Verwaltungsrecht

Asyl Türkei, Familie mit minderjährigen Kindern, PKK-/YPG-Verdacht gegenüber der Schwester des Mannes, Vorlage eines gefälschten Festnahmebefehls, Atteste

Aktenzeichen  M 1 K 17.40825

Datum:
17.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35315
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklage vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

I. Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden, weil mit der ordnungsgemäßen Ladung ein Hinweis im Sinne des § 102 Abs. 2 VwGO erfolgte.
II. Die zulässige Klage ist in Haupt- und Hilfsanträgen unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (nachfolgend unter 1.), den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen (unter 2.) oder zu ihren Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (unter 3.). Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und dem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot besteht keine Zweifel (unter 4.).
1. Die Voraussetzungen für das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG sind nicht gegeben. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass den Klägern bei ihrer Rückkehr in die Türkei Verfolgung droht.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG sind solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2). Akteure, von denen gemäß § 3c AsylG die Verfolgung ausgehen kann, sind der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen sowie nichtstaatliche Akteure, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten.
Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss nach § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale, etwa politischer oder religiöser Art, aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Rechtssinne begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 19). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 23; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90 – juris Rn. 17).
Ist ein Ausländer bereits verfolgt worden oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht gewesen, stellt dies einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU). Dabei handelt es sich um eine Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung dafür, dass der Betroffene erneut von einer solchen Verfolgung bedroht ist. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch stichhaltige Gründe widerlegt ist, obliegt der tatrichterlichen Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23).
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, sodass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Die Kläger haben keine Gründe glaubhaft gemacht, die dafür sprechen, dass sie in der Türkei wegen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder aufgrund individueller Umstände verfolgt werden.
a) Die Kläger werden nicht wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit verfolgt.
aa) Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass etwaige asylrelevante Übergriffe auf türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweisen, die zu einer Gruppenverfolgung und damit dazu führt, dass jedes Mitglied dieser Gruppe als verfolgt gilt (vgl. VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554.17.A – juris Rn. 51 m.w.N.). Das Gericht schließt sich insoweit der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – juris Rn. 6 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 7.1.2021 – 3 A 927/20.A – juris Rn. 12; OVG Saarl, B.v. 18.11.2020 – 2 A 321/20 – juris Rn. 16).
Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 82 Mio. Einwohner leben etwa 13 Mio. bis 15 Mio. kurdische Volkszugehörige in der Türkei. Die Kurden stellen die größte ethnische Minderheit in der Türkei dar. Sie unterliegen allein aufgrund ihrer Abstammung auch nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes keinen staatlichen Repressionen, zumal aus den Ausweispapieren in der Regel – sofern keine spezifisch kurdischen Vornamen geführt werden – nicht hervorgeht, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 24.8.2020 – im Folgenden: Lagebericht -, S. 12). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza in Wort und Schrift ist keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Das am 2. März 2014 vom türkischen Parlament verabschiedete „Demokratisierungspaket“ hat u.a. Möglichkeiten zur Unterrichtung kurdischer Sprachen und zum Gebrauch kurdischer Ortsnamen geschaffen. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist (vgl. Lagebericht, S. 12). Seit dem Putschversuch in der Türkei sind eine Reihe von kurdischen Print- und Bildmedien geschlossen worden (vgl. Lagebericht, S. 6, S. 13), und der Druck auf kurdische Medien und die Berichterstattung über kurdische Themen aufgrund von Gerichtsverfahren und Verhaftungen von Journalisten hält an. Es sind jedoch immerhin acht Fernsehkanäle zu verzeichnen, die ausschließlich auf Kurdisch senden, sowie 27 Radiosender, die kurdische Programme anbieten oder ausschließlich auf Kurdisch senden. Veranstaltungen mit Bezug zur Kurden-Problematik werden unter dem Vorwand der Sicherheitslage hingegen verboten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 27.1.2021 – im Folgenden: BFA -, S. 85 f.).
