Verwaltungsrecht

Asylrecht, Herkunftsland: Irak:, Klagefrist versäumt und keine Wiedereinsetzung zu gewähren, Zuweisungsbescheid der Regierung von Oberbayern, Mitteilung der Zuweisung durch Regierung von Oberbayern an Bundesamt, Nicht fristgemäßer Umzug der Asylbewerber

Aktenzeichen  M 4 K 21.30052

Datum:
8.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48643
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 84
AsylG § 10 Abs. 2 S. 2 Alt. 2
AsylG § 10 Abs. 1 Hs. 1
VwGO § 60
AsylG § 3
AsylG § 26
GG Art. 16a
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
§ 60 Abs. 7 AufenthG.

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist sowohl unzulässig als auch unbegründet.
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört (§ 84 Abs. 1 VwGO).
I. Die Klage ist abzuweisen. Sie ist unzulässig, weil die Kläger die Klagefrist versäumt haben und ihnen auch keine Wiedereinsetzung in die gesetzliche Klagefrist zu gewähren ist (1.). Die Klage ist auch unbegründet, weil die Kläger keinen Anspruch haben, die Beklagte unter Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, sie als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Abs. 1 GG anzuerkennen, ihnen den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen bzw. zu ihren Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch die Abschiebungsandrohung und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Der Bescheid des Bundesamts vom 4. Dezember 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO) (2.).
1. Die Klage wurde erst nach Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG erhoben und ist deshalb unzulässig. Die Kläger müssen die Ersatzzustellung des angefochtenen Bescheids vom 4. Dezember 2020 gegen Postzustellungsurkunde am 11. Dezember 2020 gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 und Satz 1 AsylG gegen sich gelten lassen. Die am 11. Januar 2021 erhobene Klage wahrt deshalb die Klagefrist nicht.
Der Ausländer muss Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist (§ 10 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 AsylG).
Die Kläger hatten für das Asylverfahren vor dem Bundesamt weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt, die Regierung von Oberbayern hat dem Bundesamt – ausweislich der vorgelegten Behördenakte – vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids die Anschrift der Kläger in …, unter der sie ab dem … … 2020 zu wohnen verpflichtet waren, mitgeteilt. Die Regierung von Oberbayern ist eine öffentliche Stelle i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 2 AsylG, im Zeitpunkt der Zustellung waren die Kläger dort auch zu wohnen verpflichtet. Dabei ist es unerheblich, ob die Betreffenden dieser Verpflichtung auch tatsächlich nachgekommen sind (Funke-Kaiser in: GK-AsylG, Stand Juni 2018, § 10 Rn. 267). Damit liegen die Voraussetzungen der Zustellungsfiktion vor, und die Klagefrist endete am 28. Dezember 2020.
Die Kläger haben auch ihre Verpflichtung nach § 10 Abs. 1 AsylG schuldhaft verletzt. Nur unter dieser Voraussetzung kann die Zustellungsfiktion eintreten (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AsylG, Stand Juni 2018, § 10 Rn. 230).
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AsylG haben Asylbewerber während der Dauer ihres Asylverfahrens vorzusorgen, dass Mitteilungen des Bundesamts, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte sie stets erreichen können; insbesondere habe sie jeden Wechsel der Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen. Die Kläger haben diese Obliegenheit schuldhaft verletzt.
Die Kläger haben das Bundesamt zwar über ihren tatsächlichen Umzug nach … Anfang Januar 2021 unterrichtet; sie haben es aber unterlassen, dem Bundesamt unverzüglich mitzuteilen, dass sie ihrer Verpflichtung zum Umzug zum … … 2020 aufgrund des Zuweisungsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 10. November 2020 nicht nachkommen bzw. nachgekommen sind. Auch diese Obliegenheit ist nach Auffassung des Gerichts von der Vorsorgepflicht des § 10 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG umfasst, insbesondere im Hinblick auf die vorliegend einschlägige gesetzliche Regelung in § 10 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AsylG. Der Verschuldensgrad mag vorliegend zwar geringer sein, weil die Kläger selbst dem Bundesamt die neue Anschrift nicht bereits mit Wirkung zum verfügten Umzugstermin, sondern erst nach tatsächlich erfolgtem Umzug mitgeteilt haben. Dennoch hätten die Kläger dem Bundesamt unverzüglich mitteilen müssen, wenn und dass sie einem Zuweisungsbescheid nicht Folge leisten. Die Erfüllung der Mitteilungsverpflichtung ist für die Betroffenen von zentraler Bedeutung für ihre Rechtsverfolgung und Rechtswahrung, sie muss auch nach ihrer laienhaften Sicht vordringlich geschehen. Deshalb können hier – von besonderen Ausnahmen, wie etwa einer Erkrankung abgesehen – nur wenige Tage, allenfalls eine Woche zugestanden werden (Funke-Kaiser in: GK-AsylG, Stand Juni 2018, § 10 Rn. 230). Gründe, weshalb die Kläger dem Bundesamt nicht unverzüglich mitgeteilt haben, dass sie den Pflichten aus dem Zuweisungsbescheid nicht nachkommen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit sich die Kläger auf eine Quarantäneverpflichtung berufen, trat diese erst zum 29. November 2020 und damit zehn Tage nach dem maßgeblichen Umzugstermin in Kraft und kann die Obliegenheitsverletzung nicht entschuldigen.
