Verwaltungsrecht

Ausweisung in den Irak wegen Verurteilung

Aktenzeichen  10 ZB 15.1968

Datum:
21.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 46954
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 8 Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1
StGB § 57 Abs. 1
JGG § 88
AufenthG § 25 Abs. 5, § 53 Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 55 Abs. 1, Abs. 2, § 60 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5, Abs. 7
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Maßgeblich für die Beurteilung einer Ausweisungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (hier: der Entscheidung über den Zulassungsantrag). Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Ausweisung ist rechtmäßig, wenn wegen einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (§ 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG) besteht, dem mangels Aufenthaltserlaubnis kein Bleibeinteresse (§ 55 Abs. 1 und 2 AufenthG) entgegensteht, und die dann gebotene Abwägung (§ 53 Abs. 2 AufenthG) keine atypischen Fall ergibt. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besteht nicht, da die Ausreise in den Irak möglich und zumutbar ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 K 14.3577 2015-07-21 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 3. Juli 2014 und Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis weiter. Mit diesem Bescheid wies die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und untersagte die Wiedereinreise für fünf Jahre. Zugleich lehnte sie seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 12. April 2011 ab, duldete aber seinen Aufenthalt wegen tatsächlicher Abschiebungshindernisse in den Irak.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der allein dargelegte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (1.). Die zudem geltend gemachten Zulassungsgründe der rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO) sind schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt (2.).
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B. v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Dies ist jedoch bezüglich der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellung, dass die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig sei (a.), und er keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis habe (b.), nicht der Fall.
a. Das Erstgericht geht in der Urteilsbegründung davon aus, dass der Kläger durch seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten (Urteil vom 8.10.2013) den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG a. F. erfüllt habe und daher in der Regel ausgewiesen werde, er keinen besonderen Ausweisungsschutz genieße und auch kein Ausnahmefall im Sinne des § 54 AufenthG a. F. vorliege. Die Ausweisung sei unter Anwendung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Grundsätze nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Der Kläger sei mehrmals wegen erheblicher Straftaten verurteilt worden. Die Straftaten hätten sich gegen das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit gerichtet. Die Ausweisung erfolge sowohl aus general- als auch aus spezialpräventiven Gründen. Der Kläger sei ein mehrmaliger Bewährungsversager. Es bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr der Begehung weiterer ähnlich gelagerter Straftaten. Eine Auseinandersetzung oder eine Einsicht des Klägers in seine Taten und eine positive Entwicklung seien nicht erkennbar. Der Kläger sei im Alter von 14 Jahren mit seinem Vater aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Er sei in seiner Kindheit im Heimatland sozialisiert worden. Das Gericht gehe davon aus, dass er sich in der Landessprache seines Heimatlandes verständigen könne. Er habe durch seine aus dem Irak stammenden Eltern eine soziokulturelle Beziehung zum Heimatland. In Deutschland habe er keinen Berufsabschluss erreicht, kaum gearbeitet und sich auch nicht in sonstiger Weise integriert. Er habe keine eigene Familie gegründet. Zulasten des Klägers sprächen seine zahlreichen Straftaten und seine fortdauernde Gefährlichkeit. Er sei weder als Asylberechtigter anerkannt noch sei ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Seine Aufenthaltserlaubnis sei alleine Folge des Umstands, dass die Mutter des Klägers erkrankt gewesen sei. Die Pflege der Mutter habe ihn nicht davon abgehalten, straffällig zu werden. Selbst wenn man einen Ausnahmefall im Sinne des § 54 AufenthG a. F. annehmen wolle, sei die Ausweisung als Ermessensausweisung rechtmäßig.
Der Kläger bringt im Zulassungsverfahren vor, dass die Ausweisung nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK entspreche. Er sei als Flüchtling eingereist und lebe noch bei seinen Eltern und den beiden älteren Geschwistern. Er habe im Heimatland keine Verwandten mehr, seine Heimatstadt dürfte inzwischen in Schutt und Asche liegen. Der Kläger und seine Familie seien Flüchtlinge, die aus einer Gegend stammten, in der zurzeit der Islamische Staat die Macht an sich reißen wolle. Den Kläger in sein Heimatland zurückzuschicken, würde bedeuten, sein Leben zu gefährden. Die Maßnahme sei im Hinblick auf die begangenen Straftaten unverhältnismäßig. Der Kläger habe die meisten Straftaten im jugendlichen Alter begangen. Er sei Erstverbüßer und habe nun erstmals die Gelegenheit, sich mit seinen Verhaltensweisen, insbesondere auch seinem Alkoholkonsum, auseinanderzusetzen. Eine positive Entwicklung sei daher nicht von vornherein auszuschließen. Die Ermessenserwägungen der Beklagten seien unzureichend.
Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, soweit damit die Klage gegen die Ausweisungsverfügung im Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2014 abgewiesen wird, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuellen Fassung des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I S. 394), das am 17. März 2016 in Kraft getreten ist, im Ergebnis jedoch nicht ernsthaft in Zweifel.
Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Denn maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen, sie ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57).
Der Senat hat daher die verwaltungsgerichtliche Entscheidung unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens anhand der gesetzlichen Regelungen über die Ausweisung in der ab 17. März 2016 gültigen Fassung zu überprüfen. Die bereits am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen neuen gesetzlichen Regelung zur Ausweisung (Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015, BGBl I S. 1886) differenzieren nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangen für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang überprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 – 56 Rn. 5 ff., a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte (Ermessens-) Ausweisung wird auch nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n. F. nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Der Senat kommt vorliegend bei der Prüfung der Ausweisungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer Ausreise unter Abwägung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch gegeben. Denn es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger auch weiterhin Straftaten, die sich gegen die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum anderer richten, begehen wird. Bei der vom Gericht eigenständig zu treffenden Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, B. v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – UA Rn. 11). Der Kläger ist bereits als Jugendlicher durch Körperverletzungsdelikte aufgefallen. Die verhängten Jugendarreste haben den Kläger nicht davon abgehalten, weiterhin Körperverletzungsdelikte zu begehen, die sich in ihrer Brutalität steigerten. Das Amtsgericht München verurteilte ihn am 18. Juni 2010 wegen vorsätzlicher Körperverletzung (unter Einbeziehung einer vorherigen Verurteilung wegen Diebstahls) zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, deren Vollzug zur Bewährung ausgesetzt wurde. In der Bewährungszeit beging er ein weiteres Körperverletzungsdelikt, das zu einer Verurteilung durch das Amtsgericht München zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten führte. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger künftig wegen der Verbüßung der verhängten Freiheits- bzw. Jugendstrafe keine Gewaltstraftaten mehr begehen und sich an die Rechtsordnung halten werde, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Zunächst ist nicht zutreffend, dass der Kläger die meisten Straftaten als Jugendlicher begangen hat. Die letzte Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdelikts zu acht Monaten Freiheitsstrafe erfolgte zu einem Zeitpunkt, als der Kläger schon erwachsen war; dies gilt auch für die Verurteilungen zu Geldstrafen wegen Erschleichens von Leistungen, gemeinschaftlicher Sachbeschädigung und wegen Beleidigung. Auch ist der Kläger nicht „Erstverbüßer“, sondern befand sich vor seiner Inhaftierung bereits mehrmals im Jugendarrest. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr neuen Straffälligwerdens mindern kann (BayVGH, B. v. 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – UA Rn. 12 m. w. N.). Es ist beim Kläger aber nicht erkennbar, dass ihn die Verbüßung der Freiheitsstrafe nachhaltig beeindruckt, er sich mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandersetzt und es zu einem nachhaltigen Einstellungswandel gekommen ist. Die Justizvollzugsanstalt stellt in ihrem Führungsbericht vom 19. Juni 2015 fest, dass aufgrund der Delikts- und Persönlichkeitsstruktur des Klägers eine Teilnahme an der anstaltsinternen Gewalt-Präventions-Gruppe notwendig erscheine, die Behandlungs- und Veränderungsmotivation jedoch unzureichend sei. Das Verhalten im Vollzug sei nicht beanstandungsfrei. Zudem erbringe er in einem Unternehmerbetrieb nur unbeständige und unterdurchschnittliche Arbeitsleistungen. Vollzugslockerungen seien dem Kläger mangels Eignung nicht gewährt worden. Die Justizvollzugsanstalt hat daher auch eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB i. V. m. § 88 JGG nicht befürwortet. Der Kläger hat seine Alkoholproblematik, die er als Ursache für die von ihm begangenen Straftaten ansieht, nicht aufgearbeitet, so dass auch aus diesem Grund zu befürchten ist, er werde auch in Zukunft unter Einfluss von Alkohol Straftaten begehen (vgl. zur Wiederholungsgefahr bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung beruhen, z. B. BayVGH, B. v. 19.5.2015 – 10 ZB 13.1437 – juris Rn. 13).