Auch im Jahr 2020 berichten Medien immer wieder von Gewaltakten gegen Menschen, die im öffentlichen Raum Kurdisch sprachen oder als Kurden wahrgenommen wurden; nebst spontanen Gewalt von Einzelpersonen kommt es auch zu organisierten gewalttätigen Angriffen türkisch-nationalistischer Milizen gegen kurdische Gruppen (BFA, S. 86 f.). Gleichwohl ist nicht von einer solchen Verfolgungsdichte auszugehen, die die Annahme einer Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei, auch durch staatliches Unterlassen, rechtfertigt. Viele Kurden, die nicht politisch aktiv sind, sind in der türkischen Gesellschaft integriert, identifizieren sich mit der türkischen Nation und leben ihr Leben auf normale Weise (BFA, S. 85).
bb) Zudem steht Kurden in der Westtürkei trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative gem. § 3e Abs. 1 AsylG offen (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – juris Rn. 7; B.v. 3.6.2016 – 9 ZB 12.30404 – juris Rn. 6; SächsOVG, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557.13.A – juris, Rn. 31; VG Augsburg, U.v. 9.12.2020 – Au 4 K 19.31715 – BeckRS 2020, 42300, Rn. 19). Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine höhere Gefährdung verringern, die in der Südosttürkei u.a. auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK basiert und dort zahlreiche zivile Opfer gekostet hat.
Den Klägern ist es nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuzumuten, dass sie sich in der Westtürkei niederlassen. Die Niederlassung in einen sicheren Landesteil ist zumutbar i.S.v. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wenn bei umfassender Würdigung aller Umstände ein die Gewährleistungen des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-Grundrechtecharta wahrendes Existenzminimum gesichert ist und auch keine anderweitige schwerwiegende Verletzung grundlegender Grund- oder Menschenrechte oder eine sonst unerträgliche Härte droht (vgl. OVG NRW, B.v. 25.2.2021 – 19 A 1417/20.A – juris Rn. 19; VGH BW, U.v. 29.11.2019 – A 11 S 2376/19 – juris Ls.; VG Würzburg, U.v. 24.2.2021 – W 8 K 20.30328 – juris Rn. 40). Dabei sind schlechte humanitäre Bedingungen im Zielstaat, die nicht auf eine direkte oder indirekte Handlung oder Unterlassung staatlicher oder nicht staatlicher Akteure zurückzuführen sind, nur in ganz besonderen Ausnahmefällen im Rahmen des Art. 3 EMRK zu berücksichtigen. Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 10). Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17 – juris Rn. 90) kommt es darauf an, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse zu befriedigen, insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und ihre physische und psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.
Den Klägern ist ein Leben in der Westtürkei wirtschaftlich zuzumuten. Der Kläger zu 1 vermochte es bisher, durch Arbeit in der Landwirtschaft sich und die Kläger zu 2 bis 4 zu ernähren. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er nach Rückkehr dazu nicht in der Lage wäre, insbesondere ist er erwerbsfähig und kann jedenfalls ungelernte Arbeiten auszuführen. Ferner leben in der Türkei Verwandte und die Großfamilie der Kläger, auf deren Unterstützung sie gegebenenfalls zurückgreifen könnten. Damit ist das Gericht überzeugt, dass die Kläger auch bei ihrer Rückkehr in die Türkei weiterhin in der Lage sein werden, ihr wirtschaftliches Existenzminimum ohne Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu sichern.
b) Der Kläger zu 1 hat nicht glaubhaft gemacht, dass er wegen individueller Umstände, insbesondere wegen einer ihm nachgesagten Zugehörigkeit oder Unterstützung der PKK, verfolgt wird.
aa) Seit spätestens Sommer 2015 fährt die türkische Regierung unter Staatspräsident Erdogan politisch einen verstärkt nationalen Kurs, dessen Kernelement das bedingungslose Vorgehen im Kurdenkonflikt gegen die PKK und vermeintliche Unterstützer ist (vgl. Lagebericht, S. 6). Eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung besteht insbesondere bei Personen, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie dort als tatsächliche oder potentielle Unterstützer etwa der PKK oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen werden. Anhaltspunkte sind hierfür etwa der Eintrag in ein Fahndungsregister, ein anhängiges Ermittlungs- oder Strafverfahren, oder die in besonders exponierter Weise erfolgte (exil-)politische Betätigung (vgl. VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 51; VG Augsburg, U.v. 19.2.2021 – Au 8 K 20.30558 – juris Rn. 26; OVG Sachsen, U.v. 7.4.2016, – 3 A 557/13.A, juris; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 17.5.2016 – 3 L 177/15 – juris, jeweils m.w.N.; BFA, Länderinformationsblatt Türkei vom 29.11.2019, S. 88.).