Verletzt der Ausländer diese – ihm in seinem eigenen Interesse an einer zügigen Bearbeitung seines Asylantrags auferlegte – Obliegenheit, muss er damit rechnen und über die Regelungen des § 10 Abs. 2 AsylG hinnehmen, dass ihn Mitteilungen im Asylverfahren nicht erreichen, ohne dass er sich hierauf berufen kann.
Gründe für eine Wiedereinsetzung in die versäumte gesetzliche Klagefrist i.S.v. § 60 VwGO haben die Kläger nicht geltend gemacht. Die Versäumung der Klagefrist war nach dem soeben Gesagten nicht unverschuldet.
2. Die Klage ist jedoch auch abzuweisen, weil sie unbegründet ist.
2.1 Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG. Das Gericht verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen, zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angefochtenen Bescheid vom 4. Dezember 2020, § 77 Abs. 2 AsylG.
Nach der Vorschrift des § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich 1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Die von dieser Vorschrift vorausgesetzte Verfolgung wegen eines der in ihr benannten Merkmale kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unterbleibt gemäß § 3e AsylG, wenn die Möglichkeit internen Schutzes besteht.
Dabei ist für die Feststellung, ob eine Verfolgung im Verständnis von §§ 3 ff. AsylG vorliegt, die RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, insbesondere deren Art. 4 Abs. 4 ergänzend heranzuziehen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG). Nach Art. 4 Abs. 4 der vorgenannten Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
Dies zugrunde legend steht den Klägern kein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zu. Die Kläger befinden sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb ihres Herkunftslandes. Im Ergebnis zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass sich auf der Grundlage des Vorbringens der Kläger eine begründete Verfolgungsfurcht im Verständnis von § 3 Abs. 1 AsylG nicht feststellen lässt. Die Kläger haben ihre Klage im gerichtlichen Verfahren nicht über einen Verweis auf ihre Angaben in der Anhörung hinausgehend begründet.
Nach diesen Maßgaben ist eine flüchtlingsrelevante Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr in den Irak ist nicht beachtlich wahrscheinlich.
Die Kläger sind nicht individuell vorverfolgt ausgereist. Ein individuelles Verfolgungsschicksal haben die Kläger nicht geschildert. Sie haben sich vielmehr auf die grundsätzlich unsichere Lage im Irak bezogen. Anhaltspunkte dafür, dass sie sich im April 2018 in einer ausweglosen Lage befunden hätte, weil sie in ihrem Herkunftsland Rechtsverletzungen von flüchtlingsrechtlich relevanter Intensität durch Volksmobilisierungskräfte, den Islamischen Staat oder türkische Soldaten ausgesetzt gewesen wären bzw. ihm solche absehbar bevorgestanden hätten, sind ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen. Die Kläger haben den Irak aufgrund der allgemeinen Lage verlassen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ihnen bei einer Rückkehr in den Irak eine Verfolgung drohen würde. Dagegen spricht vielmehr auch – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – dass die Eltern der Klägerin zu 1), mit denen die Kläger in … zusammenlebten, wieder in ihr Heimatdorf zurückgekehrt sind.
2.2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG. Auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts wird in vollem Umfang verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
2.3. Auch der hilfsweise Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG bleibt ohne Erfolg.
Ein Ausländer ist nach der Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG als subsidiär Schutzberechtigter anzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
2.3.1. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in den Irak als ernsthafter Schaden die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG drohen würde, bestehen nicht.
2.3.2. Ebenso wenig hat die Kammer einen greifbaren Anhalt für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die beachtliche Furcht vor einem ernsthaften Schaden wegen der beachtlichen Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ergibt sich auch nicht aus den schlechten humanitären Bedingungen in ihrer Herkunftsregion, weil es an einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG fehlt, von dem zielgerichtet eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgehen würde.
Schlechte humanitäre Bedingungen, die nicht auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zurückzuführen sind, können nicht zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, sondern allenfalls zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK führen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 juris; OVG Münster, U.v. 10.5.2021 – 9 A 570/20.A – juris; OVG Lüneburg, B.v. 11.3.2021 – 9 LB 129/19 – juris).
Dass die schlechte humanitäre Lage in … auf Handlungen oder Unterlassungen des irakischen Staates zurückzuführen wäre, ist nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen indes nicht anzunehmen. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass der irakische Staat den Wiederaufbau in der Provinz … bewusst verhindern oder verzögern würde, um die dortigen prekären Lebensbedingungen aufrechtzuerhalten. Vielmehr ist der schleppende Wiederaufbau in dieser Provinz maßgeblich auf die allgemein schwierige wirtschaftliche Lage im Irak, fehlende finanzielle Mittel sowie die instabilen politischen Verhältnisse in der Region zurückzuführen (ebenso OVG Münster, U.v. 10.5.2021 – 9 A 570/20.A. – juris; OVG Lüneburg, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris).
Es bestehen nach den Erkenntnissen des Gerichts auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die gegenwärtige schlechte humanitäre Lage in der Provinz … maßgeblich vom Islamischen Staat als quasi-staatlicher Akteur im Sinne von § 3 Abs. 3 i.V.m. § 3c Nr. 2 AsylG zu verantworten wäre und diese Lage von ihm auch zielgerichtet weiter aufrechterhalten würde (ebenso OVG Münster, U.v. 10.5.2021 – 9 A 570/20.A. – juris; OVG Lüneburg, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris).
2.3.3. Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht vor.
Dabei kann die Frage, ob im Irak oder zumindest in der Herkunftsprovinz der Kläger …, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, dahinstehen. Denn selbst für diesen Fall käme subsidiärer Schutz für die Kläger insoweit nur in Betracht, wenn der den bestehenden Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hätte, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr in den Irak oder in die von dem bewaffneten Konflikt betroffene Region allein durch ihre dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit ausgesetzt zu sein (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris, v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; ferner EuGH, U.v. 17.2.2009, C-465/07, InfAuslR 2009, 138). Dies ist nicht der Fall.
Ein solch hoher Gefahrengrad lässt sich ungeachtet dessen, dass die Sicherheitslage im gesamten Irak volatil bleibt und es insbesondere auch in der Provinz … als der Herkunftsregion der Kläger weiterhin zu schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Islamischen Staat und irakischen Sicherheitskräften kommt, von denen auch Zivilisten betroffen sind, vorliegend nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit feststellen (vgl. für die gesamte Provinz …: EASO, Country Guidance: Iraq – Common analysis and guidance note, Januar 2021, S. 149).
Zur Bestimmung der erforderlichen Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung bedarf es zunächst einer annäherungsweise quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos, auf deren Grundlage eine wertende Gesamtbetrachtung zur individuellen Betroffenheit des schutzsuchenden Ausländers zu erfolgen hat. Der „quantitative“ Ansatz für die Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos zielt dabei nicht auf einen auf alle Konfliktlagen anzuwendenden „Gefahrenwert“ im Sinne einer zwingend zu beachtenden mathematisch-statistischen Mindestschwelle, sondern lässt durch das Erfordernis einer abschließenden Gesamtbetrachtung ausreichend Raum für qualitative Wertungen (BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris; ferner EuGH, U.v. 10.6.2021, C-901/19 – juris, wonach die Feststellung einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts nicht voraussetzt, dass das Verhältnis der Zahl der Opfer in dem betreffenden Gebiet zur Gesamtzahl der Bevölkerung dieses Gebiets eine bestimmte Schwelle erreicht, vielmehr eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere derjenigen, die die Situation des Herkunftslands des Schutzsuchenden kennzeichnen, erforderlich ist).
