Verwaltungsrecht

Asyl: Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer nicht offensichtlich unzulässigen Klage

Aktenzeichen  M 24 S 17.49400

Datum:
22.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150693
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1, Abs. 5
AsylG § 38 Abs. 1, § 75 Abs. 1

 

Leitsatz

Auch nach der wohl vorherrschenden Evidenzlehre kommt einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zu, wenn streitig und im Hauptsacheverfahren zu klären ist, ob der angegriffene Bescheid ordnungsgemäß zugestellt wurde und ob die Klage fristgemäß erhoben wurde. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Klage M 24 K 17.44362 aufschiebende Wirkung hat.
II. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde sofort mitzuteilen, dass angesichts der anhängigen Klage M 24 K 17.44362 abweichend von der Abschlussmitteilung vom 13. Juli 2017 die Bestandskraft des Bescheides vom 29. Mai 2017 nicht feststeht.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Eilverfahrens.

Gründe

I.
Das Eilverfahren betrifft die Frage der aufschiebenden Wirkung einer Klage, die der Antragsteller gegen die vollumfängliche Ablehnung seines Asylbescheides erhoben hat.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger, reiste am *. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … Juni 2016 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) der Antragsgegnerin.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag vollumfänglich ab und drohte ihm die Abschiebung an. Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde (Bl. 125 f. BA) unter seiner damaligen Wohnanschrift durch Einlegen in den Briefkasten am … Mai 2017 zugestellt.
Mit Telefax vom 2. Juni 2017 (Bl. 124 BA) teilte die seinerzeit zuständige Ausländerbehörde dem Antragsgegner mit, dass sich der Antragsteller seit … Mai 2017 in Untersuchungshaft in einer näher bezeichneten Justizvollzugsanstalt (JVA) befinde, da ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei.
Mit Abschlussmitteilung vom … Juli 2017 teilte das BAMF der seinerzeit zuständigen Ausländerbehörde u.a. mit, dass der Bescheid vom 29. Mai 2017 bestandskräftig geworden sei (Bl. 136 BA).
Mit Telefax vom 20. Juni 2017 erhob der Bevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer Vollmacht vom 14. Juni 2016 Klage gegen den Bescheid vom 29. Mai 2017. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, eine wirksame Zustellung des Bescheides sei nicht erfolgt, da der Antragsteller sich im Zeitpunkt der Zustellung bereits in der JVA und nicht mehr in der Gemeinschaftsunterkunft befunden habe. Mit Schriftsatz vom 7. September 2017 wurde ergänzend ausgeführt, § 10 AsylG finde im vorliegenden Fall keine Anwendung, weil in der Vorschrift darauf abgestellt werde, dass der Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens keine Vorkehrungen getroffen habe, um Zustellungen entgegenzunehmen. Dafür habe im vorliegenden Fall jedoch kein Anlass bestanden, insbesondere habe der Antragsteller nicht voraussehen können, dass er inhaftiert würde.
Mit Schriftsatz vom 15. November 2017 beantragte der Bevollmächtigte des ANtragstellers, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, die nunmehr zuständige Ausländerbehörde behandle den Antragsteller so, als wäre der Bescheid des Bundesamts vom … Mai 2017 bestandskräftig geworden. Dies sei jedoch nicht der Fall, insoweit werde auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts … (zehnte Kammer) vom 10. Juli 2017 (M 10 S 17.40312) verwiesen, aus der hervorgehe, dass eine Ersatzzustellung in einer Gemeinschaftsunterkunft fehlerhaft sei. Eilbedürftigkeit sei gegeben, da der Antragsteller von Seiten der staatlichen Behörden keinerlei Unterstützung mehr erhalte.
Die Antragsgegnerin legte die Verwaltungsakte vor, stellte aber keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte des Eilverfahrens und des parallelen Klageverfahrens sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