Es mag zwar zutreffen, dass die Schwester des Klägers zu 1 als … in Syrien Tätigkeiten ausführte, die der YPG oder der PKK zugerechnet werden, ebenso, dass der Kläger zu 1 seine Schwester für eine Woche besuchte. Gleichwohl ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass hieraus eine asylrelevante Bedrohung des Klägers zu 1 durch die türkischen Sicherheitsbehörden entstanden ist.
bb) Gegen die Verfolgung des Klägers zu 1 spricht zum einen, dass seine Schwester bereits seit Ende der 1990er Jahre mit der PKK kämpft (vgl. Anhörung des Klägers zu 1 beim Bundesamt, S. 3 der Niederschrift), er selbst jedoch nie strafrechtlich belangt wurde. Der Polizei sind nach seinen Angabe die Aktivitäten der Schwester bekannt gewesen, auch hänge im Polizeirevier ein Fahndungsfoto von ihr. Gegen ihn wurde hingegen nach seinen Angaben in der gesamten Dauer kein strafrechtliches Verfahren eröffnet, solange sich er in der Türkei aufhielt.
Der zur Unterstützung des Vortrags vorgelegte Festnahmebefehl (yakalama emri) ist nach Überzeugung des Gerichts gefälscht und vermag eine Verfolgung durch die türkischen Behörden nicht zu belegen. Dies gründet sich auf eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 28. April 2021 im Verfahren M 1 K 17.41801 zu einem vergleichbaren Dokument. Der Vorgang ist den Parteien bekannt; insbesondere ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch in dem genannten Verfahren mandatiert. Beim im vorliegenden Verfahren vorgelegten Dokument bestehen Widersprüche zwischen der erlassenden Behörde (1. Kammer, Amtsgericht), unterzeichnet hat jedoch ein Staatsanwalt. Eine solche Abweichung kann ausgeschlossen werden, weil Haftbefehle grundsätzlich durch einen Richter erlassen werden. In Ausnahmefällen können zwar auch Staatsanwaltschaften oder Polizeibehörden einen Haftbefehl erlassen; in allen Fällen ist aber die ausstellende Behörde identisch mit der unterzeichnenden Behörde. Ferner dürfte der Stempel des Staatsanwalts eine Fälschung sein, weil zusätzlich die Provinz (ili) genannt ist, Staatsanwälte aber nach der Stadt benannt sind, in der sie tätig sind. Ferner fehlt auch die Angabe einer Dienstnummer des Staatsanwalts.
cc) Auch die weiteren vorgetragenen Umstände vermögen keine Furcht vor Verfolgung zu begründen. Tatsächlich sagt der Kläger zu 1 von sich, dass er politisch nicht aktiv sei und nie Mitglied einer Gruppierung gewesen sei. Er selbst ist nach eigenen Angaben viermal verhört worden, man habe ihn außerdem geschlagen. Ferner sei in häufigen Abständen sein Haus durchsucht worden, um seine Schwester aufzufinden. Selbst bei Wahrunterstellung hält das Gericht die geschilderten Umstände schon nicht für maßgeblich angesichts des Tatsache, dass der Kläger zu 1 nach eigenen Angaben jedes Mal nach kurzer Zeit wieder freigelassen wurde. Insbesondere hält das Gericht die Reise nach Syrien zur Schwester des Klägers zu 1 nicht für verfolgungsbegründend. Der Vortrag zu der Reise und dazu, inwieweit ihm daraufhin nachgestellt worden sein soll, ist widersprüchlich und unglaubhaft.
