Verwaltungsrecht

Asylantrag, Indien, asylrelevante Verfolgung, innerstaatliche Fluchtalternative, Lebensverhältnisse, konkrete Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands, Diabetes mellitus

Aktenzeichen  AN 14 K 19.30270

Datum:
21.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4444
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2022 trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten entschieden werden, § 102 Abs. 2 VwGO. Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden und in der Ladung wurde auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei Ausbleiben eines Beteiligten hingewiesen.
Die Klage ist zulässig (hierzu 1.), jedoch unbegründet (hierzu 2.) und daher abzuweisen.
1. Die Klage ist im Hauptantrag als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft.
Es liegt keiner der in § 29 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 AsylG genannten Unzulässigkeitsgründe vor, vielmehr bestehen für den Kläger, wie es sich auch aus dem streitgegenständlichen Bescheid ergibt, auf dessen Begründung insofern nach § 77 Abs. 2 AsylG verwiesen wird, Wiederaufnahmegründe nach seinem erstmals am 9. August 1991 gestellten und am 24. März 1994 unanfechtbar abgelehnten Asylantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG.
Daher ist vorliegend auch keine Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG streitgegenständlich, hinsichtlich welcher die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alts. 1 VwGO die statthafte Klageart wäre (vgl. BVerwG – U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 16). Da der Asylantrag des Klägers durch das Bundesamt vorliegend in der Sache abgelehnt worden ist, ist die hiergegen gerichtete Verpflichtungsklage statthaft (vgl. VG Freiburg, U.v. 5.10.2017 – A 6 K 4389/16 – juris Rn. 14).
Im Übrigen ist die Klage in zulässiger Weise, insbesondere fristgerecht, erhoben worden.
2. Jedoch ist die Klage sowohl im Hauptantrag als auch in den Hilfsanträgen unbegründet.
Der Kläger hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, vielmehr ist der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a. Der Kläger ist weder ein politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16a GG, noch ein Flüchtling gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, so dass kein Anspruch auf Asylanerkennung oder auf die hilfsweise geltend gemachte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AsylG besteht.
aa. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Im Einzelnen definiert sind die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG, sowie die Akteure, von denen eine solche Verfolgung ausgehen kann oder die vor selbiger Schutz bieten können in §§ 3c, 3d AsylG. Dabei gelten als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen ist. Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3 b AsylG) und den Verfolgungshandlungen muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer bei einer unterstellten Rückkehr die Gefahr einer Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland bestehenden Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, droht (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 37.18 – juris Rn. 13 ff.; SächsOVG, U.v. 21.4.2021 – 3 A 328/18.A – juris Rn. 30). Dafür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Überprüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 37.18 – juris Rn. 13). Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 der RL 2011/95/EU neben den Angaben des Antragstellers und seiner individuellen Lage auch alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen (BVerwG, a.a.O.). Entscheidend ist, ob in Anbetracht der Gesamtumstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen die Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32).
Es genügt dabei hinsichtlich der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotenen richterlichen Überzeugungsgewissheit die Glaubhaftmachung der Verfolgung durch den Schutzsuchenden. Der Kläger muss als Schutzsuchender jedoch von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, detaillierten und widerspruchsfreien Sachverhalt schildern, der seine Verfolgungsfurcht für den Fall der Rückkehr in sein Heimatland begründet. Ein glaubhaftes Vorbringen liegt daher in der Regel nicht vor, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund von Kenntnissen entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – juris Rn. 15; VG Ansbach, U.v. 18.11.2021 – AN 16 K 16.32508 – BeckRS 2021, 37862, Rn. 26).
bb. Unter Anwendung der soeben dargestellten Vorgaben drohen dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Indien keine Verfolgungshandlungen im Sinne des §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG wegen seiner politischen Überzeugung als Anhänger der „Khalistan-Bewegung“ durch die indischen Polizeioder Sicherheitsbehörden als Verfolgungsakteur.
Die „Khalistan-Bewegung“ verfolgt die Autonomie eines unabhängigen Sikh-Staats (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Indien, Stand: 31.5.2021, S. 52). Die sezessionistische Terrorbewegung für ein unabhängiges „Khalistan“ wurde 1993 zerschlagen, zudem gibt es weitere in Indien verbotene militante Sikh-Organisationen (vgl. BFA, a.a.O.). Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppen müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen, es erfolgen Verhaftungen, sobald jemand offen eine verbotene Organisation unterstützt (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Indien, Stand: 31.5.2021, S. 52). Auch werden Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 13).
Der Vortrag des Klägers ist nicht dazu geeignet, eine asylrechtlich relevante Verfolgung in Indien glaubhaft zu machen. Zunächst ist der klägerische Vortrag hinsichtlich des Schicksals des Klägers nach seinem erstmaligen Verlassen der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1994 widersprüchlich. Der Kläger hat in der Anhörung beim Bundesamt von seinem Aufenthalt in Italien seit dem Jahr 1995 berichtet. In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger dagegen erstmals vor, nach dem Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nach Indien zurückgekehrt und dort verhaftet worden zu sein, sowie nach seiner Freilassung noch bis ins Jahr 2010 in … gelebt zu haben. Der Kläger hat den Sachverhalt folglich nicht stimmig geschildert, so dass deshalb bereits Zweifel an der erst in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Verhaftung des Klägers bei seiner Rückkehr nach Indien bestehen.
Zudem fehlt es dem klägerischen Vortrag hinsichtlich der behaupteten Verfolgung an Detailtiefe. Der Kläger hat sowohl in der Anhörung beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung pauschal darauf verwiesen, sich für ein freies „Khalistan“ einzusetzen und den Kampf hierfür fortsetzen zu wollen. Konkrete Unterstützungshandlungen der „Khalistan-Bewegung“ seinerseits, sei es in Indien, während seines Aufenthalts in Italien oder in der Bundesrepublik Deutschland, benannte der Kläger dabei nicht. In Bezug auf die Demonstrationen, an welchen der Kläger während seines mehrjährigen Aufenthalts in … als Unterstützung der „KhalistanBewegung“ teilgenommen haben will und weswegen ihm eine Verhaftung durch die indische Polizei gedroht habe, konnte er sich weder an deren genauen Zeitpunkt, noch an deren Thematik erinnern. Vielmehr gab der lediglich an, die Polizei habe Unterstützer der „Khalistan-Bewegung“, die als solche aufgrund einer Teilnahme an den Demonstrationen erkennbar seien, festgenommen. Eine eigene Verhaftung aufgrund einer Teilnahme an einer solchen Demonstration in … hat der Kläger nicht geschildert, auch zu der behaupteten Inhaftierung nach seiner Rückkehr nach Indien machte der Kläger keine näheren Angaben.
Der Kläger hat insofern nicht glaubhaft darstellen können, in Indien als Anhänger der „Khalistan-Bewegung“ ein aktives Mitglied einer verbotenen militanten Sikh-Organisation zu sein und als solches durch seine offene Unterstützung möglicherweise eine Verfolgung durch die Polizeioder Sicherheitsbehörden bei einer Rückkehr nach Indien befürchten zu müssen.
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger ohne ein aktives Mitglied einer militanten Sikh-Bewegung zu sein allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft der Sikh mit einer verbotenen Gruppierung in Verbindung gebracht werden würde und ihm dementsprechend in Indien eine Verhaftung droht, ergeben sich ebenfalls nicht. Zwar wird angenommen, dass Sikhs in Indien im Allgemeinen einem geringen Maß an offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Stand: 31.5.2021, S. 52). Auch sind die Bauernproteste gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors von den Sikhs im Punjab mitgetragen worden, gegen protestierende Angehörige der Sikhs wurden Ermittlungen wegen ihrer angeblichen Verbindung zu separatistischen Gruppen eingeleitet (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 31.5.2021, S. 52, 53). Es gibt jedoch derzeit keinerlei Hinweise darauf, dass Sikhs in Indien nur auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 21, 52). Vielmehr stellen Sikhs im Punjab, der Heimat des Klägers, rund 60 Prozent der Bevölkerung dar und nehmen dort Positionen als Beamte, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte ein, auch in hochrangigen Positionen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 21, 22).
cc. Überdies würde für den Kläger, selbst wenn er die „Khalistan-Bewegung“ unterstützen sollte, bei einer Rückkehr nach Indien stets eine inländische Fluchtalternative gemäß § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung stehen (vgl. SächsOVG, U.v. 21.4.2021 – 3 A 328/18.A – juris Rn. 46 ff.; U.v. 28.5.2020 – 3 A 665/19.A – juris Rn. 31; VG Freiburg, U.v. 30.8.2018 – A 9 K 45/17 – BeckRS 2018, 45015, Rn. 36 m.w.N.; VG München, GB v. 8.5.2017 – M 17 K 17.35421 – BeckRS 2017, 115962, Rn. 16).
In Indien existieren weder ein zentrales Meldewesen, noch ein Personenstands- oder auch Strafregister, ein Großteil der Bevölkerung besitzt keinen Ausweis (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 21; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 65, 66). Hierdurch wird die Niederlassung in einem anderen Teil des Landes im Falle von Verfolgung begünstigt. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 65, 66). Zwar ist in den großen Städten die Polizei personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit der Entdeckung einer gesuchten Person dort größer ist; dies gilt aber hauptsächlich für bekannte Persönlichkeiten (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 66). Weniger bekannte Personen können dagegen durch einen Umzug in einen anderen Landesteil einer Verfolgung entgehen (vgl. BFA, a.a.O.). Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahr 2009, durch welche sich alle Einwohner Indiens registrieren lassen können, hat hieran nichts geändert, da diese Registrierung auf freiwilliger Basis erfolgt (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 65, 66).
Es steht nicht zu befürchten, dass der Kläger Jahre nach seiner ersten Rückkehr nach Indien und der vermeintlichen Teilnahme an Demonstrationen der „Khalistan-Bewegung“ noch als deren Unterstützer erkannt oder gar landesweit gesucht wird, zumal der Kläger nicht hat darlegen können, inwiefern er nachweislich offen für die „Khalistan-Bewegung“ aktiv geworden ist. Jedenfalls war es dem Kläger möglich, sich für einen Zeitraum von zehn bis zwölf Jahren unbehelligt in … aufzuhalten und zu versorgen. Entsprechendes wird dem Kläger auch bei einer Rückkehr nach Indien gelingen können.
Dass der Kläger allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft der Sikh in Indien von einer Verhaftung bedroht wäre, lässt sich weder dem Vortrag des Klägers, noch den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln entnehmen. Mithin besteht für den Kläger die Möglichkeit, sich innerhalb Indiens, auch außerhalb des Punjabs, niederzulassen und, notfalls durch einen Umzug in einen anderen Landesteil, einer Verhaftung, sofern ihm eine solche bei einer Rückkehr nach Indien überhaupt drohen sollte, zu entgehen.
b. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise geltend gemachte Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG, die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG werden durch den Kläger nicht erfüllt.
Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e AsylG bezüglich der drohenden Gefahr eines ernsthaften Schadens oder dem Schutz vor einem ernsthaften Schaden entsprechend. Die in § 4 Abs. 1 AsylG beschriebenen Gefahren müssen konkret bestehen und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen (vgl. SächsOVG, U.v. 21.4.2021 – 3 A 328/18.A – juris Rn. 53 m.w.N.).
Dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Indien ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 AsylG drohen würde ist nicht ersichtlich geworden. Insbesondere fehlt es an einem ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen schlechter humanitärer Bedingungen in der Herkunftsregion des Klägers, denn es gibt keinen Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG, von dem zielgerichtet eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgehen würde. Schlechte humanitäre Bedingungen, die nicht auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen von Akteuren im Sinne des § 3c Asyl zurückzuführen sind, können nicht zu der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, sondern allenfalls zu einem Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK führen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris; VG München, GB v. 24.11.2021 – M 4 K 19.34309 – BeckRS 2021, 37343, Rn. 50 m.w.N.).
Zudem müsste sich der Kläger auch bezüglich der Zuerkennung subsidiären Schutzes auf die für ihn bestehende Möglichkeit der Niederlassung in einem anderen Landesteil Indiens nach § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e AsylG verweisen lassen.
Überdies wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen.
c. Einen Anspruch auf die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots in Bezug auf Indien nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat der Kläger ebenfalls nicht.
aa. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass seine Abschiebung bei Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685 – EMRK) unzulässig sein könnte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Abschiebung nach Indien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen in dem Zielstaat möglich (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; U.v. 16.3.2013 – 10 C 13.12 – juris; VG Ansbach, U.v. 18.11.2021 – AN 16 K 17.35985 – BeckRS 2021, 37862, Rn. 43). Da eine Verletzung des Art. 3 EMRK nur in außergewöhnlich schweren Fällen angenommen werden kann, ist diesbezüglich ein hoher Grad der Gefährdung des Klägers zu fordern (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris Rn. 19; VG Ansbach, U.v. 18.11.2021 – AN 16 K 17.35985 – BeckRS 2021, 37862, Rn. 43). Es kommt dabei darauf an, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse zu befriedigen und ihre psychische und physische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris unter Verweis auf EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris; VG München, GB v. 24.11.2021 – M 4 K 19.34309 – BeckRS 2021, 37343, Rn. 68).
Die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen in Indien begründet kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (vgl. auch VG Stuttgart, U.v. 12.10.2021 – A 2 K 4036/20 – BeckRS 2021, 32866, Rn. 35 ff.). Die Einzelrichterin geht davon aus, dass die humanitären Verhältnisse in Indien und die dortigen Existenzbedingungen sich auch für den 68 Jahre alten Kläger derart gestalten, dass dieser dort seine elementarsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in hohem Maße Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
Die Anzahl derjenigen Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Millionen Menschen auf 76 Millionen Menschen reduziert werden, wobei jedoch geschätzt wird, dass die durch die Covid-19 Pandemie ausgelöste Krise viele Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 69). Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch der schwächsten Teile der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 18). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer oder ein anderes soziales Netz, vielmehr sind Rückkehrer in der Regel auf die Unterstützung ihrer Familie oder Freunde angewiesen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 18; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 74). Vorübergehende Notlagen können aber durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere in Sikh-Tempeln, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 18, 19). Zudem besteht für rund zwei Drittel der indischen Bevölkerung ein Anspruch auf Nahrungsmittel (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 17).
Die indische Regierung bietet eine Vielzahl von Sozialhilfen an (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 70). Diese richten sich meist an benachteiligte Personenkreise, wie etwa Personen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Die verschiedenen Programme werden durch die lokalen Verwaltungen (Panchayat) umgesetzt (vgl. IOM (Internationale Organisation für Migration) Deutschland, Indien, Länderinformationsblatt 2020). Die Zulassungsvoraussetzungen hängen von dem jeweiligen System der Sozialhilfe ab. In Indien besteht darüber hinaus ein Rentensystem, die Einzahlung in die Rentenkasse ist verpflichtend und mit der Arbeitsstelle verknüpft; daneben existiert ein staatliches Sozialversicherungsprogramm (vgl. IOM Deutschland, Indien, Länderinformationsblatt 2020). Dieses staatliche Versicherungsprogramm erfasst jedoch nur schutzbedürftige Personen. Zu den schutzbedürftigen Personen in diesem Sinne zählen in Indien Personen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen und Personen, die unter der Armutsgrenze leben müssen (vgl. IOM Deutschland, Indien, Länderinformationsblatt 2020). Anhand der Art der Gefährdung der Person ist festgelegt, welche Personen welche Leistungen von den verschiedenen staatlichen Programmen erhalten können.
Das Gericht verkennt nicht, dass die geschilderte humanitäre Lage und allgemeinen Lebensverhältnisse in Indien, insbesondere in Bezug auf das Sozialsystem, nicht denjenigen der Bunderepublik Deutschland entsprechen. Auch ist eine Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund seines Alters und seiner vorgebrachten gesundheitlichen Beschwerden im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. AsylG) zweifelhaft. Zudem hat der Kläger berichtet, keine Verwandten oder Bekannten mehr in Indien zu haben.
Die zu erwartende humanitäre Lage und allgemeinen Lebensbedingungen in Indien lassen jedoch nicht darauf schließen, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und unabhängig von seinem Willen einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein wird. Der Kläger kann in zumutbarer Weise auf die soeben dargestellten staatlichen und nichtstaatlichen Unterstützungsmöglichkeiten zurückgreifen, insbesondere auf die durch die indische Regierung angebotenen Sozialprogramme sowie auf die in den Sikh-Tempeln zur Verfügung gestellte Verpflegung und Unterkunft. Dadurch ist es dem Kläger selbst ohne die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit möglich, aus eigener Kraft den Eintritt eines Zustandes der Verelendung abwenden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Lage geraten wird, die mit Art. 3 EMRK unvereinbar ist.
Insofern wird nach § 77 Abs. 2 AsylG auch auf die Ausführungen des Bescheids des Bundesamtes verwiesen.
bb. Weiterhin können die vorgebrachten gesundheitlichen Beschwerden des Klägers kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen des Zielstaates begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solche ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (vgl. etwa BVerwG, U,v, 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris). Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Hierbei ist nach § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung mit der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Es ist dabei ausreichend, wenn die medizinische Versorgung nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist.
Eine erhebliche konkrete Gefahr im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ist gegeben, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde, mithin sind alle zielstaatsbezogenen Umstände zu berücksichtigen (vgl. VG Ansbach, U.v. 18.11.2021 – AN 16 K 17.35985 – BeckRS 2021, 37862, Rn. 49).
Eine solche Gefahr ist dabei erheblich, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Dies ist dann der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 15 ZB 18.30581 – juris Rn. 13; U.v. 23.9.2019 – 8 B 19.32560 – juris Rn. 16).
Des Weiteren muss die Gefahr konkret sein. Dies setzt voraus, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichende Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 8; VG Ansbach, U.v. 18.11.2021 – AN 16 K 17.35985 – BeckRS 2021, 37862, Rn. 50). Eine derartige Gefahr kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann.
Unter Anwendung dieser Maßgaben ist nicht ersichtlich, dass die erhebliche und konkrete Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers im Falle seiner Rückkehr nach Indien besteht und daher gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von einer Abschiebung abzusehen wäre.
Eine gesundheitliche Grundversorgung wird in Indien vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt, welche jedoch nicht an die europäischen Standards heranreicht (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 72; IOM Deutschland, Indien, Länderinformationsblatt 2020; BAMF, Länderinformation – Indien, Gesundheitssystem und COVID-19- Pandemie, Stand: November 2020, S. 2). In allen größeren Städten gibt es medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können (BAMF, Länderinformation – Indien, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, Stand: November 2020, S. 2). Im Punjab und in Neu-Delhi ist die Gesundheitsversorgung vergleichsweise gut, darüber hinaus gibt es viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 72). Der Andrang auf die Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors ist sehr groß, mangelnde Ausstattung und Kapazitäten der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen haben zu einem Wachstum der privaten Gesundheitsvorsorge geführt (BAMF, Länderinformation – Indien, Gesundheitssystem und COVID-19-Pandemie, Stand: November 2020, S. 3). Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien erhältlich und wesentlich preisgünstiger in Europa (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 72; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Indien, Stand: Juni 2021, S. 19). Im September 2019 wurde mit der Einführung des indienweiten Pradhan Mantri Jan Arogya Abhiyaan („Modicare“) begonnen, einer Krankenversicherung, die insgesamt 500 Millionen Staatsbürger umfassen soll, welche sich ansonsten keine Krankenversicherung leisten können und durch welche die wichtigsten Risiken und Kosten abgedeckt werden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Indien, Stand: 31.05.2021, S. 73). Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (vgl. BFA, a.a.O.).
Aufgrund der durch den Kläger vorgelegten Arztberichte vom 11. August 2021, 10. November 2021 und 8. Dezember 2021, des Entlassungsberichts vom 27. August 2021 und dem Medikationsplan vom 27. November 2018, sowie dem Vortrag des Klägers in der Anhörung durch das Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2022 ist festzustellen, dass der Kläger an einer Reihe von Gesundheitsbeeinträchtigungen, wie insbesondere unter Diabetes mellitus Typ 2 und einem damit verbundenen diabetischen Makulaödem sowie Rückenbeschwerden und Schwierigkeiten beim Gehen, leidet. Die Einzelrichterin hat jedoch nicht die Überzeugung gewinnen können, dass bei dem Kläger ein so schwerwiegendes Krankheitsbild vorliegt, dass bei Rückführung des Klägers nach Indien mit einer wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands zu rechnen ist.
Dies folgt zunächst daraus, dass sich hinsichtlich der Erkrankungen PAVK (Periphere arterielle Verschlusskrankheit) und den Rückenbeschwerden des Klägers nach dem klägerischen Vortrag und den vorgelegten Dokumenten nicht ergibt, welcher Schweregrad bezüglich dieser Erkrankungen vorliegt, sowie welcher weiteren Behandlung und welcher Medikation es konkret bedarf, so dass diesbezüglich keine erhebliche konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers aufgrund einer Rückführung nach Indien besteht.
Der Entlassungsbericht vom 27. August 2021 erschöpft sich in der Darstellung der Therapie des Klägers während seines stationären Aufenthalts aufgrund seiner Rückenbeschwerden (Multietagere Facettengelenkathrose cervical, Osteochondrose, Spinalkanalstenose sowie multietagere Osteochondrose und Spondylarthrose lumbal), sowie in der Nennung von Nebendiagnosen. Eine weitere erforderliche Behandlung dieser Rückenbeschwerden des Klägers nach der Entlassung aus dem stationären Aufenthalt ist hierin jedoch nicht genannt.
Auch hinsichtlich der Peripheren arteriellen Verschlusskrankheit hat der Kläger zwar vorgetragen, und dies wird auch durch die Nebendiagnose des oben genannten Entlassungsberichts bestätigt, dass ihm in diesem Zusammenhang im Jahr 2018 zwei Zehen des linken Fußes abgenommen und ihm mehrfach Stentings in den Beinen eingesetzt worden sind, sowie dass der Kläger erhebliche Schwierigkeiten beim Gehen hat. In diesem Zusammenhang wurde dem Kläger der ab dem 17. April 2018 gültige Schwerbehindertenausweis ausgestellt. Inwiefern aber eine weitere Behandlung des Klägers aufgrund dieser Erkrankung oder eine Versorgung mit bestimmter Medikation erforderlich ist und inwieweit sich diese Krankheit und die damit verbundenen Beschwerden gerade aufgrund einer Rückkehr nach Indien erheblich verschlechtern könnten ist nicht dargetan worden.
Bezüglich der Erkrankung des Klägers an Diabetes mellitus Typ 2 und dem dadurch bedingten diabetischen Makulaödem (Retinopathia diabetica) an seinem rechten Auge kann letztendlich ebenfalls dahinstehen, ob ein weiterer Behandlungsbedarf des Klägers allein durch die Vorlage der Arztberichte ausreichend dargelegt worden ist. Der Kläger hat insofern vorgetragen, auf die Gabe von Insulin bei Bedarf angewiesen zu sein und sich regelmäßig, nach eigenen Angaben monatlich, einem ambulanten Eingriff durch eine intravitreale Medikamenteneingabe zu unterziehen. Unabhängig davon, ob es sich bei Diabetes mellitus Typ 2 und dem diabetischen Makulaödem als dessen Folgeerkrankung um eine schwerwiegende Krankheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG handelt kann nicht davon ausgegangen werden, dass die erhebliche Gefahr besteht, dass sich diese Erkrankungen bei einer Rückkehr des Klägers nach Indien erheblich verschlechtern würden.
Die Einzelrichterin geht davon aus, dass die weitere Behandlung einer Diabeteserkrankung des Klägers und deren Folgeerscheinungen in Indien möglich und für den Kläger zugänglich ist.
Dies ergibt sich aus den dem Gericht hinsichtlich der medizinischen Versorgung in Indien vorliegenden Erkenntnismitteln.
