Verwaltungsrecht

Asylrecht (Jordanien), Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt)

Aktenzeichen  15 ZB 21.31168

Datum:
23.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24940
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 17 K 19.31246 2021-03-11 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger – ein jordanischer Staatsangehöriger – wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für … vom 12. November 2019, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Jordanien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Im Bescheid wird u.a. ausgeführt, dass dem Kläger auch über seine in Deutschland lebende Ehefrau, der als syrische Staatsangehörige mit Bescheid des Bundesamts vom 28. April 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, keine asylrechtlichen Ansprüche über die Regelungen des sog. Familienasyls gem. § 26 Abs. 1 i.V. mit § 26 Abs. 5 AsylG zustünden, da die Ehe nicht im Herkunftsstaat der stammberechtigten Ehefrau bestanden habe. Mit Bescheid vom 30. Januar 2020 des Bundesamts wurde zudem dem im Jahr 2019 in Deutschland geborenen Sohn des Klägers und seiner Ehefrau der Flüchtlingsschutz und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt sowie festgestellt, dass für diesen Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Das Bundesamt legte dabei die jordanische Staatsangehörigkeit des Sohnes sowie für diesen Jordanien als Zielland zugrunde und verneinte auch für diesen Familienflüchtlingsschutz aus § 26 AsylG.
Mit Urteil vom 11. März 2021 wies das Verwaltungsgericht Ansbach die vom Kläger erhobene Klage (soweit das Verfahren nicht nach teilweiser Rücknahme eingestellt wurde) mit dem nach der mündlichen Verhandlung (9. März 2021) noch verbleibenden Antrag, die Beklagte unter (teilweiser) Aufhebung des Bescheids vom 12. November 2019 zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger ausschließlich geltend gemachten Berufungszulassungsgründe – grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) sowie “Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung” (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) – liegen nicht vor bzw. sind nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
1. Die Berufung gegen das vom Kläger angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. März 2021 ist nicht gem. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Der Kläger greift im Zusammenhang mit der Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK an. Das Verwaltungsgericht hatte mit dem angegriffenen Urteil nationale Abschiebungsverbote zugunsten des Klägers gemäß Art. 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt und in den Entscheidungsgründen u.a. ausgeführt, dass die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten strengen Voraussetzungen für die Anerkennung eines Abschiebungsverbots gem. Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen humanitären Bedingungen im Herkunftsland (Jordanien) nicht einschlägig seien. Dies gelte insbesondere im Falle einer alleinigen Rückkehr des Klägers. Es werde aber zugunsten des Klägers davon ausgegangen, dass zwischen ihm, der Kindsmutter und dem Kind eine gelebte familiäre Gemeinschaft vorliege, weil das derzeitige Nichtzusammenleben nach dem klägerischen Vortrag äußeren Umständen geschuldet sei und der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, seine Familie täglich zu sehen und morgens auf den Sohn aufzupassen. Hinsichtlich der Rückkehrperspektive sei daher bei Anwendung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK von einer Rückkehr des Klägers zusammen mit Frau und Kind auszugehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (das Verwaltungsgericht zitiert insoweit BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – BVerwGE 166, 113 = juris Rn. 15 ff.; B.v. 15.8.2019 – 1 B 33.19 – juris) sei auch dann auf eine gemeinsame Rückkehrperspektive der Familie abzustellen, wenn einem Mitglied der Kernfamilie, wie hier der Ehefrau des Klägers, bereits ein Schutzstatus zuerkannt oder zu dessen Gunsten ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden sei. Insofern sei davon auszugehen, dass sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau gesund, arbeitsfähig und überdurchschnittlich gebildet seien. Der Kläger, der überdies einen Führerschein besitze, habe Elektrotechnik studiert und in diesem Beruf in Jordanien bereits erste Erfahrungen sammeln können. Seine Ehefrau habe Abitur und plane ein Studium. Beide verfügten überdies über Deutschkenntnisse. Angesichts dessen spreche nichts dafür, dass dem Kläger und seiner mit ihm zurückkehrenden Kernfamilie im Sinne des Art. 3 EMRK eine ernsthafte, mit der Menschenwürde unvereinbare Armut und Bedürftigkeit drohe, auch wenn berücksichtigt werde, dass eine erwachsene Person für die Betreuung des erst einjährigen Sohnes sorgen müsse und die syrische Ehefrau des Klägers als Nicht-Jordanierin in manchen Berufen nicht arbeiten dürfe. Im Übrigen könne die Ehefrau nach Ablauf bestimmter Fristen die jordanische Staatsangehörigkeit auf Antrag erwerben. Zudem lebten sowohl die Eltern des Klägers als auch dessen Geschwister, von denen jedenfalls einer volljährig sei, weiterhin in Jordanien, sodass eine familiäre Unterstützung zu erwarten sei. Auch könne der Kläger mit seiner Familie, wie bereits nach der Eheschließung erfolgt, im Haus seiner Eltern unterkommen. Auch unter Berücksichtigung der schwachen jordanischen Wirtschaft sei daher in einer Gesamtschau der persönlichen Umstände des Klägers bei einer Rückkehr nach Jordanien prognostisch keine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK zu erwarten. An diesem Ergebnis könnten auch die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie nichts ändern. Die inlandsbezogene Frage, ob die mit einer Durchführung der Abschiebung einhergehende Trennung der Familie im Lichte von Art. 6 GG zulässig ist, sei nicht vom Bundesamt im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG, sondern ausschließlich von der Ausländerbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Prüfung etwaiger Vollstreckungshindernisse zu entscheiden. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei geklärt, dass bei der Beendigung des Aufenthalts erfolgloser Asylbewerber das Bundesamt auf die Prüfung und Feststellung von sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten beschränkt sei.
