Verwaltungsrecht

Ausweisung

Aktenzeichen  M 4 K 17.4235

Datum:
1.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24157
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 32 Abs. 1,§ 53
StGB § 21
VwGO § 117 Abs. 3 S. 2
StPO § 154 Abs. 2, § 454 Abs. 1 S. 2,S. 4
IfSG § 73
BayVwVfG Art. 3 Abs. 3
BtMG § 29
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist.
I.
Der Bescheid der Beklagten ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Gericht verweist auf die zutreffenden Ausführungen im ausführlich begründeten Bescheid und sieht insoweit von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Darüber hinaus gilt folgendes:
Die Beklagte ist trotz des Zuweisungsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 10. Juli 2019 nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO weiterhin passivlegitimiert. Das nach der Zuweisung ab dem 11. Juli 2019 für den Kläger ausländerrechtlich örtlich zuständige Landratsamt … stimmte der Verfahrensdurchführung durch die Beklagte mit Schreiben an das Gericht vom 22. Juni 2020 zu, Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG. Die Fortführung des Verfahrens durch die Beklagte dient auch der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Klageverfahrens. Entgegenstehende Interessen der Beteiligten sind nicht ersichtlich.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig: Das Gericht hat die behördliche Entscheidung der Beklagten unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstands zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts am 1. Juli 2020 zu überprüfen.
Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Die Ausweisung des Klägers ist unter Berücksichtigung des dargelegten Maßstabs rechtmäßig, weil der Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet (1.) und das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Interesse des Klägers an einem weiteren Verbleib überwiegt (2.).
1. Der Aufenthalt des Klägers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung, weil von ihm nach wie vor die Gefahr der Begehung schwerer Straftaten ausgeht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr zu treffen, ohne dass sie an die Feststellungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Tat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Der Rang des bedrohten Rechtsguts bestimmt dabei die mögliche Schadenshöhe, wobei jedoch keine zu geringen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gestellt werden dürfen (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; BVerwG, U. v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 16).
1.1. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) fest, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht, so dass eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt ist.
1.1.1. Nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung am 1. Juli 2020 gewonnen hat, liegt beim Kläger nach wie vor keine Einsicht in seine Taten vor. Hierfür spricht zum einen seine Schilderung der Anlasstat für die Ausweisung. Der Kläger erklärte hierbei, dass es in der S-Bahn zu Streit gekommen sei und der Mittäter im Verlauf dieses Streits ohne Kenntnis des Klägers ein Handy und ein Kabel mit Powerbank weggenommen habe. Er selbst habe nur leicht geschubst. Erst auf eingehende und nachdrückliche Befragung des Klägerbevollmächtigten erzählte der Kläger stockend, dass er die Flasche nur weggenommen habe, um sich selbst zu schützen und er niemanden damit habe schlagen wollen. Diese nur vage und oberflächliche Schilderung des Tathergangs steht in erheblichen Widerspruch zu den Videoaufnahmen der Tat, die den Geschehensablauf nachweisen (vgl. Schilderungen im Strafurteil vom 19. Dezember 2016, Bl. I 330 ff., 338 ff. und 352), und relativiert den Tatbeitrag des Klägers. Auch die Schilderung der Anlasstat im forensisch-psychologischen Gutachten vom 7. März 2019 (S. 34 f.) zeigt starke Relativierungen des Geschehens, indem der Kläger keinerlei eigenen Tatbeitrag schilderte, sondern lediglich erklärte, was der Mittäter getan habe und dass er sich von den Geschädigten bedroht gefühlt habe. Nach den Feststellungen im Strafurteil ist den Videoaufzeichnungen der Tat und den Zeugenaussagen zu entnehmen, dass der Kläger und der Mittäter ohne Anlass aggressiv auf die Geschädigten eindrangen. Ein Verhalten der Geschädigten, aus dem sich eine subjektive Bedrohungssituation für den Kläger hätte ergeben können, ist nach den Angaben im Strafurteil nicht ersichtlich. Dass gegen die Geschädigten inzwischen Ermittlungsverfahren wegen Straftaten anhängig sind, ist für die Bewertung der der Ausweisung zu Grunde liegenden Tat irrelevant, insbesondere da der Kläger, der Mittäter und die Geschädigten sich vor der Tat nicht kannten.
