Verwaltungsrecht

Ausweisung eines “faktischen Inländers”

Aktenzeichen  19 ZB 20.696

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3798
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1
StGB § 64, § 67

 

Leitsatz

1. Zwar sind die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte für die Frage der Wiederholungsgefahr nicht an eine Straf- und ggf. Maßregelaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer – und gegebenenfalls den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung – gebunden; soll von dieser strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen werden, bedarf es jedoch einer substantiierten Begründung.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 K 18.1556 2020-02-04 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der Kläger, ein am 16. Dezember 1984 im Bundesgebiet geborener serbischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 4. Februar 2020, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2018 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (Nrn. I. und II. des Bescheids), das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von acht Jahren ab dem Zeitpunkt der Ausreise bzw. Abschiebung aus dem Bundesgebiet befristet (Nr. III. des Bescheids) und die Abschiebung, insbesondere nach Serbien, unmittelbar aus der Haft bzw. dem Maßregelvollzug angeordnet (Nr. IV. des Bescheids) bzw. nach Haftentlassung oder Beendigung der Unterbringung angedroht (Nr. V. des Bescheids).
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10. 12 – juris Rn. 12), so dass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegen nicht vor.
1. Die Berufung des Klägers ist nicht aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr sogleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9).
Der Kläger rügt, es könne nicht der Ansicht des Verwaltungsgerichts gefolgt werden, dass eine Wiederholungsgefahr in Bezug auf künftige Straftaten durch den Kläger vorliege. Der Kläger habe die Unterbringung in einer Maßregeleinrichtung nunmehr erfolgreich beendet. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sei dies noch nicht der Fall gewesen. Der Kläger habe – ohne dass es Beanstandungen gegeben habe – hochmotiviert in der Unterbringungszeit an sämtlichen Therapiemaßnahmen mitgewirkt. Nun lebe er wieder mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in N.. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts habe den Rest der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Einer solchen Entscheidung komme auch in Bezug auf das Ausweisungsverfahren eine besonders hohe Bedeutung zu. Der Kläger sei betäubungsmittelabhängig gewesen. In der Therapie sei seine Vergangenheit aufgearbeitet worden. Er sei nicht rückfällig geworden. Er kehre in ein gesichertes familiäres Umfeld zurück. Er könne beruflich tätig sein. Er habe sämtliche Anforderungen, die ihm gestellt worden seien, überzeugend erfüllt. Das Verwaltungsgericht habe auf die strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers abgestellt. Allein eine langjährige Haftstrafe könne kein ausreichendes Kriterium für die Begründung einer Wiederholungsgefahr sein. Es gebe zahllose Verurteilte, die nach Erlass einer langjährigen Freiheitsstrafe nicht mehr straffällig geworden seien. Dies gelte umso mehr, wenn eine Therapie ausgesprochen erfolgreich absolviert worden sei. Die vorherigen Verurteilungen begründeten in ihrer Schwere sicher keine derart hohe Gefährlichkeit, dass der Kläger das Bundesgebiet verlassen müsste. Zwei seiner Verurteilungen resultierten aus einer Zeit der Betäubungsmittelabhängigkeit. Es sei auch von einem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse auszugehen. Der Kläger sei als faktischer Inländer anzusehen. Er sei mit einer deutschen Frau verheiratet und habe zwei deutsche Kinder. Mit einem Kind lebe er zusammen. Zu dem anderen Kind habe er Kontakt. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur erforderlichen Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls seien nicht überzeugend. Insbesondere werde das Gewicht, welches durch das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse gesetzlich verankert sei, überhaupt nicht ausreichend bei der Entscheidungsfindung gewürdigt. Auch der Umstand, dass auf Seiten des Klägers von einem positiven Therapieverlauf ausgegangen werden könne, finde nicht das notwendige Gewicht. Dies stehe im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2 BvR 1943/16. Das besonders schwerwiegende Bleibeinteresse auf Seiten des Klägers hätte viel größere Beachtung finden müssen. Die durchzuführende Abwägung müsse in der vorliegenden Konstellation zugunsten des Klägers ausgehen.
Unter dem 31. Juli 2020 ergänzte der Kläger, die Situation des Klägers sei auch in den vergangenen Monaten als sehr positiv zu bewerten. Von allen Seiten werde auch berichtet, dass der Sohn des Klägers sehr an seinem Vater hänge und ein außergewöhnlich starkes Vater-Sohn-Verhältnis bestehe. Der Kläger habe weitgehend die Betreuung des Kindes übernommen. Darüber hinaus gehe er einer Teilzeittätigkeit nach. Im Herbst könne er eine Ausbildung anfangen. Die Ehefrau des Klägers arbeite in Vollzeit, darüber hinaus gehe sie einer Teilzeittätigkeit nach. 
Im Hinblick auf ein auf Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B. eingeholtes ärztliches Prognosegutachten vom 9. Oktober 2020 und einen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 29. Dezember 2020 erklärte der Kläger unter dem 13. Januar 2020, er sei nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten, absolviere zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Ausbildung als Friseur (Vorlage eines Arbeitsvertrages vom 24.8.2020 betreffend eine Arbeitsaufnahme ab 1.9.2020 als Friseurgehilfe). Der Bezug zu seiner Ehefrau und zu seinem Sohn sei außerordentlich stark. Sollten diesbezüglich Zweifel bestehen, werde angeregt, ein entsprechendes Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben. Darüber hinaus werde beantragt, ein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch unter Beachtung einer ausländerrechtlichen Gefahrenprognose nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger Straftaten begehen werde. Grundsätzlich befinde sich der Kläger in einem guten sozialen Empfangsraum.
Diese Rügen zeigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf.
1.1 Der Kläger stellt mit seinem Zulassungsvorbringen nicht erfolgreich in Frage, dass von ihm nach wie vor eine konkrete Gefahr der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ausgeht. Der Senat lässt offen, ob der Kläger schon deshalb dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht genügt, weil er sich nicht mit dem weiteren vom Verwaltungsgericht selbständig tragend herangezogenen Entscheidungsgrund der nichtbeanstandeten generalpräventiven Erwägungen der Beklagten auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2015 – 22 ZB 15.1584 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer (hier: auch) spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 14.2.2017 – 19 ZB 16.2570). Die Indizien, die für diese Prognose heranzuziehen sind, ergeben sich nicht nur aus dem Verhalten im Strafvollzug und danach. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6/00 – BVerwGE 112, 185 – juris Rn. 14; vgl. auch BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82/89 – NVwZ-RR 1990, 649 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 6.11.2019 – 19 CS 19.1183 – juris Rn. 10). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34 und B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen. Für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10/12 – juris Rn. 15). Dies bedeutet nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013, a.a.O. Rn. 16; U.v. 4.10.2012, a.a.O.).
Was die Prognose der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Hinblick auf Drogenstraftaten angeht, ist zudem festzuhalten, dass Betäubungsmitteldelikte zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören. Die Folgen, insbesondere für junge Menschen, können äußerst gravierend sein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – Rs. C-149/09, „Tsakouridis“ NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach klargestellt, dass er bei der Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldeliktes – wie hier vorliegend – in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (U.v. 30.11.1999 – Nr. 3437 – 97 „Baghli“ NVwZ 2000, 1401, U.v. 17.4.2013 – Nr. 52853/99 „Yilmaz“ – NJW 2004, 2147; vgl. OVG NRW, B.v. 17.3.2005 – 18 B 445.05 – juris). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877).
Nach diesen Maßgaben und unter Berücksichtigung des hohen Rangs der bedrohten Rechtsgüter ist vorliegend aufgrund der schwerwiegenden Straftaten des Klägers sowie aufgrund der Einzelumstände weiterhin von einer massiven und fortbestehenden Bedrohung der öffentlichen Sicherheit auszugehen.
