Aktenzeichen 15 ZB 22.30606
VwGO Nr. 6
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
Verfahrensgang
M 29 K 18.34122 2021-12-27 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
I.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben m. Staatsangehöriger und wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. Oktober 2018, mit dem seine Anträge auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Rechtsschutzes abgelehnt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach M. oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 27. Dezember 2021 wies das Verwaltungsgericht München die Klage mit den Anträgen des Klägers, die Beklagte unter (teilweiser) Aufhebung des Bescheids vom 22. Oktober 2018 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ab.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Der Kläger stützt sich in seiner Antragsbegründung auf einen „Verstoß gegen das rechtliche Gehör in Form unzureichender Würdigung des Sachverhalts“. Das Erstgericht gehe davon aus, dass er nach M. zurückkehren könne und dort in der Lage sein werde, in den südlichen Landesteilen den Repressalien bewaffneter islamistischer Terroristen sowie der Sicherheitskräfte gegenüber der ethnischen Gruppe der P., denen er angehöre, zu entgehen. Diese Einschätzung sei unzutreffend. Es sei amts- und gerichtsbekannt, dass Rückkehrer in M. gezwungen seien, über den Flughafen der Hauptstadt einzureisen. Bei abgeschobenen Personen oder bei Rückkehrern aus Europa nach langjähriger Abwesenheit sei ebenfalls amts- und gerichtsbekannt, dass diese im Rahmen der Einreisekontrolle sofort Kontrollen der Sicherheitskräfte unterzogen werden würden, wobei speziell er aufgrund seiner Volkszugehörigkeit als Mitglied oder zumindest Sympathisant einer terroristischen Gruppierung eingestuft werde. Sollte er – wovon auszugehen sei – diesen Verdacht nicht entkräften können, drohten ihm Repressalien, Misshandlung, Folter und Inhaftierung ohne die Chance auf ein faires gerichtliches Verfahren, insgesamt also eine menschenrechtswidrige Behandlung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der vom Kläger ausschließlich geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Eine Verletzung des Grundsatzes liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war. Im Übrigen brauchen sich die Gerichte nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich und im Detail auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (zusammenfassend zum Ganzen BayVGH, B.v. 16.3.2022 – 15 ZB 22.30278 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die Antragsbegründung – unabhängig davon, dass das Vorbringen nicht mit Quellenangaben untermauert wird und damit insgesamt unsubstantiiert bleibt – nicht gerecht. Der Kläger rügt in der Sache eine nach seiner Bewertung fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, was aber durch den geltend gemachten Zulassungsgrund einer Gehörsverletzung nicht abgedeckt ist. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährt nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 27.9.2021 – 15 ZB 20.32485 – juris Rn. 55). Bei Mängeln der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs i.S. von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO allenfalls in krassen Ausnahmefällen dann verletzt sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2018 – 8 ZB 18.31172 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 5.6.2019 – 15 ZB 19.32063 – juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 27.7.2021 – 15 ZB 21.31044 – juris Rn. 4). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt die Antragsbegründung nicht auf. Im Übrigen hätte es dem schon im erstinstanzlichen Verfahren und insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretenen Kläger offen gestanden, einen förmlichen Beweisantrag in Bezug auf aus seiner Sicht klärungsbedürftige Sachverhaltsfragen zu stellen, um sich selbst vor Gericht das rechtliche Gehör zu verschaffen (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2020 – 15 ZB 20.30194 – juris Rn. 18; B.v. 16.3.2020 – 15 ZB 20.293 – Rn. 12; B.v. 30.3.2020 – 15 ZB 20.30705 – juris Rn. 7; B.v. 18.6.2020 – 15 ZB 20.30954 – juris Rn. 31; SächsOVG, B.v. 7.2.2018 – 4 A 142/18.A – juris Rn. 6 m.w.N.). Hiervon hat er aber laut Protokoll des Verwaltungsgerichts über die öffentliche Einzelrichtersitzung am 22. Dezember 2021 keinen Gebrauch gemacht.
Auch für eine sog. Überraschungsentscheidung (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.12.2020 – 15 ZB 20.32307 – juris Rn. 23 m.w.N.) gibt weder die Antragsbegründung noch die Aktenlage etwas her. Der Kläger hatte im Übrigen im erstinstanzlichen Verfahren im Rahmen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erfolgten persönlichen Anhörung sowie schon vorher über das – von ihm nicht genutzte – Recht zur schriftsätzlichen Klagebegründung die Möglichkeit, alles für ihn Relevante hinsichtlich der geltend gemachten asylrechtlichen Ansprüche vorzubringen. Zu den nunmehr im Rahmen der Antragsbegründung vorgebrachten Problemfragen hat er im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren – weder schriftlich noch laut Protokoll der mündlichen Verhandlung mündlich – etwas Konkretes vorgetragen. Unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs hatte das Erstgericht mithin keine Veranlassung, den erst im Rahmen der Zulassungsbegründung erfolgten weiteren – und im Übrigen nicht durch Quellen belegten – Tatsachenvortrag näher in seine Erwägungen einzubeziehen. Unabhängig davon hat sich bereits das Bundesamt auf Seiten 3 und 4 des angefochtenen Bescheids vom 22. Oktober 2018 mit der Situation Volkszugehöriger der P. in M. – sowohl im Norden des Landes als auch in den staatlich kontrollierten Landesteilen – unter Rekurs auf den damaligen Lagebericht des Auswärtigen Amts zu M. (Stand 2017) umfassend auseinandergesetzt. Das Verwaltungsgericht hat hierauf gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen (UA S. 4), diese Ausführungen zum Inhalt seiner Entscheidungsgründe gemacht und zudem gestützt auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts zu M. aus dem Jahr 2021 um weitere Erwägungen (UA S. 4 f.) ergänzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).