Die Gutachterin vom 7. März 2019 befragte den Kläger weiter zu den Vorstrafen (S. 35 f. d. Gutachtens), wobei hier auch auffällt, dass die Schilderungen des Klägers sich nicht mit den Feststellungen des Sachverhalts in den jeweiligen Urteilen decken und von Relativierungen oder Verschweigen eigener Tatbeiträge durchzogen sind. Trotz des erst neun Monate zuvor verhängten Freizeitarrestes und der ausländerrechtlichen Verwarnung vom 19. April 2016, mit dem ihm die Folgen weiterer Straffälligkeit aufgezeigt wurden, beging der Kläger bereits am 30. April 2016 die Anlasstraftat.
Des Weiteren ist festzustellen, dass der Kläger vor der Anlasstat, die – entgegen der immer noch aufrecht erhaltenen Aussagen des Klägers – ein nicht unerhebliches Ausmaß an Gewalt beinhaltete, wegen gefährlicher Körperverletzung bereits dreimal vom Jugendgericht verurteilt wurde und somit aus früheren Verurteilungen keine Lehren gezogen hat. Das jeweilige Vorgehen bei der Begehung dieser Gewalttaten lässt auch auf eine erhöhte Gefährlichkeit des Klägers schließen, da alle drei vorhergehenden Straftaten durch Situationen gekennzeichnet waren, in denen der Kläger mit den Mittätern in Überzahl andere Menschen mit Faustschlägen und Fußtritten traktierte.
Aus dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung und dem Aktenstudium ist für das Gericht daher erkennbar, dass der Kläger seine Taten nach wie vor nicht ausreichend reflektiert hat und seinen Tatbeitrag stark relativiert.
1.1.2. Unabhängig davon demonstriert der Kläger auch dadurch, dass Ermittlungsverfahren aus verschiedenen Strafdeliktsbereichen gegen ihn anhängig waren (u.a. auch Diebstahl, BtM), dass er allgemein die Rechtsordnung und die durch diese geschützten Rechtsgüter geringachtet.
Auch gesetzliche bzw. behördliche Anordnungen – wie beispielsweise die aufenthaltsrechtliche Regelung seiner Wohnsitzverpflichtung in einer Gemeinschaftsunterkunft in …, die Grünanlagensatzung für den Bereich München sowie die infektionsschutzrechtlichen Anordnungen während der Corona-Pandemie – haben dem Kläger gegenüber keine derartige Autorität entfaltet, dass er sich daran gehalten hätte. Der Kläger legt nach Angaben des Klägerbevollmächtigten trotz der im April 2020 ergangenen Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis … laufend Arbeitsverträge für Arbeitsstellen in München vor und ist schon seit Herbst 2019, als er wegen mehr als vierzigtägiger Abwesenheit in der Unterkunft als untergetaucht gemeldet war, immer wieder und mehrtägig bzw. mehrwöchentlich aus der ihm zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft abgängig. Der Kläger hält sich ohne gültigen Reisepass und ohne Aufenthaltserlaubnis weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland auf. Daraus ergibt sich, dass der Kläger die Regelungen der Bundesrepublik Deutschland weiterhin nicht ernst nimmt.
1.1.3. Aus dem Vergleich der vom Gericht angeforderten Akten und Berichte ergibt sich, dass der Kläger selektiv mit relevanten Informationen an verschiedene Beteiligte umgeht. So ist u.a. festzuhalten, dass der Kläger dem Bewährungshelfer noch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erklärte, sich in Absprache mit der Ausländerbehörde … regelmäßig bei seinen Eltern aufzuhalten. Eine solche Absprache ist nicht nur inexistent; gegen den Kläger wurde bereits mit Bescheid vom 28. April 2020 eine Aufenthaltsbeschränkung für den Landkreis … gegen Zwangsgeldandrohung erlassen.
Der Kläger erklärte bezüglich seines Alkohol- und Drogenkonsums gegenüber der Justizvollzugsanstalt, dass er Alkohol die letzten sechs Monate vor seiner Haft nahezu jeden Tag getrunken und Cannabis vom 19. Lebensjahr bis zwei Jahre vor Haftbeginn fast täglich konsumiert habe (VH S. 63); mutmaßlich um die Chance der Aufnahme in die entsprechenden Alkoholtherapiegruppen zu erhöhen. Gegenüber der Gutachterin und dem Gericht erklärte der Kläger hingegen, dass er vor der Inhaftierung zwei- bis dreimal die Woche Alkohol getrunken habe, manchmal etwas mehr, was aber am Einfluss der Freunde gelegen habe, zu denen er inzwischen keinen Kontakt mehr habe. Er habe mit 20/21 Jahren das erste Mal Haschisch probiert und dann vielleicht insgesamt einmal im Monat gekifft. Er habe nie selbst Haschisch gekauft, sondern lediglich bei Freunden am Joint gezogen (vgl. VH S. 131 f.; Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Dem widerspricht das Geständnis des Klägers im Ermittlungsverfahren (Az. 1123 Cs 361 Js 218612/16) wegen Vergehens nach § 29 BtMG, laut dem der Kläger mit Freunden im Park „Gras“ für fünf Euro gekauft habe.
Diese selektive Informationsverteilung an unterschiedliche Personen zieht sich durch weitere Lebensbereich des Klägers (Freundinnen bzw. Verlobte des Klägers/Arbeitsmöglichkeit bei Onkel am Hauptbahnhof/Entlassadresse der Eltern/ etc.). Nach dem Eindruck, den das Gericht aufgrund der Aktenlage und der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnen hat, versucht der Kläger weiterhin – auch seit seiner Haftentlassung – sich unter selektiven Informationsweitergaben möglichst Vorteile zu verschaffen.
Ein integerer und zuverlässiger Eindruck des Klägers, insbesondere in Hinsicht auf ein zukünftig gesetzeskonformes Leben, ist darin nicht zu erkennen.
1.2. Das Gericht folgt der Gefahrprognose des forensisch-psychologischen Gutachtens vom 7. März 2019 sowie der Beschlüsse der zuständigen Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts vom 1. April 2019 und 26. April 2019 zur Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung nicht.
Das Gericht ist bei der Gefahrprognose nicht an die vom Strafvollstreckungsgericht bei dessen Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gefundene Einschätzung gebunden. Zwar sind die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der Prognose ein wesentliches Indiz dar. Eine Bindungswirkung geht von den strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen jedoch nicht aus. Die Prognose, ob der Ausländer eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt, bestimmt sich nämlich nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten, auch nicht nach dem Gedanken der Resozialisierung. Vielmehr haben die zuständigen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen. Sie können deshalb sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris). Dies kann gerade bei einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB deshalb in Betracht kommen, weil hier schon wegen der maßgeblichen Bedeutung der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt (§ 454 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO) naturgemäß eher Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Zudem geht es bei der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung um die Frage, ob die vorzeitige Entlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB), während die ausländerrechtliche Beurteilung eine im Regelfall an strengeren Kriterien orientierte und darüber hinaus längerfristige Gefahrenprognose erfordert.
Sind die Verwaltungsgerichte demzufolge an die strafrichterliche Prognoseentscheidung nicht gebunden, so gilt dies auch hinsichtlich der hier in Rede stehenden prognostischen Einschätzungen, die in dem von der zuständigen Strafvollstreckungskammer in Auftrag gegebenen Gutachten zum Ausdruck kommen. Dem zur Vorbereitung einer Entscheidung nach § 57 StGB eingeholten Gutachten kommt demgemäß allenfalls die Bedeutung einer Entscheidungshilfe für die vom Strafrichter zu treffende Sozialprognose zu (vgl. OVG NRW, B.v. 17.7.2008 – 18 A 1145/07 – juris), was die Annahme einer weitergehenden Bindungswirkung für die vom Verwaltungsgericht unabhängig und eigenständig zu treffende Prognoseentscheidung bereits vom Ansatz her ausschließt. Vielmehr haben die zuständigen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen. Sie können deshalb sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen (OVG Saarlouis, B.v. 1.7.2019 – 2 B 30/19 – juris Rn. 22). Erforderlich ist aber eine substantiierte Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BayVGH, B.v. 14.1.2019 – 10 ZB 18.1413 – juris Rn. 10).
Die Voraussetzungen, unter denen das Gutachten vom 7. März 2019 eine ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Gefährlichkeit des Klägers nicht mehr weiterbesteht, annahm, sind nach Einschätzung des Gerichts nicht bzw. nicht mehr gegeben.
Der Kläger sollte als Auflage sofort nach der Haftentlassung Wohnsitz in der von den Eltern bewohnten Wohnung nehmen und jeden Wohnsitzwechsel mitteilen. Weiter sollte der Kläger sofort nach seiner Haftentlassung schnellstmöglich einen Arbeitsplatz im Friseursalon seines Onkels antreten, um einen geregelten Tagesablauf zu haben. Dem liegt zum einen zu Grunde, dass die Gutachterin von einem geordneten sozialen Empfangsraum bei Rückkehr zur Familie und zum anderen von der bestehenden Minimierung der klägerischen Risikofaktoren für weitere Straftaten (Vorstrafen, schädlicher Gebrauch von Alkohol, bestehende Schulden, ungeklärte ausländerrechtliche Situation, „falscher“ Freundeskreis) ausging.
Ein geordneter sozialer Empfangsraum liegt jedoch nach Überzeugung des Gerichts nicht vor: Zum einen hat der Wohnsitz bei den Eltern in den Jahren von 2012 bis 2016 den Kläger nicht von der Begehung von vier geahndeten Straftaten und der Veranlassung einer Vielzahl polizeilicher Ermittlungsverfahren (vgl. Bl. 425 f.) innerhalb von vier Jahren abgehalten. Der Bruder des Klägers, der eine vergleichbare Anzahl an verurteilten Straftaten bzw. eingeleiteten Ermittlungsverfahren aufweist, zog erst am 15. März 2019 unter Aussetzung des Rests einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monate zur Bewährung zu seinen Eltern zurück. Auch die Schwester des Klägers war bereits strafrechtlich auffällig.
Die weiterhin im Gutachten als notwendig erachtete familiäre/soziale Kontrollinstanz durch eine geregelte Arbeit im Rahmen des Friseursalons des Onkels des Klägers wurde vom Kläger – unabhängig vom ausländerrechtlichen Verbot der Erwerbstätigkeit – nicht umgesetzt:
Der Kläger gab gegenüber der Gutachterin an, dass er eine Anstellung als Friseur im Friseursalon seines Onkels am Hauptbahnhof sofort nach der Entlassung aufnehmen könne. Obwohl der Kläger einige Arbeitsverträge im Lauf der Zeit bei der Beklagten und beim Landratsamt … vorlegte, ist ein Arbeitsvertrag mit dem Friseursalon seines Onkels nicht darunter. Ob der Onkel des Klägers nicht existiert, der Onkel keinen Friseursalon besitzt oder den Kläger nicht als Arbeitnehmer aufnehmen möchte bzw. kann, kann vorliegend dahinstehen: relevant ist, dass der Kläger der Gutachterin vorspiegelte, im familiären Rahmen eines Familienbetriebs unter Aufsicht seines Onkels einer geregelten Tätigkeit nachgehen zu können. Weiter ist jedoch auch festzuhalten, dass der Kläger während seiner Ausbildungszeit vom 1. Dezember 2014 bis zum 30. April 2016 insgesamt fünf polizeiliche Ermittlungsverfahren verursachte, von denen eines die schwerwiegende Anlasstat darstellte und eines lediglich wegen Geringfügigkeit im Vergleich zur Anlasstat eingestellt wurde (§ 154 Abs. 2 StPO). Die Verhinderung von weiteren Straftaten des Klägers ist daher für das Gericht selbst bei einer Arbeitsaufnahme in seinem Ausbildungsberuf nicht gesichert.
Nach den Darstellungen im Gutachten vom 7. März 2019, die größtenteils auf der Eigendarstellung des Klägers während der Begutachtung bzw. vor den Strafgerichten beruhen, handele es sich beim Kläger um einen jungen Erwachsenen, der oft mit „falschen Freunden“ unterwegs gewesen sei und meist Alkohol konsumierend in Schlägereien zwischen verschiedenen jugendlichen Gruppierungen geraten sei, „sich selbst aber nur marginal beteiligt habe““ (VH 152). Der Kläger gab gegenüber der Gutachterin (VH 126, 132, 136 ff.), dem Bewährungshelfer und dem Verwaltungsgericht an, sich von seinem ehemaligen Freundeskreis, mit dem er immer wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, distanziert zu haben und diese Freunde nicht mehr zu treffen. Diese beabsichtigte Distanzierung lag auch der Gefährdungsprognose der Gutachterin zu Grunde.
Diese Voraussetzung des Gutachtens liegt nach Ermittlungen des Gerichts jedoch nicht vor: Dem widerspricht die angezeigte Ordnungswidrigkeit des Klägers vom 17. April 2020. Aus dem Abgleich der Namen der Mitbeschuldigten der Ordnungswidrigkeit vom 17. April 2020 mit der Akte des Klägers ergibt sich, dass dieser am 17. April 2020 mit einem Freund am See grillen wollte, der zusammen mit dem Kläger eine gefährliche Körperverletzung beging (vgl. Strafurteil vom 15. Juni 2015). Auf Vorhalt des Gerichts gab der Kläger zu, dass er mit diesem, und noch einem oder zwei anderen Freunden aus dem alten Freundeskreis Kontakt habe.
Das Gutachten zeigt weiter Widersprüche auf, indem es zwar zum einen feststellt, dass der Kläger weiterhin seine Straftaten verharmlost und bagatellisiert (VH 150, 152), andererseits allerdings feststellt, dass der Kläger sich mit seinen Straftaten auseinandergesetzt habe und die Verantwortung für seine Taten übernehme (VH 140, 153). Das Gericht sieht bis hin zur mündlichen Verhandlung eine erhebliche Tendenz des Klägers, die Verantwortung für Straftaten auf andere zu projizieren („falsche Freunde“, Alkohol, er sei eigentlich schüchtern, etc.) und die Straftaten durchgängig unter Unterschlagung seines Tatbeitrags zu verharmlosen (s.o.).
1.3. Auch die Teilnahme des Klägers an den Gruppen „Alkohol und Gewalt“ sowie „Anonyme Alkoholiker“ der Justizvollzugsanstalt beseitigt nicht die Wiederholungsgefahr. Der Kläger war ausweislich der Akten im Rahmen der verurteilten Körperverletzungsdelikte nur bei zwei von vier Taten alkoholisiert. Eine bestehende Alkoholabhängigkeit, die Hauptursache für die Straftaten gewesen sein könnte, liegt nicht vor, so dass die Teilnahme an diesen Gruppenangeboten keine durchschlagende Sicherung vor einem Rückfall bewirken kann, insbesondere da der Kläger sich weiterhin in seinem alten Freundeskreis bewegt.
1.4. Vor dem dargestellten Hintergrund sieht das Gericht weiterhin eine vom Kläger ausgehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, insbesondere durch die Gefahr der Begehung von Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit. Unter den oben genannten Umständen kann die von der Gutachterin ermittelte (unterdurchschnittliche) Rückfallwahrscheinlichkeit des Klägers von (lediglich) 20 bis 30% für eine erneute Haftstrafe innerhalb von zwei Jahren nach Haftentlassung (VH 153 f.) nicht hingenommen werden, falls sie angesichts der teilweise falschen Tatsachengrundlage überhaupt noch aufrechterhalten werden könnte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seit seiner Haftentlassung vor 15 Monaten bereits wieder Anlass zu vier polizeilichen Ermittlungsverfahren (eine ausländerrechtliche Straftat und drei Ordnungswidrigkeiten) gab und sich nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung weiterhin mit Teilen seines alten Freundeskreises trifft.
1.5. Aus den Beschlüssen der zuständigen Auswärtigen Strafvollstreckungskammer vom 1. April 2019 und 26. April 2019, mit denen die Vollstreckung des Strafrests des Klägers zur Bewährung ausgesetzt wurde, ergibt sich keine Änderung der ausländerrechtlichen Gefahrprognose für den Kläger. Die Beschlüsse basieren ausweislich deren Gründe auf dem forensisch-psychologischen Gutachten vom 7. März 2019 und den Angaben aus den Berichten der Justizvollzugsanstalt …, deren Einschätzungen das Gericht aus oben benannten Gründen nicht folgt. Darüberhinausgehende Gründe sind aus den Beschlüssen nicht ersichtlich.
2. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt.
2.1. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist, was vorliegend der Fall ist.
Darüber hinaus wiegt das Ausweisungsinteresse vorliegend auch deshalb gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG besonders schwer, weil der Kläger wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde.
Weiter liegt auch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG vor, da der Kläger im Rahmen seines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 20. Mai 2012, eingegangen bei der Beklagten am 12. Juli 2012, ankreuzte, dass er nicht bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und gegen ihn nicht derzeit wegen Verdachts auf eine Straftat ermittelt werde. Dies stellten falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels nach § 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG dar, da die Staatsanwaltschaft München I bereits mit Schreiben vom 2. April 2012 Anklage gegen den Kläger und einen Mittäter wegen gefährlicher Körperverletzung erhob. Dem Kläger war zum Zeitpunkt des 20. Mai 2012 auch bewusst, dass strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn laufen, da er nach der Anklageschrift vom 2. April 2012 am 21. Februar 2012 und 15. März 2012 bei der Polizei Einlassungen zu den angeklagten Straftaten machte.