Der Kläger ist im Bundesgebiet mehrfach und mit beachtlicher Rückfallgeschwindigkeit strafrechtlich in Erscheinung getreten. Wiederholt hat er Körperverletzungsdelikte begangen. Am 4. Dezember 2007 wurde er durch das Amtsgericht N. wegen Betrugs in 24 Fällen und räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu sieben Monaten Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Die Erwartung des Gerichts, „dass der Angeklagte in Zukunft ein straffreies Leben führen wird und sich bereits die Verurteilung zu einer Jugendstrafe zur Warnung dienen lassen wird“, erfüllte sich nicht. Zuletzt hat das Landgericht N.-F. mit seit 22. August 2017 rechtskräftigem Urteil den Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz erlaubnispflichtiger Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet (Vorwegvollzug von einem Jahr, einem Monat und zwei Wochen). Dem Urteil ist u.a. zu entnehmen, dass der Kläger mehrere Cousinen und Cousins hat, welche Drogen konsumieren. Sein alkoholkranker Vater habe vor der Verrentung in den Bereichen Spedition und Logistik gearbeitet. Er sei mehrmals gewalttätig auch gegenüber dem Kläger geworden. Bis zu seinem 20. Lebensjahr sei der Kläger mit seiner Familie (wegen Konflikten mit Nachbarn) etwa zwanzigmal umgezogen. Im Alter von 23 Jahren sei er mit seiner heutigen Ehefrau zusammengezogen. Ein Jahr später habe er eine zweite Liebesbeziehung zu einer anderen Frau begonnen, aus welcher am 5. März 2014 das zweite Kind des Klägers hervorgegangen sei. Beide Partnerinnen hätten jeweils nichts voneinander gewusst. Der Kläger habe in der Mittelschule die sechste Klasse wiederholen müssen. Etwa zu dieser Zeit habe er bereits mit dem Konsum von Cannabis begonnen und Fehlzeiten in der Schule angehäuft. In der siebten oder achten Jahrgangsstufe habe er an einem Antiaggressionstraining teilgenommen. Die neunte Klasse habe er ebenfalls wiederholen müssen. Nach insgesamt elf Schuljahren habe er seine schulische Laufbahn mit dem einfachen Hauptschulabschluss beendet. Eine Ausbildung zum Gebäudereiniger (begonnen im Alter von 17 Jahren) habe er nach zweieinhalb Jahren abgebrochen, u.a. weil er sich infolge Drogenkonsums nicht mehr in den strukturierten Arbeitsalltag habe eingliedern können. Er habe sich sodann als Gebäudereiniger selbständig gemacht, sei jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht erfolgreich gewesen, habe stattdessen Schulden angehäuft, u.a. beim Finanzamt. In der Folgezeit habe er verschiedene andere berufliche Tätigkeiten ausgeübt, weiter Schulden angehäuft, welche aus seinem Lebensstil, insbesondere dem Konsum von Drogen, herrührten. Sodann sei er erwerbslos gewesen. Schließlich habe er sich im Jahr 2014 selbständig gemacht. Im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit sei er im Juli 2016 wegen Betrugs in zwei Fällen verurteilt worden. Seit dieser Verurteilung bis zu seiner Inhaftierung am 25. Januar 2017 sei er keiner geregelten Tätigkeit mehr nachgegangen. Seinen Freizeitinteressen sei er in den letzten drei bis fünf Jahren nicht mehr nachgegangen bzw. habe sie zugunsten des Konsums von Drogen vernachlässigt. Er habe Schulden von mehr als 100.000 Euro. Cannabinoide habe er erstmals im Alter von 13 Jahren, ab dem 16. Lebensjahr dann regelmäßig genommen. Phasenweise habe er zwischen 5 und 6 Gramm täglich konsumiert. Bei Verringerung der Konsummengen habe er Unruhe, Gereiztheit, verstärktes Hungergefühl und Antriebslosigkeit in Bezug auf frühere Freizeitinteressen verspürt. Erste Erfahrungen mit Amphetaminen in Form von Liquid Ecstasy habe er zwischen dem 19. und dem 21., mit Kokain im 25., mit Methamphetamin im 26. sowie Tilidin und anderen Opioiden im 27. Lebensjahr gesammelt. Seit dem 24. Lebensjahr trinke er regelmäßig Alkohol. Innerhalb von zwei Jahren habe er die Trinkmenge auf bis zu eine halbe Flasche Wodka täglich gesteigert, habe jedoch im Falle der Nüchternheit keinerlei Entzugserscheinungen verspürt. In den letzten drei bis vier Jahren vor seiner Festnahme habe er die Konsummengen und Konsumhäufigkeiten der genannten Drogen vervielfacht. Unter dem Einfluss von Methamphetamin habe er stark an Gewicht verloren und paranoid reagiert. Wegen seiner Abwesenheiten und seiner Wesensveränderung hätten sich die Beziehungsprobleme mit seiner Ehefrau, welche den Rauschgiftkonsum nicht toleriere, zugespitzt. Zuletzt habe er ca. 6 bis 7 Gramm Kokain pro Wochenende konsumiert. In den letzten beiden Monaten vor seiner Festnahme sei es ihm aber gelungen, den Konsum von Kokain deutlich zu reduzieren. Hintergrund seien bevorstehende Familienfeiern und die Weihnachtsfeiertage gewesen, an denen er aus Rücksichtnahme auf seine Ehefrau habe drogenfrei bleiben wollen. Anlassstraftat: Er habe im November 2016 von seiner Großtante eine Probe von 4 Gramm Kokain übernommen, welche diese von ihrem Lieferanten ihrerseits unentgeltlich übernommen gehabt habe. Nachdem er die Qualität des Kokains für gut befunden hatte, bat er die Großtante von ihrem Lieferanten mehr Kokain zu besorgen, welches er erwerben und zu einem Grammpreis von zwischen 80 und 100 Euro gewinnbringend in N. habe weiterverkaufen wollen, um aus den Verkaufserlösen zumindest auch seinen eigenen Betäubungsmittelkonsum zu finanzieren. Einen Teil aus der neuen Lieferung habe der Kläger auch selbst konsumieren wollen, habe sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine genauen Gedanken darüber gemacht, wie hoch dieser Anteil sein sollte. Zeitnah darauf habe die Großtante von ihrem Lieferanten 244,07 Gramm (netto) Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 99,4% und einer Wirkstoffmenge von 243 Gramm zum Grammpreis von 40 Euro auf Kommission übernommen. In der Folgezeit hätten sich der Kläger und seine Großtante dahingehend geeinigt, dass diese die Kokainmenge aus dem Ruhrgebiet nach N. liefern sollte. Unmittelbar nach Fahrtantritt sei aufgrund einer polizeilichen Kontrolle das Rauschgift sichergestellt worden. Des Weiteren habe der Kläger am 25. Januar 2017 in seiner Wohnung in N. ohne erforderliche waffenrechtliche Erlaubnis eine halbautomatische Selbstladepistole sowie 12 Patronen und 95 Randfeuerpatronen im Besitz gehabt. Der Kläger sei bei der Tatbegehung voll schuldfähig gewesen. Es könne beim Kläger (Sachverständigenfeststellungen) von einer Persönlichkeit mit depressiven, aggressiven und emotional-instabilen Merkmalen ausgegangen werden. Diese Merkmale ließen sich teils auf den jahrelangen Substanzkonsum zurückführen. Andererseits bestehe eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Zugunsten des Klägers habe die Kammer dessen Geständnis und seine Einverständniserklärung zur form- und ersatzlosen Einziehung sämtlicher sichergestellter Gegenstände gewertet. Positiv ins Gewicht falle auch, dass er die Taten zumindest auch aufgrund von Suchtdruck sowie zur Finanzierung seines Betäubungsmittelkonsums begangen habe, dass er einen Teil der Menge selbst konsumiert hätte und dass das Rauschgift sichergestellt werden konnte. Zu seinen Lasten sei jeweils zu werten, dass er mehrfach – wenn auch nicht einschlägig – vorbestraft sei und eine hohe Rückfallgeschwindigkeit aufweise. Er sei erst etwa dreieinhalb Monate vor der Tat zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden, dessen Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Auch handle es sich bei Kokain um eine relativ gefährliche Droge, die Grenze zu einer nicht geringen Menge sei um mehr als das Neunundvierzigfache überschritten worden. Beim Kläger habe (Sachverständigengutachten) zur Tatzeit als überdauernde psychiatrische Erkrankung eine Abhängigkeitserkrankung von multiplen Substanzen vorgelegen. Der jahrelange Drogenkonsum habe zu moderaten Auswirkungen in dessen beruflicher Entwicklung und im privaten Leben geführt. Die Abhängigkeit sei behandlungsbedürftig und gehe aus ärztlicher Sicht mit einer inneren Disposition, berauschende Substanzen im Übermaß zu konsumieren, einher. Hierfür würden auch die Informationen aus den medizinischen Unterlagen der JVA sprechen, aus denen Entzugserscheinungen bezüglich Kokain ablesbar seien. Die Kombination aus der Abhängigkeitserkrankung und der Persönlichkeitsstörung begründe einen Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Bei Fortbestehung der Suchtmittelproblematik bestehe durchaus ein Risiko für neuerliche Straftaten aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz. Es sei zu erwarten, dass der Kläger eine angeordnete Unterbringung erfolgreich durchlaufen und anschließend zumindest längere Zeit drogen- und straffrei leben könne. Der Kläger sei grundsätzlich therapiemotiviert. Ein Hang zum Konsum im Übermaß im Sinne des § 64 StGB liege vor. Die vorliegenden Taten gingen auch auf den Hang des Klägers zurück.
Die durch die erhebliche Delinquenz indizierte Gefährlichkeit des Klägers ist bislang nicht beseitigt. Insbesondere lässt die Entwicklung des Klägers nach der den Anlass für die Ausweisung bildenden strafgerichtlichen Verurteilung nicht darauf schließen, dass die Gefährlichkeit des Klägers abgenommen hat oder gar beseitigt ist:
Die Aussetzung der Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren drei Monaten aus dem seit 22. August 2017 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts sowie des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten aus dem seit 21. Juli 2016 rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts M. jeweils ab dem 20. Januar 2021 durch strafvollstreckungsgerichtlichen Beschluss vom 29. Dezember 2020 führt nicht zu einer positiven Sicherheitsprognose im Ausweisungsverfahren:
Grundsätzlich gilt: Einer Straf- und ggf. Maßregelaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer – und gegebenenfalls den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung – kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden; es bedarf jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung (hier unabhängig von der Frage, ob die Strafvollstreckungskammer ihren Beschluss – die Beklagte verneint dies – ausreichend begründet hat) abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn.10 m.w.N.).
Im Einzelnen:
In seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 (19 CS 16.2466 – juris, insbesondere Rn. 8 ff.; KommunalPraxis BY 2017, 275 – Leitsatz, NVwZ 2017, 1637/1638 – Leitsatz – und ZAR 2017, 339 – Leitsatz) hat sich der Senat detailliert mit der Unterschiedlichkeit der Prognosen bei Strafrestaussetzungen und Ausweisungsentscheidungen befasst. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 dargelegt, dass die Rechtsordnung insoweit (hinsichtlich des Prognoserahmens) aus guten Gründen nicht einheitlich ist. Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen ist zu berücksichtigen, dass die in diesen beiden Rechtsbereichen zu erstellenden Prognosen auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften in einem jeweils eigenen Regelungskontext gründen und deshalb an unterschiedlichen Maßstäben zu orientieren sind (systematische Auslegung, vgl. etwa Zippelius, Juristische Methodenlehre, JuS-Schriftenreihe 93, 11. Aufl. 2012, § 8 S. 36). Ein Beschluss über die Aussetzung des Strafrests trifft zur ausweisungsrechtlichen Frage, ob der Ausländer (auch) in Zukunft eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit darstellt, keine unmittelbar verwertbare Aussage; ihm ist insbesondere nicht die Überzeugung zu entnehmen, dass der Ausländer nach der Beendigung strafvollstreckungsrechtlicher Einwirkungen keine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit mehr darstellen wird. Der Ausländer kann eine solche Bedrohung darstellen und die Strafrestaussetzung dennoch rechtmäßig sein. Die dezidierte Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, die Annahme einer Wiederholungsgefahr im Ausweisungsverfahren stelle kein Abweichen von der strafgerichtlichen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung dar (B.v. 16.11.1992 – 1 B 197/92 – InfAuslR 1993, 121, juris Rn. 4, vgl. auch die eingehende Erläuterung im U.v. 15.1.2013, a.a.O., Rn. 19), gibt die Rechtslage zutreffend wieder.
Strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen, durch die die Vollstreckung der weiteren Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zur Bewährung ausgesetzt wird, haben eine Bedeutung, die der im zitierten Senatsbeschluss vom 2. Mai 2017 dargestellten Bedeutung der Strafrestaussetzungsentscheidung vergleichbar ist. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat nicht das Ziel, Gefahren für die öffentliche Sicherheit längerfristig zu unterbinden. Für eine Anordnung dieser Maßregel genügt die hinreichend konkrete Aussicht (ein vertretbares Risiko ist einzugehen, vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 67d Rn. 11), dass durch sie der Verurteilte über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt wird (§ 64 Satz 2 StGB), wobei „eine erhebliche Zeit“ in der Regel bereits ab einem Jahr angenommen werden kann (Schöch in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2008, § 64 Rn. 136 und in Festschrift für Klaus Volk, 2009, S. 705). Eine langfristige Bewahrung vor dem Rückfall kann bereits deshalb nicht als Ziel der Unterbringung festgelegt werden, weil dann entsprechend lange Unterbringungszeiten erforderlich wären. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als freiheitsentziehende Maßnahme darf jedoch nach § 67 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich (vorbehaltlich des Satzes 3 der Bestimmung) zwei Jahre nicht übersteigen, muss in jedem Fall verhältnismäßig sein (§ 62 StGB) und insoweit umso strengeren Voraussetzungen genügen, je länger die Unterbringung dauert (BVerfG, B.v. 19.11.2012 – 2 BvR 193/12 – StV 2014,148 ff.). Die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB, „wenn die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 nicht mehr vorliegen“, ist somit bereits dann vorzunehmen, wenn für eine – im Vergleich zum ausländerrechtlichen Prognosehorizont – relativ kurze Zeitspanne die konkrete Aussicht (unter Eingehung eines vertretbaren Risikos) auf das Unterbleiben rechtswidriger Taten besteht. Nichts Anderes gilt für die Beendigung der Unterbringung nach § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB, „wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“, denn auch bei dieser strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung sowie bei der Erstellung eines Prognosegutachtens hierfür sind die begrenzte Zielsetzung der Unterbringung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Für eine Evaluierung der Unterbringung zur Suchtbehandlung stehen nur wenige Untersuchungen zur Verfügung. Diesen zufolge wird mehr als die Hälfte der Straftäter, die aus dem Maßregelvollzug wegen guter Prognose (vorläufig) entlassen werden, innerhalb von zwei bis drei Jahren erneut straffällig. Bei etwas weniger als der Hälfte kommt es in diesem Zeitraum erneut zu einer Freiheitsstrafe oder zu einem Widerruf der Aussetzung des Maßregelvollzugs (vgl. Dessecker, Recht & Psychiatrie, 2004, 192, 197 ff.). Insgesamt ist nach der dargestellten Rechtslage das erforderliche Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung und für eine entsprechende vorläufige Beendigung der Maßregel wesentlich kleiner als dasjenige für eine positive ausländerrechtliche Gefahrenprognose, weil aus der Sicht des Strafrechts auch die kleinste Resozialisierungschance genutzt werden muss. Das Strafrecht unterscheidet nicht zwischen Deutschen und Ausländern und berücksichtigt daher regelmäßig (die Ausnahmebestimmungen in § 67 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 StGB haben vorliegend wegen des offenen Ausweisungsverfahrens keine Anwendung gefunden) nicht die Möglichkeit, die Sicherheit der Allgemeinheit durch eine Aufenthaltsbeendigung zu gewährleisten.
