Verwaltungsrecht

Ausweisung verbunden mit einer sieben- bzw. neunjährigen Wiedereinreisesperre

Aktenzeichen  M 25 K 19.4856

Datum:
11.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 31864
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Solange die Sucht nicht durch eine erfolgreiche Therapie überwunden ist und die damit verbundene Erwartung eines künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende nicht glaubhaft gemacht wird, ist von einer weiteren Gefahr der Wiederholung von Straftaten auszugehen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Die Klage ist bereits unzulässig, soweit die Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. hilfsweise eine Duldung beantragt wird. Insoweit fehlt es bereits an dem für eine Klage erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger vor Klageerhebung keinen entsprechenden Antrag nach Art. 81 Abs. 1 AufenthG bei der Beklagten gestellt hat und auch bezüglich einer Duldung bei der Beklagten nie vorgesprochen hat.
II. Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber nicht begründet. Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers verbunden mit einem 7- bzw. 9-jährigen Einreise- und Aufenthaltsverbot ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet ist rechtmäßig.
a.) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris).
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris). Beim Kläger handelt es sich um einen Wiederholungstäter und einen Bewährungsversager. Der Kläger hat bereits kurz nach seiner Einreise Diebstähle begangen, um seine Drogensucht zu finanzieren. Die erste Verurteilung wegen Diebstahls erfolgte knapp ein Jahr nach seiner Einreise. Darauf folgten bis zum Jahr 2018 drei weitere Verurteilungen. Zuletzt wurde er mit Urteil des Amtsgerichts … vom 26. April 2018 zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Das Gericht legte dabei strafschärfend zu Grunde, dass der Kläger bei seinen Taten planvoll vorgegangen sei, indem er die Geschädigten gezielt abgelenkt habe. Zudem habe der Kläger die Taten innerhalb kurzer Zeit begangen. Bereits wenige Wochen nach seiner ersten Verurteilung am 10. August 2016 wurde der Kläger erneut straffällig. Trotz mehrmaliger Verurteilung war der Kläger nicht willens oder nicht fähig, ein straffreies Leben zu führen. Die zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wurden durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 21. Februar 2018 und 27. August 2019 widerrufen.
Der Kläger ist drogen- und alkoholabhängig. Seinen eigenen Angaben zu Folge konsumiert er seit dem Jahr 1997 Drogen (Heroin, Kokain, Marihuana) und später Alkohol (bis zu 30 Halbe Bier am Tag). Die vom Landgericht … * mit Urteil vom 5. Juni 2019 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, wurde mit Beschluss vom 27. Februar 2020 insbesondere wegen fehlender Deutschkenntnisse für erledigt erklärt. Der Unterbringungszweck sei nicht mehr erreichbar. Der Kläger befindet sich seit 3. März 2020 in der Justizvollzugsanstalt
Solange der Kläger seine Sucht durch eine erfolgreiche Therapie nicht überwunden und die damit verbundene Erwartung eines künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende nicht glaubhaft gemacht hat, ist von einer weiteren Gefahr der Wiederholung von Straftaten auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2019 – 10 ZB 19.317 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437 juris – Rn. 7; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32).
Unabhängig davon gefährdet der Aufenthalt des Klägers auch im Hinblick auf generalpräventive Erwägungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine Ausweisung aufgrund von Betäubungsmittel- und Eigentumsdelikten hat stets auch eine generalpräventive Funktion. Denn eine solche setzt ein deutliches Signal, dass diese Delikte nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch ausländerrechtliche. Betäubungsmittelstraftaten sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – C 145/09, Tsakouridis – juris). Das Ausweisungsinteresse ist vorliegend auch aktuell. Die Ausweisung stellt damit eine geeignete Maßnahme dar, um andere Ausländer von solchen Delikten abzuhalten.
b.) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse auf Grund der Höhe der strafrechtlichen Verurteilung (2 Jahre und 8 Monate) besonders schwer. Dem stehen keine besonders schwerwiegenden oder schwerwiegenden Bleibeinteressen des Klägers gegenüber. Der Kläger verfügt über keinen Aufenthaltstitel.
Auch unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Positionen aus Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG und Art. 8 EMRK überwiegt das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Denn eine soziale und wirtschaftliche Integration in die Bundesrepublik ist dem Kläger nicht gelungen. Der Kläger hat hier nie gearbeitet. Er wurde bereits kurze Zeit nach seiner Einreise erstmals straffällig. Während seines nunmehr fünfjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik wurde der Kläger bereits viermal strafrechtlich belangt. Über die Hälfte seiner Aufenthaltszeit hat der Kläger in Haft verbracht. Nennenswerte soziale Bindungen bestehen nicht. Seine Ehefrau lebt in Italien, seine beiden Kinder in Spanien.
Hingegen verfügt der Kläger noch über Bindungen zu seinem Heimatland. Er spricht die Landessprache und ist mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut. Er ist in Algerien geboren und dort aufgewachsen. Nach einem längeren Auslandsaufenthalt hat er in den Jahren 2009 bis 2012 erneut dort gelebt und gearbeitet. Neben seinen Eltern leben noch mehrere Onkel und Tanten in Algerien. Das Bundesamt hat zudem in seinem Bescheid vom 11. September 2017 festgestellt, dass die Erkrankungen des Klägers nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbots rechtfertigen würden. Es ist dem Kläger daher möglich und zumutbar in sein Heimatland zurückzukehren.
Die ausgesprochene Ausweisung des Klägers ist damit eine verhältnismäßige Maßnahme, die zur Abwehr der durch seinen Aufenthalt drohenden Gefahren insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen ist.
2. Das in Ziffer 2 des Bescheides festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot, welches nach §§ 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung erlassen wurde, lässt keine Rechtsfehler erkennen.
Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG bedarf es der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der auch zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtecharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris).
Die Beklagte war bei ihrer Entscheidung vorliegend auf Grund der strafrechtlichen Verurteilung nicht an die Fünfjahresfrist des § 11 Abs. 3 AufenthG gebunden. Gem. § 11 Abs. 5 AufenthG darf die Frist 10 Jahre nicht überschreiten.
Der Kläger wurde mehrfach zu verschiedenen Freiheitsstrafen u.a. wegen Diebstahls und Drogendelikten verurteilt (11 Monate, 6 Monate und 2 Jahre und 8 Monate). Der Kläger hat sich durch keine der Verurteilungen beeindrucken lassen, sondern hat weiter insbesondere Diebstahlsdelikte begangen, um seinen Sucht zu finanzieren. Die vom Landgericht … * angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat der Kläger nicht genutzt, um von seiner Drogen- und Alkoholabhängigkeit loszukommen. Die Unterbringung wurde ohne Erfolg abgebrochen. Vom Kläger geht deshalb nach wie vor eine Wiederholungsgefahr aus (s.o.). Auch unter Berücksichtigung der geringen sozialen Bindungen des Klägers zum Bundesgebiet und insbesondere unter Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen erscheint eine Frist von 7 bzw. 9 Jahren angemessen, aber auch erforderlich, um einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen. Die von der Beklagten verfügte Bedingung, bei deren Nichteintritt eine längere Wiedereinreise- und Titelerteilungssperre gelten soll, dient der Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
3. Die Abschiebungsandrohung stützt sich auf §§ 58, 59 AufenthG. Soweit die Abschiebung aus der Haft angekündigt wird (Ziff. 3 des Bescheides), erfüllt dies die Voraussetzungen des §§ 58 Abs. 3, 59 Abs. 5 AufenthG.
III. Die Klage ist somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
IV. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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