisches Nachmittagsangebot mit ausreichender Bewegungsmöglichkeit für die an ADHS leidende Antragstellerin jedoch essentiell sein. Dem Hilfeplan vom 8. November 2019 ist zu entnehmen, dass die bessere Betreuung in einer Ganztagesklasse gerade ausschlaggebend für die Wahl der R.-Schule gewesen ist. Allein über die Ganztagesbetreuung schien es der Antragstellerin zudem möglich gewesen zu sein, Kontakte zu Mitschülern zu knüpfen. Einhergehend mit den schulischen Einschränkungen hatte sich die psychische Verfassung der Antragstellerin dementsprechend seit dem Frühsommer 2020 dramatisch verschlechtert.
Da zum Ende des Schuljahres 2019/2020 auf Grund der Corona-Pandemie noch nicht abzusehen war, in welcher Form die öffentlichen Schulen nach den Sommerferien wieder öffnen würden, erscheint es alles in allem vertretbar, dass sich die Vormundin angesichts der sich zunehmend verschlechternden psychischen Verfassung der Antragstellerin für den Besuch des Internats B. entschied. Dass sich die privat getragene Schule mit ihrer gänzlich anderen finanziellen Ausstattung und der ohnehin schon engmaschigen Förderung in Kleinklassen und Betreuung über Tag und Nacht dabei von den Möglichkeiten einer (jeglichen) öffentlichen Schule im Pandemiebetrieb unterscheidet, liegt dabei aus Sicht des Gerichts auf der Hand. Des Weiteren ist zu beachten, dass nach vom Gericht eingeholter telefonischer Auskunft des Schulleiters des Internats B. diesem während der ersten coronabedingten Schulschließung ab Mitte März 2020 eine Sondergenehmigung erteilt wurde, die es der Schule damals erlaubte, die Internatsschüler weiter zu betreuen. Aus Sicht der Antragstellerin dürfte daher das Internat B. auch für den aus damaliger Sicht nicht unrealistisch erscheinenden Fall einer erneuten Schulschließung die sichereren Rahmenbedingungen geboten haben. Es ist daher in dem konkret vorliegenden Einzelfall anzunehmen, dass es der Antragstellerin – selbst bei möglicherweise zu Beginn des Schuljahres noch „normal“ anlaufendem Schulbetrieb – nicht zuzumuten war, sich unter der ständigen Gefahr einer weiteren psychischen Destabilisierung durch erneute Einschränkungen des Schulangebots auf eine weitere Beschulung an einer Regelschule einzulassen. Anhaltspunkte dafür, dass die Auswahl konkret des Internats B. nicht mehr vertretbar sein sollte, sind dem Gericht des Weiteren nicht ersichtlich. Angesichts des Angebot eines Wirtschaftszweiges, der den Angaben der Vormundin zufolge den Fähigkeiten und Präferenzen der Antragstellerin zu entsprechen scheint und der Möglichkeit der problemlosen Wochenendheimfahrten geht das Gericht vielmehr von einer grundsätzlichen Geeignetheit der Schule aus. Genauso wenig, wie die Auswahl einer bestimmten Hilfeart vom Jugendamt nicht deshalb verworfen werden darf, weil sie (besonders) kostenintensiv ist (vgl. Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 27 Rn. 61), dürfte auch der Vormundin der Antragstellerin darüber hinaus in diesem Rahmen nicht vorzuwerfen sein, die Antragstellerin nicht an einer kostenmäßig günstigeren Schule angemeldet zu haben.
Da die Bedarfsdeckung in Hinblick auf den baldigen Beginn des neuen Schuljahres und der schlechten Verfassung der Antragstellerin auch keinen weiteren Aufschub geduldet hatte, § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII, war die Selbstbeschaffung im vorliegenden Fall gerechtfertigt.
Das der zunächst rechtmäßigen Selbstbeschaffung zugrundeliegende Systemversagen des Antragsgegners wurde des Weiteren mit der die Hilfegewährung ablehnenden Entscheidung mit Bescheid vom 22. Dezember 2020 aufrechterhalten.
Anders als in der Situation der Selbstbeschaffung der Leistung, in der der öffentliche Jugendhilfeträger über eine begehrte Hilfeleistung gar nicht entschieden hat, ist im Falle einer Ablehnungsentscheidung in Hinblick auf § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu prüfen, ob der von der Behörde erstellte Hilfeplan bzw. das von ihr verfolgte Hilfekonzept verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst und fachlich vertretbar ist. Diese Prüfung erstreckt sich nicht nur auf eine reine Ergebniskontrolle, sondern erfasst auch die von der Behörde – maßgeblich ist die letzte Behördenentscheidung – gegebene Begründung. Denn diese muss für den Betroffenen nachvollziehbar sein, um ihn in die Lage zu versetzen, mittels einer Prognose selbst darüber zu entscheiden, ob eine Selbstbeschaffung (dennoch) gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 33). Hat das Jugendamt die begehrte Hilfe aus im vorgenannten Sinne vertretbaren Erwägungen abgelehnt, besteht weder ein Anspruch des Betroffenen auf die begehrte Eingliederungshilfeleistung noch auf den Ersatz von Aufwendungen für eine selbstbeschaffte Hilfe (vgl. BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 12 ZB 18.534 – n.v., Rn. 37).
Bei Zugrundelegung der vorstehenden Maßstäbe erscheint die Ablehnung der Hilfegewährung mit Bescheid des Antragsgegners vom 22. Dezember 2020 und die darin gegebene Begründung nicht mehr fachlich vertretbar.