Zum einen sind die Zeitangaben unstimmig. Der Kläger zu 1 berichtet in der mündlichen Verhandlung, er sei 2013 oder 2014 für sieben bis zehn Tage nach Syrien gereist. Legt man die Angabe seiner Schwester bei ihrer Aussage zugrunde, besuchte der Kläger zu 1 sie im Oktober 2014. Fünf bis sechs Monate nach seiner Rückkehr ist er nach eigener Angabe auf der Wache der Gendarmerie festgehalten worden und einen Monat später nach Deutschland ausgereist. Tatsächlich verließ die Familie ihr Heimatland jedoch erst am 13. Juli 2016 (vgl. Niederschrift der Anhörung beim Bundesamt, S. 2), damit nicht sieben Monate, sondern mindestens eineinhalb Jahre nach der Reise. Das bedeutet zugleich, dass der Kläger zu 1 bis auf den Aufenthalt bei der Gendarmerie unbehelligt geblieben ist und ein weitergehendes Interesse der Sicherheitsbehörden wegen der Syrienreise an ihm nicht anzunehmen ist.
Widersprüchlich ist außerdem, dass der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung angab, nach seiner Rückkehr von der Reise sei er auf der Wache der Gendarmerie gewesen, in der Anhörung beim Bundesamt soll es jedoch das Polizeipräsidium gewesen sein. Bei der Gendarmerie und der Polizei handelt es sich um zwei verschiedene Institutionen: Die nationale Polizei ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten zuständig, die Jandarma ist als paramilitärische Gruppe für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (BFA, S. 40). Auch der Umstand, dass der Kläger zu 1 wieder freigekommen ist, spricht dagegen, dass der Kläger zu 1 nennenswert in den Fokus der Sicherheitsbehörden gekommen ist. Das Gericht hält es auch für unglaubhaft, dass die Polizisten sich beim Verdacht auf PKK-Unterstützung für den Betrag von 4.000 türkische Lira bestechen ließen angesichts des bekanntermaßen energischen Vorgehens des türkischen Staats gegen derartige Tatverdächtige. Nach Überzeugung des Gerichts ist nicht einmal eine Meldeauflage gegen den Kläger verhängt worden. Seine Angabe in der Anhörung beim Bundesamt, er habe nach der Reise nach Syrien eine Meldeauflage erhalten, hält das Gericht nicht für glaubhaft. Denn in der mündlichen Verhandlung verneinte er dies; eine schriftliche Aufforderung, sich abzumelden, habe es nicht gegeben. Vielmehr habe er sich nach einem Besuch in … stets freiwillig bei der Polizei abgemeldet. Allein deswegen wäre auch die Besorgnis, wegen des Verstoßes gegen die Meldeauflage durch die Flucht nach Deutschland mit Konsequenzen durch die türkischen Behörden rechnen zu müssen, unbeachtlich.
Der Umstand, dass er erst fünf bis sechs Monate nach seiner Rückkehr auf der Wache festgehalten sein will, wie er selbst in der mündlichen Verhandlung angab, ist unschlüssig und spricht gegen einen Zusammenhang mit der Reise. Dies gilt auch deswegen, weil er nach eigenen Angaben unter ständiger Beobachtung aller Dorfbewohner gestanden habe, die alle Dorfschützer seien und ihn verraten hätten. Dann aber wäre damit zu rechnen gewesen, dass der Kläger zu 1 bald nach seiner Rückkehr festgenommen worden wäre.
