Verwaltungsrecht

Asyl, Hauptsacheerledigung, (Teil-)Abhilfe durch Beklagte, Familienflüchtlingsschutz bei unterschiedlichen Herkunftsländern/unterschiedlicher Staatsangehörigkeit, Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen, Union

Aktenzeichen  W 3 K 22.30102

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6588
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 161 Abs. 2
AsylG § 3
AsylG § 26
RL 2011/95/EU Art. 3
RL 2011/95/EU Art. 23

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger hat das Verfahren – wie sich aus § 88 VwGO ergibt – für erledigt erklärt. Die Beklagte hatte einer zu erwartenden Erledigungserklärung vorab zugestimmt.
Aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Das Verfahren ist daher in rechtsähnlicher Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach § 161 Abs. 2 VwGO hat das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes lediglich über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei die Sach- und Rechtslage unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses (R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 161 Rn. 16).
Billigem Ermessen entspricht es regelmäßig, die Kosten demjenigen Beteiligten aufzuerlegen, der voraussichtlich im Verfahren unterlegen und nach Maßgabe des § 154 VwGO kostenpflichtig geworden wäre. Sind die Erfolgsaussichten völlig offen, so sind die Kosten in der Regel gegeneinander aufzuheben. Wo die Verwaltungsgerichtsordnung wie z. B. in § 155 VwGO eine besondere Kostenregelung getroffen hat, ist diese auch im Rahmen der Entscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zu beachten. Ebenso ist zu berücksichtigen, wenn sich die Beteiligten in einem anderen Verfahren gerichtlich oder im anhängigen Verfahren außergerichtlich geeinigt und dabei auch festgelegt haben, wer die Kosten des sich erledigenden Verfahrens trägt. Ist schließlich die Erledigung von einem Beteiligten herbeigeführt worden und liegen die Gründe hierzu in dessen Bereich, so ist dies im Regelfall zu seinem Nachteil zu werten. Ob sich die Hauptsache tatsächlich erledigt hat, darf das Gericht nicht prüfen; auch für eine weitere Sachverhaltsaufklärung, insbesondere für eine Beweisaufnahme, ist grundsätzlich kein Raum.
Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen.
Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Der Kläger begehrte im vorliegenden Verfahren – wie sich aus § 88 VwGO ergibt -, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 6. Dezember 2019 zu verpflichten, dem Kläger im Wege des Familienflüchtlingsschutzes nach § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Klageschrift war nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand dahin auszulegen, dass der Kläger ungeachtet der Bezeichnung als „Familienasyl“ Familienflüchtlingsschutz begehrte. Die Klage bezog sich ausdrücklich darauf, dass der Vater des Klägers anerkannter Flüchtling sei.
Die Beklagte hat dem Begehren des Klägers mit Bescheid vom 14. Februar 2022 abgeholfen und dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Die Klage hätte nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich auch Erfolg gehabt.
Bei dem Kläger handelt es sich um das minderjährige Kind einer äthiopischen Staatsangehörigen, die ebenfalls einen Asylantrag gestellt hatte (Gesch.-Z. …). Der Vater des Kindes ist eritreischer Staatsangehöriger, dem mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. Juli 2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (Gesch.-Z. …).
Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 18. Dezember 2019 (BVerwG 1 C 2.19) Fragen zum Familienflüchtlingsschutz bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit vorgelegt.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 9. November 2021 (C-91/20) über das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts entschieden. Art. 3 und 23 Abs. 2 der RL 2011/95/EU sind danach dahin auszulegen sind, dass sie einen Mitgliedstaat nicht daran hindern, auf der Grundlage günstigerer nationaler Bestimmungen dem minderjährigen Kind eines Drittstaatsangehörigen, dem in Anwendung der mit dieser Richtlinie geschaffenen Regelung die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, zur Wahrung des Familienverbands die Flüchtlingseigenschaft kraft Ableitung zuzuerkennen. Dies gilt auch in dem Fall, dass dieses Kind im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats geboren worden ist und über seinen anderen Elternteil die Staatsangehörigkeit eines anderen Drittstaats besitzt, in dem es nicht Gefahr laufen würde, verfolgt zu werden. Dabei darf das Kind aber nicht schlechter gestellt werden. Insoweit ist es nicht von Bedeutung, ob es dem Kind und seinen Eltern möglich und zumutbar ist, ihren Aufenthalt in diesem anderen Drittstaat zu nehmen.
Das Bundesverwaltungsgericht nimmt in der Spruchpraxis bereits auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. November 2021 Bezug (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.2021 – 1 C 4.21 – juris Rn. 16 ff.).
Die Klage hätte nach dieser Maßgabe nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand voraussichtlich Erfolg gehabt.
Es entspricht insofern der Billigkeit, die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens (§ 83b AsylG) der Beklagten aufzuerlegen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben