Verwaltungsrecht

Auslegung des Eilantrags, Vollziehbarkeit als allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung, Zwangsgeldandrohungsfrist

Aktenzeichen  AN 10 S 21.00704

Datum:
11.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51294
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§ 88, 122
VwZVG Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 31 Abs. 1, 36

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2021 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. März 2021, zugegangen am 17. März 2021, in welchem der Antragsteller verpflichtet wird, den aus seinem Grundstück herausragenden Pflanzenbewuchs bis auf die Grundstücksgrenze zurückzuschneiden und ihm ein Zwangsgeld angedroht wird.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks … …, … …, FlNr. …, Gemarkung … Das Grundstück liegt im Norden am … an, im Westen an die … Im Bereich dieses Grundstücks ragen eine Thujahecke sowie sonstige Pflanzenteile in die öffentliche Verkehrsfläche hinein.
Mit Bescheid vom 16. März 2021 verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragssteller in Ziffer 1 des Bescheids den von seinem Grundstück in die öffentliche Verkehrsfläche hinausragenden Bewuchs bis auf die Grundstücksgrenze zurückzuschneiden, wie es sich aus Ziffer 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 20. Mai 2020 ergebe. In Ziffer 1 des Bescheids vom 20. Mai 2020 wurde der Antragsteller verpflichtet, den vor dem Anwesen … … in die öffentliche Verkehrsfläche hinausragenden Bewuchs in waagrechter Richtung in der Höhe von 2,50 m und im Park- bzw. Fahrbereich in Höhe von 4,50 m bis zur Grundstücksgrenze zurückzuschneiden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass diese Höhe auch bei einem Absenken des Bewuchses, z.B. bei Regenfällen, nicht unterschritten werde.
In Ziffer 1 des Bescheids vom 16. März 2021 wurde außerdem ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angeordnet, das bei Nichterfüllung der Verpflichtung in Ziffer 1 binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheids fällig werde. Der Erlass des Bescheids wurde im Wesentlichen damit begründet, dass am 8. März 2021 eine Ortsansicht vorgenommen worden sei und festgestellt worden sei, dass aus dem Anwesen … … weiterhin Bewuchs in Form der Thujahecke ca. 0,8 m weit in den durchschnittlich 2,0 m breiten Gehweg hinausragte. Der Antragsteller sei seinen Pflichten weiterhin nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Er habe die Thujahecke wiederum nur in Form eines Pflegeschnitts an den äußersten Spitzen gekürzt. Wie in den vorangegangenen Bescheiden erläutert, sei das Zurückschneiden der Hecke bis zur Grundstücksgrenze unter Beachtung der Effektivität der Gefahrenabwehr und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit das mildeste Mittel. Ein anderes Mittel sei, wie bereits erläutert, nicht ersichtlich. Im Übrigen wurde auf die Begründung des vorangegangenen Bescheids vom 20. Mai 2020 und auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. September 2020 verwiesen.
Zwischen Antragssteller und Antragsgegnerin gab es wegen der Beschneidung der Hecke bereits seit der erstmaligen schriftlichen Aufforderung eines Rückschnitts der Hecke vom 21. Oktober 2017 wiederholte Schriftwechsel.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. April 2020 wurde die aufschiebende Wirkung der am 13. Januar 2020 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Dezember 2019 wiederhergestellt bzw. angeordnet, da der Bescheid wegen Ermessensausfalls rechtswidrig war. Zuletzt hatte das Gericht mit Beschluss vom 24. September 2020 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 22. Juni 2020 erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragstellerin vom 20. Mai 2020 entschieden. Die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung wurde wegen einer unangemessen kurzen Frist von zehn Tagen zur Beseitigung des Bepflanzungsüberwuchses angeordnet. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Zwischenzeitlich erging ein weiterer Bescheid am 13. Oktober 2020 mit der Verpflichtung, die Hecke zurückzuschneiden.
Gegen den Bescheid vom 16. März 2021 erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 17. April 2021, eingegangen am 19. April 2021, Klage und beantragte gleichzeitig:
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
Eine Klage- bzw. Antragsbegründung erfolgte bislang nicht.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 3. August 2021:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unbegründet.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Behördenakte sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen, § 117 Abs. 3 VwGO.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erweist sich nach Auslegung gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO als zulässig und begründet.
Der Antragsteller begehrt nach Auslegung des Antrags die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids. Anders als in den vorangegangenen Bescheiden, die vor Gericht eingeklagt wurden, wurde die Verpflichtung des Antragstellers, den in die öffentliche Verkehrsfläche hineinragenden Pflanzenwuchs zurückzuschneiden, diesmal nicht mit einer Sofortvollzugsanordnung verbunden. Lediglich die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des Bescheides ist gem. Art. 21a VwZVG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetz sofort vollziehbar und die Klage hat insoweit keine aufschiebende Wirkung.
Der Antrag ist nach dem verfolgten Rechtsschutzziel unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers gemäß der §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO sachdienlich auszulegen. Nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO darf das Gericht über das Antragsbegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Eine Bindung besteht hinsichtlich des erkennbaren Antragsziels, so wie sich dieses im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aufgrund des gesamten Beteiligtenvorbringens darstellt. Nach dem verfassungsrechtlichen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes ist im Zweifel zu Gunsten eines Antragstellers anzunehmen, dass er den in der Sache in Betracht kommenden Rechtsbehelf einlegen wollte. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn eine anwaltliche Vertretung vorliegt (BVerwG, B. v. 13.01.2012 – 9 B 56/11 – juris Rn. 7 f.).