Die vorgelegten Fotos des Klägers zu 1 mit seiner Schwester führen zu keinem anderen Ergebnis. Nach der Zeugenaussage der Schwester des Klägers zu 1 handelt es sich bei der Bekleidung schon nicht zwingend um PKK-Kleidung; hiernach kann sie auch traditionelle kurdische Tracht darstellen. Ferner geht das Gericht davon aus, dass die Sicherheitsbehörden den Kläger zu 1 in Kenntnis dieser Bilder haben laufenlassen und sie daher für unmaßgeblich hielten. Dies ergibt sich schon aus dem geschilderten Zeitablauf und daraus, dass der Kläger zu 1 sich nach seiner Syrienreise noch mindestens eineinhalb Jahre in der Türkei aufhielt, ohne dass es zu einem Haftbefehl oder einem Strafverfahren gekommen wäre. Im Übrigen vermag der Kläger zu 1 bis heute keine entsprechenden ungefälschten Dokumente vorgelegen. Soweit die Kläger zu 2 andeuten wollte, dass die Soldaten erst nach ihrer Flucht in den Besitz der Fotos gelangt seien, ist dies unglaubwürdig. Sie gibt hierzu erstmals in der mündlichen Verhandlung an, eine Speicherkarte mit Videos und Fotos von dem Besuch in Syrien sei verloren gegangen; im Ort seien die Fotos dann aufgetaucht. Auf dem Handy ihres Mannes seien keine Fotos gewesen. Hingegen berichtet der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung, die Fotos habe er auf seinem Handy gehabt. Bei Wahrunterstellung der Angabe des Klägers zu 1, der der Eigentümer des Handys ist, liegt es nahe, dass die Polizei bei den zahlreichen Durchsuchungen des Hauses, die angeblich alle zwei bis drei Monate vor Ausreise stattfanden, hierauf gestoßen ist. Jedenfalls aber ist damit zu rechnen, dass das Handy bei seiner angeblichen Festnahme nach Rückkehr kontrolliert worden ist und man die Fotos gefunden hätte.
Zuletzt überzeugt der Vortrag auch deswegen nicht, weil die Kläger nicht glaubhaft darlegen konnten, warum sie sich in der Türkei keines Rechtsbeistands bedient haben. Dies hätte jedoch nahegelegen, weil die Kläger zu 1 und 2 angeben, unpolitisch zu sein und mit der PKK – abgesehen von der verwandtschaftlichen Verbindung zur Schwester – nichts zu tun zu haben und daher keinen ersichtlichen Straftatbestand erfüllen.
c) Die Klägerin zu 2 macht nicht glaubhaft, dass sie aufgrund in ihrer Person liegenden Gründe begründete Furcht vor Verfolgung hat. Als maßgeblicher Fluchtgrund trug die Klägerin zu 2 in der mündlichen Verhandlung vor, dies seien die Probleme ihres Mannes gewesen. In der Anhörung beim Bundesamt äußert auf die Frage, was sie bei Rückkehr befürchte, dass ihr Mann verhaftet werde und sie und die Kinder obdachlos würden. Die weiteren Schilderungen sind nicht verfolgungsbegründend. Die angebliche Teilnahme an Protestaktionen also solche ist eine zu niederschwellige Handlung, die keine begründete Furcht vor Verfolgung darstellt; im übrigen bleibt die diesbezügliche Schilderung substanzlos und ist auch deswegen unglaubhaft, weil die Klägerin zu 2 in der Anhörung beim Bundesamt sagte, sie sei nicht politisch aktiv. Das Gericht ist auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin zu 2 von der Polizei festgenommen und drangsaliert worden ist, wie sie es in der Anhörung beim Bundesamt schilderte. Zum einen wiederholt sie diesen Vorfall in der mündlichen Verhandlung trotz der offenen Frage nach ihren Fluchtgründen nicht. Dies hätte allerdings nahegelegen, wenn er sich so wie geschildert zugetragen hätte. Zum anderen bestehen Widersprüche insoweit, als sie in der Anhörung meinte, sie sei zusammen mit ihrem Mann ungefähr ein Jahr vor der Anhörung im Polizeipräsidium … festgehalten worden; ihr Mann nennt allerdings das … Polizeipräsidium. Ihr Mann erwähnte bei seiner Anhörung im Übrigen auch die Festnahme der Klägerin zu 2 nicht, was ebenfalls gegen ihre Glaubhaftigkeit spricht. Im Übrigen handelte es nach ihren Angaben um eine Vernehmung ohne körperliche Misshandlung, die sich – ebenso wie die geschilderten Hausdurchsuchungen – nach Überzeugung des Gerichts selbst bei Wahrunterstellung als niederschwellig und daher nicht verfolgungsrelevant darstellen.