Gemessen hieran kann durch Vornahme einer notwendigen Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände auch unter Berücksichtigung der positiven Entwicklungen nicht der Schluss gezogen werden, dass durch die Bewährungsaussetzung der jeweiligen Vollstreckungen die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung bzw. sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gefährdet.
Wesentlicher Hintergrund jedenfalls der letzten Delinquenz des Klägers war seine Suchtmittelabhängigkeit. Der Kläger hat zwar die stationäre Therapie in der Entziehungsanstalt abgeschlossen. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr aber nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 29.5.2018 – 10 ZB 17.1739 – juris Rn. 9; B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 m.w.N.). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Erfolgschancen einer Therapie im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (die Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 – Drogeneinrichtungen – Stand: 8/ 2013 des Bundesverbandes für Stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. – Teil 1 – lassen auf eine Misserfolgsquote nach einem Jahr von 70% und mehr schließen; nach Klos/Görgen – Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 25 ff. – sind Rückfälle eher die Regel als die Ausnahme; vgl. insoweit auch Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 47: „bescheidene Erfolge“). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11).
An diesen dargelegten Voraussetzungen fehlt es:
Zunächst ist festzuhalten, dass bei der Einschätzung des Gewichts des eine bedingte Entlassung aus dem Maßregelvollzug empfehlenden Berichts des Bezirkskrankenhauses vom 27.11.2020 zu berücksichtigen ist, dass – wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 2. Mai 2017 (19 CS 16.2466 – juris Rn. 48) im Einzelnen dargelegt und belegt hat – zu einer effektiven Drogenbehandlung ein enges Vertrauensverhältnis erforderlich ist, der Therapeut kein verlängerter Arm des Staates ist und Therapieberichte keine objektive Bewertung oder gar Begutachtung darstellen, weswegen Therapiestellungnahmen als einseitige Stellungnahmen zu bewerten sind, und die Therapieeinrichtung regelmäßig dann eine günstige Prognose abgibt, wenn sie – wie vorliegend – nicht vom Klienten durch einen erheblichen Verstoß gegen ihre Regeln zu einem disziplinarischen Therapieabbruch genötigt worden ist. Im Übrigen hatte sich das Bezirkskrankenhaus noch unter dem 5. Dezember 2019 und unter dem 8. Juni 2020 kritisch zum Kläger geäußert (vgl. im Einzelnen sogleich).
Weiter ist – grundsätzlich davon ausgehend, dass das Potential, sich während der Bewährungszeit rückfallfrei und straffrei zu führen, (nur) einen von mehreren Integrationsfaktoren darstellt (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 10 C 10.12 – juris Rn.19; BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn. 10) – festzuhalten, dass auch das Strafvollstreckungsgericht der Auffassung ist, dass beim Kläger die Gefahr der weiteren Begehung von Straftaten besteht und dieser Gefahr vorgebeugt werden muss. Dies lässt sich dem Umstand entnehmen, dass eine fünfjährige Bewährungsfrist sowie eine fünfjährige Führungsaufsicht (in beiden Fällen die gesetzliche Maximaldauer) festgelegt worden sind. Von der fünfjährigen Frist sind bislang lediglich wenige Wochen verstrichen. Zudem ist der Beschluss mit einer Reihe (zum Teil strafbewährter) Anweisungen gemäß § 68b Abs. 1 und 2 StGB versehen. Inwieweit der Kläger diesen Anweisungen in den nächsten fünf Jahren Folge leisten wird, ist nicht absehbar. Dagegen sprechen gewichtige Faktoren. Er ist Bewährungsversager. Bei ihm ist eine tiefgreifende Drogenproblematik aufgetreten. Auch hat in der Vergangenheit die Geburt seiner Kinder und die väterlichere Verantwortung (der Kläger betont nunmehr das enge Verhältnis insbesondere zum Sohn) keine „Zäsur“ in seiner Lebensführung dargestellt, die eine straffreie Lebensführung erwarten ließe (vgl. BVerfG, B.v. 23.1.2016 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 16 u. 23; B.v. 10.5.2008 – 2 BvR 588/07 – juris Rn. 11 ff. jeweils m.w.N.). Er hat vielmehr die Zeiträume nach der Geburt der Kinder zur Begehung schwerwiegender Straftaten genutzt.
Hinzu kommt zudem, dass dem bisherigen Verhalten des Klägers seit seiner Inhaftierung zwar positive Prognoseanhaltspunkte (insbesondere nunmehr geordnete familiäre Beziehungen, Berufstätigkeit) entnommen werden können. Jedoch haben diese auch deshalb wenig Gewicht, weil es allgemeiner Erfahrung (und der Absicht des Gesetzgebers) entspricht, dass die Möglichkeit, eine zur Bewährung verfügte Straf- bzw. Maßregelaussetzung zu widerrufen, einen erheblichen Legalbewährungsdruck erzeugt, also zu erheblichen Anstrengungen in Richtung Selbstdisziplin und Lebensordnung führen kann (vgl. Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 57 Rn. 14 m.w.N. und Rn. 1: „Damoklesschwert“). Zusätzlich wirkt auf das Verhalten des Klägers das laufende Ausweisungsverfahren ein. Ein solches Verfahren entwickelt noch einmal mindestens denselben Legalbewährungsdruck wie die Straf- bzw. Maßregelaussetzung zur Bewährung. Eine drohende Ausweisung erzeugt insbesondere bei Personen mit Hafterfahrung (Ausgewiesene besitzen diese regelmäßig; auch beim Kläger ist dies der Fall) häufig einen Legalbewährungsdruck, der über denjenigen einer drohenden Inhaftierung hinausgeht; erst recht gilt dies für einen erlassenen, aber noch nicht bestandskräftigen Ausweisungsbescheid. Zu diesem Legalbewährungsdruck trägt wesentlich der Umstand bei, dass im Ausweisungsverfahrensrechtsstreit aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen sind.
Hinzu kommt im Übrigen, dass sich aus dem (von der Strafvollstreckungskammer eingeholten, in dessen Entscheidung vom 29.12.2020 allerdings nicht nachvollziehbar nicht erwähnten) Prognosegutachten des Dr. K. vom 19. Oktober 2020 eine Vielzahl von Hinweisen ergibt, dass die durch die Delinquenz indizierte Gefährlichkeit des Klägers nicht beseitigt ist. Die jeweiligen Ausführungen des Gutachters sprechen gegen eine (grundlegende) Verhaltensänderung beim Kläger:
Dem Prognosegutachten ist u.a. zu entnehmen: Das Bezirkskrankenhaus B. habe unter dem 5.12.2019 u.a. ausgeführt, dass der Kläger die Suchtgruppe als hilfreich und abschreckend wahrgenommen habe; inwieweit er in der Zukunft einen legalen und suchtmittelfreien Lebensentwurf für sich verfolgen und umsetzen werde, bleibe unklar… Sinn und Zweck der Maßregel seien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erfüllt; die Behandlung der Suchterkrankung und die Aufarbeitung der Delinquenz seien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen; die Rehabilitationsphase der Therapie habe gerade begonnen, die Erreichung wichtiger Ziele stehe noch aus; derzeit könne somit keine positive Legal- und Sozialprognose gestellt werden, sodass weiterhin die Notwendigkeit der Unterbringung angezeigt werde; andernfalls seien bei dem Patienten Suchtmittelrückfälle und ggf. erhebliche rechtswidrige Taten im Bereich der Betäubungsmitteldelikte zu erwarten. Unter dem 8. Juni 2020 habe das Bezirkskrankenhaus B. ausgeführt, betreffend dem Behandlungsverlauf seien beim Kläger wiederholt manipulative Tendenzen erkennbar, er versuche aus bestimmten Situationen einen persönlichen Vorteil zu ziehen, um getroffene Absprachen zu umgehen; hohe Anpassungsfähigkeit und manipulative Tendenzen als Ausdruck der dissozialen Persönlichkeitsstörung; setzte sich mit seinen delinquenten Persönlichkeitsanteilen und seinen begangenen Straftaten auseinander; nutzte die Ausgänge der Stufe-C vorrangig zur Freizeitgestaltung und für Heimfahrten zu seiner Familie… Sinn und Zweck der Maßregel seien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erfüllt; die Behandlung der Suchterkrankung und die Aufarbeitung der Delinquenz seien zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen; die Rehabilitationsphase der Therapie sei noch nicht abgeschlossen; die Erreichung wichtiger Ziele, wie der Beginn der Ausbildung, Erprobung im ersten Arbeitsmarkt, stünden aktuell noch aus; bei derzeitigem Behandlungsstand könne somit keine positive Legal- und Sozialprognose gestellt werden, sodass weiterhin die Notwendigkeit der Unterbringung angezeigt sei; andernfalls seien bei dem Patienten Suchtmittelrückfalle und ggf. erhebliche rechtswidrige Taten im Bereich der Betäubungsmitteldelikte zu erwarten… Eigenanamnestische Angaben des Klägers beim Sachverständigen: … seit Juni 2019 sei er in einer Privatinsolvenz… seit Juni 2014 sei er verheiratet (Hochzeit in der Haft), er bereue die Parallelbeziehung nicht, die Ehefrau habe ihm verziehen, die Tochter übernachte teilweise auch bei ihnen. Der Sohn sei am 1. September 2012, die Tochter am 5. März 2014 geboren… auf die Anlasstat sei er heute nicht stolz, es habe ihn viele Jahre seines Lebens gekostet, er habe in den „sauren Apfel“ beißen müssen, habe so auch seine Kinder nicht aufwachsen sehen können, heute sei er froh inhaftiert worden zu sein, es habe ihm die Augen geöffnet… in seiner Familie sei Alkohol und auch Drogenkonsum vorgekommen… der Schwiegervater seines Bruders sei an einer Überdosis verstorben… er sehe heute, dass er Kokain definitiv zu viel und zu oft konsumiert habe. Er wolle drogenfrei bleiben, er wolle nicht wieder in Haft kommen. Er arbeite in Teilzeit bei einem Friseur, wolle die Ausbildung und den Meister erlangen, das sei eine gute Perspektive… Kriminalprognostische Bewertung: Es müsse von dem Vorliegen eines Abhängigkeitssyndroms von Stimulantien (ICD-10: F15.2) sowie einem Missbrauch von Cannabinoiden (ICD-10: F12.1) vor dem Hintergrund einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2) ausgegangen werden… bei Abhängigkeitserkrankungen handle es sich meist um Störungen mit intermittierendem Verlauf. Typische Rückfallauslöser könnten Trennungsereignisse, Todesfälle innerhalb der Familie, körperliche Erkrankungen, langanhaltende berufliche oder finanzielle Überforderung oder der Verlust des Arbeitsplatzes sein… Was das der Anlassverurteilung zugrunde liegende forensisch-psychiatrische Gutachten vom 19. Juni 2017 angehe, lägen Widersprüche in den Angaben des Klägers zu seinem Suchtmittelkonsum bezüglich der aktuellen Untersuchung vor. Plausibel erscheine hier, dass der Kläger aktuell die Dissimulationstendenzen zeige, um den Schweregrad seines Konsums und der Abhängigkeit in der aktuellen Begutachtung zur Entlassprognose in verringertem Ausmaß darzustellen. In der Begutachtung vom 19. Juni 2017 sei es eher darum gegangen, eine Maßregeltherapie zu erhalten. Demnach sei der Konsum wohl vergleichsweise schwerwiegend ausgefallen. Dies könne auch als Verdachtshinweis für Aggravationstendenzen bewertet werden. Das müsse hier berücksichtigt werden und könne weiter als manipulative Verhaltensweise in den diagnostischen Bereich der Dissozialität eingeordnet werden. Weiter müsse bei dem Kläger von deutlichen dissozialen Persönlichkeitsmerkmalen ausgegangen werden. Auch das Bezirkskrankenhaus B. habe eine dissoziale Persönlichkeitsstörung als Behandlungsdiagnose aufgeführt. Es lägen im postdeliktischen Verlauf Merkmale vor, die sich diagnostisch hierzu einordnen ließen: Hohe Anpassungsleistung; großer Redebedarf und selbstdarstellerische Tendenzen, rasch hohe Position innerhalb neuer sozialer Gefüge, z.B. „Hell´s Angels“, Gefängnis… Rockermilieu als Familienersatz… Es würden weiter einige Daten der beruflichen Anamnese auf dissoziale Merkmale hinweisen, bzw. seien diese Daten als auffällige und risikofördernde Aspekte zu bewerten… Weiter müsse die Doppelbeziehung, also zwei parallele Partnerschaften mit verschiedenen Frauen, aus denen jeweils ein Kind entstanden sei, als dissoziales Indiz gewertet werden… Insgesamt verdichte sich die aktuelle Bewertung zu der Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung… Bezüglich des statistischen Rückfallrisikos von Betäubungsmittelstraftätern sei festzuhalten, dass innerhalb des ersten bis dritten Jahres 45% der Straftäter erneut registriert würden, mit einer Zunahme von weiteren 11% auf 56% vom vierten bis sechsten Jahr und weiteren 4% auf 60% innerhalb des siebten bis neunten Jahres des Beobachtungszeitraumes… Die Merkmalskonstellation der Anlasstat im Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz, die gemäß der bundesweiten Rückfallstudie bereits einen deutlichen Risikofaktor mit überdurchschnittlichem Rückfallrisiko darstelle, müsse als ungünstig bewertet werden. Von einem Zusammenhang der Delinquenz zu der Persönlichkeit des Probanden, hier dissozialen Merkmalen, müsse weiter ausgegangen werden. Die Persönlichkeitsstruktur des Probanden dürfte der vorrangig kriminogen-relevante Aspekt sein… Risikofördernd wirkten sich Anzahl der Eintragungen (im BZR), Art der Vordelikte im Bereich Gewalt und Raub sowie das zweimalige Bewährungsversagen aus… Insgesamt stelle die Indexdelinquenz des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des vorsätzlich unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz erlaubnispflichtiger Munition, unter Berücksichtigung von Schweregrad der Anlasstat und dem Strafmaß von sechs Jahren und drei Monaten, der Vorstrafenbelastung und den oben ausgeführten Aspekten, einen deutlichen Risikofaktor bezüglich weiterer Delinquenz dar… Das aktuelle Lebensalter des Probanden (noch 35 Jahre) müsse hier weder als besonders günstiges noch ungünstiges Merkmal festgehalten werden… Ausmaß und Schweregrad der Vorstrafenbelastungen sei einer der bedeutsamsten prognostischen Faktoren… Zur Vorstrafenbelastung müsse festgehalten werden: Es seien keine einschlägigen Betäubungsmitteldelikte aufgeführt… bei dem ersten Eintrag im Jahr 2000 sei der Kläger 16 Jahre alt gewesen. Protektiv müssten hier die fehlenden Haftzeiten im Vorfeld sowie das Fehlen einschlägiger Straftaten festgestellt werden. Risikofördernd wirkten sich die Aspekte Jugenddelinquenz, Anzahl der Eintragungen, Art der Vordelikte im Bereich Gewalt und Raub sowie das zweimalige Bewährungsversagen aus. Insgesamt überwögen hier in der strafrechtlichen Belastung die ungünstigen Merkmale. In dem postdeliktischen Verlauf würden auch