Ausgehend von diesem Maßstab ist zunächst festzustellen, dass nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen über die Jahre 2016 bis 2020 ein Rückgang der zivilen Opferzahlen aufgrund bewaffneter Auseinandersetzungen in der Provinz … zu verzeichnen ist. Den UNAMI-Daten über zivile Opfer im Zeitraum von 2014 bis 2018 zufolge waren dort 2016 insgesamt 2.791, 2017 insgesamt 2.611, 2018 hingegen lediglich noch 182 zivile Opfer zu verzeichnen. Im Jahr 2019 wurden von UNAMI insgesamt 174 und im Zeitraum von Januar bis Juli 2020 47 zivile Opfer im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten erfasst (vgl. zu den entsprechenden Zahlen der zivilen Opfer in der Provinz …, EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Sicherheitslage, Oktober 2020 und März 2019).
Ungeachtet dieses doch deutlichen Rückgangs an zivilen Opfern in der Provinz … in den Jahren 2018 bis 2020 ist die Zahl der zivilen Opfer in den zurückliegenden Jahren insgesamt zu gering, um die Annahme als gerechtfertigt erscheinen zu lassen, dass der Grad willkürlicher Gewalt in der Provinz … ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben ausgesetzt wäre (vgl. dazu u.a. VG Gelsenkirchen, U.v. 4.3.2020 – 15a K 5013/18.A – juris, BayVGH, B.v. 16.10.2019 – 5 ZB 19.33239 – juris).
Dass aufgrund der jüngsten Entwicklungen in der Provinz … eine andere Beurteilung veranlasst wäre, ist weder dargetan noch ansonsten erkennbar.
Auch liegen im Fall der Kläger keine besonderen individuellen Umstände vor, die bei ihnen auf eine größere persönliche Gefährdung schließen lassen würden als in der Provinz … allgemein üblich.
Ersichtlich gehören die Kläger nicht zu einer der im Irak besonders gefährdeten gesellschaftlichen Gruppe wie etwa Journalisten, Blogger, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Staatsanwälte oder Mitarbeiter des Sicherheitsapparates.
Soweit das Bundesamt hinsichtlich der Prüfung, ob den Klägern subsidiärer Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu gewähren ist, auch auf die Provinz Dohuk in der Region Kurdistan-Irak abgestellt hat, dem Geburtsort der Kläger zu 3) bis 5) und dem letzten Aufenthaltsort der Kläger vor ihrer Ausreise aus dem Irak, und diesbezüglich festgestellt hat, dass dort schon kein internationaler oder innerstaatlicher Konflikt vorliege, folgt das Gericht dieser Begründung und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe diesbezüglich ab, § 77 Abs. 2 AsylG.
2.4. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines von den Klägern weiter hilfsweise geltend gemachten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht erfüllt.
2.4.1. Es ergibt sich für die Kläger kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, weil ihnen im Irak keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben würden, sind in Bezug auf den Kläger indes nicht feststellbar. Insbesondere droht dem Kläger im Falle seiner Abschiebung in den Irak keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK.
2.4.1.1. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die Unzulässigkeit einer Abschiebung wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründet, geht dessen sachlicher Regelungsbereich nicht über denjenigen von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hinaus. Daher scheidet bei der Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – wie vorliegend – regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris).
2.4.1.2. Allerdings können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung, die nicht auf einen verantwortlichen Akteur im Sinne von § 3c AsylG zurückzuführen sind, in ganz außergewöhnlichen Fällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen.
Dies ist dann der Fall, wenn die humanitären Gründe „zwingend“ gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür ein Mindestmaß an Schwere aufweisen. Das insoweit für eine Verletzung von Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere kann erreicht sein, wenn der Ausländer im Falle seiner Rückkehr seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Der Ausländer muss sich in einer Situation extremer materieller Not befinden, die es ihm nicht erlaubt, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder ihn in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. dazu BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris unter Hinweis auf EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 und C-163/17 juris; OVG Münster, U.v. 10.5.2021 – 9 A 570/20.A – juris).
Diese hohen Anforderungen sieht das Gericht im Fall der Kläger nicht als erfüllt an. Bei der gebotenen individuellen Betrachtung steht vielmehr zu erwarten, dass die Kläger im Falle ihrer Abschiebung ihre elementarsten Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft werden befriedigen können.