Für die Kläger zu 3 und 4 wurden darüber hinaus keine eigenen Verfolgungsgründe geltend gemacht.
d) Es besteht für die Kläger im Übrigen eine inländische Fluchtalternative (vgl. oben 1.a.bb). Dies ergibt sich schon aus den Äußerungen der Kläger zu 1 und 2. Der Kläger zu 1 gab in seiner Anhörung auf die Frage nach einer Fluchtalternative innerhalb der Türkei hierzu an, dass man sie in Städten wie Istanbul oder Ankara als Kurden erkannt und schlecht behandelt hätte. Die Türken würden keine Kurden mögen, daher habe er nach Deutschland gewollt. Damit beruft sich der Kläger zu 1 auf eine allgemeine Antipathie, die in der Türkei gegen kurdische Volkszugehörige herrschen soll, jedoch nicht auf eine Verfolgung durch den türkischen Staat. Der Vortrag zeigt, dass der Kläger zu 1 keine Sorge davor hätte, etwa in den Großstädten der Westtürkei von den Behörden verfolgt zu werden. Auch aus den Äußerungen der Klägerin zu 2 lässt sich schließen, dass ein Niederlassen in anderen Landesteilen möglich ist. Der Vortrag beim Bundesamt, in … seien sie jedes Mal, wenn ein türkischer Soldat getötet worden sei, dafür verantwortlich gemacht worden, ist für die Annahme einer Verfolgungsgefahr zu vage und unspezifisch. In der mündlichen Verhandlung gibt sie hierzu an, in … und in … seien sie von anderen Menschen beleidigt worden, stellt in dieser Form schon keine erhebliche Verfolgungshandlung dar. Im Übrigen lässt der Vortrag erkennen, dass sie in den vier Monaten von den türkischen Behörden nicht behelligt worden sind.
2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 1 AsylG), weil sie keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht haben, dass ihr bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes anwendbar erklärt. Auch bei der Zuerkennung subsidiären Schutzes greift die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – juris Rn. 20).
a) Den Kläger droht aus den geschilderten Fluchtgründen kein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Aus den unter oben 1. genannten Gründen hält das Gericht eine derartige Gefahr nicht für gegeben.
b) Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG wurde weder geltend gemacht, noch liegen hierfür Anhaltspunkte vor.
c) Die Abschiebung nach einer Asylantragsstellung in Deutschland führt in der Türkei ebenfalls nicht zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe. Dies wurde schon nicht geltend gemacht. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist im Übrigen in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht, S. 26).
d) Es besteht keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klägerin infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Dies wurde von den Klägern auch nicht geltend gemacht.
Die allgemeine Gefahr, die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgeht, kann sich individuell so verdichten, dass sie eine ernsthafte individuelle Bedrohung darstellt. Voraussetzung hierfür ist eine außergewöhnliche Situation, die durch einen so hohen Gefährdungsgrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer solchen Bedrohung ausgesetzt ist. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit einem solchen Gefahrengrad nicht landesweit, ist bezüglich der Gefahrendichte auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Ausländer typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Ls.).
In der Türkei liegt gegenwärtig kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zwar wird in den aktuellen Erkenntnismitteln ausgeführt, dass trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen das Risiko von Terroranschlägen im ganzen Land besteht und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak Auswirkungen auf die Sicherheitslage in der Türkei haben. Der Konflikt mit der PKK, der im Juli 2015 wieder aufflammte, hat jedoch in seiner Intensität innerhalb des türkischen Staatsgebiets seit Sommer 2016 nachgelassen (vgl. S. 5 f. des Berichts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei des Auswärtigen Amts vom 14. Juni 2019). Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln geht die Türkei zwar auf ihrem Staatsgebiet gegen Terrorismus vor und erfasst dabei auch der Terrorunterstützung etc. verdächtige Personen, insbesondere soweit sie der PKK zugerechnet werden. Dies stellt allerdings nach Art, Intensität und Umfang keinen so hoher Gefährdungsgrad dar, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer solchen Bedrohung ausgesetzt ist.
e) Im Übrigen wären die Kläger ebenfalls auf eine inländische Fluchtalternative zu verweisen (vgl. oben unter 1.a.bb und 1.d), um einem etwaigen Zugriff der lokalen Behörden zu entgehen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Vortrag, man habe in ihrem Heimatort häufig ihre Wohnung durchsucht, und die Kläger zu 1 und 2 seien mehrfach inhaftiert und grob vernommen worden. Dass dies auch bei den mehrmonatigen Aufenthalten der Familie in … und … erfolgte wäre, wird gerade nicht vorgetragen.
3. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
a) Den Klägern steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Insoweit sind die Verhältnisse im Abschiebungszielstaat landesweit in den Blick zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26) und die vorhersehbaren Folgen einer Rückkehr unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lage im Zielstaat als auch der persönlichen Umstände des Ausländers zu prüfen (vgl. EGMR, U.v. 20.7.2010 – 23505/09, N./Schweden – HUDOC Rn. 54; vom 28.6.2011 – 8319.07 und 11449.07, Sufi und Elmi/Großbritannien – HUDOC Rn. 216; v. 29.1.2013 – 60367.10, S.H.K/Großbritannien – HUDOC Rn. 72; v. 6.6.2013 – 2283.12, Mohammed/Österreich – HUDOC Rn. 95; v. 5.9.2013 – 61204.09, 1./Schweden – HUDOC Rn. 56).
Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei „nichtstaatlichen“ Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein „verfolgungsmächtiger Akteur“ (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung. Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 10); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (BVerwG, U.v. 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 – juris Rn.12). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim – Rn. 89 ff. und C-163/17, Jawo – Rn. 90ff.) ist darauf abzustellen, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.
Es liegen keine ernsthaften und stichhaltigen Gründe dafür vor, dass die Kläger Gefahr laufen, in der Türkei einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Die allgemeine Versorgungslage in der Türkei stellt weder für sich genommen noch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Kläger eine derartige Behandlung dar. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Kläger ihr Existenzminimum in der Türkei werden sichern können (vgl. hierzu die Ausführungen unter 1.a.bb), gegebenenfalls mit Unterstützung der zahlreichen in der Türkei lebenden Verwandten.
b) Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen bei keinem der Kläger vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Grundsätzlich stellt eine schlechtere wirtschaftliche Situation in der Türkei keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Die Bevölkerung ist dem allgemein ausgesetzt, ein genereller Abschiebestopp nach § 60 Abs. 7 Satz 5 i.V.m. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wurde nicht erlassen. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die Versorgungslage, kann ein Ausländer nur dann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen, also mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod, ausgeliefert wäre (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris Rn. 16).
Eine solche Lage werden die Kläger bei Rückkehr in die Türkei nicht vorfinden, weil von einer Sicherung ihres Existenzminimums ausgegangen werden kann (s. unter a).
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist, § 60 Abs. 7 S. 4 AufenthG. Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ist daher gegeben, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde. Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris).
Gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG, welche gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entsprechend gelten, muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Die bei den Klägern zu 2 bis 4 festgestellten Erkrankungen erfüllen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nicht.
Der bei der Klägerin zu 2 festgestellte Eisenmangel, die Kopfschmerzen bzw. Migräne, die Bandscheibenprobleme und Tonsilitis stellen schon keine lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen dar, ebensowenig die Verletzungen nach dem Skateboardsturz des Klägers zu 3 oder die obstruktive Bronchitis bzw. das Asthma bronchiale der Kläger zu 3 und 4. Die bei der Klägerin zu 2 festgestellte schwere depressive Episode ist nicht mit einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung glaubhaft gemacht; die Bescheinigungen vom 20. Oktober 2018 des …-Klinikums genügen den o.g. Anforderungen ebensowenig wie die undatierte Bescheinigung von Frau Dr. C* … Die erstgenannte Bescheinigung beschreibt den Zustand der Klägerin zu 2 bei Entlassung im Übrigen als ausreichend stabil, klar von Suizidalität distanziert, keine Fremdgefährdung, krankheitseinsichtig und behandlungsbereit. Die beim Kläger zu 3 festgestellte Diabetes insipidus, ein angeborenes Wasserverlustsyndrom, ist selbst bei Annahme, dass es sich um eine schwerwiegende Krankheit handelt, kein Grund für ein Abschiebungsverbot, weil schon nicht ersichtlich ist, warum sich die Erkrankung durch die Abschiebung verschlechtern sollte.