Zusammenhänge zum kriminellen Milieu und kriminellen Organisationen aufgeführt, was hier ebenfalls berücksichtigt werden müsse. Weiter würden psychische Störungen, typischerweise Persönlichkeitsstörungen oder Störungen im Bereich des Substanzkonsums als relevante prädiktive Faktoren gelten… Diagnostisch weise der Proband nach aktueller Einschätzung eine Stimulanzienabhängigkeit, einen Cannabismissbrauch sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung auf. Diese diagnostische Einschätzung müsse hier als deutlicher Risikofaktor bewertet werden… Prognostisch relevante Merkmale seien weiter die Daten der beruflichen Anamnese und die berufliche Leistungsbereitschaft… Insoweit würden die Daten der beruflichen Anamnese ein gewisses Maß an Auffälligkeit hinsichtlich risikofördernder Faktoren darstellen. Der Proband habe von Schulden, insgesamt fünf bis sechs Arbeitsplätzen, wiederholter Arbeitslosigkeit berichtet. Es seien risikofördernde Persönlichkeitsmerkmale festzustellen. Parasitäre und manipulativ-ausbeuterische Tendenzen zur Finanzierung des eigenen Lebensunterhaltes müssten hier als gegeben anerkannt werden. Der aktuelle Familienstand in einer Ehe mit insgesamt zwei Kindern, eines davon aus der aktuellen Ehe, müsse als risikoreduzierender Aspekt festgestellt werden. Es sei glaubhaft und stimmig, dass der Kläger ernsthaft nicht mehr in Haft kommen wolle. Im Fazit lieferten die anamnestischen Daten des Probanden mit den Bereichen Lebensalter, delinquente Belastung, diagnostische Situation und Daten der beruflichen und partnerschaftlichen Anamnese ein überwiegend ungünstiges Bild. Insbesondere die Vorstrafenbelastung, die diagnostische Situation und die Daten der beruflichen Anamnese stellten hier Risikofaktoren dar… Zur postdeliktischen Entwicklung: … Laut wissenschaftlichen Studien liege das Risiko für eine erneute strafrechtliche Registrierung nach der Entlassung aus der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in einem Bereich von 35 bis 40%. Überwiegend hätten sich dabei Straftaten ergeben, denen ein Rezidiv der Abhängigkeitserkrankung vorausgegangen sei, also neue Hangtaten im Sinne des § 64 StGB. Der Schweregrad der neuen Delikte sei im überwiegenden Anteil gering gewesen. Die postdeliktische Unterbringung in einer Maßregelklinik könne demnach als allgemein prognostisch-protektiver Faktor bewertet werden… Betreffend den Kläger liefere der postdeliktische Verlauf sowohl risikofördernde, als auch protektive Faktoren. Es hätten sich während der Unterbringung in der Maßregelklinik des Bezirkskrankenhauses B. zahlreiche Hinweise auf dissoziale Merkmale beim Kläger ergeben. Wirkliche Hinweise für das Vorliegen einer tiefergehenden Störungs- und Problemeinsicht bezüglich der Delinquenz seien aus den Stellungnahmen des Bezirkskrankenhauses B. nicht hervorgegangen, es werde aber darauf hingewiesen, dass der Kläger eine hohe Therapiemotivation und Veränderungswillen äußere und dass er berichtet habe, bei sich bereits in der Haft große Veränderungen festgestellt zu haben. Inwieweit er hier authentisch agiere oder nicht, sei nach den Stellungnahmen nicht wirklich beurteilbar gewesen. Rückfälle in ein Konsumverhalten seien nicht registriert worden, was hier als protektives Merkmal bewertet werden müsse… Nach Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei die übliche Rückfallrate etwas geringer als die durchschnittliche Rückfallrate nach dem Strafvollzug anzusetzen. Normalerweise sei eine Unterbringung nach § 64 StGB als protektiver Aspekt zu werten. Diese Aussage treffe überwiegend auf Hangtäter zu, berücksichtige nicht die Dunkelziffer und die Behandlungsstudien zur Dissozialität böten eher geringe Erfolgsaussichten. Bei Straftätern jedoch, deren Delinquenz überwiegend oder sogar ausschließlich auf dissoziale Strukturen zurückzuführen sei, könne diese protektive Wirkung kaum oder gar nicht angenommen werden… Zusammengefasst liefere der postdeliktische Verlauf sowohl risikofördernde als auch protektive Faktoren. Prinzipiell müssten das bereits begonnene Ausbildungsverhältnis sowie der Familienstand und der damit verbundene soziale Empfangsraum des Klägers als protektive Merkmale festgestellt werden. Weiter könnten Kontrollmöglichkeiten durch Weisungen und die Nachsorgeambulanz genutzt werden, um hier günstig einzuwirken… Gefährlichkeitshypothese: Bezüglich der Gefährlichkeit des Klägers müssten vorrangig die sozialen Persönlichkeitsmerkmale berücksichtigt werden. Über dies hinaus weise der Kläger einen Hang, berauschende Substanzen, hier Stimulanzien, im Übermaß zu konsumieren, auf. Insgesamt stelle die Indexdelinquenz des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz erlaubnispflichtiger Munition, unter Berücksichtigung von Schweregrad, Vorstrafenbelastung und den oben ausgeführten Aspekten einen deutlichen Risikofaktor bezüglich weiterer Delinquenz dar. …Bei einem Rückfall in delinquente Verhaltensweise seien nach Bewertung von Anlassdelikt und delinquenter Vorbelastung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Delikte im Bereich Betäubungsmittelkriminalität oder Betrugsdelikte zu erwarten. Gemäß der oben beschriebenen Persönlichkeitsstruktur seien auch keine impulsiven Gewaltdelikte zu erwarten, sondern wenn, dann instrumentell-geplante Gewalt zur egozentrischen Zielerreichung, z.B. der Bereicherung dienten. …In der Zusammenfassung müsse aktuell von einem Rückfallrisiko im Bereich von 41 bis 60% bei dem Probanden nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug ausgegangen werden. Durch eine Erprobung auf dem Arbeitsmarkt werde dieses Risiko reduziert, weshalb eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug in einem überschaubaren Zeitraum geplant werden könne. Diese Erprobung sollte mindestens mehrere Monate umfassen und würde die oben genannte Risikoeinschätzung auf einen Bereich von 21 bis 40% reduzieren… Zusammenfassung und Beantwortung der Fragestellung: Der Kläger erfülle die Kriterien für eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, überdies hinaus weise er ein Abhängigkeitssyndrom von Stimulanzien sowie einen Missbrauch von Cannabinoiden auf. Die Anlasstat müsse nach aktueller Einschätzung vorrangig auf die dissoziale Persönlichkeitsstörung des Probanden zurückgeführt werden. Daneben müsse weiter ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren, hier Stimulanzien, berücksichtigt werden… Das Anlassdelikt im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität sowie die anamnestischen Daten würden auf ungünstige Risikoaspekte weisen. Positiv bezüglich der Vorstrafenbelastung sei festzuhalten, dass der Kläger keine einschlägigen Vorstrafen im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität aufweise, weiter, dass die Vorstrafen überwiegend Geldstrafen nach sich gezogen hätten und dass sich der Kläger vor der aktuellen Sache noch nicht in Haft befunden habe. Zwei Freiheitsstrafen seien jedoch zur Bewährung ausgesetzt gewesen. Bei der Anlasstat sei der Kläger unter Bewährung gestanden. Den schwerwiegendsten Risikofaktor beim Kläger stelle eindeutig die Dissozialität dar. Es müsse ausgeführt werden, dass dissoziale Straftäter mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit trotz teilweise mehrmaliger vorausgegangener Inhaftierungen, Bewährungsauflagen, Weisungen und Kontrollfunktionen weiterhin delinquente Verhaltensweisen (z.B. Dunkelbereichdelikte im BTM-Bereich) zeigen würden. …Der Proband verfüge aktuell über eine berufliche Perspektive in Form einer zweijährigen Ausbildung im Friseurberuf und wohne mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind in einer Wohnung in N., was hier prinzipiell eine günstige Ausgangssituation für eine legale und prosoziale Lebensperspektive darstelle. Weiter weise er eine körperliche Erkrankung in Form einer Psoriasis vulgaris auf und habe in der aktuellen Untersuchung auch einen eindrücklichen Hafteindruck geschildert. Daher sei die Motivation des Probanden, nicht erneut strafrechtliche Probleme zu bekommen trotz der obigen Ausführungen zur Dissozialität insgesamt nachvollziehbar und glaubhaft. Dieser Aspekt verstärke sich noch durch die ausländerrechtliche Situation. Weitere strafrechtliche Auffälligkeiten könnten für den Kläger äußerst schwerwiegende negative Konsequenzen nach sich ziehen, was wiederum die Wahrscheinlichkeit auf eine künftig erfolgreiche Legalanpassung verstärken könne. Insgesamt habe der Proband die Maßregelbehandlung für sich genutzt… Der soziale Empfangsraum erscheine