Nach den der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnissen kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bevölkerung zwar nicht durchgehend und auch nicht in allen Landesteilen gewährleisten. Dabei ist die Versorgungslage insbesondere auch in der Provinz … als der Herkunftsregion der Kläger besonders prekär. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist unzureichend. Staatliche Lebensmittelgutscheine sind in den befreiten Gebieten nur eingeschränkt verfügbar. Es gibt kein fließendes Trinkwasser und keine geregelte Stromversorgung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Jesiden in der Provinz Ninawa, v. 11.2.2019; ACCORD, Lage in Mosul bzw. Provinz Ninawa: Sicherheitslage, v. 6.2.2019; ferner Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, v. 12.1.2019).
Die schwierige wirtschaftliche Situation und angespannte Versorgungslage insbesondere in der Region … begründen im Fall der Kläger dennoch nicht die Annahme eines ganz außergewöhnlichen Falles mit der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, der im Falle seiner Abschiebung eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach sich ziehen würde. Insoweit ist nämlich zum einen maßgeblich zu berücksichtigen, dass es sich bei den Klägern nicht um Binnenflüchtlinge handelt, denen eine Rückkehr in ihren Heimatort nicht oder nur unter erheblichen Erschwernissen möglich wäre. Vielmehr war es den Klägern trotz der allgemein schwierigen Lebensumstände im Irak möglich, zumindest bis zu ihrer Flucht in die Provinz … im Oktober 2017 bis zu ihrer Ausreise im April 2018 in ihrem von dem Vormarsch des Islamischen Staates in der Provinz … bis dahin ersichtlich verschont gebliebenen Heimatdorf gemeinsam mit den Eltern der Klägerin zu 1) in deren Haus und ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dass sich die Kläger bei einer heutigen Rückkehr in einer existenzbedrohenden Situation wiederfinden würden, ist nicht anzunehmen. Auf die diesbezüglichen, überzeugenden, zutreffenden und ausführlichen Ausführungen des Bundesamts wird Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Die Kläger verfügen auch über Verwandtschaft im Heimatland, der es zugemutet werden kann, sie bei sich aufzunehmen und zu unterstützen. Darüber hinaus können sie für die Übergangszeit im Falle einer freiwilligen Rückkehr in den Irak bei Vorliegen der Voraussetzungen die Rückkehrhilfen des REAG/GARP-Programms sowie des Starthilfe-Plus-Programms in Anspruch nehmen, die ihnen eine Rückkehr erheblich vereinfachen dürfte (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, v. 22.1.2021).
Dass es den Klägern bei diesen Gegebenheiten nicht gelingen sollte, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen und zumindest sein Existenzminimum zu sichern, steht daher nicht zu erwarten.
2.4.2. Ein Abschiebungsverbot folgt auch nicht aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine solche allgemeine Gefahrenlage, der der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak ebenso wie die Bevölkerung seines Heimatlandes insgesamt oder zumindest einzelne Bevölkerungsteile ausgesetzt wäre, kann nur dann ein zwingendes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen, wenn es dem Kläger mit Blick auf den verfassungsrechtlich unabdingbaren Schutz insbesondere des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht zuzumuten wäre, in den Irak abgeschoben zu werden. Dies wäre der Fall, wenn der Kläger im Irak aufgrund der dortigen Existenzbedingungen einer Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er bei einer Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würden (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris, U.v. 8.9.2012 – 10 C 14.10 – juris).
Dass den Klägern für den Fall ihrer Abschiebung in den Irak aufgrund der dortigen Sicherheits- oder Versorgungslage keine derart extreme Gefährdungslage droht, ergibt sich indes bereits aus den obigen Darlegungen. Auf die entsprechenden zutreffenden Ausführungen des Bescheids wird ergänzend Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
2.5. Die Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung unter Fristsetzung von 30 Tagen ist rechtmäßig. Sie beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, dessen Voraussetzungen im Fall der Kläger, die keinen Aufenthaltstitel besitzen, nach den obigen Ausführungen vorliegen, und § 38 Abs. 1 AsylG.
2.6. Auch das auf 30 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nicht zu beanstanden, § 11 Abs. 1 AufenthG. Ermessensfehler bezüglich der Länge der Frist sind weder geltend gemacht noch erkennbar.
Die Klage war somit insgesamt abzuweisen.
II. Der Kläger tragen als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens, §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
III. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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