Die Kläger zu 2 bis 4 sind im Übrigen auf die medizinische Versorgung in der Türkei zu verweisen. Es ist davon auszugehen, dass sie in der Türkei hinreichende ärztliche, auch psychiatrische Behandlung in der Türkei erlangen können und auch die medikamentöse Versorgung gesichert ist. In der Türkei sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet (vgl. Lagebericht, S. 25). Mit der Gesundheitsreform 2003 wurde eine universelle Gesundheitsversicherung eingeführt. Zum 1. Januar 2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt. Der grundsätzlichen Krankenversicherungspflicht unterliegen alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei (vgl. Lagebericht, S. 26). Die staatliche türkische Sozialversicherung gewährt den Versicherten eine medizinische Grundversorgung, die eine kostenlose Behandlung in den staatlichen Krankenhäusern miteinschließt. Die Gesundheitsreform gilt als Erfolg, denn 90% der Bevölkerung sind mittlerweile versichert. Der Staat übernimmt die Beitragszahlungen bei Nachweis eines sehr geringen Einkommens. Überdies sind u.a. Personen unter 18 Jahren, Personen, die medizinisch eine andere Person als Hilfestellung benötigen, von jeder Vorbedingung für die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten befreit. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Seit 2017 wird das Gesundheitsversorgungswesen der Türkei neu organisiert, indem sogenannte Stadtkrankenhäuser überwiegend in größeren Metropolen des Landes errichtet werden. Es handelt sich dabei zum Teil um riesige Komplexe, die über eine Belegkapazität von tausenden von Betten verfügen sollen und zum Teil auch schon verfügen. Im Rahmen der Reorganisation sollen insgesamt 31 Stadtkrankenhäuser mit mindestens 43.500 Betten entstehen. Der private Krankenhaussektor spielt schon jetzt eine wichtige Rolle. Landesweit gibt es 562 private Krankenhäuser mit einer Kapazität von 52.000 Betten. Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und postoperationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften sanitären Zustände und Hygienestandards in den staatlichen Spitälern, vor allem in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten. Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert – vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite – vor allem in ländlichen Provinzen – bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet, insbesondere auch bei chronischen Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz, Diabetes, AIDS, psychiatrischen Erkrankungen und Drogenabhängigkeit. Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Innerhalb der staatlichen Krankenhäuser gibt es 28 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige für Erwachsene (AMATEM) mit insgesamt 732 Betten in 33 Provinzen. Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite. Allerdings versorgt das Gesundheitsministerium alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphium. Zudem können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. Es gibt zwei staatliche Onkologiekrankenhäuser (Ankara, Bursa) unter der Verwaltung des türkischen Gesundheitsministeriums. Nach jüngsten offiziellen Angaben gibt es darüber hinaus 33 Onkologiestationen in staatlichen Krankenhäusern mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren (vgl. zum Vorstehenden: BfA, S. 112 f.).
Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Güvenlik Kurumu – SGK) anmelden. Rückkehrer aus dem Ausland werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Sobald Begünstigte bei der SGK registriert sind, gelten Kinder und Ehepartner automatisch als versichert und profitieren von einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Rückkehrer können sich bei der ihrem Wohnort nächstgelegenen SGK-Behörde registrieren (vgl. BfA, S. 113).
Die ärztliche Versorgung der Kläger zu 2 bis 4 wäre bei Rückkehr daher ohnehin hinreichend gesichert.
Es bleibt somit bei der gesetzlichen Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.
4. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthaltG bestehen keine Zweifel. Ebenso wenig zu beanstanden sind das Einreise- und Aufenthaltsverbot und dessen Befristung in Nummer 6 des angefochtenen Bescheids. Die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1, § 75 Nr. 12 AufenthG ist ermessensgerecht erfolgt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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