Die vom Antragsgegner in seinem Bescheid vom 22. Dezember 2020 sowie in der Antragserwiderung angeführte Argumentation, der Besuch des Internats B. sei in erster Linie deswegen abzulehnen, da die R.-Schule im laufenden Schuljahr 2020/2021 ausreichend sei, um den Bedarf der Antragstellerin zu decken, überzeugt vorliegend aus mehreren Gründen nicht.
Der Antragsgegner hat zum einen außer Acht gelassen, dass der Bedarf der Antragstellerin offensichtlich deutlich anders gelagert ist als noch zu Beginn des Schuljahres 2019/2020. Wie die ärztlich-psychologische Stellungnahme vom … … 2020 zeigt, ist zur Problematik der ADHS-Erkrankung verstärkt eine schwere Angstproblematik hinzugetreten. Insbesondere der Schulweg zur R.-Schule, den die Antragstellerin mit der S-Bahn bewältigen musste, habe Schwierigkeiten bedeutet. Des Weiteren scheint die Antragstellerin das Haus – außer zum Schulbesuch – fast nicht mehr verlassen zu haben. Diesen Umstand sowie die gutachterliche Feststellung, dass die Antragstellerin zum Kreis der nach § 35a SGB VIII Eingliederungsberechtigten gehört, hat der Antragsgegner offensichtlich gänzlich übergangen.
Zum anderen vermisst das Gericht eine Beschäftigung des Antragsgegners mit den zu erwartenden Beschränkungen des Schulbetriebs nach Ende des „Lockdowns“. Allein die Tatsache, dass laut der Stellungnahme der R.-Schule vom 21. Januar 2021 zu Beginn des Schuljahres 2020/2021 bei vergleichsweise noch niedrigeren Covid-19-Infektionszahlen eine offene Ganztagesschule mit (begrenztem) Sportangebot an der R.-Schule angeboten werden konnte, lässt keinen Rückschluss darauf zu, wie sich die Situation im neuen Jahr darstellen wird. Zwar ist eine genaue Prognose hinsichtlich der zukünftigen Schulsituation aufgrund der unberechenbaren Dynamik des pandemischen Geschehens naturgemäß ausgeschlossen. Jedoch dürfte das Risiko, die Antragstellerin mangels adäquater Betreuung noch weitere Monate einer für sie unzumutbaren Situation auszusetzen und eventuell eine Verschlechterung deren psychischer Situation zu provozieren, vorliegend die Bedenken gegenüber einer kostenintensiven Internatsbeschulung bei weitem überwiegen.
Keine Berücksichtigung in der Ablehnungsentscheidung des Antragsgegners fand zudem, was ein erneuter Schulwechsel innerhalb kürzester Zeit verbunden mit weiteren Beziehungsabbrüchen für die psychisch angeschlagene Antragstellerin bedeuten würde. Die Antragstellerin wurde seit ihrem 6. Lebensjahr mehrfach vom Jugendamt in Obhut genommen, lebte abwechselnd bei ihrer Mutter, in verschiedenen Kinderheimen und bei der Pflegefamilie und verbrachte die 6., 7. und nun auch die 8. Klasse auf verschiedenen Schulen. Dass ein weiterer Wechsel des nun seit einigen Monaten einen verlässlichen Rahmen bietenden Umfelds dem Kindeswohl möglicherweise abträglich sein könnte, hätte im vorliegenden Fall unbedingt in die Prüfung eingestellt werden müssen. Dem ist im konkreten Einzelfall auch nicht entgegenzuhalten, dass der erneute Schulwechsel auf das Internat B. und damit auch die Verantwortung für einen eventuellen Abbruch der Beschulung nach Ablehnung durch den Antragsgegner auf der eigenmächtigen Entscheidung der Vormundin der Antragstellerin beruhen würde. Denn wie vorstehend dargelegt war die Selbstbeschaffung der Maßnahme mit Abschluss des Schulvertrages infolge Systemversagens gerechtfertigt und der Vormundin war gerade nicht vorzuwerfen, die Maßnahme in nicht vertretbarer Weise eingeleitet zu haben.
Insgesamt war die Begründung der Ablehnungsentscheidung daher nicht geeignet, das bestehende Systemversagen zu beseitigen, sodass eine Fortsetzung der Selbstbeschaffung weiterhin gerechtfertigt war.
Zu erstatten sind im Rahmen des § 36a Abs. 3 SGB VIII in der Regel in Anwendung des Rechtsgedankens des § 683 Satz 1 i. V. m. § 670 BGB diejenigen Aufwendungen, die der Selbstbeschaffer unter Berücksichtigung der Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln und der Interessen des Jugendhilfeträgers nach Lage der Dinge für erforderlich halten durfte (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 38; OVG NW, U.v. 22.8.2014 – 12 A 3019/11 – juris Rn. 82). Hierunter fällt das monatliche Schulgeld für das Internat B. Auch der Abschluss des Schulvertrages für die Dauer eines Schuljahres entspricht den üblichen Modalitäten, so dass auch ein Anordnungsanspruch in Bezug auf die Übernahme der Internatskosten bis zum Ende des laufenden Schuljahres glaubhaft gemacht wurde.
Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls gegeben. Bei einem monatlichen Schulgeld von 2.340 EUR dürfte bereits eine – im Einzelfall hier auch nicht widerlegte – tatsächliche Vermutung dafür sprechen, dass die Antragstellerin bzw. ihre Pflegefamilie nicht in der Lage sein wird, dieses auf Dauer aus eigener Tasche zu übernehmen. Bei einem Abbruch der Beschulung auf dem Internat B. dürften der Antragstellerin jedoch, wie vorstehend ausgeführt, erhebliche Nachteile entstehen. Der Anspruch besteht ab Eingang des Antrags bei Gericht (vgl. VG Magdeburg, B.v. 26.11.2012 – 4 B 235/12 – juris Rn. 27).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO gerichtskostenfrei.


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