günstig… Trotz der persistierenden dissozialen Auffälligkeit während der Unterbringung könne daher nach einer ausreichenden erfolgreichen und stabilen Erprobung des sozialen Empfangsraumes nach überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer positiven Sozialprognose beim Kläger ausgegangen werden, da begründete Aussicht bestehe, dass er die durch die Maßregelbehandlung gelegten Grundlagen künftig im Sinne einer prosozialen Lebensgestaltung für sich nutzen und ausbauen könne. Offizielle Kontrollfunktionen durch Weisungen zu Drogenscreenings sowie Kontakttermine mit der Nachsorgeambulanz und der Bewährungshilfe des Landgerichts B. sollten bei einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug genutzt werden. …Insgesamt weise der Kläger nach aktueller Einschätzung ein unspezifisches Rückfallrisiko im mittleren bis hohen Bereich von 41 bis 60% auf. Er könne gegenwärtig noch nicht aus dem Maßregelvollzug entlassen werden, weil der soziale Empfangsraum mit dem Ausbildungsverhältnis noch nicht ausreichend erprobt worden sei. Die Entlassung aus dem Maßregelvollzug könne aber, bei einem stabilen und erfolgreichen Verlauf der Erprobungsphase des sozialen Empfangsraumes mit dem Ausbildungsverhältnis von einer ausreichenden und mehrmonatigen Dauer, in einem überschaubaren Zeitraum geplant und vorbereitet werden. Eine derartige Erprobung des sozialen Empfangsraumes würde das oben genannte Rückfallrisiko auf einen mäßigen Risikobereich von 21 bis 40% reduzieren. Zum aktuellen Zeitpunkt müsse aber noch davon ausgegangen werden, dass die Gefährlichkeit des Probanden mit überwiegendem Risiko fortbestehe. …Bei einem Rückfall in delinquente Verhaltensweisen seien in überwiegender Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Delikte im Bereich der Betäubungsmittel- oder Betrugskriminalität zu erwarten. Weiter müsse auch mit Gewaltdelikten wie Körperverletzungen oder räuberische Erpressungsdelikte durch den Kläger gerechnet werden, wobei das Rückfallrisiko für diese Deliktarten nach aktueller Einschätzung vergleichsweise gering ausfalle. Das Risiko zukünftiger Straftaten könne durch eine ausreichende Erprobung des sozialen Empfangsraumes sowie durch offizielle Kontrollfunktionen des sozialen Empfangsraumes reduziert, beherrscht oder verringert werden. Das Risiko von Straftaten werde typischerweise gesteigert durch Trennungsereignisse, Todesfälle innerhalb der Familie, eine Verschlechterung der Erkrankung Psoriasis vulgaris, langanhaltende berufliche oder finanzielle Überforderung oder den Verlust des Ausbildungsverhältnisses. Weiter könne ein Rückfall in ein abhängiges Konsumverhalten der Abhängigkeitserkrankung von Stimulanzien und der Umgang mit dissozialen Szenekontakten das Rückfallrisiko steigern.
Soweit die zentralen Aussagen des Gutachtens im Rahmen der hier einschlägigen Beurteilung der ausländerrechtlichen Wiederholungsgefahr herangezogen werden können, ergeben sich einerseits eine Reihe positiver Prognoseanhaltspunkte. Das Gutachten enthält aber auch (insbesondere wegen der festgestellten dissozialen Persönlichkeitsstruktur des Klägers) eine Vielzahl negativer Prognoseanhaltspunkte und bejaht noch unter dem 19. Oktober 2020 im Rahmen seiner für das Strafvollstreckungsrecht erstellten Begutachtung das Fortbestehen der Gefährlichkeit des Klägers mit überwiegendem Risiko. Es ist mithin und zusätzlich aus den dargelegten Gründen (insbesondere langanhaltende und tiefgreifende Drogenproblematik, wiederholte Delinquenz, Handel mit einer „harten“ Droge, die erhebliches Sucht- und Gefährdungspotential aufweist, zusätzlich im Vordergrund stehende dissoziale Persönlichkeitsstruktur des Klägers, Legalbewährungsdruck, längerer Prognosehorizont, Ausbildungsabbruch bereits in der Vergangenheit, Zusammenleben mit Ehefrau und Kind in der Vergangenheit ohne positiven Effekt) weiterhin von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
Soweit der Kläger – nach Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist – beantragt hat, ein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch unter Beachtung einer ausländerrechtlichen Gefahrenprognose nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger Straftaten begehen wird, ist zum einen festzuhalten, dass die Durchführung einer Beweisaufnahme im Zulassungsantragsverfahren grundsätzlich nicht vorgesehen ist. Zudem bewegt sich das Gericht bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Gerade die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten im Wege einer eigenständigen Prognose ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 36; B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 7 m.w.N.). Nur ausnahmsweise bedarf es der Zuziehung eines Sachverständigen, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 5). Dafür liegen Anhaltspunkte nicht vor. Im Übrigen kann auch ein Sachverständigengutachten die Prognoseentscheidung des Tatrichters nicht ersetzen, sondern nur Hilfestellung bieten (BVerwG, U.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 5). Hinzu kommt, dass das im strafvollstreckungsrechtlichen Verfahren eingeholte Prognosegutachten vom 19. Oktober 2020 auch für die Frage der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose unter Berücksichtigung des hier geltenden Maßstabes als (weitere) Beurteilungsgrundlage (wie auch geschehen) herangezogen werden kann.
1.2 Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger die Gesamtabwägung des Verwaltungsgerichts gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht ernstlich im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
Ein Ausländer kann – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung und Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in § 54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung mit einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49); durch diese Begriffe wird die Abwägung strukturiert.
Das Verwaltungsgericht hat sowohl die Umstände ermittelt und in die Abwägung eingestellt, die zugunsten des Klägers sprechen und zu einem Bleibeinteresse führen, als auch solche, die ein Ausweisungsinteresse begründen. Es ist auch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GG und des Art. 8 Abs. 1 EMRK in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG) ist beim Kläger schon in Folge seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 26. Juli 2017 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz erlaubnispflichtiger Munition zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten gegeben. Das in § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vertypte Ausweisungsinteresse setzt ein Strafmaß von zwei Jahren voraus. Dem steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AufenthG gegenüber, da der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet (vorliegend bereits lebenslang) aufgehalten hat sowie mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt. Zugunsten des Klägers hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich des weiteren Kindes zusätzlich ein schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG angenommen.
In der Rechtsprechung des EGMR ist anerkannt, dass selbst schwerwiegende Beeinträchtigungen familiärer Beziehungen nicht stets das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung verdrängen. Vielmehr ist anhand der sogenannten „Boultif-Kriterien“ ein gerechter Ausgleich der gegenläufigen Interessen zu finden (vgl. z.B. U.v. 18.10.2006 – „Üner“ – juris Rn. 57 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zu berücksichtigen, dass der vom Kläger angeführte Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt und allein aufgrund formal-rechtlicher Bindungen ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht entfaltet (vgl. BVerfG, B.v. 1.12.2008 – 2 BvR 1830/08 – juris). Wie der Gerichtshof betont auch das Bundesverfassungsgericht, dass selbst gewichtige familiäre Belange sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durchsetzen (z.B. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 23). Zu Fragen ist insbesondere, ob die Geburt eines Kindes eine „Zäsur“ in der Lebensführung des betroffenen Ausländers darstellt, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er bei einem legalisierten Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen wird (BVerfG, B.v. 23.1.2006 a.a.O.). Auch ist zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (vgl. BVerfG, B.v. 1.2.2008 a.a.O., B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NVwZ 2013, 1207).
Soweit es sich beim Kläger um einen „faktischen Inländer“ handeln könnte, ist weiter zu berücksichtigen:
Der Begriff „faktischer Inländer“ ist nicht einheitlich definiert, sondern wird in der Rechtsprechung unterschiedlich umschrieben. Das Bundesverwaltungsgericht bezeichnet faktischer Inländer als „im Bundesgebiet geborene und aufgewachsene Kinder, deren Eltern sich hier erlaubt aufhalten“ (vgl. BVerwG, U.v. 16.7.2002, 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378 – juris Rn. 23). Das Bundesverfassungsgericht umschreibt den Begriff mit „hier geborene bzw. als Kleinkinder nach Deutschland gekommenen Ausländer“ (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 19). Bei Ausländern, die im Alter von 13 bzw. 14 Jahren eingereist waren und eine gelungene Integration in die Gesellschaft und Rechtsordnung nicht zu verzeichnen war, wurde die Stellung als „faktischer Inländer“ verneint (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 – 19 CE 17.2454 – juris Rn. 24; B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 10). Letztlich entbindet die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht auch für so genannte „faktische Inländer“ kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn .19). Bei der Ausweisung im Bundesgebiet geborener Ausländer ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Auch nach der Rechtsprechung des EGMR bietet Art. 8 EMRK bei sogenannten „Zuwanderern der zweiten Generation“ keinen absoluten Schutz vor einer Aufenthaltsbeendigung (vgl. EGMR [Große Kammer], U.v. 18.10.2006 – 46410/99 Rn. 54 – Üner, NVwZ 2007, 1279).
Im Rahmen der Ermittlung der privaten Belange ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.
All dies zugrunde gelegt kommt der Senat im Rahmen einer Gesamtabwägung zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise die privaten Interessen des Klägers überwiegt:
Der Kläger ist zwar im Bundesgebiet geboren und hat hier nach mäßigen Schulerfolgen einen einfachen Hauptschulabschluss erreicht. Der Aufbau einer gesicherten wirtschaftlichen Existenz im Bundesgebiet ist ihm jedoch nicht gelungen. Er hat hohe Schulden angehäuft und befindet sich in Privatinsolvenz. Längerfristige berufliche Beschäftigungen sind ihm nicht gelungen. Zuletzt war er vor seiner Inhaftierung arbeitslos. Eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist mithin nicht zu verzeichnen, vielmehr hat er seine berufliche Tätigkeit (teilweise) zur Begehung von Straftaten genutzt. Eine Integration in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist ihm auch in Anbetracht seiner wiederholten Straffälligkeit nicht geglückt. Er hat Körperverletzungs- und Gewaltdelikte verübt. Das Schutzgut der körperlichen Integrität nimmt in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen sehr hohen Rang ein und löst staatliche Schutzpflichten aus (BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19/11 – juris Rn. 15). Darüber hinaus gehören Betäubungsmitteldelikte – wie auch vom Kläger begangen – zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV). Es wird nicht verkannt, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht der lebenslangen Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und ggf. auch sozialen Bindungen als gravierender Grundrechtseingriff darstellt. In Anbetracht der Schwere und Vielzahl der Delikte des Klägers überwiegt jedoch das Ausweisungsinteresse. Seine im Bundesgebiet lebende Herkunftsfamilie hat den Kläger in der Vergangenheit ebenso wenig davon abhalten können, Drogen zu konsumieren und strafrechtlich in Erscheinung zu treten wie seine Ehefrau, die von seinem delinquenten Verhalten wusste, als sie den Kläger in der Haft heiratete. Auch der Umstand, dass er in den Jahren 2012 und 2014 Vater wurde, hat den Kläger nicht davon abgehalten, massiv strafrechtlich in Erscheinung zu treten. In Anbetracht der Folgen der vom Kläger begangenen Straftaten für die Gesellschaft und der weiterhin (wie dargelegt) bestehenden Wiederholungsgefahr ist es ihm zumutbar, im Land seiner Staatsangehörigkeit Fuß zu fassen, und die familiären Kontakte von dort aus aufrecht zu erhalten. Selbst wenn er (wie behauptet; es kann offenbleiben, ob dies stimmt) kaum oder keine Kontakte nach Serbien haben sollte, ist es ihm zumutbar angesichts der von ihm ausgehenden Gefahren und auch seines noch nicht fortgeschrittenen Alters, ggf. die erforderlichen Sprachkenntnisse zu erwerben oder aufzufrischen sowie dort eine Existenz aufzubauen. Es besteht des Weiteren die zumutbare Möglichkeit, dass ihn seine Familie aus der Bundesrepublik während der Eingewöhnungsphase unterstützt. In Anbetracht der Schwere seines delinquenten Verhaltens und der daraus resultierenden Gefahr für höchste Güter der Gesellschaft ist es dem Kläger auch zuzumuten, den Kontakt zur Ehefrau und den beiden Kindern insbesondere über moderne Medien aufrecht zu erhalten. Sie können den Kläger auch besuchen. Für den Kläger sind zudem kurzfristige Betretungserlaubnisse gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG möglich. Eine dauerhafte Trennung von Ehefrau und Kindern muss nicht eintreten. Soweit der Kläger (ohne weitere Darlegung) auf das intensive Verhältnis zu seinem am 1. September 2012 geborenen Sohn hinweist, ist festzuhalten, dass er nicht in der Lage war, diesem in der Vergangenheit ein väterliches Vorbild zu sein, dass der Sohn in den letzten Jahren wegen des Aufenthalts des Vaters in Haft/Entziehungsanstalt nur einen eingeschränkten Kontakt zu diesem hatte und das Kind aufgrund seines Alters bereits in der Lage ist, die Gründe für die Ausweisung des Vaters zu verstehen.
Mithin berücksichtigt die vom Verwaltungsgericht bestätigte Ausweisung angemessen die Bindung des Klägers zu seinen Kindern und das jeweilige Kindeswohl. Soweit von einer gelebten, grundsätzlich schützenswerten Vater-Kind-Beziehung in beiden Fällen, mithin von einer Bejahung einer nach Art. 6 Abs. 1 GG schutzwürdigen Gemeinschaft ausgegangen werden kann, überwiegen jedenfalls die Belange der Bundesrepublik Deutschland das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte private Interesse an der Aufrechterhaltung einer familiären Beistands- bzw. Begegnungsgemeinschaft. Ebenso lässt unter der Annahme, dass die Ausweisung des Klägers einen Eingriff in sein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht auf Familienleben bedeutet, Art. 8 Abs. 2 EMRK hier einen solchen Eingriff zu, weil er „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die … öffentliche Sicherheit“. Denn die bei der Abwägung einzustellenden Interessen von Vater, Kindern und Ehefrau am weiteren Verbleib des Klägers in Bundesgebiet besitzen erheblich weniger Gewicht als die gegen einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gründe. Bezug genommen wird auf die bereits getätigten Ausführungen zur Gefährlichkeit des Klägers, auch zu dem Umstand, dass die Geburten seiner Kinder seine weitere erhebliche Delinquenz nicht gehindert haben, gerade keine „Zäsuren“ in seiner Lebensführung darstellten. Festzuhalten ist zudem, dass das zwischen dem Ausländer und seinen minderjährigen deutschen Kindern bestehende (ggf.) Familienleben bzw. das Kindeswohl nicht generell und ausnahmslos Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4; B.v. 21.7.2015 – 1 B 26.15 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 21.5.2019 – 10 B 19.55 – juris Rn. 44).
Ein Vortrag, der die Befristungsentscheidung in Nr. III des Bescheids der Beklagten in Zweifel zieht, erfolgte nicht.
2. Das Vorliegen des Zulassungsgrundes der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO hat der Kläger schon nicht dargelegt.
Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne dieser Vorschrift weist eine Rechtssache dann auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sie sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Für die Darlegung der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten genügt dabei die allgemeine Behauptung eines überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrads nicht. Vielmehr ist erforderlich, dass sich der Kläger mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil substantiell auseinandersetzt und im Einzelnen darlegt, hinsichtlich welcher aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung auftretenden Fragen sich besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten ergeben sollen (BayVGH, B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Eine derartige Darlegung im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO fehlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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