1. Gegenstand des Eilantrags ist angesichts der Bestandskraftmitteilung des Antragsgegners gegenüber der Ausländerbehörde die Frage, ob die in der Hauptsache erhobene Klage (M 24K 17. 44362) aufschiebende Wirkung entfaltet. Für einen Antrag auf „Anordnung“ der aufschiebenden Wirkung besteht im vorliegenden Fall kein Raum, da die Klage gegen den ablehnenden Asylbescheid bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 75 Abs. 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 1 VwGO). Jedoch kann in diesen Fällen in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO die gerichtliche Feststellung der aufschiebenden Wirkung beantragt werden, wenn diese zwischen den Parteien streitig ist (vgl. hierzu etwa BayVGH, B.v. 13.10.2010 – 14 CS 10.2198 – juris Rn. 18 m.w.N.; VGH BW, B.v. 22.2.2010 – 10 S 2702/09 – juris Rn. 5). Das Gericht legt den Antrag angesichts des erkennbar darauf gerichteten Rechtsschutzinteresses des anwaltlich vertretenen Antragstellers in diesem Sinne sachdienlich aus (§ 88 VwGO).
2. Der auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Antrag ist zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, da das BAMF der Ausländerbehörde mit der Abschlussmitteilung vom 13. Juli 2017 mitgeteilt hat, die Bestandskraft des Bescheides sei eingetreten und dies auch nach Klageerhebung – soweit ersichtlich – nicht revidiert hat, so dass die Ausländerbehörde den Antragsteller nunmehr als bestandskräftig abgelehnten Asylbewerber behandelt.
3. Der Antrag ist auch begründet. Die Klage (M 24 K 17. 44362) hat aufschiebende Wirkung.
Im verwaltungsprozessualen Ausgangspunkt tritt die aufschiebende Wirkung auch dann ein, wenn die Klage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (BVerwG, U.v. 21.6.1961 – VIII C 398.59 – BVerwGE 13, 1). Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage werden davon abweichend jedoch in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten (zum Meinungsstand vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 80 Rn 13). Nach der unterdessen wohl vorherrschenden Evidenzlehre (Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, VwGO § 80 Rn. 79 m.w.N.) kommt grundsätzlich jedem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zu, eine Ausnahme gilt jedoch für den Fall, dass der Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist.
Auch unter Berücksichtigung dieser einschränkenden Auffassung, ist im vorliegenden Fall von der aufschiebenden Wirkung der Klage auszugehen, da sie jedenfalls nicht offensichtlich unzulässig ist. Denn die Beurteilung der Frage, ob die Klage fristgerecht erhoben wurde, hängt davon ab, ob die Zustellung des Bescheids ordnungsgemäß erfolgt ist. Dies ist derzeit streitig und bedarf einer Klärung im Hauptsacheverfahren. Dabei wird insbesondere zu prüfen sein, ob die Zustellung vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Wohnanschrift des Antragstellers um eine Gemeinschaftsunterkunft handelte, gem. § 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten erfolgen konnte, und ob der Antragsteller, der sich im Zeitpunkt der Zustellung in Untersuchungshaft befand, die Zustellung gem. § 10 Abs. 2 AsylG gegen sich gelten lassen musste.
Die aufschiebende Wirkung der Klage war daher festzustellen.
4. Darüber hinaus war entsprechend § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO die Antragsgegnerin zu verpflichten, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass angesichts der anhängigen Klage die Bestandskraft des streitgegenständlichen Bescheides abweichend von der bereits erfolgten Abschlussmitteilung nicht feststeht. Andernfalls wäre nicht sichergestellt, dass die am vorliegenden Verfahren nicht beteiligte, aber für den Vollzug der Abschiebungsandrohung zuständige Ausländerbehörde bis zur Klärung der streitigen Frage im Hauptsacheverfahren Vollzugsmaßnahmen unterlässt. Im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes war daher die Verpflichtung des BAMF zu einer entsprechenden Mitteilung veranlasst.
5. Die Kosten des (gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfreien) Eilverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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