Die notwendige Belehrung der Strafbarkeit und der möglichen ausländerrechtlichen Konsequenzen von Falschangaben im Rahmen eines Antrags auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels war zu diesem Zeitpunkt gegeben (I 38).
Die vom Kläger verwirklichten drei Ordnungswidrigkeiten und ausländerrechtliche Straftat im Zeitraum von lediglich gut einem Jahr nach der Haftentlassung stellen weiter nicht nur vereinzelte Verstöße gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen dar, die nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen.
2.2. Dem steht kein normiertes Bleibeinteresse des Klägers gemäß § 55 AufenthG gegenüber. Ein Interesse des Klägers am Verbleib in Deutschland ergibt sich nach § 53 Abs. 2 AufenthG aus seinen familiären Bindungen zu seinen in Deutschland lebenden Eltern und Geschwistern sowie der entfernteren Familie. Weiter lebt der Kläger seit inzwischen elf Jahre in Deutschland, hat deutsche Sprachkenntnisse und verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung als Friseur.
2.3. Bei der Abwägung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG überwiegt unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien sowie aller sonstigen Umstände des Einzelfalls vorliegend das öffentliche Interesse an der Ausreise das private Bleibeinteresse des Klägers. Die Ausweisungsentscheidung erweist sich auch mit Blick auf die Anforderungen des Art. 8 EMRK und des Art. 6 GG als verhältnismäßig.
2.3.1. Für den weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet sprach bei dieser Abwägung, dass seine engere und weitere Familie in der Bundesrepublik Deutschland ansässig ist. Die Eltern, zwei Brüder und eine Schwester des Klägers leben ebenso wie die erweiterte Familie in Deutschland. Das Verhältnis zu diesen ist nach Angaben des Klägers gut; er gab die Adresse seiner Eltern als Entlassadresse nach seiner Inhaftierung an und besucht seine Familie häufig auch für mehrere Tage. Der Kläger ist jedoch als inzwischen 26-Jähriger nicht mehr auf die Unterstützung seiner Eltern und Geschwister angewiesen. Im Fall einer Ausweisung ist es dem Kläger nicht unzumutbar, zu seiner Familie Kontakt über Telefon, Briefe und Internet zu halten. So hielt der Kläger auch die vier Jahren seiner Untersuchungshaft und Inhaftierung Kontakt zu seiner Familie.
Der Kläger lebt seit dem Jahr 2009, d.h. inzwischen elf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Er reiste als 14-Jähriger in Deutschland mit seiner Mutter und seinen Geschwistern ein. Die reine Aufenthaltsdauer des Klägers ist jedoch nicht alleine ausschlaggebend: Es ist auch beachtlich, inwieweit der Kläger sich während seiner Aufenthaltsdauer in Deutschland integrieren konnte. Der Kläger schaffte es nach Einschätzung des Gerichts nicht, sich in Deutschland zu integrieren. Er arbeitete nach seiner Beschulung in der Mittelschule mehrere Jahre in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen bzw. als ungelernter Arbeiter im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses. Zu Gunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass er im Rahmen der Inhaftierung seine Ausbildung beendete. Der Kläger pflegt nach Aktenlage größtenteils soziale Kontakte mit Personen irakischer Staatsangehörigkeit, teilweise auch anderer ausländischer Staatsangehörigkeit.
2.3.2. Für das Überwiegen der Ausweisungsinteressen sprechen jedoch die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten. Die aus spezialpräventiven Gründen für das Überwiegen des Ausweisungsinteresses sprechenden Gesichtspunkte sind gemeinsam mit den generalpräventiven Gründen so gewichtig, dass die von der Beklagten vorgenommene Entscheidung nicht zu beanstanden ist.
Die Beklagte hat die privaten Belange des Klägers zutreffend dargestellt und mit sehr ausführlicher Begründung, der sich das Gericht anschließt, gegen die für die Ausreise sprechenden Gründe abgewogen.
Aufgrund der Schwere der Straftaten insbesondere im Hinblick auf die verletzten Rechtsgüter und die hierbei gezeigte Einstellung hält das Gericht die Ausweisung für verhältnismäßig. Der Kläger beging mehrfach und ohne sich vorhergehende Verurteilungen eine Lehre sein zu lassen gefährliche Körperverletzungen. Die Gewaltstraftaten vor der Anlasstat beging der Kläger zusammen mit seinen Freunden in Überzahl gegen diverse Geschädigte, darunter auch Zufallsopfer, die zu Gunsten anderer Geschädigter helfend eingriffen. Das Gericht sieht in der Anlasstat eine massive Störung der öffentlichen Sicherheit, da der Kläger mit dem Mittäter spontan und ohne Anlass die Geschädigten aggressiv anging und trotz deren defensiven Verhaltens während des gesamten Tatvorgangs nicht von ihnen abließ. Die Geringschätzung der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums anderer durch den Kläger ist den Straftaten des Klägers zu entnehmen, die auch nicht alle im alkoholisierten Zustand zu Stande kamen. Das Strafgericht kam auch zur Ansicht, dass das vom Kläger verübte Unrecht gegen die körperliche Unversehrtheit Dritter mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten schuldangemessen geahndet werden müsse. Mithin wiegt die strafrechtliche Schuld des Klägers schwerer als für das Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erforderlich und erheblich schwerer als für das Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG. Die bis in die mündliche Verhandlung gezeigte Einstellung des Klägers zu den Straftaten zeugt von einer Externalisierung der Schuld an den Verletzungen des sehr hoch im Rang stehenden Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und einer Bagatellisierung seiner Tatbeiträge. Der Kläger, der Straftaten bisher immer zusammen mit seinen Freunden beging, trifft sich weiterhin mit diesen und versuchte, dies gegenüber den Behörden, dem Bewährungshelfer, dem Gericht sowie seinem Rechtsanwalt zu verbergen. Eine ernsthafte und durchgreifende Nachreifung des Klägers kann angesichts dieses Verhaltens und der selektiven Informationsweitergabe durch den Kläger (s.o.) nicht angenommen werden.
Bei der Aufenthaltsbeendigung handelt es sich daher um die Folge der massiven Straffälligkeit des Klägers, die ihm auch zuzumuten ist.
Der Kläger ist auch nicht im Hinblick auf sein Heimatland entwurzelt. Er verbrachte die ersten dreizehn Lebensjahre im Irak und ist mit den dortigen Gepflogenheiten und Gebräuchen vertraut. Es entspricht nicht der Lebenserfahrung, dass der Kläger, der die ersten 14 Jahre nicht in Deutschland verbrachte und dann bis zu seiner Inhaftierung weiterhin mit seiner Familie zusammenlebte, seine Muttersprache nicht mehr spricht. Als Volljähriger ist der Kläger nicht mehr auf den Beistand seiner Eltern angewiesen; zum Entscheidungszeitpunkt ist der Kläger bereits 25 Jahre alt. Der Kläger ist gesund, daher ist es ihm zuzumuten, sich in seinem Heimatland mit der Unterstützung seiner hier lebenden Verwandten eine neue Existenz aufbauen. Es wäre ihm sogar zuzumuten, sich ohne Kontaktperson zurechtzufinden.
2.3.3. Zusammenfassend kommt das Gericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wie die Beklagte zum Ergebnis, dass die Ausweisung nicht gegen höherrangiges Recht verstößt und dem Kläger eine Rückkehr in das Land seiner Staatsangehörigkeit zuzumuten ist.
3. Die von der Beklagten verfügte Befristung der Ausweisung auf sieben Jahren unter der Bedingung von Straffreiheit ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Über die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist hat die Beklagte gemäß § 11 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Sie hat dies unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu tun und darf hierbei fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Da der Kläger aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist, darf die Frist zehn Jahre nicht überschreiten, § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes sowie der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Hierbei bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Sperrfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U. v. 10.7.2012 – 2 C 19.11 – juris Rn. 42). Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straffreiheit (§ 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG).
Gemessen an diesen Vorgaben erweist sich die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sieben Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise als ermessensfehlerfrei. Die gewählten sieben Jahre sind angemessen. Auch liegen die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG vor.
Auch die bei Nichterfüllung der Bedingung festgesetzte Frist von neun Jahren ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch hier erweist sich die Befristung unter Würdigung der vom Kläger ausgehenden Gefahr als ermessensfehlerfrei. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG liegen vor.
II.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 173 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.


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