Ein besonders schwerwiegendes oder ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG liegt nicht vor. Sämtliche Privilegierungstatbestände dieser Vorschriften, die berücksichtigen, dass der Kläger als Minderjähriger ins Bundesgebiet eingereist ist und sich seit fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält, setzen den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis voraus. Eine solche besitzt er jedoch seit dem 17. April 2011 nicht mehr.
Hingegen besteht ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG. § 54 AufenthG konkretisiert und gewichtet die Ausweisungsinteressen, die in die Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG einzubeziehen sind. Die Verurteilungen des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten und zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde, begründen für sich genommen kein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG, da sie die Voraussetzungen der jeweiligen Regelung nicht erfüllen. Durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung (Urteil des Amtsgerichts München vom 8.10.2013) ist aber jedenfalls der Tatbestand des erst am 17. März 2016 in Kraft getretenen § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG erfüllt. Der Kläger hatte versucht, einen Türsteher mit einer Bierflasche niederzuschlagen. Ob darüber hinaus ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG vorliegt, weil der Kläger wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall (Einbruch in einen Getränkemarkt) und Körperverletzung (er schlug den Geschädigten ohne rechtfertigenden oder entschuldigenden Grund ins Gesicht) zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt war (vgl. hierzu BT-Drs. 18/7537, S. 5), verurteilt worden ist, kann daher offen bleiben. Ebenso braucht nicht entschieden werden, ob durch die Verurteilungen zu zwei Geldstrafen, die über der Bagatellgrenze von 30 Tagessätzen liegen (Urteil des AG München vom 28.10.2011 und Strafbefehl des AG München vom 27.7.2013) zusätzlich ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG besteht.
Das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten Ausweisungsinteresses, dem nicht auch ein gleichwertiges Bleibeinteresse gegenübersteht, führt indessen noch nicht ohne weiteres zur Ausweisung des Betroffenen. Der Gesetzgeber geht selbst davon aus, dass die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG genannten Ausweisungsinteressen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch mehr oder weniger Gewicht entfalten, so dass ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nicht zwangsläufig zur Ausweisung des Ausländers führen muss (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 Rn. 52; BT-Drs. 18/4097 S. 50). Erst anhand einer Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls lässt sich feststellen, ob das Interesse an der Ausweisung letztlich überwiegt. Insbesondere hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern durch das Einfügen der Wörter „sowie die Tatsache, ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat“ in § 53 Abs. 2 AufenthG klargestellt, dass sich rechtstreues Verhalten zugunsten und nicht rechtstreues Verhalten zulasten des Ausländers in der Abwägung auswirken kann (BT-Drs. 18/7537 S. 5).
Im Fall des Klägers überwiegt bei Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers sein Bleibeinteresse. Aus dem Vorbringen im Zulassungsverfahren ergibt sich weder in Bezug auf die begangene Straftat, die das schwerwiegende Ausweisungsinteresse begründet, noch in Bezug auf die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten abwägungsrelevanten Kriterien eine Atypik. Es trifft nicht zu, dass der Kläger überwiegend Bagatelldelikte begangen hat. Bei den Verurteilungen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen Einbruchsdiebstahls bzw. versuchten Einbruchsdiebstahls wirkte der Kläger mit den anderen an der Straftat Beteiligten bewusst und gewollt zusammen und hatte zuvor einen Tatplan ausgearbeitet. Bei den Körperverletzungsdelikten ging die Aggression stets vom Kläger aus. Gerade die Tat, die der Verurteilung zur Freiheitsstrafe von acht Monaten zugrunde lag, zeigt die besondere Aggressivität des Klägers, als er ohne vorherige Provokation einem Türsteher eine Bierflasche auf den Kopf schlagen wollte. Eine berufliche und wirtschaftliche Integration ist dem Kläger bislang nicht gelungen. Dem Zulassungsvorbringen ist auch nicht zu entnehmen, dass er ernsthafte Anstrengungen unternommen hat, diese Situation zu ändern. Nicht ausreichend ist jedenfalls, dass „eine positive Entwicklung nicht von vornherein auszuschließen ist“. Die Ausweisung des Klägers führt zwar dazu, dass der persönliche Kontakt zu seinen Eltern und seinen Schwestern, bei denen er bis zu seiner Inhaftierung gelebt hat, nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Die Beziehungen zu seiner Familie sind jedoch nicht besonders schützenswert, da er bereits 26 Jahre alt und nicht mehr auf die Beistandsleistungen seiner Eltern oder Geschwister angewiesen ist. Seit seiner Inhaftierung hat ihn seine Familie nur in unregelmäßigen Abständen in der Justizvollzugsanstalt besucht. Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag ist auch davon auszugehen, dass der Kläger Bindungen zu seinem Herkunftsstaat hat. Er hat bis zu seinem 14. Lebensjahr zusammen mit seiner Familie in Kirkuk gelebt und dort die Schule besucht. Nach den Angaben seines Vaters im Asylverfahren lebten zumindest im Jahr 2003 noch dessen Vater und Schwester im Irak. Aus der Anhörung im Asylverfahren lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Kläger in einem Krisen- und Kriegsgebiet aufgewachsen sei, wie er im Zulassungsverfahren vorbringt. Sein Vater hat lediglich angegeben, dass er sich für die Baath-Partei politisch engagiert und befürchtet habe, als Kurde verhaftet zu werden. Das bisherige Bleiberecht des Klägers beruhte auch nicht darauf, dass er in seinem Heimatland menschenrechtswidriger Behandlung ausgesetzt gewesen wäre oder ihm eine erhebliche, individuelle oder konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit gedroht hätte. Der Kläger erhielt eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, weil für seine Mutter, die an Erkrankungen leidet, die im Irak nicht behandelbar sind, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Ob inzwischen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Kläger vorliegen, ist in dem dafür vorgesehenen asylrechtlichen Verfahren beim Bundesamt zu überprüfen. Zudem wäre es ihm als erwachsenen, jungen und gesunden Mann zuzumuten, gegebenenfalls nicht in seinen Heimatort, sondern an einen anderen sicheren Ort in seinem Heimatland zurückzukehren.
b. Auch die Abweisung der Klage auf Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen bzw. seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, erweist sich unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens als richtig.
Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass der Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sei und die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorlägen. Die Ausreise in den Irak sei sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen möglich und zumutbar. Es bestünden Flugverbindungen in den Irak. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestünden nicht. Im Hinblick auf die derzeitige Lage im Irak liege auch kein zielstaatsbezogenes Ausreisehindernis vor. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge habe mit Bescheid vom 27. Oktober 2003 bestandskräftig festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG nicht vorlägen. An diese Entscheidung sei die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG (jetzt AsylG) gebunden. Anhaltspunkte, dass eine extreme Gefahrenlage vorliege und daher der Ausländerbehörde ein eigenes Prüfungsrecht zukomme, lägen nicht vor. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, wonach der Lebensunterhalt gesichert sein müsse und kein Ausweisungsgrund vorliegen dürfe, seien nicht gegeben. Die mit Schreiben der Beklagten vom 14. Juli 2015 ergänzten Ermessenserwägungen in Bezug auf das Absehen von diesen Erteilungsvoraussetzungen seien nicht fehlerhaft.
Im Zulassungsverfahren wendet der Kläger insoweit lediglich ein, dass das Gebiet, aus dem er stamme, mitten in der Kampfzone des Islamischen Staates liege. Gerade dort, wo er beheimatet gewesen sei, bestehe eine extreme Gefahr für Leib und Leben.
Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger die Entscheidung des Erstgerichts jedoch nicht ernsthaft in Zweifel. Insoweit fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung, weshalb seine freiwillige Ausreise wegen einer extremen Gefahr für Leib und Leben unzumutbar sein soll. Alleine der Umstand, dass er aus Al-Tamin stammt, wofür es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gibt, reicht nicht aus, um eine extreme Gefahr für Leib und Leben in der Person des Klägers anzunehmen. Ihm bleibt es im Übrigen unbenommen, im Falle einer freiwilligen Ausreise nicht in seinen Heimatort, sondern in einen anderen Teil des Landes zurückzukehren.
Mit der weiteren Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass selbst bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe, weil die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt seien und es im Ermessen der Ausländerbehörde stehe, ob sie von diesen Voraussetzungen abweiche (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), setzt sich der Kläger im Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
2. Zu den weiter angeführten Zulassungsgründen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO fehlen jegliche Darlegungen im Zulassungsantrag. Auch aus dem Zulassungsvorbringen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils lässt sich nicht entnehmen, worin die besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten oder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegen sollten.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 52 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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