Rechtsschutzziel eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, der gleichzeitig mit Erhebung der Anfechtungsklage gestellt wird, kann sinnvollerweise nur die Aussetzung der Vollziehung des in der Hauptsache streitgegenständlichen Bescheids sein, wenn sich aus der Antragsbegründung nichts Anderes ergibt. Vorliegend ist daher der Antrag so auszulegen, dass er die aufschiebende Wirkung der Klage herstellen soll, soweit dies erforderlich ist, um den Vollzug des streitgegenständlichen Bescheids bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache insgesamt auszusetzen. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kann sich nur auf die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides richten, da im Übrigen bereits die gleichzeitig erhobene Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid gem. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der sich auf die Verpflichtung zum Zurückschneiden der Hecke bezöge, wäre unstatthaft, da dieser Verwaltungsakt nicht für sofort vollziehbar erklärt wurde und auch nicht kraft Gesetz sofort vollziehbar ist. Nach dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes ist im Zweifel der Antrag so auszulegen, dass er zulässig ist und dem Antragsziel entspricht. Zwar lautet der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und bezieht sich damit dem Wortlaut nach auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Allerdings tritt der Wortlaut der Erklärung hinter deren Sinn und Zweck zurück (vgl. BVerwG a.a.O.). Würde das Gericht am Wortlaut des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung festhalten, ginge der Antrag vollständig ins Leere und wäre insgesamt unzulässig. Jedoch kann bei einem anwaltlich nicht vertretenen Antragssteller, dem ohne entgegenstehende Anhaltspunkte keine bewusste Wortwahl bei der Unterscheidung zwischen Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung unterstellt werden darf, davon ausgegangen werden, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich des einzigen sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes begehrt. Ein dieser Auslegung entgegenstehendes Klägervorbringen, das sich erkennbar auf die Verpflichtung zum Zurückschneiden der Hecken bezieht, ist nicht ersichtlich.
Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig. Insbesondere wurde die Klage noch innerhalb der am 19. April 2021 mit Ablauf des Tages endenden Klagefrist erhoben (§§ 74 Abs. 1 Satz 2, 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist auch begründet. Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs dann ganz oder teilweise wiederherzustellen, wenn das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Dabei hat das Gericht im Rahmen einer Interessensabwägung die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache summarisch zu prüfen. Ist ein solcher Rechtsbehelf mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich, wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil der Antragsgegnerin ausfallen, da dann das Interesse an der Aussetzung des Vollzugs regelmäßig überwiegt.
Der Antrag ist begründet und die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, da sich die in Ziffer 1 des Bescheids vom 16. März 2021 enthaltene Zwangsmittelandrohung nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist und daher das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen nicht vor und die gesetzte Frist ist rechtswidrig, Art. 19 Abs. 1, Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG.
Die Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1, Art. 36 VwZVG.
Als allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung muss der zu Grunde liegende Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Vollstreckung gem. Art. 19 Abs. 1 VwZVG vollstreckbar, d.h. sofort vollziehbar oder unanfechtbar sein.
Der Grundverwaltungsakt ist jedoch bis jetzt nicht vollstreckbar. Vollstreckbarkeit ist in den Fällen des Art. 19 Abs. 1 Nr. 1-3 VwZVG anzunehmen. Die sofortige Vollziehung des Grundverwaltungsaktes wurde aber nicht angeordnet und die am 19. April 2021 erhobene Anfechtungsklage entfaltet aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Außerdem ist die Zwangsgeldandrohungsfrist gem. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG rechtswidrig.
Die Zwangsgeldandrohung kann – wie vorliegend – gleichzeitig mit dem Grundverwaltungsakt erlassen werden, auch wenn dieser nicht sofort vollziehbar ist. Dies ergibt sich schon aus Art. 36 Abs. 2 Satz 1 VwZVG. Spätestens im Zeitpunkt des Ablaufs der gem. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG zu setzenden Frist, müssen jedoch die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen. Das heißt, dass die mit einem nicht sofort vollziehbaren Grundverwaltungsakt verbundene Androhungsfrist, die vor der Rechtsmittelfrist abläuft, zwangsläufig rechtswidrig sein muss (vgl. Lemke, in Fehling/Kastner/Strömer, Verwaltungsrecht 5. Aufl. 2021, § 13 VwVG, Rn. 6,7).
Vorliegend setzt die Zwangsgeldandrohung eine Frist bis zur Fälligkeit des Zwangsgeldes von vier Wochen ab Zustellung des Bescheids fest.
Die nach Wochen zu berechnende Frist der Zwangsgeldandrohung endete somit gemäß Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB bereits am 14. April 2021, also vor Ablauf der Klagefrist am 19. April 2021.
Darüber hinaus müssen bei einer Handlungsanordnung, der nicht sofort nachzukommen ist, und für deren Erfüllung dem Betroffenen eine zumutbare Frist zugestanden werden muss gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG, die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen bereits bei Fristbeginn vorliegen. Denn dem Betroffenen muss der Zeitraum, der ihm von Gesetz und Behörde als zumutbar eingeräumt wurde, um seiner Pflicht nachzukommen, auch vollständig zur Verfügung stehen. Danach ist eine in einer Handlungsanordnung enthaltene Zwangsgeldandrohung unter Fristbestimmung nur dann rechtswirksam, wenn der Bescheid für sofort vollziehbar erklärt wird oder die Fristbestimmung an der Vollziehbarkeit des Bescheides anknüpft (vgl. BayVGH, B.v. 11.07.2001 – 1ZB 01.1255 – juris; BayVGH U.v. 11.11.1975 – 121 II 73 – juris).
Danach fehlt es vorliegend an einer billigen, zumutbaren Frist gem. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG, innerhalb derer der Antragssteller der Handlungsanordnung nachkommen konnte. Denn die Frist knüpfte an der Zustellung des nicht sofort vollziehbaren Bescheids an und die Vollstreckungsvoraussetzungen lagen weder zu Fristbeginn noch bis Fristende vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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