Es handelt sich bei der Erkrankung Diabetes mellitus Typ 2 nicht um eine in Indien außergewöhnliche Krankheit. Vielmehr ist Diabetes mellitus (insbesondere Typ 2) dort weit verbreitet. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2015 in Indien rund 67 Millionen Menschen an Diabetes mellitus erkrankt waren, wodurch Indien das Land mit den weltweit meisten Diabeteserkrankungen ist (vgl. MedCOI, Country Policy and Information Note, India: medical and healthcare provision, Stand: Oktober 2020, S. 18 f.). Dementsprechend werden verschiedene Test- und Behandlungsmöglichkeiten, auch in öffentlichen Krankenhäusern, angeboten, zudem sind verschiedene Typen von Insulin, Selbsttests und weitere Medikamente für Diabetiker verfügbar (vgl. MedCOI, Country Policy and Information Note, India: medical and healthcare provision, Stand: Oktober 2020, S. 8, 18 f.). Darüber hinaus können auch durch Diabetes mellitus hervorgerufene Augenerkrankungen (Retinopathia diabetica) in Indien behandelt werden (vgl. MedCOI, Country Policy and Information Note, India: medical and healthcare provision, Stand: Oktober 2020, S. 19 f.). Der Kläger hat bei einer Rückkehr nach Indien Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Grundversorgung, die gerade im Punjab, der Heimat des Klägers, als vergleichsweise gut beschrieben wird. Folglich ist eine Diabeteserkrankung des Klägers in Indien gut behandelbar. Aufgrund dieser in Indien bestehenden Behandlungsmöglichkeiten und verfügbaren Medikamente ist nicht anzunehmen, dass die erhebliche Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers bei einer Rückführung besteht.
Auch der vorgelegte Medikationsplan vom 27. November 2018 bietet insofern keine weiteren Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen, da nicht ersichtlich geworden ist, inwiefern der Kläger auf diese jeweilige Medikation im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. AsylG) weiterhin angewiesen ist und inwiefern die Gefahr besteht, dass eine Versorgung mit der Medikation in Indien nicht möglich wäre.
Schließlich ist hinsichtlich der in dem Entlassungsbericht vom 27. August 2021 genannten Nebendiagnosen arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Polyneuropathie bereits nicht erkennbar, auf welchen Befund sich diese Diagnose jeweils stützt und ob deswegen weiterer Behandlungsbedarf für den Kläger besteht.
cc. Schließlich kann die derzeit auch in Indien herrschende Covid-19 Pandemie kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot begründen. Nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen Gefahrenlage zu werden, kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt werden (vgl. VG Würzburg, U.v. 13.11.2020 – W 10 K 19.31019 – juris Rn. 58). In Indien gelten aufgrund der Covid-19 Pandemie weiterhin Abstands- und Hygieneregeln zur Verhinderung einer Infektion (https://www.auswaertigesamt.de/de/aussenpolitik/laender/indiennode/indiensicherheit/205998, zuletzt abgerufen am 21.1.2022). Auch wenn der Kläger als älterer Mensch und Diabetiker Zugehöriger von Personengruppen mit einem höheren Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit Covid-19 ist (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html, zuletzt abgerufen am 21.1.2022), so kann der Kläger doch durch Einhaltung der in Indien geltenden Hygienemaßnahmen einer Infektion und einem möglicherweise schweren Krankheitsverlauf vorbeugen. Die begründete Furcht, dass der Kläger in Indien in erheblicher Weise Opfer einer extremen Gefahrenlage wird, besteht vorliegend nicht.
d. Nach alldem sind auch die durch das Bundesamt in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie die gemäß § 38 Abs. 1 AsylG gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen nicht zu beanstanden.
e. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 6 des Bescheids vom 31. Mai 2017 begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
Das Bundesamt entscheidet gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG im Falle einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes. Über die Länge der Frist wird im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entscheiden. Hierbei hat das Bundesamt bei der Bemessung der Frist, welche nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre in der Regel nicht übersteigen darf, die im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannten Umstände zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 11 ZB 16.30463 – juris Rn. 4). Die durch das Bundesamt nach Ermessen festgesetzte Länge der Frist ist durch das Gericht grundsätzlich nur in dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüfbar (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris Rn. 59).
Es ist nach gerichtlicher Überprüfung im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO keine Fehlerhaftigkeit der durch das Bundesamt im Rahmen der nach § 11 Abs. 3 AufenthG getroffenen Ermessensentscheidung und der Festsetzung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von 36 Monaten ab dem Tag der Abschiebung ersichtlich. Es sind keine wesentlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet dargelegt worden, die zu einer Verkürzung der Frist führen könnten.
Auch hat der Kläger keine anderweitigen wesentlichen und im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen Belange geltend gemacht.
3. Der Kläger hat somit keinen der mit der Klage im Hauptantrag oder in den Hilfsanträgen gemäß geltend gemachten Ansprüche, der Bescheid des Bundesamtes vom 31. Mai 2017 ist rechtmäßig.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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