Die Antragsbegründung moniert insofern die Passage in den Entscheidungsgründe, wonach von einer Rückkehr zusammen mit Frau und Kindern auszugehen sei. Soweit das Verwaltungsgericht – so der “Angriff” in der Antragsbegründung des Klägers – zum Ergebnis komme, dass aufgrund der gemeinsamen Rückkehrperspektive die Frage zu beantworten sei, welche Lebensumstände sich für ihn in seinem Heimatland ergeben würden, berufe sich das Erstgericht zu Unrecht auf die von ihm zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Bei dieser sei es um einen afghanischen Flüchtling gegangen, der seitens des Bundesamts als einzelner junger Mann bei der verfügten Rückkehr behandelt worden sei. Dies habe das Bundesverwaltungsgericht für unzulässig gehalten und habe insofern betont, dass bei einer gemeinsamen Rückkehrperspektive unter Berücksichtigung der Familieneinheit sich ein anderes Ergebnis ergeben würde, nämlich ein Bleiberecht für den jungen Ehemann. Im angefochtenen Urteil werde jedoch die gemeinsame Rückkehrperspektive zu Lasten des Klägers bewertet. Dies verkenne jedoch insgesamt die Intention des zitierten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts. Die Klärung dieser Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung für alle weiteren Fälle der gemeinsamen Rückkehrperspektive und habe im konkreten Fall auch Einfluss auf das Urteil des Verwaltungsgerichts.
Mit diesem Vortrag vermag der Kläger den Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht erfolgreich darzulegen. Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2019 – 15 ZB 19.33299 – juris Rn. 9 m.w.N.; B.v. 2.10.2020 – 15 ZB 20.31851 – juris Rn. 3).
Der Kläger unterlässt es bereits, eine fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von allmeiner Bedeutung im o.g. Sinn zu formulieren, sondern greift in der Sache die Richtigkeit der Rechtsanwendung des Erstgerichts an. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) stellen aber im Asylrecht keinen Berufungszulassungsgrund dar. Geht man zugunsten des Klägers davon aus, dass es ihm in der Sache um die vom Obergericht zu beantwortende Frage geht, ob allgemein bei der Rückkehrperspektive im Rahmen der Rechtsanwendung von Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK und insbesondere hinsichtlich der Beurteilung des (ausnahmsweise) Vorliegens eines Abschiebungsverbots wegen der allgemein im Zielstaat bestehenden humanitären Bedingungen auf eine alleinige Rückkehr des Klägers oder auf eine gemeinsame Rückkehr der gesamten Familie abzustellen ist, fehlt es in der Antragsbegründung an der schlüssigen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage für den vorliegenden Fall. Denn in den Entscheidungsgründen wird in der Sache ersichtlich darauf abgestellt, dass sich die gemeinsame Rückkehrperspektive der Gesamtfamilie z u g u n s t e n des Klägers auswirkt, weil die strengen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gem. Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen humanitären Bedingungen in Jordanien im Falle einer a l l e i n i g e n Rückkehr des Klägers erst recht nicht gegeben wären. Hiermit setzt sich die Antragsbegründung nicht substantiiert auseinander. Im Übrigen ergibt sich aus der Begründung des Zulassungsantrags nicht schlüssig, welchen rechtsfortbildenden Beitrag ein Berufungsverfahren fallübergreifend über die allgemein vom Bundesverwaltungsgericht mit der vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – BVerwGE 166, 113 = juris Rn. 15 ff.; B.v. 15.8.2019 – 1 B 33.19 – juris), der insgesamt vergleichbare Grundkonstellationen zugrunde lagen, haben könnte.
2. Soweit der Kläger vorbringt, aufgrund einer Fehlinterpretation des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2019 (1 C 45.18) liege eine Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung vor, ergibt sich hieraus kein Berufungszulassungsgrund wegen sog. “Divergenz” gem. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG.
Gem. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ist die Berufung wegen “Divergenz” zuzulassen, wenn das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung im Sinne der Vorschrift liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden. Eine zulassungsbegründende Divergenz kann auch vorliegen, wenn im angefochtenen Urteil in derselben Tatsachenfrage mit einer verallgemeinerungsfähigen entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellung von einer ebensolchen Tatsachenfeststellung, die in der Rechtsprechung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte aufgestellt wurde, abgewichen wurde. Die Zulassungsbegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist. Die bloße Behauptung einer schlicht fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die die betreffenden Gerichte in ihrer Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht (zum Ganzen vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2019 – 15 ZB 19.32569 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Dass die Antragsbegründung diesen Anforderungen nicht gerecht wird, ergibt sich bereits aus den vorherigen Ausführungen zu 1.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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